„Assarah beTewet“ – Der strenge Fasttag

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Fasttag

Fasttag am Schabbat

„Der Ta’anit des 10. Tewet ist ein strengerer Fasttag (‚chamur‘) als die anderen Fasttage, die an die „Zerstörung des Bet haMikdasch“ erinnern sollen“, schreibt Rabbi David Awudraham sl.. „Denn außer ‘Jom Kippur’, der „min haTorah“ ist, wird jeder Fasttag, der auf einen Schabbat fällt, auf den darauf folgenden Sonntag verlegt“[1]. Am Fasttag „Assara beTewet“ hingegen würde selbst dann gefastet werden, wenn er auf einen Schabbat fallen würde, da bei diesem Ta’anit – wie bei Jom Kippur (Wajikra 23,28) – im Passuk die Formulierung „Be’ezem haJom haSeh“– „Inmitten dieses Tages“ (Jecheskel 24,2) steht. Damit soll gesagt werden, dass dieser Fasttag, wie Jom Kippur, über dem Schabbat steht und nicht auf einen anderen Tag verschoben werden kann[2]. Bei der Festlegung des Kalenders wurde jedoch sichergestellt, dass ‚Assara beTewet‘ nie auf Schabbat fallen kann.

Der Bet Josef wundert sich zwar über diese Behauptung und meint, er wisse nicht, woher der Awudraham diese Halacha hatte[3]. Doch manche Posskim zitieren eine Teschuwa der Geonim, wonach diese Regel von ihnen festgelegt worden war[4].

Der Or Sameach zitiert die Ansicht des Mabi“t[5], nach der die Torah das Fasten am Schabbat nur dann verbietet, wenn man am Tag und in der Nacht fastet, wer hingegen nur tagsüber fastet, verletzt nicht die halachische Pflicht des „Oneg Schabbat“. Aus diesem Grund darf auch am Schabbat ein „Ta’anit Chalom“, das Fasten wegen eines schlechten Traumes, abgehalten werden[6].

Weshalb tatsächlich „Assara beTewet” auch am Schabbat eingehalten werden sollte, begründen manche damit, dass an ihm die אַתְחַלְתָּא דְּפֻרְעֲנוּתָא („Beginn der Bestrafung”) der Zerstörung des ‚Bet haMikdasch‘ mit der Belagerung Jeruschalajims geschah[7].

Der Lubawitscher Rebbe sZl. erklärte dies etwas ausführlicher: „Nachdem dieser Tag der Beginn aller unserer ‚Zarot‘ (Leiden) ist, sollte auch die Teschuwa – der jährliche Fasttag – genau an diesem Datum durchgeführt werden, da sie dann eine stärkere Wirkung haben wird. Die anderen Fasttage hingegen, die nur eine Folge der ersten ‚Zara‘ sind, können notfalls auch verschoben werden“[8].

Einen anderen Grund für die „Chumra“ von ‚Assara beTewet‘ gab der Chatam Sofer sZl.: Haschem warnte das jüdische Volk durch den Nawi (Propheten) Jirmijahu (17,27): „Wenn ihr nicht auf Mich hören werdet, den Schabbat zu heiligen, so werde Ich Feuer in deinen Toren entfachen“.

Daraus wurde klar ersichtlich, dass das ‚Bet haMikdasch‘ wegen Chilul Schabbat zerstört wurde![9]

Dies wird im Passuk über den Beginn der Belagerung angedeutet, wo es heißt (Jecheskel 24,2): „סָמַךְ מֶלֶךְ בָּבֶל אֶל יְרוּשָׁלִַם בְּעֶצֶם הַיּוֹם הַזֶּה“. Die Newuah beschreibt die Belagerung mit dem Wort „סָמַךְ“ – „stützen“, das eigentlich an dieser Stelle nicht zum Kontext passt. Chasal sagen, dass Newuchadnezar sich davor gefürchtet habe, bei der Einnahme Jeruschalajims dieselbe Niederlage zu erleiden wie sein Vorgänger Sancheriv[10], denn die Heiligkeit dieser Stadt war stärker als jeder Eindringling. Aber durch den „Chilul Schabbat“ verlor Jisrael nicht nur den ‚Sechut‘ des Schabbats, das „Nachala bli Mezarim“ – „unbeschränktes Erbe“ genannt wird[11], sondern wurden zur Strafe außerdem noch in ihrer Freiheit eingeschränkt und vom Feind bedrängt. Deshalb begann Newuchadnezar seine Belagerung am 10. Tewet, der damals (3336) auf Schabbat fiel, denn er stützte und verließ sich auf „בְּעֶצֶם הַיּוֹם הַזֶּה“ – auf diesen Tag, auf den Schabbat, den Jisrael entweiht hatte“[12].

Fasttag am Erew Schabbat

Wie erwähnt kann gemäß unserem heutigen, im Voraus festgelegten Kalender ‚Assara beTewet‘ nie auf einen Schabbat fallen, es ist aber durchaus möglich, dass er auf einen Erew Schabbat fällt, wie es dieses Jahr der Fall ist. Dieser Umstand bringt einige halachische Besonderheiten und Minhagim mit sich, von denen einige an dieser Stelle erörtert werden sollen:

An einem Ta‘anit[13], insbesondere am 10. Tewet[14], sollte keine Musik gehört werden, auch nicht am Erew Schabbat nach Chazot[15].

