Erinnerungen von Raw Jitzchak Silber SZ”L
Mit Genehmigung seines Sohnes Raw Benzion Silber schlito
Wir setzten die Publikation der Auszüge aus dem Buch der Erinnerungen von Raw Jitzchak Silber SZ”L fort. Raw Jitzchak Silber ist eine herausragende Gestalt der letzten Generation, dem es nicht nur gelungen ist, während der Sowjetzeit nichts von seiner Einhaltung von Tora und Mitzwot aufzugeben, sondern auch wortwörtlich Tausende Talmidim aufzustellen.
Fortsetzung
Unter einem Dach mit Amalek
Und so kam es, dass das zentrale Zimmer unserer Kommunalka (sowjetische Gemeinschaftswohnung) zum Treffpunkt der Jevsekzija wurde. Sie tummelten sich dort unaufhörlich Samstags und an Feiertagen – man hatte sie wohl nicht zufällig ausgerechnet neben der Familie des Rabbiners untergebracht. Ich kann mich erinnern, wie ich einmal am Erev Schabbat (am Freitagabend) nach Hause kam und in mein Zimmer gehen wollte.
Einer dieser Jiden, hielt mich an, stuppst mir, dem elfjährigen Knäblein, Streichhölzer hin und sagt:
– „Na los, zünd‘ sie an oder ich verklopp‘ dich!“.
Ich zündete sie nicht an, riss mich irgendwie los und rannte weg. Und das alles bei sich zu Hause!
Aus dieser Zeit stammt ein wie durch ein Wunder erhalten gebliebene letzter Brief meines Großvaters Rav Mojsche-Mischl-Schmuel Schapiro an mich, geschrieben im Jahr neunzehnhundertachtundzwanzig (er war es, zu dem ich damals so erfolglos nach Litauen versucht hatte zu reisen). Er schreibt:
„Mein lieber Enkel Izhak-Yosef! Deine Großmutter und ich sind sehr besorgt darüber, dass ihr „in einem kalten Klima“ lebt. Und in all unseren Gebeten, die wir an G-tt richten, bitten wir darum, dass du bleibst a gläubiger Jid, der die Tora und die Mizwot befolgt….“
Der Brief war von Tränen getränkt. Bald darauf verstarb mein Großvater.
Im Jahr neunzehnhundertdreißig wurden alle „nationale Sektionen“ in der Partei einschließlich der Jevsekzija liquidiert. Es waren keine zehn Jahre vergangen, als Stalin anfing auch diejenigen zu vernichten, die ihm so treu gedient hatten. Ich ziehe hier einen Auszug aus dem Buch „Die Flamme wird dich nicht verbrennen“ heran (Jerusalem, 1984, Seite 76-77):
„Der Stammvater des „wissenschaftlichen Kommunismus“ Karl Marx wurde als Sohn jüdischer Eltern geboren, die sich hatten taufen lassen, als er drei Jahre alt war. Diesem falschen Messias war es gelungen, viele von den Menschen zu begeistern, über die sein Weggefährte Engels schrieb: „Ein Jude ist von Natur aus revolutionär. Er wurde nach den Idealen der Propheten erzogen – nach der Idee der Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen“.
Einen bedeutenden Prozentsatz in den kommunistischen Parteien aller Länder dieser Welt machen und machten die Juden aus.
Die Juden waren die Vorhut der russischen Revolution und wurden innerhalb eines halben Jahrhunderts zu den unversöhnbaren Feinden der Religion ihrer Väter. Auf ihnen lastet die Schuld an der massenhaften Assimilation sowjetischer Juden – mit ihren Händen vernichteten Lenin und Stalin unsere überlieferte Kultur; sie waren es, die ihre Brüder, die mit dem Tora- und Hebräischstudium beschäftigt waren, verfolgten…
Wir erinnern uns gut an ihr eigenes Schicksal – das der ehemaligen ZK-Mitglieder, der Mitglieder der Straforgane – an diese Revolutionäre jüdischer Abstammung: sie kamen fast alle in denselben Folterkammern um, wohin sie zuvor ihre Blutsbrüder geschickt hatten, die ihrem G-tt und ihrem Volk treu geblieben waren. Diejenige unter ihnen, die wie durch ein Wunder am Leben geblieben waren, bereuten in der Regel das, was sie angerichtet hatten. Viele machten Tschuwa, nachdem sie wieder in die Freiheit entlassen worden waren und kamen zum Judentum zurück… „Züchtigen wird dich deine Bosheit und deine Abtrünnigkeit wird dich bestrafen und du wirst erkennen und sehen, wie schlecht und bitter es dir dafür ergehen wird, dass du den Ewigen verließest, deinen G-tt, und mich nicht fürchtetest…“ (Jirmijahu 2:19)
Nach den stalinistischen „Säuberungen“ blieben von den jungen Jevsekzija-Aktivisten, die ich kannte, nur zwei am Leben. Und diese beiden wurden dann so liebenswürdig und so leise….
