So wie im Himmel, so auf der Erde – Teil 6 – Der Gedanke der Mikwa

Datum: | Autor: Rabbi Ezriel Tauber SZl | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Mikwa
Rabbi Ezriel Tauber SZl – L’ilui nischmat Hamechaber

Verbunden bleiben

Inhalt:

  • Die Symbolik des Wassers
  • Der Gedanke der Mikwa
  • Eine Definition für Heiligkeit
  • Wasser als Symbol für die Tora
  • Die Wichtigkeit, Zeiten für das Torastudium festzulegen
  • Die Definition eines Ben-Tora
  • Die heilige Lade heute

Und G-tt sagte: “Es soll eine Ausdehnung inmitten der Wasser sein und es soll trennen zwischen Wasser und Wasser.“ Und G-tt machte die Ausdehnung und trennte das Wasser unter der Ausdehnung vom Wasser über der Ausdehnung und es war so. Und G-tt nannte die Ausdehnung Schamajim (Himmel). Und es war Abend und es war Morgen, der zweite Tag.[1]

Der zweite Tag der Schöpfung brachte eine Trennung zwischen den oberen und den unteren Gewässern. Es ist auffallend, dass die Ereignisse dieses Tages die einzigen sind, die nicht mit den Worten “Und G-tt sah, dass es gut war“ abgeschlossen werden. Der Grund wird durch die Weisen erklärt: Immer wenn eine Trennung stattfindet, kann dies nicht “gut“ genannt werden. (Die Trennung hier bestand darin, dass die “oberen Gewässer“ mit dem Himmel, während die “unteren Gewässer“ mit der Erde verbunden wurden.) Dies schien in der Tat unfair. So wie bei allen Auseinandersetzungen fühlte sich eine Seite betrogen. Die “unteren Gewässer“ hatten sozusagen eine legitime Klage:

“Weshalb wurden wir vom Himmel ausgeschlossen?“

Die Heilung wurde aber vor der Krankheit schon vorbereitet. Vor der Trennung machte G-tt etwas, das der anscheinend ungerechten Trennung eine Bedeutung gab.

.. und der Geist von G-tt schwebte über der Wasseroberfläche.[2]

Indem am ersten Tag gesagt wird, dass der Geist von G-tt über dem Wasser “schwebte‘“- das heißt sogar über den unteren Gewässern“, den Gewässern, die Teil der Erde sind — lässt uns die Tora wissen, dass der Geist von G-tt nie vollständig die physische, materielle Erde verlassen hat. Es spielt keine Rolle, wie weit die Erde vom himmlischen Element entfernt ist, ein Element des Himmlischen bleibt immer in ihr. Solange die “unteren Gewässer“ in ihrem ursprünglichen Zustand bleiben – also nicht getrennt von ihren natürlichen Quellen und damit für eine Mikwa geeignet sind – behalten sie auch eine innere Verbindung zu den “oberen Gewässern“. Sie wären in der Tat eine Quelle des Himmlischen unten auf der Erde und haben die Kraft, das Unreine rein zu machen.

Mikwa

Dies bringt uns zum Gedanken der Mikwa. Eine Mikwa ist eine Hülle von unbeschmutztem Wasser, das noch mit seinem Ursprung verbunden ist. Ozeane, Flüsse, Ströme oder Regenwasser in seinem natürlichen Becken – dies sind die unteren Gewässer, aus denen eine echte Mikwa besteht.

Die Kernidee des Eintauchens in einer Mikwa ist folgende: Da ein Mensch nicht unter Wasser leben kann, unterbricht er temporär seine Verbindung zum irdischen Leben durch das Eintauchen im Wasser. Dies ermöglicht ihm, sich richtig zum Physischen zu orientieren. Denn während des Lebens ist es leicht möglich, dass wir zu unserem Nachteil zu fest in das Physische eintauchen. Eine Mikwa ist dazu bestimmt, dem abzuhelfen.