Laut dem Magen Awraham ist es eine Mizwa, beim Kochen der Schabbat-Speisen von diesen zu kosten, um sicher zu gehen, dass kein Salz oder anderes Gewürz fehlt[16]. An einem Ta‘anit kann ein wenig davon gekostet werden, ohne es herunterzuschlucken: es soll dann sogleich wieder ausgespuckt werden[17].

Auch wer sonst an einem Fasttag ‚machmir‘ ist, die Haare nicht zu schneiden, kann sie an diesem Tag wegen „Kawod Schabbat“ schneiden[18]. Es ist aus diesem Grund auch erlaubt, sich mit heißem Wasser zu waschen[19]. Raw Eljaschiw sZl. erlaubte das Kleiderbügeln, aber nur ohne Wasser, weil dies dann kein ‘echtes’ Bügeln ist[20].

Da die Tefilat Mincha wegen der „Keriat haTorah“ etwas länger als sonst dauert, sollte man sie früher als sonst beginnen, damit es nicht zu einem ‚silsul‘ (Missachtung) des „Kawod haSchabbat“ kommt[21].

Viele dawenen daher ‚Mincha‘ in der Zeit des „Mincha Gedola“ (halbe Stunde nach ‚Chazot‘), auch wenn sie jeden Erew Schabbat das Mincha-Gebet erst vor Sonnenuntergang verrichten[22]. Bei den Chassidim wird jedoch darauf geachtet, auch an diesem Erew Schabbat die Tefila nicht bei „Mincha Gedola“ zu dawenen, damit diese wie gewohnt mit den Schabbat-Kleidern verrichtet wird[23]. Auf jeden Fall wird nach allen Meinungen in der ‚Schemona Essre‘ die Tefilat „Anenu“ eingeschaltet, auch wenn Mincha spät gedawent wird[24].

Während die Aschkenasim auch am Erew Schabbat bei Mincha die „Haftarah“ sagen, ist es der Minhag der Sefaradim (eventuell auch Minhag Jeruschalajim), sie auszulassen[25]. Bemerkenswert ist der Minhag mancher Sefaradim, in dieser Zeit auch keine „Keriat haTorah“ abzuhalten[26].

Nach allen Minhagim aber wird kein „Awinu Malkenu“[27] und „Tachanun“ gesagt wegen der Ehre des Schabbats[28].

Das ‘Anbeißen’ am Erew Schabbat

Auch wenn der Ta‘anit auf Freitag fällt, muss bis „Zet haKochawim“ gefastet werden[29]. Selbstverständlich darf die Tefilat Ma‘ariw früher gedawent werden, damit die Gemeinde gleich nach Anfang der Nacht zu Hause ‚Kidusch‘ machen kann[30].

Wer besonders hungrig oder durstig ist, kann die ‚Semirot‘ „Schalom Alechem“, „Eschet Chajil“ etc. die vor ‚Kidusch‘ gesagt werden, auch während der Se‘uda sagen[31]. Bekanntlich pflegte der Chafez Chajim sZl. dies immer dann zu machen, wenn er Gäste am Tisch hatte. „Die Mal‘achim können warten, die hungrigen Leute können dies nicht“, meinte er dazu.

Manche führen sich während des ganzen Jahres darauf zu achten, kein ‚Kidusch‘ zwischen der sechsten und siebten Tagesstunde zu machen, weil dann die Kraft des „Masal Ma’adim“ (Mars) besonders aktiv ist[32].

Nach einem Ta’anit soll aber ‚Kidusch‘ vor Eintritt der sechsten Stunde gemacht werden[33]. Andere hingegen achten in solch einem Fall nicht darauf. Es wäre jedenfalls empfehlenswert, zuvor diese Tefila zu sagen: אָב הָרַחֲמִים, הוּא יְרַחֵם עַם עֲמוּסִים… וְיַצִּיל נַפְשׁוֹתֵינוּ מִן הַשָּׁעוֹת הָרָעוֹת... – „Der Vater des Erbarmens, Er wird sich des beladenen Volkes erbarmen…, und rette unsere Seelen vor bösen Stunden…“[34].

Auf alle Fälle sollte man baldmöglichst ‚Kidusch‘ machen, um nicht hungrig in den Schabbat einzutreten[35].

Wer sehr durstig ist und gleich nach ‚Kidusch‘, aber vor dem Händewaschen, Wasser und dergleichen trinken möchte, kann dies so machen: Hat man selber ‚Kidusch‘ gemacht und mindestens einen רוֹב רְבִיעִית (‚vollen Schluck’) Wein oder Traubensaft getrunken, so muss man keine „Birkat Schehakol“ sagen, denn die „Birkat haGefen“ gilt für alle Getränke. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn das Getränk bereits während ‚Kidusch‘ vor ihm auf dem Tisch stand oder man während der Beracha im Sinn hatte, gleich danach Wasser zu trinken; ansonsten muss man vor dem Wassertrinken die „Birkat Schehakol“ sagen. Auch wer nur ein Bisschen vom Kidusch-Wein getrunken hat, soll ‚lechatchila‘ die „Birkat Schehakol“ sagen[36].

