So wie im Himmel, so auf der Erde – Teil 23 – Die Generation des Turms

Datum: | Autor: Rabbi Ezriel Tauber SZl | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Generation

Rabbi Ezriel Tauber SZl – L’ilui nischmat Hamechaber

Fortsetzung

Die Generation des Turms

Inhalt:

  • Der Unterschied zwischen der Generation der Sintflut und der Generation des Turms
  • Das Verpassen der endgültigen Erlösung
  • Die tiefere Bedeutung der Konfrontation zwischen Nimrod und Abraham
  • Die Botschaft Abrahams, des jiidischen Volkes und des ganzen Buchs

Und es geschah, dass die Erde eine einzige Sprache und eine Sprechweise hatte. Und es geschah, als sie vom Osten weiterzogen, dass sie eine Ebene im Lande Schin’ar fanden; und sie lebten dort … (Genesis 11:1-2)

Wir haben schon kurz über die Generation vom Turm gesprochen

(die wir im Hebräischen die „Generation der Zersplitterung“ nennen, Dor Haflaga, weil sie schliesslich in siebzig Sprachen „zersplittert“ wurde) und verglichen sie mit der Generation der Sintflut, den ersten zehn Generationen von Adam bis Noah. Die Sünden dieser ersten zehn Generationen – Diebstahl, Unsittlichkeit, Mord – wurzelten tief in der übermässigen Anbetung des Individuums: das individuelle Begehren, der individuelle Impuls, die individuelle Laune und so weiter. Genauer gesagt, sie verleugneten den Himmel: sie verleugneten jegliche Verpflichtung einem höheren Wesen gegenüber, etwas, das von größerer Bedeutung war als ihre individuellen Wünsche.

Die eigentliche Sünde der späteren zehn Generationen von Noah bis Abraham, kulminierend in der Generation der Zersplitterung – war genau das Gegenteil: Sie wollten den Turm von Bawel bauen auf Kosten aller Individualität. Es war ihnen egal, wenn jemand während des Baus umkam, wenn aber ein Stein verloren ging, wehklagten sie über den großen Verlust. Der Turm wurde zum Staat – das Zentrum, für das jeder Einzelne seine Individualität aufgab, um seine Existenz zu sichern. Kurz gesagt, sie verleugneten die Erde: den menschlichen Teil, den Teil eines jeden von uns, der persönliche Wünsche hegt. Weltliche, individuelle, menschliche Wünsche können auch für Gutes eingesetzt werden. Wenn man den irdischen Teil, der uns gegeben wurde, negiert, verhindert man die Erfüllung des Sinns der Schöpfung.

Das menschliche Ideal ist, Himmel und Erde zu vereinigen.

Die Generation der Sintflut verleugnete den Himmel. Die Generation der Zersplitterung verleugnete die Erde (ohne jedoch zwingend den Himmel zu akzeptieren, wie wir es noch sehen werden). Beide Extreme verhinderten den Sinn der Schöpfung, und als die negativen Neigungen und Lebensweisen dieser Generationen außer Kontrolle gerieten, ohne jegliche Hoffnung auf Besserung, mussten sie entsprechend in ihre Schranken gewiesen werden.

Die endgültige Erlösung verpasst

Es hätte jedoch nicht so weit kommen müssen. Im Grunde war die Welt zur Zeit der Generation der Zersplitterung reif für ihre endgültige Erlösung. Wie nie zuvor bildete sie eine Einheit:

Und die ganze Welt hatte eine Sprache und verfolgte ein [gemeinsames] Ziel [dewarim achadim, also den Turm zu bauen] … und jeder Mann sagte zu seinem Freund [d.h. es gab also einen Gemeinschaftssinn] … „Komm, lass uns [lanu] eine Stadt bauen und lass uns einen Namen machen [lanu] …“ (Genesis 11:1-4)

Es war nicht die Rede von „ich“. Es war immer nur lanu, „uns“. Sie predigten das kommunistische Ideal (siehe Kapitel 15). Es gab nur einen Anführer (Nimrod), eine Sprache, ein gemeinsames Ziel. Wenigstens theoretisch besaßen sie das Potenzial, diese Einheit zu nutzen, die Welt wieder aufzubauen, die der erste Mensch, Adam, zerstört hatte.

Doch sie handelten natürlich nicht danach.

Sie wurden als die Generation der Zersplitterung bekannt, als das Symbol für das Gegenteil von Einheit. Wir müssen aus ihrem Untergang lernen, weil das Gefüge unserer eigenen Gesellschaft auseinanderzubrechen droht. Der Zerfall der Familie, Gewalt, Verbrechen etc., der Mittelpunkt bröckelt. Damit wir die in unserer Zeit allgegenwärtigen zerstörerischen Kräfte der Zersplitterung überwinden können, täten wir gut daran, die Dynamik des Untergangs der Generation der Zersplitterung zu verstehen.

Sich einen Namen machen

Wenn die Thora uns erzählt, dass „die ganze Erde eine einzige Sprache hatte”, teilt sie uns mit, dass die Menschheit zu jener Zeit bestens gerüstet war, eine Synthese zwischen Himmel und Erde herzustellen. Sprache ist das Paradigma der Einheit. Um sich zu artikulieren, muss der Mensch zwei Gegensätze vereinigen: Körper und Seele. Teile des Körpers (der Rachen, die Zunge, die Lippen etc.) müssen mit den Gedanken (eine der Haupteigenschaften der Seele) koordiniert werden. Intelligente sprachliche Äußerungen sind daher der Bereich, wo sich Körper und Seele berühren. Der Mensch, der Sprecher, ist die Brücke. Er hat die Möglichkeit, den Körper mit der Seele zu verbinden.

