So wie im Himmel, so auf der Erde – Teil 2 – Kiddusch Haschem

Datum: | Autor: Rabbi Ezriel Tauber SZl | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
kiddusch haschem
Rabbi Ezriel Tauber SZl – L’ilui nischmat Hamechaber

Kiddusch Haschem

Jitgadal vejitkadasch schme rabba… , “verherrlicht und geheiligt soll der GROSSE NAME sein …“ (Kaddisch)
Jakiru vejeid’u kol Joschwe Tewel , “Es soll bei allen Einwohnern der Welt anerkannt und bekannt sein (dass es G-tt gibt).“ (Alejnu Gebet)
Es ist unsere Aufgabe, der Welt zu zeigen, dass Haschem (G-tt) existiert. Natürlich bedeutet das mehr als das förmliche Bekenntnis, dass G-tt existiert. Es beinhaltet das Bewusstsein, dass man ständig mit der Präsenz von G-tt lebt und dass man G-tt in allem sieht, was sich ereignet[1]. In der Tat kann der Name von G-tt ständig auf unseren Lippen und nahe bei unserem Herzen sein oder auch sehr weit entfernt. Die Pflege dieses Bewusstseins liegt beim Menschen. Dies heißt Kiddusch Haschem.

Das Gegenteil von Kiddusch Haschem ist Chillul Haschem, die Entweihung von G-tt. Der Sohar betont, dass das Wort Chillul mit dem Wort Chalal verwandt ist, das “Loch“ oder “Vakuum“ bedeutet. Wenn die Menschen G-tt nicht sehen oder verstehen, dann existiert ein Loch oder Vakuum, ein Chillul Haschem. Unsere Aufgabe ist es, dieses Loch zu füllen und der ganzen Welt die Präsenz von G-tt bewusst zu machen.

Kiddusch Haschem heißt so zu handeln, dass es mit der himmlischen Ordnung vereinbar ist, und damit das Leben auf der Erde als eine Reflexion des Himmels gestaltet. So wie im Himmel, so auf der Erde. Von der ganzen Menschheit wird erwartet, so zu handeln. Inmitten der ganzen Menschheit gibt es aber ein Volk, das dazu bestimmt wurde, den Weg zu zeigen:

Jisrael, das jüdische Volk.

“Ich, G-tt, rufe dich in Rechtschaffenheit … dich als Licht der Völker zu machen.“[2]

Nikdaschti betoch bne Jisrael “ich werde in der Mitte des jüdischen Volkes geheiligt werden.“ (Gebet von Rosch Haschana und Jom Kippur)

Jisrael wurde zum Führer im Gebiet von Kiddusch Haschem gewählt. Kiddusch Haschem ist daher das magische Wort im “Geschäft“ des Judentums. Es ist das Hauptziel. Es ist sogar mehr als ein Geschäft; im Geschäft arbeitet man am Tag und begibt sich dann in sein Privatleben nach Hause. Das Judentum ist nicht so. Ein Jude beschäftigt sich 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche mit Kiddusch Haschem. Wir haben dafür die Tora, die uns 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche leitet. Wenn wir ein Leben gemäß der Tora leben, dann bringen wir das Bewusstsein der Existenz von G-tt auf die Welt. Das heißt Kiddusch Haschem, die Heiligung des Namens von G-tt.

Strahlen wie Engel

Um dies zu illustrieren, lassen Sie mich die Geschichte eines Ger Tzedek, eines zum Judentum Übergetretenen, erzählen, der vor dem Holocaust in der tschechischen Stadt Nitra wohnte. Er trat kurz nach dem ersten Weltkrieg zum Judentum über, als die Situation der Juden extrem schwierig war. Trotzdem wurde er ein richtiger Konvertit und zog eine schöne, sehr religiöse Familie auf. Als die Nazis im zweiten Weltkrieg die Tschechoslowakei besetzten und mit den Deportationen begannen, wollte seine nichtjüdische Familie ihn retten.

“Ich bin ein Jude“, antwortete er, “und ich teile das Schicksal mit all meinen jüdischen Brüdern. Was ihnen passiert, wird auch mir passieren.“

Er wurde schließlich wie alle anderen tschechischen Juden deportiert. Es gibt Augenzeugen die berichten, dass er am Weg in die Gaskammer gesungen und getanzt hat, um G-tt für das Privileg zu danken, zu sterben, weil er Jude war. Wie hat er dieses Niveau von Hingabe erreicht?

Was führte dazu, dass er zum Judentum übertrat, als die Bedingungen für Juden so schlecht waren?

