Tschuva an Rosch HaSchana und Jom Kippur

Datum: | Autor: Rav Igal Polischuck | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
tschuva

Indem wir uns den Feiertagen Rosch HaSchana und Jom Kippur nähern, ist es wichtig, für sich selbst den Begriff der Tschuva zu erklären. Das Wort erscheint Vielen schon klar und gewohnt, obwohl es in Wirklichkeit nicht immer richtig verstanden wird.

Rav Schimschon Dovid Pinkus sagte, dass Schabbat die Zeit für Tschuva ist. Ein Hinweis hierauf ergibt sich bei näherer Betrachtung des Wortes Schabbat (שבת), aus dessen Buchstaben die Wurzel des Wortes Tschuva (תשובה) zusammensetzt.

Wie ist es möglich, wenn wir am Schabbat kein Widduj (Beichte) sagen? Ist denn Rosch HaSchana die Zeit der Reue, wo wir doch an diesem Tag auch kein Widduj sagen?

Die richtige Bedeutung des Wortes Tschuva ist Rückkehr, das heißt die Rückkehr zu dem Zustand, von welchem wir oder unsere Vorfahren uns entfremdet haben. Diese Bedeutung beinhaltet unterschiedliche Aspekte.

In diesem Zusammenhang werden wir über Rosch HaSchana und Jom Kippur sprechen, die „Tage des Gerichts“ (Jamei Hadin) heißen, dazu heißt Jom Kippur noch „Versöhnungstag“. Die zehn Tage zwischen Rosh HaSchana und Jom Kipur heißen „Tage der Ehrfurcht“ (Jamim Noraim) oder „Zehn Tage der Tschuva“.

Es gibt eine Halacha (praktisches Gesetz), die uns vorschreibt, die Gesetze der Feiertage schon dreißig Tage zuvor beginnen zu lernen. Das heißt, wir sollen uns schon dreißig Tage vor dem Feiertag auf ihn vorbereiten. Die Haupttage der Reue sind die Zehn Tage der Tschuva, vor denen die dreißig Tage die Tage des Monats Elul sind. Wie sollen wir uns darauf vorbereiten? Rosch HaSchana und Jom Kippur sind besondere Tage. An jedem von ihnen arbeiten wir an verschiedenen Aspekten der Tschuva.

Wir sollen aber erst verstehen, was der Sinn von Rosch HaSchana ist. Im Traktat „Rosch HaSchana“ (16a) steht geschrieben, „Sagte der Heilige, gelobt sei Er, „Sagt vor mir am Rosch HaSchana die „Königtum“ (Malchujot), „Gedenken“ (Sichronot) und „Schofarot“. Malchujot sind dafür da, damit ihr mein Königtum annehmt…“ Die Mitzva des „Schma Israel“-Lesens haben wir nicht nur an einem Tag des Jahres, sondern zweimal jeden Tag, dessen Basis das Aufsichnehmen des himmlischen Königtums ist.

Am Rosch HaSchana darf man kein Widduj machen, während wir Widduj am Jom Kippur in jedem Gebet sagen.

Um den Unterschied zwischen diesen Feiertagen zu klären, wenden wir uns an das Kapitel Waera aus dem Buch Bereischit (21:17), in welchem wir über Avraham lesen, der Ischmael und seine Mutter Hagar vertreibt. Als Ischmael in der Wüste vor Durst beinahe gestorben war, betete Hagar zum Allmächtigen für die Rettung ihres Sohnes. Als Antwort darauf öffnete sich ein Wasserbrunnen. Warum hatte G-tt Ischmael, der auch betete, erhört und die Söhne Israels, von denen viele während der Vertreibung durch Newuchadnezar vor Durst gestorben waren, nicht? Weil der G-tt die Stimme eines Knaben, „so wie er dort war“, gehört hatte. Im Traktat Rosch HaSchana (16a) steht geschrieben, „Sagte Rabbi Izchak: Der Mensch wird nach seinen Taten in der (gegebenen) Stunde gerichtet“. Nach Raschis Meinung wird der Mensch nach seinen Taten in dem Moment gerichtet, ohne seine Taten in der Zukunft in Kauf zu nehmen. Nach der Meinung anderer Kommentatoren wird der Mensch nach seinem Zustand in dem Moment gerichtet. Rav Mosche Schapiro sagt, dass diese Stelle das Wesen der Tschuva am Rosch HaSchana und davor klarstellt. Ich gebe hier ein Beispiel. Ein Mann, der nach Sankt Petersburg wollte, hat sich verirrt und fährt nun nach Moskau. Schon unterwegs merkt er seinen Fehler und wendet sein Auto in Richtung auf Sankt Petersburg. Er befindet sich noch nicht auf der richtigen Straße, aber diese Wendung zeigt schon die richtige Richtung für seinen weiteren Weg.

Im Traktat Kidduschin (49b) wird die Situation besprochen, als ein bekannter Bösewicht ein Mädchen mit folgenden Worten zur Frau nimmt, „Du bist mir gewidmet unter der Bedingung, dass ich ein vollkommen Gerechter bin“. Nach dem Gesetz muss man befürchten, dass sie ihm doch gewidmet ist, weil er möglicherweise in seinen Gedanken Reue empfunden hat, sogar wenn er kein Widduj gesagt hat und seine Sünden ihm nicht vergeben worden sind. Obwohl (u.a. von RaMBaM und Rabeinu Jona) angenommen ist, dass Sünden ohne Widduj nicht gesühnt werden, gibt es das Konzept des „gedanklichen Reue“. Wir lernen über dieses Stadium der Tschuva aus den Gesetzen von Kidduschin (Widmung einer Frau) und sehen, dass unsere Weisen ihn sehr ernst betrachten – dieses Mädchen hatte einen Status als Ledige, aber die Absicht dieses Mannes überwiegt ihren Status.