Wenn nun die ganze Generation „eine einzige Sprache hatte“, dann besaß sie die Fähigkeit, Himmel (die Seele) und Erde (den Körper) zu vereinen. Was war ihr Untergang? Sie kehrten die Reihenfolge um: Sie wollten nicht die Erde zu einem Spiegelbild des Himmels machen, sondern den Himmel zu einem Spiegelbild der Erde.

Und sie sagten: „Kommt, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze in den Himmel ragt, und uns einen Namen machen …“ (Genesis 11:4)

Sie bauten den Turm nicht, um G“tt einen Namen zu machen, sondern sich selbst.

Sie hatten zwar Ideale, aber nur ihre eigenen, selbst geschaffenen. Jemand, der sich seine eigenen Ideale kreiert, wie ein Gestalter von Idolen, bildet G“tt nach seinem Ebenbild ab, anstatt sich selbst nach G“ttes Bild zu formen! Der Turm war deshalb als Ersatz für die Abwesenheit G“ttes und nicht für seine Anwesenheit gedacht. (Der Ausdruck „Und es geschah, als sie vom Osten weiterzogen“ wird von den Weisen des Midrasch folgendermaßen interpretiert: „Sie gingen von dem urspünglichen Einen weg,“ also von G“tt.

Die innere Haltung dieser Generation wurde durch den Namen ihres Anführers Nimrod verkörpert.

Die Kernbuchstaben von „Nimrod“ bedeuten „rebellieren“. Und in der Tat waren seine Absichten nicht heilig, obwohl er Einheit predigte; sie zielten vielmehr darauf ab, die Generation zu vereinen, um gegen G“tt zu rebellieren.

Zu dieser Zeit wuchs Abraham heran. (Zur Zeit der Zersplitterung war er 48 Jahre alt.) Während Nimrod den Körper symbolisierte, stand Abraham für die Seele. Die Aufgabe des Körpers ist es, den Willen der Seele auszuführen. Der Körper wird erhöht, wenn er der Seele dienen kann. Hätte sich Nimrod Abraham untergeordnet, wäre eine perfekte Einheit zwischen Körper und Seele entstanden. Himmel und Erde hätten sich in wunderbarster Harmonie gefunden. Nimrod und seine Generation wollten sich jedoch nicht unterordnen. Sie waren vereint, aber in Auflehnung gegen G“tt.

Nimrod nahm Abraham daher gefangen und wollte, dass dieser seinen Glauben an den einzigen wahren G“tt aufgebe. Dann warf er Abraham in einen brennenden Ofen (aus dem er unbeschadet gerettet wurde). Diese Generation bestand darauf, dass der Körper die Seele dominiere. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was es braucht, um eine wahre Synthese zwischen Himmel und Erde herzustellen.

Sich trennen

Dies erklärt die Fortsetzung der Geschichte, als G“tt Abraham befahl: „Gehe weg aus deinem Land, deinem Geburtsort, dem Haus deines Vaters“ (Genesis 12:1). Die Gesellschaft, die Institutionen – der Körper – dieser Generation wurden zu Werkzeugen der Unterdrückung. Sie wurden dazu benutzt, das Bestehende und dessen verkehrte Ordnung aufrechtzuerhalten, anstatt dafür eingesetzt zu werden, eine neue Welt in vollkommener Harmonie nach den Vorstellungen des Himmels zu erschaffen. Abraham – der Repräsentant der Seeleneigenschaften der Generation – war ein Fremdling, ein Ausgestoßener, ein Wanderer geworden.

Die Machthaber erkannten ihn nicht an, schenkten seiner warnenden Stimme keine Beachtung, gaben ihm nicht einmal die Gelegenheit, sich zu äußern oder sich zu erklären. Die Seele der Welt war ohne Körper. Deshalb musste diese Seele – Abraham – damit beginnen, sich seinen eigenen kommunalen Körper aufzubauen, der es seiner Seele ermöglichen würde, sich auf der Erde zu manifestieren. So musste Abraham aus „seinem Land, seinem Geburtsort, seines Vaters Haus“ weggehen, um sich selbst zu finden, um sich einen anderen Körper, ein alternatives Gefäß, für seine Botschaft zu schaffen.

Davon handelt der Rest des Buches Genesis:

wie Abraham zuerst ein Vater, dann ein Großvater und schließlich ein Urvater einer Gemeinschaft wurde, durch deren Adern seine Botschaft pulsiert. Und an diesem Punkt stehen wir heute: eine Welt, die immer noch darauf wartet, dass sich der Intellekt und der Geist Abrahams in ihrer ganzen Grösse manifestieren.

Abrahams Botschaft beinhaltet nicht, den Himmel abzulehnen Er befahl auch den Menschen nicht, das Irdische abzulehnen, ihre materiellen Bedürfnisse oder ihre Individualität zu negieren. Seine Botschaft war, die Ordnung wiederherzustellen, die Himmel und Erde wieder zu einer funktionierenden Einheit zusammenführen würde – so wie das Gehirn und die Zunge harmonieren, wenn sie zusammen intelligente Äußerungen produzieren. Seine Botschaft ist, dass wir versuchen müssen, die Erde so zu gestalten, dass sie ein Spiegelbild des Himmels wird. Dies war Abrahams Auftrag und dies ist der Auftrag der Menschen, die seinen Geist verkörpern sollen.

Wie im Himmel, so auf der Erde. Dies ist die Botschaft.

Fortsetzung folgt ijH

Zusammengestellt durch Yaakov Astor, Ins Deutsche übersetzt durch David Halonbrenner, überarbeitet durch Rolf Halonbrenner und Clarisse Pifko

Mit ausdrücklicher Erlaubnis des Copyrightinhabers Juefo.com. Das Sefer kann unter info@juefo.com bestellt werden.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT