„וְעָשׂוּ לִי מִקְדָּשׁ וְשָׁכַנְתִּי בְּתוֹכָם” – „Sie sollen Mir ein Heiligtum machen und Ich werde in ihnen ruhen” (25,8).
Als Hkb“H zu Mosche sagte: „Macht mir ein Heiligtum“, rief Mosche verwundert aus: „Nicht einmal alle Himmel können Deine Ehre fassen und wir sollen ein Heiligtum für Dich bauen?“ Da erklärte ihm Hkb“H: „Nicht so wie du es meinst. Ich spreche lediglich von der Errichtung von 20 Brettern im Norden, 20 im Süden und acht im Westen, und darin werde Ich meine Schechina in begrenztem Maße ruhen lassen“[1].
Bei den antiken Völkern meinte man, dass die Macht und Größe ihrer Götzen in der Besonderheit und dem Reichtum der für sie errichteten Tempel und Kultstätten sehen könne.
Mosche Rabenu wunderte sich, auf welche Weise das jüdische Volk einen für die unermessliche und unschätzbare Ehre G‘ttes angemessenes Heiligtum erschaffen konnte. Haschem erklärte ihm jedoch, dass mit dem Bau des Mischkan ganz andere Ziele verfolgt würden. Er wolle, ‘kibejachol’ (sozusagen), Seine ‘Schechina’ im Klall Jisrael ruhen lassen.
In den Sefarim haKedoschim wird der Sinn dieser „Haschra’at haSchechina“, dieses Ruhenlassen der g’ttlichen Präsenz, besser erklärt, gestützt auf die Anmerkung, dass es im Passuk „וְשָׁכַנְתִּי בְּתוֹכָם” – Ich werde in ihnen ruhen“ heisst und nicht „בְּתוֹכוֹ” – „in ihm“, d.h. im Mischkan, wie es eigentlich hätte stehen sollen[2]. Die Rede ist nämlich vom Herzen der Menschen, in denen Hkb“H gerne ruhen möchte.
Wie kann der Mensch die erreichen?
Das „Herz“ ist die Quelle und Schaltstelle des menschlichen Willens, der ihn leitet und zur Verfolgung seiner Interessen antreibt. Der „Verstand“ ist das Werkzeug des Wissens und Verstehens des Menschen und verschafft ihm die Möglichkeit, durch Bereicherung des Verstands und Erfassung der Umwelt den Willen im Herzen zu beeinflussen. Theoretisch sollte ein Verstand, der Torah lernt und den Sinn des Lebens erfasst hat, der die Gefahr der schlechten Eigenschaften studiert und an einem eifrigen und hingebungsvollen G‘ttesdienst interessiert ist, seine Erkenntnisse dem Herzen zuführen und es beeinflussen, so dass das Herz den menschlichen Willen entsprechend kontrolliert und ihn in diese Richtung lenkt.
Das Problem liegt jedoch darin, dass sich durch die von ihm begangenen Sünden auf dem Herzen der Menschen eine Verunreinigung, also eine Art ”Schale” oder “Hülle”, bildet. Je dichter sie wird, umso weniger lässt sie durch. Diese stört den Kontakt zwischen Verstand und Herz und er kann das von der Unreinheit beeinflusste Herz nicht mehr erreichen und korrigieren.
Deshalb verlangt die Torah (Dewarim 10,16):
„Umaltem et Orlat Lewawchem”… – „Ihr sollt die Vorhaut eurer Herzen beschneiden, so wird euer Nacken nicht mehr hartnäckig sein“. Raschi erklärt diese “Orlah” (Vorhaut) als „eine Verstopfung und Bedeckung des Herzens“. Obwohl Hkb“H einerseits den Bau eines echten Hauses befahl, erklärte Er zugleich, dass dieses Mikdasch (Heiligtum) nicht das Endziel war: Es war nur ein Model, ein Beispiel, für das eigentliche Ziel – das menschliche Herz.
Gemäss den Rischonim glich das ‘Mischkan’ einem Miniaturmodell des gesamten Universums – „Olam haKatan“ (eine kleine Welt/Mikrokosmos) – war aber zugleich auch ein Abbild des menschlichen Körpers[3]. Das Kodesch haKodaschim (Allerheiligste), in dem der Aron haKodesch (heiliger Schrein) mit der Torah ruhte, stellte den Verstand des Menschen dar; das Kodesch (heiliger Raum) kam dem Herzen gleich. Deshalb standen dort die Menorah, die mit ihren sieben Armen die sieben menschlichen Charaktereigenschaften (Midot) darstellte. Der Schulchan (Tisch) mit den Lechem haPanim (Schaubrote) symbolisierte die menschlichen Gelüste und der Misbeach haKetoret (Altar des Räucherwerks) seine Taten – die wohlriechenden Pflanzen die guten Taten und das übelriechende ‘Chelbena’[4] die schlechten Taten.
Wir verstehen somit sehr gut, weshalb Mosche Rabenu die „Luchot haBrit“ (“Bundestafeln”) zerbrach, als das Volk beim ‘Egel haSahaw’ (‘goldenes Kalb’) sündigte:
Er zeigte ihnen damit den Verlust ihrer Verbindung zwischen Verstand und Herz! Die Torah, welche das Wissen über die Existenz des wahren und einzigen G’ttes enthält, den ihr Verstand beim ‘Matan Torah’ (Offenbarung der Torah) erfasst hatte, konnte nicht mehr zu ihrem Herzen durchdringen, da sich dieses anderen, fremden Dingen (‘Awoda Sara’, ‘Götzendienst’) zugewandt hatte. Was nützte ihnen in diesem Fall das Wissen, die Torah, wenn sie diese nicht verinnerlichten und sie nicht mit ihrem ganzen Körper fühlten, mit ihr lebten und danach handelten?!
Durch den Bau des Mischkans wurde diese Sünde gesühnt, die Verbindung zwischen Verstand und Herz wiederhergestellt und die Verunreinigung beseitigt. Deshalb wurde im Mischkan die Verbindung zwischen dem „Kodesch“ und dem „Kodesch haKodaschim“ nur durch einen „Parochet“ (Vorhang) getrennt, der jedoch nur vom ‘Kohen Gadol’ am Jom Kippur durchschritten wurde. Am Jom Kippur, dem Tag, an dem Haschem dem Klall Jisrael die Sünde des ‘Egel’ vergeben und den Bau des Mischkans befohlen hatte, begibt sich der Kohen Gadol, der Vermittler zwischen Jisrael und G’tt, ins Allerheiligste.
Damit verstärkt er jedes Jahr aufs Neue die Verbindung zwischen Verstand und Herzen der Bne Jisrael.
Im ersten ‘Bet haMikdasch’ hingegen waren „Kodesch” und „Kodesch haKodaschim“ durch eine feste Tür von ein einander getrennt. Im zweiten ‘Bet haMikdasch’ war es zwar keine Tür, es gab aber zwischen den beiden Räumlichkeiten zwei Vorhänge (Parochet) mit einem Abstand von einer ‘Ama’ (אַמָה טְרַקְסִין, ca, 48-56 cm) dazwischen. Wegen der Sünden Jisraels vergrößerte sich die Trennung zwischen Verstand und Herz immer mehr. Manchmal war diese Trennung sogar so stark, dass es selbst dem Kohen Gadol am Jom Kippur nicht gelang, die alte Verbindung wiederherzustellen. Wenn er ins Allerheiligste trat, kam er nicht wieder lebendig zurück oder der rote Faden wurde nicht weiss…
Das war die Antwort von Hkb“H an Mosche Rabenu, was mit dem „Ruhen der Schechina haKedoscha“ gemeint war. Im eigentlichen Sinne gibt es für die Schechina G’ttes gar kein Ruhen, denn das Wesen und die Ehre G’ttes erfüllt doch das gesamte Universum! Das Mischkan sollte uns aber lehren, wie und auf welche Weise wir die Schechina auch in unserem Herzen ruhen lassen können, was unsere eigentliche Aufgabe auf dieser Welt ist.
Und so erfüllen wir wiederum den Zweck der ganzen Welterschaffung.
Um ein Modell und Lehrhaus für diesen Zweck zu errichten, erklärte Haschem Mosche Rabenu, genügen 48 Bretter, die den 48 „Kinjane haTorah” (Methoden des “Erwerbs” bzw. der Aneignung der Torah) entsprechen. Durch diese 48 Bedingungen, Eigenschaften und Verhaltensregeln, die Chasal in den ‘Pirke Awot’ aufzählen[5], wird sichergestellt, dass die Torah, das Wissen und der Verstand von Jisrael, nicht von ihrem übrigen Körper isoliert funktioniert, sondern dass effektiv danach gelebt und gehandelt wird, damit die Verbindung zwischen Verstand und Herz gesichert ist und aufrechterhalten wird.
- Midrasch Schmot Rabba 34,1 ↑
- Eine häufig in den Werken der Rischonim und Acharonim zitierte ‚Drascha‘ (s. Chumasch Torah Schlejma Kap 25 §86*). ↑
- Ausführliche Quellen hierzu siehe Chumasch Torah Schlejma P. Teruma Kap.25/§69-70 ↑
- Galbanum, ein scharfriechendes Harz, das man zur Verwendung des ‘Ketoret’ verwendete. Gemäss Chasal, symbolisierte es die Rescha’im, die trotz ihrer Freveltaten ein Teil des jüdischen Volks sind (Krissut 6b und Raschi 30,34). ↑
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Pirke Awot 6, 6 ↑