Wer möchte, kann sich aber auch auf die anderen Ansichten verlassen, dass selbst das Bisschen Wein genügt, um auf andere Getränke keine Beracha sagen zu müssen[37].

  1. Rambam (Hilchot Ta‘anit 5,5)
  2. Awudraham (Hilchot Ta‘anit S.254)
  3. Tur (Orach Chajim 550)
  4. Schjare Knesset haGedola und Elja Rabba 550,3
  5. Rabbi Mosche ben Josef di Trani sZl. aus Thessaloniki und später wohnhaft in Zefat (gest. Jerus. 5340/1585)
  6. Or Sameach (zu Rambam ibid. 5,6). Siehe auch Chidusche Rabbi Chajim von Brisk zu Schass (R“H 18b)
  7. Bne Jisachar (Ma’amare Kislew-Tewet 14,1-2), Jaarot Dewasch (Bd1/S.32) und Draschot Chatam Sofer (Bd1/S.90a)
  8. Likute Sichot, wird ausführlich im Sefer haSikaron Sichron Schlomo S. 435 zitiert.
  9. Siehe auch ausdrücklich Gemara Schabbat 119b
  10. Sanhedrin 96
  11. Siehe ausführlich Gemara Schabbat 118a
  12. Draschot Chatam Sofer (Drusch zum 8. Tewet S.97b und 74b/88a/90a/93b/98b). – Siehe dort (S.101b) auch einen anderen Grund.
  13. Nite Gawriel (‚Ben haMezarim‘ 8,8/14) gemäß Rokeach zu Esther und Pisske Teschuwot (Orach Chajim 590,7)
  14. Kizur Schulchan Aruch 122,1
  15. Nite Gawriel (‚Chanuka‘ 60,6)
  16. Magen Awraham 250,1
  17. Schulchan Aruch 567,1, Chaje Adam 132,19, Kaf haChajim 567,10, Mischna Berura 6 und Schemirat Schabbat keHilchata (Bd2/42,61)
  18. Ruach Chajim 566,4
  19. Olat Schabbat 550, Elja Rabba, Ba‘er Hetew 2, Mischna Berura 6 und Schu“t Ketaw Sofer (O“Ch 100)
  20. Schu“t Wajischma Mosche Bd1./S.181
  21. Mate Efrajim 602,25, Schulchan haTahaor 249,4 und Schu“t Dwar Jehoschua (Bd3/63)
  22. Schmo Josef (235, von Chacham Josef ibn Valid aus Algerien, gest. 5666/1906), Minhage Erez Jisrael (Gelis, Hilchot Ta‘anijot 28)
  23. Nite Gawriel ibid. 60,3
  24. Nite Gawriel ibid. 60,2/4 gemäß Jad Efrajim zu Magen Awraham 550,6
  25. Bet Josef 565, Kaf haChajim 566,10 und Erez Chajim
  26. Minhag Marokko im Sefer ‚Kehilat Zafro‘ (Gemeinde Sefrou in Marokko, von R. Dawid Owadja) und Minhag der Temanim (nördliche Jemeniten, Nussach ‘Schami‘, im Sidur Knesset haGedola-Zubiri) gemäß Sefer ha‘Igur 880 im Namen des Schibole haLeket
  27. Aruch haSchulchan 550,2, Mate Efrajim 602,32 und Mischna Berura 603,3
  28. Bet Josef 550, Magen Awraham 6 und Mischna Berura 11
  29. Remo 249,4 und 566,1, Chaje Adam 133,7, Kizur Schu“A 141,6, Minhage Frankfurt (Josef Omez 900) u.a.
  30. Mate Efrajim 602,29 und ausführlich Schulchan haTahor (249, Ser Sahaw 4)
  31. Chut Schani von Raw Nissim Kareliz sZl. (S.404)
  32. Siehe Magen Awraham O“Ch 271,1 gemäß Tikune Schabbat u.a.
  33. Minhag Bels (Luach Tmidim keSidram), Minhag Toldot Aharon (Sechor leAwraham Bd2/23,54 und Bd4/60,1) u.a.
  34. Nite Gawriel (ibid. 63,8-9/13-14) und Minhag Satmar (Semirot Ir haTmarim §56). Diese ‚Segula‘ stammt von Rabbi Schimon Marilus von Jaroslav sZl. (Likute Mahari“ch, Kidusch Lel Schabbat)
  35. Magen Awraham O“Ch 249,7 und 686, Schulchan Aruch haRaw 249,12 und Mischna Berura 18.
  36. Gemäß Mischna Berura 174,2-3 und ‘Biur Halacha’ 174/§2
  37. Pisske Teschuwot 174,1/§17 gemäß Sidur Derech haChajim u.a.

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