Segenssprüche am Morgen – Tag von Nacht zu unterscheiden

Datum: | Autor: Rav Awraam Kuperman | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Tag von Nacht

„Der dem Herz die Fähigkeit gibt, Tag von Nacht zu unterscheiden“

In diesem Artikel widmen wir uns dem Segensspruch „Ascher natan lasechvi wina lehavchin bejn jom uwejn lajla“. Die Kommentatoren sind sich darüber nicht einig, was das Wort „sechvi“ bedeutet. Einige meinen, es sei ein “Hahn”. Andere sagen, es sei das menschliche Herz.

Die Meinung, es sei ein Hahn, führt zu der Frage: womit verdient der Hahn einen täglichen Segensspruch?

Diese Frage könnte man anhand des Sefers „Chovot Halevavot“ (Rabeinu Bachya, ca. 1040) beantworten. Rabeinu Bachya erklärt, dass der Mensch sich mit Glauben erfüllt, wenn er die Weisheit G-ttes in den Kreationen und Kreaturen sieht. Der Mensch steht auf, hört den Hahn krähen und lobt G-tt für die Weisheit, die Er dem Huhn verleiht.

Dann folgt aber die Frage: ist der Hahn etwa schlauer als andere Kreaturen?

Ich hörte den Gaon Rav Schlomo Fischer sagen, sollen seine Tage länger werden, dass es früher allgemein bekannt war, dass jeder, der um Mitternacht aufwachen wollte, sich komplett auf den Hahn verlassen konnte (unter anderem ist es im Sefer „Reschit Chochma“ beschrieben“). Menschen empfinden Mitternacht als Nacht, und Mittag als Tag. Aber der Hahn hat eine besondere Weisheit. Er kräht um Mitternacht. Warum? Weil er weiß, dass der Morgen gerade begonnen hat! Denn die besondere Zeit von Rachamim G-ttes fängt um Mitternacht an. Deshalb kräht er auch am Mittag und kündigt uns damit an, dass obwohl wir denken, es sei Tag, der Abend schon begonnen hat und das wiederum bedeutet, dass die Zeit von Din beginnt.

Folgt man der Erklärung, dass „sechvi“ das menschliche Herz bedeutet, ist es unklar, warum man G-tt für eine so einfache Sache lobt. Den Tag von der Nacht zu unterscheiden ist ja nicht schwer! Vielleicht sollte man den Erschaffer für feinere Sachen loben, die man unterscheiden kann: so kann ein Bachur Jeschiwa Ihn dafür loben, dass er endlich die Herangehensweise beim Toralernen von Raw Chaim Brisker von der von Raw Schimon Schkop unterscheiden kann.

Ich erzähle euch eine Geschichte, um dies zu erläutern.

Meine Mutter, Friede sei mit ihr, litt zwölf Jahre lang unter der Alzheimer-Krankheit. Damals besuchte ich meine Tante, die seit vielen Jahren unter Parkinson litt und ich wusste nicht, wie ich sie aufheitern und ihr Leiden lindern soll. Dann hatte ich eine Idee. Ich fragte meine Tante, um wieviel Uhr letzte Woche Kerzenzünden war. Sofort nannte sie mir die Uhrzeit. Daraufhin sagte ich ihr: „Tante, du bist so reich! Du hast immer die Möglichkeit die Mitzvot zu erfüllen! Du sagst die Brachot auf die Schabbatkerzen und bevor du einen Apfel isst. Außerdem hältst Du Schabbat… Dein Denken ist klar und nicht betrübt. Meine Mutter, im Gegenteil, kann sich seit Jahren weder Gebote noch Verbote halten. Wenn sie an Schabbat Licht anzündet und man ihr (mit einer ruhigen, friedlichen Stimme) sagt, jetzt sei Schabbat, schaut sie einen an, ohne zu verstehen, was passiert. Sie leidet nicht, aber sie zählt auch nicht zu den Lebenden!“

Als ich einige Monate später meine Tante erneut besuchte, fragte sie mich sofort: „Awrejmele, hast du die Kerzen rechtzeitig gezündet?“. Da verstand ich, ich hatte richtig gehandelt und es geschafft, meiner Tante die Stimmung aufzuhellen.

Daraus sehen wir, dass ein Verständnis von Tag und Nacht jedem Gebot (sowie dem gesunden Menschenverstand) zugrunde liegt.

Erst auf dieser Basis kann man weitere Höhen von Wissen und Weisheit erreichen. Wenn wir am Morgen aufstehen, danken wir daher Haschem als erstes dafür, dass unser Kopf funktioniert!

Genau auf dieser Grundlage kann man daran arbeiten, sich Haschem zu ähneln. So wie die Mischna in Traktat Avot besagt: „Der Mensch ist geliebt, da er in Ähnlichkeit [zu G-tt] erschaffen wurde“ (Kommentatoren erklären, dass es sich nicht nur auf Juden bezieht)!

Vorbereitet von Rav E. Schwalb; Übersetzung von Orli Krief

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