Wochenabschnitt Schmini – Parah – „Rat einholen“ – eine grundlegende lebenswichtige Regel

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Rat

Eine der Vergehen, für die die beiden Zadikim Nadaw und Awihu laut Chasal bestraft worden war, dass sie sich untereinander nicht beraten haben. Im Passuk heißt es nämlich (10,1): „Es nahmen Nadaw und Awihu – אִישׁ מַחְתָּתוֹ – ein jeder seine [eigene] Pfanne“, keiner holte den Rat des anderen ein[1]. Hätte aber der eine den anderen um Rat gefragt und seine Gedanken und Absichten geschildert, hätten sie sicher die Fehler in ihren Entscheidungen rechtzeitig bemerkt. Denn wer sich ernsthaft mit einem anderen berät, der schiebt seine eigenen Interessen auf die Seite und ist nur auf das Wohl des anderen bedacht.

Jeder dieser großen Männer war bereit, sich für seinen Plan „Mosser Nefesch“ zu sein, für „Kidusch Haschem” (die Heiligung G‘ttes) zu sterben.

Aber keiner hätte einen solchen Schritt für den anderen gutgeheißen – zu einem Zeitpunkt, da dieses „Messirut Nefesch“ keine Pflicht war!

„Wir sehen in diesem Zitat von Chasal auch ein etwas erschreckendes, aber alltägliches Phänomen“, schreibt Raw Chajim Efrajim Zaichyk sZl.[2] „Zwei Personen sind Partner in einer Sache, arbeiten und machen etwas zusammen, oder sitzen nebeneinander am Tisch und dennoch haben sie nichts gemeinsam – es sind zwei voneinander weit entfernte Menschen. Es gibt Eheleute, die sogar 50 Jahre zusammenleben, und dennoch noch nie zusammen waren! Der Grund besteht darin, dass sie ihre Interessen weder teilen, noch ihre Meinungen miteinander austauschen oder den Rat des anderen einholen. Aus einer solchen Art des Zusammenlebens kann in keiner Partnerschaft, ob im Geschäft, Freundschaft oder Ehe, „Hazlacha“ (gutes Gelingen) entstehen. Bei Nadaw und Awihu sehen wir klar, dass sich dies zu einer Katastrophe entwickelte!“[3]

Was sind die Gründe für das Fehlen des Dialogs? Was sind die Ursachen der Zurückgezogenheit und Einsamkeit, trotz der eingegangenen Partnerschaft?

Wir finden sie in weiteren Details, die Chasal uns als Fehlverhalten der Söhne von Ahron haKohen aufzählen: „Sie hatten nicht geheiratet“[4], also kein Interesse an der „Eser kenegdo“[5] gehabt, keinen Willen, die Hilfe und den Rat eines Zweiten zu beanspruchen.

„Weil sie in Gegenwart ihres Lehrers Mosche eine halachische Entscheidung getroffen hatten“[6]. Diese, wenn auch kleine Überheblichkeit, galt bei diesen Größen als sündhafter „Stolz“. Sie hatten Mosche Rabenu nicht gefragt, sondern eigenwillig gehandelt. Wer sich für höher, besser und klüger als seinen Partner hält, sieht keinen Grund, die Meinung und den Rat des anderen einzuholen. „Ich weiss es ja sowieso besser als er! Warum dann darüber diskutieren?!“ Auch wenn das manchmal tatsächlich zutreffen mag, so kann der von Hochmut geblendete Mensch dies selbst gar nicht richtig beurteilen. Seine eigene Ansicht wird von Überheblichkeit geprägt. Und selbst wenn er von seinem Standpunkt aus recht haben sollte, so kann doch der andere etwas wissen oder bemerken, das ihm selbst entgangen ist. Unter Berücksichtigung dieses neuen Argumentes würde er sich vielleicht anders entscheiden.

Diese Reaktion ist jedoch völlig menschlich und wird in der Torah gleich bei der Erschaffung des Menschen angedeutet.