Rav Mosche Schapiro erklärt diese Stelle folgenderweise: Es gibt einen Moment der Tschuva, in dem der Mensch sich einfach umdreht, um sich in die richtige Richtung zu bewegen – Er nimmt auf sich den Willen des Schöpfers. Das ist genau, was es heißt „Auf sich das himmlische Königtum von dem Moment und für immer zu nehmen“. Solche Tschuva definiert den Menschen als einen vollkommenen Gerechten, obwohl seine Sünden ihm noch nicht vergeben sind. Das macht keinen Unterschied, weil nach seinem Herzzustand, in dem Moment bewegt er sich in die richtige Richtung. Das ist die Bedeutung von Rabbi Izchaks Aussage „Der Mensch wird nach seinen Taten in der (gegebenen) Stunde gerichtet“. Das heißt, es wird darauf geschaut, ob er auf sich das himmlische Königtum genommen hat oder nicht.

Das ist eine Art Tschuva, wenn der Mensch, mit der Absicht weiter auf dem Weg der Gerechten (Messilat Jescharim) zu gehen, zurückkehrt. Aber eine solche Entscheidung reicht nicht. Es ist nicht nur, weil seine Entscheidung nicht fest genug ist, sondern auch weil die üblen Taten auf seinem Körper und seiner Seele Spuren hinterlassen hatten. Es gibt zwei Folgen der Sünde: sowohl die Bestrafung in dieser Welt und in jener Welt, wie auch der Stempel der seelischen Unreinheit, die uns weiter zu neuen Sünden treibt. Es ist bekannt, dass eine Mitzva eine andere Mitzva nach sich zieht, und wenn man ein Verbot übertritt, dies zur Übertretung eines weiteren Verbotes führen wird.

Unsere Weisen erklären es so, dass in dem Moment, in dem der Mensch eine Mitzva tut, geht in ihn die Kraft der Heiligkeit hinein, die ihn weiter zum Erfüllen des Willens des Schöpfers treibt. Wenn er aber ein Verbot übertritt, geht in ihn der Geist der Unreinheit (Tuma) hinein, der ihn weiter antreibt, zu sündigen. Und diese Unreinheit kann man mit einer einfachen Entscheidung nicht aufheben. Trotz der Erwachung der göttlichen Seele in ihm, trotz der Entscheidung besser zu werden, ist diese Entscheidung noch nicht vollkommen. Seine Seele strebt nach oben, während seine Sünden ihn in die andere Richtung ziehen. Eine große Arbeit ist nötig, um Reinigung durch G-tt zu verdienen.

Reue, Widduj, Versöhnung ist das Wesen von Jom Kippur. Der Versöhnungstag hat zwei Seiten. Die erste Seite ist die, die von uns kommt: Das ist die vollkommene Reue über die gemachten Sünden, ein wahrer Cheschbon HaNefesch (Selbstüberprüfung) über die eigene Vergangenheit und der Widduj, der aus wahrer Anerkennung der eigenen Sünden, aus dem Scham und den Schmerzen über die eigene Vergangenheit, aus dem Schrei der Seele, die um Versöhnung und Hilfe bittet, damit sie nie wieder zur ihrem ehemaligen Zustand zurückkommt, besteht. Die zweite Seite ist die gewaltige Gnade des Schöpfers, der uns die Sünden vergibt und die Spuren der Sünden von uns entfernt. Wie im Traktat „Joma“ (85b) steht, „Sagte Rabbi Akiva. „Wunderschön ist das Schicksal Israels! Wie die Mikwa die Unreinen reinigt, so reinigt G-tt Israel“. Darin besteht die besondere Größe des Jom Kippur, des Versöhnungstages. Für solche hochstehende Tschuva ist es nicht genug, sich einfach vom falschen Weg (von der Sünde) abzuwenden, sondern man muss sich fest und sicher auf den Weg des Dienstes und Selbstverbesserung begeben. Man braucht Taten, die ihn reinigen und zu G-tt nahe bringen (den Widduj, die festen Entschlüsse, das Weinen usw.). Nur dann hat die Entscheidung des Menschen, auf dem richtigen Weg zu gehen, keine Hindernisse.

Diese zwei Arten der Tschuva, die von Rosch HaSchana und die von Jom Kippur, sind inbegriffen in den Wegen, die uns zwei grundlegende Bücher über Selbstverbesserung offenbaren – „Messilat Jescharim“ von Rav Mosche Chaim Luzzatto und „Schaarei Tschuva“ von Rabeinu Jona Gerondi.

Messilat Jescharim“ lehrt, wie man sich auf den geraden Weg, Haschem zu dienen, begibt. „Schaare Tschuva“ zeigt, wie man sich vollkommen vom Sündigen und vom Bösen entfernt. Es ist ein wunderbarer Brauch, vom Anfang Monats Elul bis Jom Kippur dem „Schaarei Tschuva“-Lernen Zeit zu widmen. In allen Jüdischen Gemeinden sagt man im Monat Elul Slichot. In sephardischen Gemeinden sagen sie Slichot von Anfang Elul und Aschkenasim beginnen die Slichot einige Tage vor Rosch HaSchana. Der Sinn dieses Brauchs ist leakdim refua le-maka (der Krankheit mit dem Heilmittel zuvorzukommen), d.h. alle eigene Sünden zu bereuen und maximale Versöhnung zu erreichen, das Gewicht der eigenen Sünden als Teil der Sünden des ganzen Volkes noch vor dem Gericht zu erleichtern, die Sündenspuren von sich zu entfernen, damit wir rein und bereit zum Gericht kommen könnten, um das Königtum des Schöpfers auf uns zu nehmen.

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