Ich hörte die Antwort aus erster Hand, von jemandem, der ihn direkt gefragt hat. Er sagte: “An einem Abend von Jom Kippur, bin ich bei der Synagoge von Nitra vorbeigekommen und sah, wie alle Menschen weiß gekleidet waren. Sie sahen wie Engel aus. Ihre Gesichter strahlten, sie strahlten eine andere Welt aus. Ich realisierte, dass dies die Gesichter meiner jüdischen Freunde waren, mit denen ich das ganze Jahr hindurch geschäftliche Beziehungen hatte. Ich konnte sie kaum erkennen.“ “Wenn eine solche Religion existiert“, sagte ich mir, “die einfache, alltägliche, arbeitende Menschen in Engel verwandeln kann, dann möchte ich dieser Religion angehören.“

Unsere Aufgabe ist es, jeden, der mit uns in Kontakt kommt (einschließlich uns selber), in ein Gefäß zu verwandeln, das die Anwesenheit G-ttes ausstrahlt. Jeder, der einen von uns trifft, sollte sagen: “Ich möchte wie sie werden.“ Wenn wir nach den religiösen und ethischen Standards der Tora leben und dadurch Freude und Heiligkeit ausstrahlen, dann verwandeln wir die Welt. Das ist die Kraft von Kiddusch Haschem, ein Leben mit einem bewussten Zweck zu leben.

Kein Moment ist bedeutungslos

Kommen wir zurück zur Frage, mit der wir begonnen haben: Weshalb sind die Menschen unglücklich? Die Antwort ist, weil sie nicht wissen, was sie hier machen, sie kennen den Zweck des Lebens nicht. Der Zweck ist es, Kiddusch Haschem zu machen. Wenn wir unseren Zweck kennen, dann können sogar weltliche Aktivitäten bedeutungsvoll sein.

Der Talmud erzählt, dass G-tt von uns hundert Segenssprüche pro Tag verlangt. Warum? Weil wir bei jedem Segensspruch Baruch ata HaschemMELECH haolam sagen. Gelobt bist Du Haschem, KÖNIG der Welt. Jedes Mal, wenn wir “König der Welt“ sagen, erinnern wir uns daran, dass Er unser König ist. Indem wir anerkennen, dass G-tt unser König ist, machen wir Kiddusch Haschem. Wir bringen damit zum Ausdruck, dass wir G-ttes Einfluss auf unser Leben anerkennen. G-tt hat uns mit dem Bedürfnis zu essen und zu trinken erschaffen, damit wir einen Segensspruch für jede dieser irdischen, täglichen Aktivitäten sagen.

Wenn wir unseren Zweck kennen, dann können wir nie unglücklich sein, da es nie eine Situation im Leben gibt, die uns daran hindert, Kiddusch Haschem zu machen. In der Tat kann eine Person alles verlieren: Reichtum, Gesundheit, eheliche Harmonie, Eltern, Lehrer, etc., außer einer Sache: der Gelegenheit, Kiddusch Haschem zu machen. Keine Tragödien, kein Leiden, kein Hitler und kein Holocaust können uns die Möglichkeit nehmen, den Namen von G-tt zu heiligen.

Im Gegenteil, je mehr uns weggenommen wird, desto größer ist die Gelegenheit, Kiddusch Haschem zu machen.

In den Konzentrationslagern zum Beispiel hat Hitler den Menschen alles weggenommen: Den Schabbat, die Möglichkeit koscher zu essen, das Familienleben. Etwas das er nicht wegnehmen konnte, war die Möglichkeit für den Juden, Kiddusch Haschem zu machen. Der Jude, der am Jom Kippur ein bisschen aß, um sein Leben zu retten (was die Tora in einer solchen Situation befiehlt), und der von diesem Essen ein bisschen länger leben konnte, konnte sich im Geheimen neun anderen Männern anschließen und das Kaddisch-Gebet sagen, “verherrlicht und geheiligt soll der GROSSE NAME sein“.

Gibt es einen größeren Kiddusch Haschem als diesen?

Hitler hat alles getan, um den Namen G-ttes zu entweihen und um zu beweisen, dass G-tt nicht G-tt und dass das jüdische Volk nicht zum “Licht aller Nationen“ bestimmt worden sei. Sein ganzer Krieg gegen das jüdische Volk war nicht primär physisch. Er wollte, dass die Juden G-tt ableugnen. Als G-tt uns sagte “Ihr sollt ein heiliges Volk sein, das mich repräsentiert“, sagte er “Ich zeige Euch, dass Ihr G-tt nicht repräsentiert. Ihr werdet G-tt ableugnen, gegen Ihn rebellieren und böse auf Ihn werden.“

Was passierte aber? Unter Umständen, in denen die Juden hätten sehr böse auf G-tt sein können, starben sie und sagten Jitgadal vejitkadasch schme rabba.

