Pfade zur Erziehung – Ein Bild der Würde

Datum: | Autor: Rav Matityau Salomon | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
würde

Rabbi Matisjohu Salomon ist Maschgiach Ruchani (geistiger Aufseher) der berühmten Jeschiwa „Beth Medrasch Govoha“ in Lakewood, New Jersey. Er ist ein Schüler von Rabbi Elijahu Lopian SZL.

Fortsetzung. Kapitel 5.

Ein Bild der Würde

Ich hielt einst einen Vortrag vor jungen Männern, und einer von ihnen sagte, dass er seinen Vater nie ohne Oberhemd gesehen habe. Die anderen jungen Männer schienen das als grosses Lob zu betrachten. Was mich betrifft, so war ich schockiert. Die Reaktion der jungen Männer deutete darauf hin, dass sie für etwas Bemerkenswertes und Außergewöhnliches hielten, ja dass es für sie eine normale Sache war, dass Kinder ihre Väter in verschiedenen Phasen der Nichtbekleidung sehen. Ich fand das unglaublich. Das soll ein Lob für einen Vater sein? Dass er die Würde hatte, im Haus nicht ohne Hemd herumzugehen?

Die Gemara erzählt in Sotah 36b, dass das Bild des Gesichts von Jakow vor Josef Hazadiks Augen erschien, so dass er sein Verlangen überwinden konnte, bevor er eine schreckliche Awera beging.

Ihm erschien „Demut Dijukno schel Awiw“. Das Bild des Gesichts seines Vaters, den er seit zweiundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte, befähigte ihn, dem Drang der Awera zu widerstehen. In Sefarim finden wir, dass dies eine allgemeine Segula ist. Sollte jemand sich in einer Situation befinden, in der er in Gefahr gerät, eine Awera zu begehen, soll er sich das Bild seines Vaters vor Augen halten, und das wird ihm helfen, den Drang zu überwinden, Awerot zu begehen.

Raw Samson Rafael Hirsch macht dazu eine bemerkenswerte Feststellung. Er sagt, dass das jedem Vater eine gewaltige Verantwortung zuweist. Das verlangt von jedem Vater, sich in so einer Weise zu verhalten, dass sein „Demut Dijukno“, das Bild seines Gesichts, auf seine Kinder einen dauerhaften Eindruck machen wird. Sollten sie je davor stehen, eine Awera zu begehen, muss das Bild des Gesichts ihres Vaters sie davon abhalten können. Sie sollten vor ihrem Vater, der nie solch eine Tat verüben würde und entsetzt wäre, falls er wüsste, dass seine Kinder so etwas tun, mit Scham erfüllt sein.

Das „Bild des Vaters“ fordert aber, dass die Kinder ihn immer „voller Würde“ sehen.

Auch wenn er sich im intimen Umfeld seiner Familie befindet, kann er den Kindern nicht erlauben, ihn in einer Weise zu sehen, die würdelos ist. Im Haus ohne Hemd herumzulaufen, ist sicherlich würdelos. Es reduziert die Wirksamkeit des „Demut Dijukno schel Awiw“ und reduziert damit den Einfluss des Vaters auf das Kind.

Heute herrscht in der Gesellschaft ein „Geist der Gleichheit“, und dieser dehnt sich auch auf das Elternhaus aus. Kinder neigen dazu, ihre Eltern als ihresgleichen zu betrachten. Sie räumen ihren Eltern ein gewisses Maß an Autorität ein, aber sie schauen normalerweise nicht mit Ehrfurcht und Verehrung zu ihnen auf. Wie können also Eltern auf ihre Kinder einen Einfluss haben?

Das ist nicht unser Weg. Wir stellen unsere Eltern auf ein Podest. Wir ehren sie und wir verehren sie.

Wir übergeben den Eltern die Verantwortung für den Chinuch. Wir erwarten von ihnen, einen großen Einfluss auf ihre Kinder zu haben, ihnen Werte zu vermitteln, sie in das Toralernen und in die Beachtung der Mizwot einzuführen. Das alles kann nicht wirksam sein, wenn die Kinder zu ihnen nicht mit absoluter Ehrerbietung aufschauen.

Kinder dürfen ihre Eltern nicht in unwürdiger Bekleidung sehen. Das Schlafzimmer der Eltern sollte für die Kinder verboten sein. Sie sollten die Türe nicht öffnen dürfen, ohne anzuklopfen und die ausdrückliche Erlaubnis zu erhalten, einzutreten, und wenn die Eltern abwesend sind, sollten sie das Schlafzimmer nicht betreten. Bereits das würde viel dazu beitragen, das „Demut Dijukno schel Awiw“ zu erhalten.

Wie wir schon früher besprochen haben, ist es das Ziel von Kawod, den Einfluss zu fördern, weil wir von denjenigen beeinflusst werden, die wir respektieren.

Wie können wir in der heutigen Welt, in der „Respekt“ nicht mehr beachtet wird, wo Gleichheit das Ideal ist, noch erwarten, dass Führer und ältere Menschen einen positiven Einfluss auf die jüngere Generation ausüben? Wir müssen diesem Geist der Lockerheit und Verantwortungslosigkeit entgegenwirken. Wir müssen unsere Kinder erziehen, Eltern und ältere Menschen zu respektieren – und wenn Eltern den Respekt ihrer Kinder wollen, müssen sie sich zu jeder Zeit ehrbar präsentieren.