Natürliches Wasser — Wasser, über dem noch immer G-ttes Geist schwebt – orientiert und verbindet einen Menschen zum Himmel zurück, sogar wenn er hier auf der Erde ist. Das Eintauchen in eine Mikwa drückt den Willen einer Person aus, sich wieder mit der Quelle des himmlischen Lebens zu verbinden – durch temporäre, aber vollständiger Aufgabe ihrer Verbindung zum Irdischen. Wer dies macht, wird von jeglicher negativen Wirkung des Physischen befreit und kann sich wieder mit dem Himmlischen verbinden, bevor er seine Aufgabe auf Erden erfüllt. Die tiefere Botschaft einer Mikwa ist demnach, dass es sogar der unheiligsten, entfremdetsten Person freisteht, sich zu himmlischen Werten, zur Heiligkeit zurückzuverbinden.

Eine Definition von Heiligkeit

Dies wirft eine Frage auf: Wie definieren wir Heiligkeit?

Eine Antwort ist: die Verbindung zum größeren Teil und / oder zum tieferen Aspekt unserer eigenen Seele.

Jeder Mensch hat eine Seele. Dies heißt jedoch nicht, dass die ganze Seele in jemandem drinnen ist. Mystisch gesehen kann ein einfacher Mensch nur verbunden oder im Bewussten mit der kleinsten Teil seiner Seele sein. Die Mehrheit der Seele ist immer noch nur mit dem Himmel verbunden. Andererseits ist ein wirklich heiliger Mensch mit einem viel größeren Teil seiner Seele verbunden.

Je mehr ein Mensch daran arbeitet, heilig zu werden, desto mehr kommt der Rest seiner Seele zu ihm. Ähnlich sagt uns der Talmud, dass wir am Schabbat eine “zusätzliche Seele“ erhalten. Dies bedeutet nicht zwingend eine zweite Seele oder ein Anhängsel zur Seele. Es bedeutet eher, dass der Mensch in einem größeren Ausmaß mit seiner eigenen Seele verbunden wird. Dies ist die wörtliche Bedeutung des Ausdrucks, in Berührung mit seiner Seele zu sein.

Irdisches Leben ist aber feindliches Gebiet für die Seele.

Es schneidet uns von unserem höheren Selbst ab. Das Problem ist, dass wir am Irdischen teilnehmen müssen, um unsere Aufgabe hier zu erfüllen; wir müssen den “Feind“ in seinem eigenen Gebiet aktivieren. Um dies erfolgreich machen zu können, müssen wir ständig unsere Verbindung zu unserer Seele vertiefen und erweitern, bevor wir uns in die möglicherweise einengende Aufgabe vertiefen, das Irdische zu heiligen.

Stellen Sie sich den Akt des Eintauchens in einer Mikwa vor der Hochzeitsnacht vor. Eine Hochzeit wird in der physischsten und intimsten Art vollendet. Gemäss dem Toragesetz muss eine Frau vor der Hochzeitsnacht in einer Mikwa tauchen. Wenn sie dies macht, bereitet sie sich vor, den irdischsten aller irdischen Akte in etwas zu verwandeln, das die höchste Verbindung zum Himmel schafft. Die Mikwa ermöglicht den Ehepartnern anzuerkennen, dass sogar der physischste der irdischen Akte ein heiliger Akt werden kann, wenn jemand sich zuerst richtig orientiert – also sich vorher mit dem Himmlischen verbindet.

Tauchen in der Mikwa ist dem Tauchen im Himmel gleichgestellt. Der Körper, der aus der Mikwa kommt, ist nicht mehr ein geistig verunreinigter physischer Körper, er ist vom Himmlischem erfüllt. Es ist dieser irdische Körper, der – als Gefäß für die Seele – rein sein muss, um geistige Leistungen in diesem Leben zu erbringen.

Diese Perspektive ermöglicht uns übrigens zu verstehen, weshalb Wasser das Medium war, mit dem die Welt in der Zeit von Noach vernichtet wurde. Die Erde war so korrupt, so entfernt vom Himmel geworden, dass sie zerstört werden musste. In Wahrheit wurde sie nicht so stark von der Flut zerstört, sondern vorbereitet, um wieder erbaut zu werden. Es war, als wenn G-tt die Welt genommen und sie sozusagen in einer großen Mikwa eingetaucht hätte.

Die Erde hat sich ganz dem Himmel übergeben.

