Fortsetzung
Die Unsterblichkeit
Es gibt aber auch noch eine vierte Bedeutung des Kaddischgebetes. Es ist dies eine Bekennung zum Glauben an die Unsterblichkeit, sowie an die Auferstehung הַשְׁאָרַת הַנֶּפֶשׁ וּתְחִיַּת הַמֵּתִים.
Wir sehen, wie die Tora anläßlich des Todes von Sara ein ganz langes Kapitel einschaltet über die Verhandlungen von Awraham mit den Söhnen Chets, die Awraham eine Grabstätte umsonst zur Verfügung stellen wollten. Awraham wünschte aber nur eine bestimmte Grabstätte, die Höhle Machpelo, für die er dann auch 400 Silberschekel bezahlte.
Die Tora legt großen Wert darauf, den Glauben an die Unsterblichket der Seele und an die Wiederauferstehung des Menschen in uns fest zu verwurzeln, weil dies zu den Grundprinzipien des Judentums gehört.
Sadia Gaon und Rambam zählen sie in ihren 13 Glaubensartikeln auf. Wäre der Mensch mit seinem Tode wirklich zu Ende, so hätte doch sicherlich Awraham nicht so viel Wert darauf gelegt, was mit Sara nach ihrem Tode geschieht und wo sie beerdigt wird. Awraham wollte eben vor der Welt kund tun, daß der Mensch auch nach seinem Tode noch nicht am Ende ist, daß der Mensch, sofern er zu seinen Lebzeiten richtig und Toragemäß sein Leben zu lenken verstanden hat, er auch nach seinem Tode, wenn auch in einer anderen Form, weiter lebt צַדִּיקִים בְּמִיתָתָן קְרוּיִים חַיִּים [1].
Ist doch der Körper nur eine Hülle zur Seele, die den wahren Menschen repräsentiert, und die Seele des Zaddiks ist unsterblich. Daher mußte Awraham für sich und seine Frau eine speziell gewählte Grabstätte finden, die aus zwei aufeinander liegenden Schichten bestand, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß die Seele nach dem Tode zu ihrem Schöpfer wieder hinaufsteigt. Die Grabstätte, da sie als Wohnstätte für den unsterblichen Menschen gedacht ist, muß durch Kauf als Eigentum erworben werden. Es sei also nicht unwichtig, wie und wo der Tote begraben wird. Vor allem ist streng darauf zu achten, daß ein Zaddik nicht neben einen Rascha begraben wird[2]. Der Talmud[3] leitet dies vom Propheten Elischa ab, neben dessen Grab ein Unwürdiger bestattet wurde, worauf ein Wunder geschah, daß der unwürdige Mensch aus dem Grabe hinausgeschleudert wurde[4].
Auch zwei Feinde dürfen nicht nebeneinander bestattet werden.
Dies alles aber beweist deutlich die Unsterblichkeit des Menschen, und muß daher für sein ehrenhaftes Grab gesorgt werden, damit ein Zaddik nicht durch schlechte Nachbarschaft irgendwie leiden soll.
Vom bekannten Gaon Rabbi Akiba Eger wird erzählt, daß in seiner Posener Gemeinde die Chewra Kaddischa[5] von einer ganz unfrommen, aber sehr reichen Familie einen ziemlich hohen Betrag für die Beerdigung ihres Vaters verlangte. Die Familie war darüber sehr aufgebracht und wandte sich an Rabbi Akiwa Eiger. Derselbe gab der Chewra jedoch mit folgendem Urteilsspruch recht: Wir glauben an תְּחִיַּת הַמֵּתִים, an die Auferstehung des Menschen, wie Jeschaja es[6] betont: יִחְיוּ מֵתֶיךָ … הָקִיצוּ וְרַנְּנוּ שֹׁכְנֵי עָפָר.
„Erwachet, jubelt, die ihr im Staube ruhet“, folglich ist der Platz, wo wir beerdigt werden, nur als ein Provisorium, als gemietet zu betrachten, und daher zahlen wir nur einen bescheidenen Preis dafür.
Der Tote aber, der ein unjüdisches Leben führte und auch an die Wiederauferstehung nicht glaubte und dadurch nach einem Ausspruch von Jeschaja[7] מֵתִים בַּל יִחְיוּ רְפָאִים בַּל יָקֻמוּ als ewig Toter bezeichnet wird, benötigt doch den Platz für alle Ewigkeit und deshalb muß auch entsprechend mehr bezahlt werden…
Die Tora erzählt, daß zur Zeit, als die Meraglim, die Kundschafter, nach dem Lande Kanaan geschickt wurden, Kolew nach Chewron ging, worauf zu dieser Stelle der Talmud bemerkt, er begab sich zur Grabstätte der Ureltern הָלַךְ לְהִשְׁתַּטֵּחַ עַל קִבְרֵי אֲבוֹתָיו um sie zu veranlassen, daß sie für Jisrael bei G-tt flehen mögen, woraus auch ihre Unsterblichkeit hervorgeht[8].
Im Traktat Sanhedrin[9], werden noch weitere Beweise für die Unsterblichkeit der Seele angeführt.
