Sefirat HaOmer – das Omer-Zählen – zur Zeit des Tempels

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Omer
Nach den Quellen erzählt.

„Und zählet für euch ab dem auf den Ruhetag folgenden Tag — von dem Tage eures Bringens das Omer HaTenufa; sieben Wochen – vollständig sollen sie sein. Bis zum Tage nach der siebten Woche zählt – bis zum fünfzigten Tag – und bringt ein neues Mincha, ein neues Speiseopfer zu HaSchem dar.“  (Vajikra 23, 15 – 16)

Langsam geht die Sonne unter. In Licht gebadet, sieht das Getreidefeld am Südhang wie ein rotgoldenes Meer aus. Die hohen Gerstenhalme mit ihren langen Grannen bewegen sich im leichten Frühlingswind hin und her – kleine kräuselnde Wellen im goldenen Meer. Schimon reibt sich die Augen – nein, es ist doch nur ein Gerstenfeld. In den umliegenden Feldern wächst Weizen und Dinkel. Diese sind aber noch dunkelgrün und klein und werden erst in ein paar Wochen reif sein.

Schimon gähnt. Gestern nacht – oder genauer gesagt, heute früh, ist er sehr spät zu Bett gegangen. Das gebratene Pessach-Lamm, Matzah und Marror hatten sie vor Mitternacht gegessen, aber lange nachher sassen sie noch um den Sedertisch. Schimons Vater erzählte über den Auszug aus Ägypten, die Wundertaten von HaSchem und die Aufgaben des jüdischen Volkes, und die Kinder konnten nicht genug darüber hören.

Auch das Stehen und Warten machen den 9-jährigen Knaben müde. Langsam vesammeln sich mehr und mehr Menschen am Rande des Feldes. Schimons Augen haben sich ans Dämmerlicht gewöhnt, und viele erkennt er, denn sie kommen aus der Umgebung.

Das Abendrot verblasst und alle starren jetzt zum Himmel. „Ich sehe drei kleine Sterne!“ ruft jemand. „Ich auch!“ „und ich!“. Es ist Nacht, der Jomtow ist vorbei, und auf einmal ist Schimon wieder hellwach.

Im Licht des Vollmonds sieht er, wie drei Männer sich zum Rande des Gerstenfelds begeben.

Schimon schlängelt sich durch die Menge in ihre Nähe. Gespannt späht er zu den Männern.

„Ist die Sonne untergegangen?“ ertönt es aus dem Dunkeln. „Ja!“ kommt die donnernde Antwort der Zuschauer. Nochmals: „Ist die Sonne untergegangen?“ Schimon ruft mit: „Ja!“ Und nochmals: „Ist die Sonne untergegangen?“ – – – „Ja!“

Schimon sieht im Mondlicht, wie einer der Männer eine Sichel emporhält. „Ist das eine Sichel?“ ertönt es. „Ja!“ rufen alle. „Ist das eine Sichel?“ – „Ja!“ „Ist das eine Sichel?“ – – – „Ja!“

Jetzt wird ein Korb hochgehoben. Im Korb hat es für eine Sa’ah [ca. 7,2 – 8,3 dm3] Getreide Platz „Ist das ein Korb?“ – – – “ Ja!“ „Ist das ein Korb?“ – – – “ Ja!“ „Ist das ein Korb?“ – – – “ Ja!“

Die Klinge der erhobenen Sichel blinkt im Mondlicht. „Soll ich schneiden?“ – – – „Schneide!“. „Soll ich schneiden?“ – – – „Schneide!“ „Soll ich schneiden?“ – – – „Schneide!“

Der Mann arbeitet schnell. Ein paar Schwünge mit der Sichel, und der Korb ist gefüllt. Jetzt ist sein Kollege an der Reihe. Dann der dritte. Die drei Körbe sind voll.

Plötzlich bricht eine Stimme durch die Dunkelheit:

Baruch Atta HaSchem Elokenu Melech HaOlam ascher kiddeschanu bemitzwotaw wetziwanu al Sefirat HaOmer.

Hajom jom echad laOmer!

Gesegnest seist Du, HaSchem unser G-tt, König der Welt, der uns mit Seinen Geboten geheiligt hat und uns das Omer-Zählen befohlen hat.

Heute ist der erste Tag zum Omer!

Alle Anwesenden wiederholen die Bracha.

Morgen, am zweiten Tag Pessach, werden die geschnittenen Gersten im Hof des Bet HaMikdasch in Jeruschalajim von Hand gedroschen, geröstet und gemahlen werden. Aus dem Mehl wird man dann durch mehrfaches Sieben ein Omer [ca. 2,2 – 2,5 dm3] feinstes Gerstenmehl gewinnen, und dieses mit Olivenöl gemischt als ein Mincha, ein Speiseopfer, das Omer – Opfer, darbringen. Die drei Männer waren die Gesandten des grossen Bet Din in Jeruschalajim.

Die erste Getreideernte des Jahres im jüdischen Königsreich hat stattgefunden. Und morgen werden damit die Kohanim das Getreide- Erstlingsopfer im Namen des ganzen jüdischen Volkes darbringen. Damit hat auch das Omer-Zählen begonnen: in genau sieben Wochen ist dann das Schawuot-Fest. An diesem Tage wird man ein Mincha, ein Speiseopfer, aus Weizenmehl bringen.

Die Zuschauer gehen langsam im Dunkeln nach Hause.

Schimon denkt über das Geschehen des Abends nach. In seinen Gedanken sieht er nochmals das prachtvolle rotgoldene Gerstenmeer. Welch wunderbares Brot backt man wohl aus solch schöner Gerste?

«Abba, was macht man eigentlich aus Gerste?» fragt der Knabe.

«Man kann davon Suppe kochen oder auch dünne Matzot machen, aber hauptsächlich pflanzt man es für Tierfutter an», kommt die Antwort, «für normales Brot eignet sich Gerste nicht. Einmal wollte Imma Geld sparen und anstelle von teurem Weizen versuchte sie mit Gerstenmehl Brot zu backen. Es war so dicht und schwer, dass man es nicht essen konnte!»

Eine lange Pause.

«Abba! Aber Abba hat mir doch erst letzte Woche gesagt, dass man immer nur das Beste für eine Mitzwah nehmen soll. Alles was man nicht zum Fürsten als Geschenk bringen würde, solle man auch nicht für eine Mitzwah benützen! Warum bringen wir dann das Getreide- Erstlingsopfer aus Tierfutter??!»

In der Dunkelheit kann Schimon die Freude auf Vaters Gesicht nicht sehen: Schimon interessiert sich für das Gelernte und hat eine gute Frage gestellt. Wie alle jüdischen Eltern, ist es der Traum von Schimons Eltern, dass er ein Talmid Chacham, ein Torah-Gelehrter, werde.

Der Vater tut so, als ob er die Antwort nicht wisse. Schimons Frage soll gefeiert werden. «Eine wirklich gute Frage hast du gestellt, Schimon. Morgen gehen wir, so G-tt will, zu Rabbi Nachum» – so heisst ein grosser Talmid Chacham, der in ihrer Nähe wohnt – «und stellen ihm deine Frage.»

Fortsetzung folgt.

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