Als Hkb“H den Adam erschaffen wollte, sprach Er (Bereschit 1,26): „Na’asse Adam” – „Wir wollen einen Menschen machen“. Wie Raschi an dieser Stelle erklärt, lehrt uns Haschem hier den „Derech Erez“, das richtige Verhalten, sich mit anderen zuerst zu beraten, bevor man etwas Wichtiges unternimmt. Dies gilt auch dann, wenn man später doch nicht auf den Rat und die Meinung der anderen hört. Auch Hkb“H befragte zuerst die Mal’achim (Engel) nach ihrer Meinung und sie rieten von der Erschaffung des Menschen ab.

Da jedoch G’tt der Einzige ist, der die Wahrheit kennt, und sie sozusagen selbst verkörpert, hörte Er nicht auf ihre Ansicht und verbrannte die Nein-Sager. Es ging Ihm nicht um ihren Rat, sondern nur darum, das für den Menschen lebenswichtige Prinzip der Beratung mit einem Zweiten zu zeigen. Deshalb beriet sich Haschem mit den Mal’achim nur bei der Erschaffung des Menschen und nicht wegen all der anderen Dinge, die Er erschuf, weil diese Richtlinie nur für den Menschen bestimmt ist. Seiner „Bechira“ (freien Willen) wegen soll er sich zuerst beraten lassen, denn seine Wahl und getroffene Entscheidung ist nicht immer die richtige.

Auf diese menschliche „Sehbehinderung“ weisen uns Chasal mit einem weiteren Fehlverhalten von „Nadaw und Awihu“ hin:

„Sie sind ins Heiligtum eingedrungen, nachdem sie Wein getrunken haben“[7]. Der Wein berauscht die Sinne und benebelt das Gehirn, bis man nicht mehr zu klaren Gedanken fähig ist, um die richtige Entscheidung zu treffen. Sie haben also nicht verstanden, dass sich der eingeschränkte Mensch nie nur auf seine eigene Ansicht verlassen kann, sondern wenigstens die Argumente anderer anhören und über sie nachdenken muss.

Dadurch verstehen wir ein wenig den Sinn des von Haschem dem Mosche vorausgesagten בִּקְרֹבַי אֶקָּדֵשׁ, dass Er an diesem Tag durch „Seine Ihm Nahestehenden“ geheiligt werde[8].

Worin bestand diese Heiligung und weshalb kam sie gerade durch das Ableben von Nadaw und Awihu zustande?

Unsere Weisen sl. betonen in verschiedenen Aussprüchen die Besonderheit des Tages von „Schemini le’Milu’im“, der Einweihung des Mischkan, der so wichtig war wie der Tag, an dem die Welt erschaffen wurde[9]. Es scheint, dass sich darin der gemeinsame Nenner finden lässt. Genauso wie Hkb”H uns diese wichtige Lehre bei der Welterschaffung mitteilen ließ, in dem Er sozusagen die Mal’achim um ihre Meinung fragte, wurde diese Lehre in noch weit extremerer Art durch die Petira (Ableben) der beiden Brüder proklamiert. Denn die Unterlassung dieser für den Menschen und das Ziel der ganzen Schöpfung – der „Bechira“ – so wichtigen Regel bewirkte ihren frühzeitigen Tod. Dass dieser Fehler gerade den „Nahen“, den Zadikim wie Nadaw und Awihu geschehen war, lässt aufhorchen und veranlasst uns einfache Leute umso mehr dazu, in Zukunft darauf zu achten!

  1. Torat Kohanim 10,24
  2. Raw Zaichyk war Rosch Jeschiwa der Jeschiwat Bet Josef-Novhardok in Butschatsch (Ukraine) und Verfasser vieler Mussar-Werke im Geiste der Novhardoker Mussar-Bewegung (gest. 5749/1989)
  3. Or Chadasch
  4. Midrasch ibid. 20,9
  5. Siehe Bereschit 2,8
  6. Torat Kohanim 10,32, Eruwin 63a, Midrasch Wajikra Rabba 20,6 und Raschi Wajikra 10,2
  7. Midrasch Wajikra Rabba 12,1, Midrasch Tanchuma P. Achare 6 und Raschi Wajikra 10,2
  8. Torat Kohanim 10,26 und Raschi 10,3
  9. Seder Olam Rabba Kap.7 und Schabbat 87b und Torat Kohanim Wajikra Anfang P. Schmini

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