In Jecheskel[10] heißt es: So spricht G-tt der Herr, ich öffne eure Gräber und lasse euch aus euren Gräbern steigen, o mein Volk, und bringe euch auf den Boden Jisraels zurück. Ihr werdet erkennen, daß ich der Herr bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch aus euren Gräbern steigen lasse, o mein Volk. Ich bringe meinen Geist in euch, daß ihr lebet, und siedle euch auf eurem Boden an.
Das Kaddischgebet, laut seinem ursprünglichen Text, bekundet den festen Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und deren Wiederauferstehung. So lautet der Text: בעלמא דעתיד לאתחדתא [11]ולאחיא מתיא und so wird auch das Kaddisch am Grabe gesprochen, aber für das Gebet wurde es etwas gekürzt, doch wird der Glauben an die Auferstehung stark betont.
Nach all diesen Ausführungen erscheint es zweckmäßig, daß auch Töchter das Kaddischgebet in der Frauensynagoge mitsagen dürfen, denn all diese Pflichten und Glaubensbekenntnisse, die aus dem Kaddisch hervorgehen, haben auch für die Frauen Gültigkeit.[12]
Gemeinsames Kaddisch, Aramäisches Kaddisch
Nach vielen Poskim sollen auch Enkelkinder zum Kaddischgebet verpflichtet sein, wenn keine Söhne hinterblieben sind.
Welchen Wert das Kaddischgebet nach einem fremden Menschen haben kann, soll damit erklärt werden, daß das auf Veranlassung der Hinterbliebenen gesagte Kaddisch, auf das man mit Omejn antwortet, eine Weihe des G-ttesnamens darstellt, und wird dies als eine Wohltat für den Verstorbenen angerechnet[13].
Der Minhag in manchen Gemeinden, daß der Awel immer nur allein das Kaddischgebet spricht und bei vielen Awelim nicht jeder Awel an die Reihe kommt, ist nicht sehr zu begrüßen[14], da die Awelim, die behindert werden, das Kaddischgebet zu sprechen, zu Unrecht benachteiligt werden. Der Einwand, daß man dann nicht auf jedes Kaddischgebet das Omejn sagen kann, ist nicht stichhaltig, da auch viele Kohanim zusammen duchenen und das Omejn auch für alle gemeinsam erwidert wird.
Auch Reb Jakow Emden meint, daß alle Awelim zusammen das Kaddisch sprechen sollen.
In Pische Tschuwa[15], sowie im Mischna Brura[16] wird ebenfalls diese Meinung so vertreten, während Chatam Sofer „Orach Chajiım“[17] sowohl dafür, wie dagegen spricht.
Daß das Kaddischgebet teilweise in Aramäisch abgefaßt ist, kommt wohl daher, dat in jenen Zeiten von der Regierung Verboten war, dasselbe als Hymne auf den Ewigen zu sprechen; daher wurde das Kaddisch aramäisch gesprochen, deren Sprache den Überwachungsbeamten nicht verständlich war. Es beweist aber auch, was für eine große Bedeutung das Kaddisch hat, da die Gaonim Mittel und Wege gesucht hatten, um das Kaddisch auf jeden Fall zu erhalten, obwohl es zu sprechen mit Lebensgefahr verbunden war.
Im „Machsor Witri“ wird als Grund angegeben, weil alle auf den G-ttesnamen direkt Bezug habenden Stellen im Kaddisch aramäisch sind — und wir dürfen nicht G-ttesnamen frei wie geschrieben aussprechen.
Tosfot[18] bemerkt folgendes: „Die Welt glaubt, daß das schöne Gebet deshalb aramäisch gesprochen wird, daß es nicht die Eifersucht der Engel errege, welche aramäisch nicht verstehen, so ist dies nicht einleuchtend. Denn wir haben doch viele herrliche Gebete in hebräischer Sprache.
Einleuchtend ist vielmehr, was wir am Schluß von סוטה finden: „Die Welt besteht nur auf der Gebetskeduscha und auf יְהֵא שְׁמֵהּ רַבָּא nach dem Agadavortrag.“ Denn nach dem Agadavortrag pflegte man קדיש zu sagen. Da waren dann auch Ungelehrte anwesend, welche nicht alle hebräisch verstanden. Deshalb wurde dies Gebet in aramäisch, der Umgangssprache, festgesetzt.
Für diese Auffassung von Tosfos, die sich auf Raschis Erklärung zur Stelle stützt, spricht auch der Umstand, daß das andere, die Welt erhaltende, von der Gesamtheit Jisraels gesprochene Gebet, die קְדּוּשָׁא דְּסִדְרָא, ebenfalls hebräisch und aramäisch gesagt wird.
Der Tur[19] geht aber auch auf den ersten, von Tosfot abgelehnten Grund ein. Dies Gebet ist in besonderer Weise geeignet, das eifervolle Eingreifen der Engel zu rechtfertigen. Denn es erinnert G-tt an die Zerstörung des Heiligtums und löst so, wenn man so sagen darf, Seinen Schmerz und Seine Sorge und Seine Klage aus. Wenn nun die Engel sehen, wie die Menschen Ursache sind, daß G-tt sich grämt, dann könnten sie, aus ihrer Liebe zu G-tt, erregt und so zu Anklägern werden.