Das tagtägliche Leben heiligen

Kiddusch Haschem zielt nicht nur dahin, wörtlich sein Leben aufzugeben und gilt nicht nur für Konzentrationslager. Ich sage dies oft. Heutzutage haben wir nicht die Herausforderung, für Kiddusch Haschem zu sterben. Wir haben heute etwas, das noch schwieriger ist: Wir müssen für Kiddusch Haschem leben, mit unseren tagtäglichen Schwierigkeiten. Lassen Sie mich dies mit einer wahren Geschichte illustrieren.

Vor ein paar Jahren machte eine sehr gebildete Frau, eine europäische Journalistin, eine Reise durch Amerika und besuchte einen meiner Vorträge. Nachher kam sie zu mir und sagte: “Ich bin erschüttert, ich kann nicht glauben, was ich gerade hörte. Ich bin die Tochter eines Überlebenden des Holocausts. Mein Vater kam von Polen und war so böse auf G-tt, dass er sich besonders anstrengte, meine Schwester und mich antireligiös zu erziehen. Ich habe nie etwas Positives über G-tt oder das Judentum von ihm gehört. Sie sind hier als Holocaust-Überlebender und sind stolz darauf. Sicher haben wir damit etwas erreicht.“

Um die Geschichte kurz zu machen, die Frau wurde religiös.

Ihren Vater machte das krank “Ich gab mir Mühe, um die Religion abzulegen und du möchtest jetzt zurückkommen? Hast du den Verstand verloren? Weißt du, wie sehr du mich damit aufregst und in Verlegenheit bringst?“

Die Frau kam weinend zu mir. “Was soll ich machen, er möchte mich enterben?“

“Ich möchte Ihren Vater treffen“ schlug ich vor.

“G-tt behüte, er ist so böse auf Sie. Er sagte, dass Sie mich meschugge gemacht haben. Ich habe Angst, ihn im gleichen Zimmer mit Ihnen zu lassen.“ Ich musste mich zurückziehen und die Angelegenheit laufen lassen.

Sie hat sich schließlich entschieden, nach Israel zu ziehen. Kurze Zeit darauf reiste ich selbst nach Israel, um eine Serie von Vorträgen zu halten. Die Frau kam eines Nachmittags zu mir. Es stellte sich heraus, dass ihr Vater sie gerade besuchte und in demjenigen Hotel wohnte, in dem ich an diesem Abend einen Vortrag halten sollte. Als sie das Plakat gesehen hatte, auf dem mein Vortrag angekündigt wurde, hatte sie schnell ein Treffen mit mir vereinbart.

“Wie ist die Situation mit Ihrem Vater?“ fragte ich sie.

“Immer noch sehr schlecht“, sagte sie.

“Versuchen Sie, ihn heute Abend zum Vortrag zu bringen. Vielleicht wird sich etwas ereignen.“

Als ich an diesem Abend sprach, wusste ich nicht, ob sie im Publikum waren oder nicht. Das Hauptthema des Vortrags war Kiddusch Haschem, dass unser Hauptzweck die Heiligung des Namens von G-tt ist und dass es zwei Arten von Kiddusch Haschem gibt. Eine ist, für Kiddusch Haschem zu sterben, und die andere, die oft schwieriger ist, zu leben für Kiddusch Haschem.

Um dies zu illustrieren, erzählte ich die Geschichte eines Märtyrers, der in Treblinka vernichtet wurde.

Treblinka war eines der brutalsten Konzentrationslager. In weniger als einem Jahr wurden 850‘000 Juden getötet. Es war ihnen nicht genug, die Juden zu töten. Sie versuchten auch, sie zu verunglimpfen. Eine ihrer Methoden war zum Beispiel, die Vorhänge zu nehmen, die in der Synagoge den Thoraschrank zudecken, und über den Eingang der Gaskammern zu hängen. Die Inschrift auf den Vorhängen war: “Dies ist das Tor zu G-tt, durch das die Gerechten hindurchgehen.“ Ihre Absicht war es, dass die Juden im letzten Augenblick ihres Lebens G-tt verfluchen sollten.

In der Tat hatte dies aber genau die umgekehrte Wirkung. Sogar die stark assimilierten Juden wachten geistig auf, wenn sie diesen Vorhang mit den Worten: “Dies ist das Tor zu G-tt“ sahen; sie tanzten und sangen, als sie in die Gaskammern gingen! Sie realisierten, dass dies wirklich das Tor zu G-tt war, in das sie hineingingen.