WIR – die «LISCHENZY»
(Anm. des Übersetzers: das in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts eingeführte russische Wort „Lischenez“, abgeleitet vom Verb „lischat“- wegnehmen, beschreibt einen Bürger der Sowjetunion, dem aufgrund seiner Abstammung oder seiner Religion u.a. das Wahlrecht aberkannt wurde).
Ende der Zwanziger Jahre wurden wir aus unserer Wohnung ausquartiert. Papa war Rabbiner und wurde deswegen zum „Lischenez“ erklärt, d.h. ihm wurde das Wahlrecht aberkannt. Und nicht nur das Wahlrecht, wie Sie sehen, sondern auch die Wohnstätte. Ihm und seiner Familie.
Die Kinder der „Lischenzy“ wurden weder in die Hochschule aufgenommen, noch bekamen sie Arbeit. Ich kann mich an eine traurige Geschichte erinnern (ich hatte darüber in einer Zeitung gelesen, als ich später Student war): ein junger Kerl hatte die Universität absolviert und dann stellte sich heraus, dass er einer von den „Lischenzy“ war. Man fragte ihn, warum er denn seine soziale Herkunft verschwiegen hätte und er erklärte, dass er studieren wollte. „Das ist keine Rechtfertigung“,- widersprach man ihm und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe.
Mein Vater wurde als „Lischenez“ zur Zwangsarbeit geschickt, weit außerhalb der Stadt.
Jeden Tag legte er zu Fuß einen mehrstündigen Weg zurück – in beide Richtungen. Vater arbeitete auf dem Feld – eine andere Arbeit stand ihm als einem ehemaligen Rabbiner nicht zu. Am Samstag jedoch blieb mein Vater zu Hause, egal wie man ihm auch gedroht, wie man ihn auch angeschrien hatte. Wir hatten ernsthafte Unannehmlichkeiten zu erwarten. Dann aber wurde mein Vater dennoch wegen seines schlechten Gesundheitszustandes von der Arbeit befreit und, mit der Zeit, dank der Bemühungen seiner Schwester Lea, die in Moskau lebte, wurde auch der „Lischenez“-Status mit der Zeit ganz aufgehoben. Daher kam es auch, dass ich auf die Hochschule gehen konnte.
Als man uns aus der Wohnung rausgeschmissen hatte, quartierten wir uns bei einem privaten Vermieter ein. Er hatte ein kleines Haus und ein kleinen Hof. Er war ein sehr anständiger, gläubiger russischer Mann, ein Christ.
Wir hatten es schwer, freuten uns aber, dass wir ein Dach über dem Kopf hatten. Ich kann mich erinnern, als wir einmal noch nicht ‘mal genug Geld für Brot hatten und meine Mutter irgendwo drei Rubel ausleihen wollte.
Der Vater dachte nach und sagte zu ihr:
Im „Birkat a Mason“ (dem Dankesgebet nach einer Mahlzeit mit Brot) bitten wir ständig: “Lass uns nicht angewiesen sein auf die Gabe von Sterblichen und nicht auf ihre Anleihe…“. Suche ‘mal bei uns zu Hause, vielleicht wirst du etwas finden?
Die Mutter begann zu suchen, fand ein halbes Glas Mehl und noch etwas, sammelte ein paar Grashäcksel, buk ein paar Fladen und wir verlebten friedlich und glücklich drei Tage, ohne bei jemandem etwas ausgeliehen zu haben.
Unsere Wohnung war für damalige Verhältnisse groß – es waren zweieinhalb Zimmer. Ich weiß noch, wie meine Mutter jeden Tag die Hände zum Himmel erhob und sagte: „Lieber G-tt, ich danke Dir dafür, dass wir ein Dach über dem Kopf haben“. Unsere Freude währte jedoch nicht lange: ungefähr im Jahr neunzehnhundertneunundzwanzig hatten wir uns dort eingerichtet, aber im Jahr neunzehnhundertdreißig, eine Woche nach meiner Bar-Mizwa, schmiss man uns wieder auf die Straße.
Bis neunzehnhundertsechsunddreißig hatte die Familie von Rav Izhak den „Lischenzy“-Status inne.
Wir sind auch „Lischenzy“. Neunzehnhundertsechsunddreißig wurde unsere Familie ausquartiert und das Haus wurde feierlich nationalisiert. Wir lebten damals in dem kleinen ukrainischen Städtchen Meshibosh. Mein Vater hatte seinerzeit ein gutes Haus gekauft und nun hatte der lokale Parteichef daran Gefallen gefunden. Den Vater steckte man ins Gefängnis und uns warf man auf die Straße…
Vielleicht, weil Izhak ein „Lischenez“ war, ging er mit vierzehn Jahren arbeiten. Damals galt aber die fünftägige Arbeitswoche: man arbeitete fünf Tage und am sechsten hatte man frei. Daher fiel der freie Tag manchmal auf den Freitag, manchmal auf den Samstag, manchmal auf den Sonntag. Damals wurden sogar die Namen der Wochentage aufgehoben und es gab nur Nummern: der erste, der zweite usw., der sechste jedoch war ein freier Tag. Es war nicht leicht. (aus der Erzählung von Dr. Jakov Zazkis)
Übersetzung M. Vorobiev
Fortsetzung folgt ijH