Der Bach erklärt es so, „damit unsere Vorstellung von den Engeln, den Trägern der Liebe und des Erbarmens, deren herrliche und heilige Aufgabe es ist: לְחַלּוֹת בַּעֲדֵנוּ וּלְהָלִיץ מְלִיצוֹת טוֹבוֹת für uns zu flehen und gute Fürsprache zu erwirken, nicht getrübt werde.“
Ganz im Gegensatz zu dieser Auffassung wundert sich der Or Sarua[20] daß wir קדיש aramäisch sprechen, obgleich die Engel dies nicht verstehen, und er antwortet, daß wir bei diesem Gemeinschaftsgebet der Vermittlung der Engel nicht bedürfen, eben weil es ein Gemeinschaftsgebet sei: מִשּׁוּם דִּבְצִבּוּר הוּא שֶׁהַשְּׁכִינָה שׁוֹרָה שָׁם.
Weshalb ein ganzes Jahr getrauert und Kaddisch gesagt wird, ist wohl darauf zurückzuführen, daß nach dem Talmud der Körper zwölf Monate lang im Grabe ganz bleibt und die Seele täglich hinuntersteigt, um mit dem Körper noch einen gewissen Kontakt zu haben[21].
In Berachot[22] wird sogar von einem Chasid erzählt, der in der Nacht zu Rosch Haschana auf dem Friedhofe übernachtete und hörte, wie die Toten zusammen Gespräche führten. Sie erzählten, was sie im Himmel von der Gestaltung des kommenden Jahres gehört hatten.
In einer Teschuwa von ר“י מקורביל wird der Grund, warum man ein ganzes Jahr lang Kaddisch sagt, so erklärt, weil die Sintflut ein ganzes Jahr lang gedauert hätte, woraus bewiesen ist, daß die Reschajim zwölf Monate lang einer Strafe ausgesetzt sind (Raschi im Kommentar zur Sidra Noach; Talmud Traktat Rosch Haschana 17). Damit wir nun unsere Verstorbenen nicht als ‚Reschaim“ betrachten, kürzen wir das Jahr um einen Monat und sprechen nur elf Monate lang weniger einen Tag das Kaddisch.
Nach dem Traktat Kiduschin[23] sind wir verpflichtet zur Mizwa von כִּבּוּד אָב וָאֵם auch nach dem Ableben der Eltern, und soll man immer beim Nennen ihrer Namen hinzufügen:
הֲרֵנִי כַּפָּרַת מִשְׁכָּבוֹ, und wie dies Raschi und Tosfot erklären, daß wir auf uns die Strafe nehmen, die ihnen zugedacht ist. Dies alles aber nur während des ersten Jahres, da an eine eventuell längere Strafe nicht gedacht werden soll. Der מהרי“ק שורש מ“ד behauptet, auf diese Gemara gestützt, daß man auch mit dem Kaddisch einen Akt von Ehrebezeugung כִּבּוּד אָב וָאֵם macht.
Das Kaddischgebet setzt sich aus zehn Lobsprüchen für den Ewigen zusammen כְּנֶגֶד עֶשֶׂר סְפִירוֹת und vielleicht auch zufolge der zehn Sprüche, mit denen G-tt die Welt schuf. In den zehn Bußtagen wird לְעֵלָּא וּלְעֵלָּא zweimal gesprochen, weil wir dann streben, G-tt durch unsere Teschuwa und unsere Gebete noch mehr zu erheben, daß G-tt von כִּסֵּא דִּין (Thron des Gerichts) zu dem כִּסֵּא רַחֲמִים (Thron des Erbarmens) steigt, wie der Prophet verkündet: וַיִּגְבַּהּ ה‘ צְבָאוֹת בַּמִּשְׁפָּט.[24]
Fortsetzung folgt ijH
- Brachot 18 ↑
- Schulchan Aruch Jore Dea הלכות אבלות 362, Chasam Sofer 337 אין קורבין רשע אצל צדיק ↑
- Traktat Sanhedrin 47 ↑
- Malachim 2, 13 ↑
- Bestattungsgesellschaft ↑
- Kapitel 26 ↑
- 26 ↑
- Sota 34 ↑
- Sota 90 ↑
- Kap 37, 12 ↑
- In der Welt, die sich künftig erneuern wird und (in der) die Toten auferstehen werden ↑
- תשובת חות יאיר יורה דעה שע“ו: גם בקדיש הבת יש תועלת לנשמת המת ↑
- Schuschan Edut, Kommentar zum Traktat Edijot ↑
- Meinung des Autors ↑
- Jore Dea 376 ↑
- 54 ↑
- 159 ↑
- In Brachot 3 ↑
- נ“ו ↑
- חל“ב ס“ג ↑
- Schabbat 152 ↑
- 18 ↑
- 31 ↑
-
Jeschaja Kapitel 5 ↑