Ich erklärte, dass dies Sterben für Kiddusch Haschem war, die Heiligung des Namens G-ttes im Tod. Ich erzählte dem Publikum, dass es eine andere Art von Kiddusch Haschem gibt, die viel schwieriger ist; der Kiddusch Haschem des Lebens nach dem Holocaust. Es ist der Kiddusch Haschem derjenigen, die überlebt haben und in aller Stille ein neues Leben, neue Familien und neue Gemeinden wiederaufgebaut haben, bis sie bereit waren, neue Synagogen zu bauen und einen Vorhang mit den Worten aufhängten : “Dies ist das Tor zu G-tt, durch das die Gerechten hindurchgehen“.

Diese Art von Kiddusch Haschem ist eine genauso große Heiligung des Namens von G-tt wie die durch den Tod.

“Alle von uns“, beendete ich den Vortrag, “sind Überlebende des Holocausts, des physischen Holocausts und jetzt des geistigen. Unsere Aufgabe ist es, jetzt Kiddusch Haschem zu machen, gleich auch unter welchen Umständen.“

Als ich fertig war, kam plötzlich die Frau zu mir und sagte: “Wissen Sie, mein Vater ist hier.“

“Bringen Sie ihn doch hierher“, schlug ich vor.

Sie verschwand in der Menge und kam kurz darauf mit ihrem alten Vater. Sein Kopf war nach vorne gebeugt und seine Augen voller Tränen. Nach einer kurzen Pause sagte er in Jiddisch: “Rabbi Tauber, ich war in Treblinka.“ Seine Stimme versagte fast vor Emotion. “Ich sah das Krematorium mit den Vorhängen, über die Sie heute abend sprachen…“ Er hielt einen Moment inne und fügte hinzu: “Dies machte mich zu einem Ungläubigen, ich war so böse auf G-tt. Warum hast Du mich überleben lassen”, fragte ich ihn. Ich fragte tausende Male: Warum habe ich überlebt? Wieso konnte ich nicht mit meiner Familie und meinen Freunden getötet werden? Wieso musste ich durch die Hölle gehen und dann damit leben? Bist Du so grausam, dass Du mich mit einem lebenden Tod peinigst? Mit diesem Schmerz habe ich gelebt und deshalb wurde ich antireligiös. Ich habe nie eine Antwort auf diese Frage erhalten.“

“Haben Sie Ihre Antwort heute Abend erhalten?“ fragte ich.

“Obwohl Sie dachten, dass Sie G-tt bekämpfen können, indem Sie eine nicht religiöse Familie aufbauen, hat Ihre Tochter den Weg zurück gefunden. Sie macht die neuen Vorhänge und schreibt auf ihnen ’Dies ist das Tor zu G-tt’. Wenn Sie sie sehen, ist Ihnen dann nicht klar, dass Sie nicht mit dem Leben bestraft wurden? Sie wurden mit Leben belohnt.“

Er konnte sich nicht mehr länger zurückhalten und begann zu weinen. Wir haben einen Termin vereinbart und sprachen miteinander zwei Stunden lang. Er änderte seine ganze Weltanschauung, akzeptierte seine Tochter und schloss Frieden mit G-tt.

Viele von uns haben ähnliche Schmerzen. Ich weiß nicht, ob ich jedem genau die Antwort geben kann, die er oder sie braucht, aber eines weiß ich ganz sicher: Jeder hat einen einzigartigen Zweck, für den er erschaffen wurde. Kein Mensch ist verloren, solange noch Leben in seinem Körper ist. Wir sind nie völlig unfähig, Kiddusch Haschem zu machen.

Der Grund dafür ist, dass der ganze Zweck unseres Daseins ist, Kiddusch Haschem zu machen, unabhängig davon, wer wir sind und was wir für Erfahrungen gemacht haben.

Wenn man seinen Zweck kennt, garantiert das nicht, dass das Leben immer rosig ist. Oft zieht es Schwierigkeiten mit sich, aber dies ist gerade der Punkt. Ein leichtes Leben ist nicht unbedingt ein erfolgreiches oder ein gutes Leben. Ein bedeutungsvolles Leben ist ein Leben mit Kiddusch Haschem, ein Leben, in dem eine Person den Mut und die Kraft hat, kurzfristigen, negativ erscheinenden Unannehmlichkeiten zu widerstehen, um Kiddusch Haschem zu machen.

Ob es jetzt ist oder später, ob es offensichtlich ist oder nicht – jede Tat von Kiddusch Haschem durchbricht Zeit und Raum und bewirkt gewaltige Veränderungen im Universum, im Plan und Zweck der Schöpfung.

Fortsetzung folgt ijH.

Zusammengestellt durch Yaakov Astor, Ins Deutsche übersetzt durch David Halonbrenner, überarbeitet durch Rolf Halonbrenner und Clarisse Pifko

Mit ausdrücklicher Erlaubnis des Copyrightinhabers Juefo.com. Das Sefer kann unter info@juefo.com bestellt werden.

  1. Siehe Kapitel 2 und 3.
  2. Jischaja 42,6

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