Respektable Gedanken

Der Chajei Adam (675) schreibt, dass Respekt für Eltern in „Gedanken, Taten und Rede“ vorhanden sein muss. Wir verstehen, dass wir unsere Eltern in Taten und Rede respektieren müssen. Wir müssen sie mit Respekt behandeln und wir müssen respektvoll zu ihnen sprechen. Der Chajei Adam fügt jedoch einen weiteren Aspekt hinzu, der vielleicht nicht so offensichtlich ist. Er sagt, dass wir sie auch in unseren Gedanken respektieren müssen. Wenn ein Kind alles, was von ihm erwartet wird, erfüllt, aber in seinen Gedanken seinen Vater für einen Dummkopf hält, hat er die Mizwa nicht richtig erfüllt. Das ist eine aufschlussreiche Einsicht.

Wenn wir aber darüber nachdenken, dann muss es wirklich so sein. Wenn ein Kind seine Eltern in Gedanken nicht respektiert, ist der ganze Respekt, den es ihnen durch seine Taten und Reden zeigt, eigentlich nichts anderes als eine Täuschung.

Der Ribbono schel Olam klagt (Jeschajahu 29:15): „Weil diese Nation Mir mit ihrem Mund und ihren Lippen nahe kam, aber in ihrem Herzen von Mir weit entfernt war.“ Wenn in den äusserlichen Ausdrücken der Nähe kein „Herz“ vorhanden ist, sind sie nicht bedeutungsvoll. Stellen Sie sich einen König vor, der es genießt, dass seine Untertanen ihm Respekt zeigen, obwohl er weiss, dass sie – während sie sich vor ihm bücken – darüber nachdenken, dass sie den König am liebsten ermorden möchten. Kann sich ein solcher König an diesem Respekt wirklich freuen?

Wenn der Ribbono schel Olam uns also auffordert, unsere Eltern zu ehren, ist es dann denkbar, dass Er nur Taten und Reden meint? Wenn wir darüber nachdenken, realisieren wir, dass der fundamentale Respekt, der von uns erwartet wird, tief in unseren Gedanken verankert sein sollte und dass alle anderen Formen des Respekts aus dem, was wir in unserem Herz fühlen und in unserem Geist denken, fließen müssen – und nicht nur äußerlich sein dürfen.

Der Chajei Adam schreibt zudem, dass der Respekt für Eltern in unseren Gedanken vorhanden sein muss. Wir müssen sie als „die größten und respektiertesten Menschen“ betrachten, auch wenn andere Leute sie nicht so achten.

Ein Kind muss denken, dass seine Eltern spezielle Menschen sind, grosse Menschen sind, Menschen, die eine ausgeprägte Hochschätzung verdienen. Wenn es dann sieht, dass andere nicht dieselbe hohe Meinung von seinen Eltern haben, versteht es, dass dies nur so ist, weil sie seine Eltern nicht wirklich kennen, etwa weil diese nicht alle ihre guten Eigenschaften zeigen, weil sie „private Menschen“ sind. Aber das Kind kennt seine Eltern. Das Kind sieht sie zuhause. Es sieht, wie der Vater und die Mutter sich verhalten.

Es sieht, wie sein Vater seine Frau mit Ehre und Respekt behandelt. Es sieht, wie sein Vater seine Kinder mit Empfindsamkeit und Weisheit erzieht. Es sieht die Liebenswürdigkeit und Güte seines Vaters, und es glaubt mit seinem ganzen Herzen, dass sein Vater so würdig ist wie jeder andere Mann, auch wenn er für seine Tugenden und Eigenschaften keine öffentliche Anerkennung erhält.

Ja, jedes Kind kann seinen Vater in seinen Gedanken respektieren und ihn als einen der „respektiertesten Menschen im Land“ betrachten. Was jedoch, wenn der Vater sich zuhause nicht wie der „respektierteste Mensch im Land“ verhält?

Dies ist daher die Aufgabe des Vaters. Wenn das Kind das richtige „Demut Dijukno“ des Vaters zu Hause sieht, wenn die Hingabe des Vaters zur Tora und zu den Mizwot echt sind, wenn die Middot des Vaters bewundernswert sind, wenn seine Taten und zwischenmenschlichen Beziehungen beispielhaft sind, wenn die Respektabilität seines Vaters einwandfrei ist, dann wird das Kind ihn nicht nur in Taten und Reden respektieren, sondern auch in Gedanken.

Es liegt am Vater, den Respekt seiner Kinder zu gewinnen. Natürlich hängt die Pflicht der Kinder, ihren Vater mit Ehre und Respekt zu behandeln, nicht davon ab, ob der Vater es verdient. Wenn der Vater jedoch will, dass seine Kinder für ihn echten und tiefen Respekt in ihrem Herzen haben, muss er dafür arbeiten. Er darf zuhause kein Tyrann sein und den Respekt als „Recht“ einfordern. Er muss nicht in der Welt draussen glänzen, aber er muss der „Star“ seines Hauses sein. Solange er ehrlich, gewissenhaft und auf die Bedürfnisse seiner Familie konzentriert ist, gibt ihm die Tora alle Unterstützung, um ihn zu befähigen, diese Stellung zu erreichen. Die Tora fordert, dass Kinder ihren Vater mit äußerstem Respekt behandeln, damit das „Demut Dijukno“ ihres Vaters gestärkt wird.

Kinder sind von Natur und Instinkt her bereit, zu ihrem Vater anzuschauen – aber was sie sehen, liegt an ihrem Vater.

Fortsetzung folgt ijH.

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