Es ist wichtig sich daran zu erinnern, “wenn eine Person in die Mikwa geht, dass die Mikwa in sie gehen muss.“ Mit anderen Worten, um G-ttlichkeit in sich zu bringen, muss man zuerst in die Mikwa gehen – man muss sich übergeben, sozusagen aufhören zu existieren. Und wenn man das Ego seines “Egos“ leert, wird man empfänglich für G-ttlichkeit.

Das wirkliche Ziel einer Mikwa ist also nicht unbedingt das Hineingehen in diese, sondern das, was sie einem ermöglicht: Himmel und G-ttlichkeit. Die Mikwa ist nur ein Medium, ein Prozess, mit dem wir unsere G-ttlichkeit und Heiligkeit steigern — durch den wir das Himmlische in unser irdisches Leben bringen.

Tora: Die wahre Mikwa

In einem tieferen Sinn ist die Tora für den Verstand, was die Mikwa für den Körper ist.

(Tora wird in der Tat mit Wasser verglichen). Die Übergabe unserer Gedanken an die Tora ist das geistige Gegenstück zur Übergabe unseres Körpers in das Wasser der Mikwa. Tora ist die Lehre G-ttes, ein Produkt Seines Verstandes. Wenn wir uns darin vertiefen, tauchen wir sozusagen mit unserem Verstand in den Verstand von G-tt ein. Die brennende Heiligkeit seiner Tora löst alle Barrieren und Blockierungen des Herzens auf.

So aber wie die “unteren Gewässer“, muss die Tora mit ihren ursprünglichen, reinen Quellen verbunden werden, um gereinigt zu werden. Dies bedeutet, dass sie nur reinigt, wenn sie als Erweiterung des G-ttlichen Verstandes angesehen wird; der Verstand, in den jemand, der studiert, bereit ist, sich zu vertiefen und vollständig zu übergeben. Es kann nicht nur eine intellektuelle Bestrebung oder eine akademische Vorlesung sein. Wir bezeichnen das Toralernen als Ossek, wörtlich als Beschäftigung mit unserem ganzen Kör- per und unserer Seele. Der Chason Isch betont, dass Ossek auch “Geschäft‘“ bedeutet. Toralernen muss uns so stark in Anspruch nehmen wie das Geschäft einer Person.

Die Herausforderung für die meisten Menschen ist, dass nicht jeder sein ganzes Leben dem Toralernen widmen kann.

Deshalb sollte jeder im Minimum danach streben, ein Ben-Tora zu sein, wörtlich “ein Sohn der Tora“, ganz gleich wie viel oder wie wenig Zeit er hat, ein Buch zu öffnen und zu lernen. Die Definition eines Ben-Tora ist weniger abhängig von der Menge als von der Qualität, erklärt Rabbi Jizchak Hutner.

Die Definition eines Ben-Tora wird zusammengefasst als die Hauptorientierung einer Person und nicht zwingend seine Menge an Wissen. Wenn ein Junger Mann den ganzen Tag Tora lernt, aber nur glücklich ist, wenn der Tag vorbei ist, weil er ein bisschen zusätzliches Geld verdienen oder die Zeitung lesen kann, ist er nicht zwingend der wahre Ben-Tora. Auf der anderen Seite kann man einen sehr beschäftigten Geschäftsmann beobachten, der nicht auf den Moment warten kann, wo er frei ist, Tora zu lernen – er ist ein wahrer Ben-Tora. Es ist die Tora, die Ihn begeistert, nicht das Geschäft oder die Politik.

Die Definition eines Ben-Tora ist nicht dadurch gekennzeichnet, was jemand fühlt, wenn die Tora vor ihm geöffnet ist, sondern was er fühlt, nachdem es Zeit ist, das Buch zu schließen. Wenn er sich danach sehnt, wieder lernen zu können, wenn das Lernen ihm Vergnügen bereitet – dann ist er ein wahrer Ben-Tora.

Es ist daher eine Angelegenheit von Leben und Tod für jeden Juden, täglich eine minimale Verbindung zur Tora zu haben, unabhängig davon, wie beschäftigt er mit anderen Dingen ist.

Darum wird so viel Wert auf das Festsetzen von Zeiten für das Toralernen gelegt. Es spielt keine Rolle, ob er täglich eine Stunde, eine halbe Stunde, zehn Minuten oder sogar nur fünf Minuten lernt. Unabhängig vom Niveau des Lernens und dem Ausmaß an verfügbarer Zeit, muss jeder, der ein Ben-Tora sein möchte, ehrlich danach streben, alles menschlich Mögliche daran zu setzen, um eine Verbindung zur Tora zu pflegen.

Das bedeutet, die unteren Gewässer mit den oberen Gewässern zu verbinden und die Trennung, die am zweiten Tag der Schöpfung erfolgte, rückgängig zu machen. Mit der Schaffung einer Insel von Tora in Ihrem täglichen Programm pflegen Sie Ihre Verbindung zum Himmel, während Sie auf der Erde existieren. Jemand, der sich nicht mit Thoralernen zu festen Zeiten beschäftigt, läuft Gefahr, vom “ursprünglichen Wasser“ entfernt zu werden. Das bewirkt, dass er sich in seiner jüdischen Identität apathisch oder zerbrochen fühlt.

Die heilige Lade

Der Talmud sagt, dass “G-tt seit der Zerstörung des Tempels keinen Wohnplatz in Seiner Welt hat außer den vier Amot von Halacha (Jüdisches Recht).“ Jeder Mensch ist von Natur aus mit vier Amot Raum umgeben. Dies ist unser persönlicher Bereich, egal wohin wir gehen. Wenn jemand sich mit Halacha umgibt, sagt er damit, dass er sich mit G-tt umgibt. Wohin er geht, wo er ist, macht er G-tt zu seinem ersten Informanten.

Vor der Sünde von Adam war die Welt erfüllt mit der Anwesenheit von G-tt. Nach seiner Sünde nahm die g-ttliche Präsenz ab, bis sie fast nicht mehr erreichbar wurde. Danach wurde der Tempel erbaut, die g-ttliche Präsenz kam zurück und ruhte in den vier Amot der heiligen Lade”, die sich im Heiligsten des Heiligtums befindet. Die Tafeln mit den Zehn Geboten (im Inneren der heiligen Lade; Aron Hakoidesch) waren unsere Nabelschnur zum Himmel. Durch die Zerstörung des Tempels wurde die heilige Lade aber verborgen. Alles was heute übrig bleibt, sind demnach die “vier Amot“ der Halacha, das Gegenstück zu den “vier Amot“ Raum der heiligen Lade. Jeder, der seinen privaten Bereich zugunsten der Halacha aufgibt, verbindet sich demnach mit dem Himmel, während er auf Erden ist. Wo immer eine solche Person geht, nimmt sie sozusagen die heilige Lade mit.

So wie das Wasser das Meer bedeckt

…. die Erde wird voll sein mit dem Bewusstsein von G-tt, so wie das Wasser das Meer bedeckt.[3]

Wenn der Messias??? kommen wird und die Welt wahren Frieden erlangt, wird die ganze Welt – nicht nur die vier Amot von ein paar Einzelpersonen – mit der Anwesenheit von G-tt gefüllt sein. Bis zu diesem Zeitpunkt ist jeder Einzelne dafür verantwortlich, seinen persönlichen Bereich ın einen heiligen Platz zu verwandeln. Dies wird durch die Unterwerfung unter die Autorität G-ttes erreicht.

Ein Tora-Mensch berücksichtigt die Halacha als erstes in jeder Situation. Dadurch schafft er wieder den Raum der heiligen Lade um ihn herum. Nicht nur das, er macht die Wirkung der Sünde von Adam rückgängig. Während die Sünde von Adam die G-ttliche Anwesenheit auf einen Ort beschränkte, verbreitet jemand, der die Halacha befolgt, die G-ttliche Anwesenheit, wo immer er sich befindet. In diesem Sinn behebt er den Schaden der Sünde des ersten Menschen und bereitet die Welt für das Kommen des Messias??? vor – wenn der Geist von G-tt die Welt umgeben wird “so wie das Wasser das Meer bedeckt.“

Fortsetzung folgt ijH.

Zusammengestellt durch Yaakov Astor, Ins Deutsche übersetzt durch David Halonbrenner, überarbeitet durch Rolf Halonbrenner und Clarisse Pifko

Mit ausdrücklicher Erlaubnis des Copyrightinhabers Juefo.com. Das Sefer kann unter info@juefo.com bestellt werden.

  1. Bereschit 1,6-8
  2. Bereschit 1,2
  3. Jeschaja 11,9

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