Pfade zur Erziehung – Aufmerksamkeit und Liebe

Datum: | Autor: Rav Matityau Salomon | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Pfade zum Chinuch Aufmerksamkeit

Rabbi Matisjohu Salomon ist Maschgiach Ruchani (geistiger Aufseher) der berühmten Jeschiwa „Beth Medrasch Govoha“ in Lakewood, New Jersey. Er ist ein Schüler von Rabbi Elijahu Lopian SZL.

Fortsetzung

Kap. 6: Aufmerksamkeit und Liebe

Warum gibt es in unserer Zeit mehr Probleme mit Kindern als in früheren Zeiten? Das ist keine einfache Frage, und die Antworten sind ebenfalls nicht einfach. Das Leben in unserer modernen Zeit ist komplizierter geworden, und komplizierte Zeiten können alle möglichen Komplikationen verursachen. Ich will mich auf einen wichtigen Faktor konzentrieren.

Es scheint mir, dass Eltern nicht mehr genug Zeit für ihre Kinder haben. Das Tempo des modernen Lebens ist schnell. Jeder ist heute beschäftigt. Der Vater ist beschäftigt, die Mutter ist beschäftigt. Und sie sind mit wichtigen Dingen beschäftigt. Aber sie haben einfach nicht mehr genügend Zeit für ihre Kinder. Die Kinder erhalten nicht die Aufmerksamkeit, die sie benötigen, und sie fühlen es. Manchmal empfinden sie sogar, dass ihre Eltern sie in gewissem Sinn als Behinderung in ihrem Leben empfinden.

Ich muss auch die wunderbare Erfindung des Telefons erwähnen. Wenn der Elternteil endlich etwas Zeit für das Kind findet und sie sich zusammen hinsetzen, läutet das Telefon, und aus irgendeinem Grund scheint die Person am Telefon Priorität gegenüber der anderen Person im Zimmer zu haben. Man ist mitten in einem Gespräch mit jemandem, der neben einem sitzt, und das läutende Telefon unterbricht das Gespräch. Man nimmt das Telefon ab, und vergisst die Person, die neben einem sitzt, und beginnt mit der Person am Telefon zu sprechen. Es ist unglaublich!

Und wenn die Person neben einem unser Kind ist, kann man sich die Gefühle vorstellen, die dessen Herz empfindet. Das ist der Grund dafür, dass Kinder oft Telefongespräche stören. Sie nehmen sie instinktiv übel.

Es muss im Haus Regeln bezüglich Telefongespräche während der „Familienzeit“ geben. Es ist besser, das Telefon überhaupt nicht abzunehmen. Aber wenn man das Gefühl hat, dass man es tun muss, sollte man der Person am Telefon sagen, dass man in diesem Moment nicht sprechen kann. Ausser natürlich in einem Notfall. Und die Definition eines Notfalls muss sehr eng gehalten werden, fast wie bei Leben und Tod.

Ein Kind muss das Gefühl haben, dass seine Eltern sich um ihn sorgen, dass sie an ihm interessiert sind, dass es mindestens so wichtig ist wie andere Geschehnisse im Leben seiner Eltern. Wenn es das Gefühl erhält, dass man es auf der Strecke stehen lässt, wird in seinem kleinen Herzen ein Funke des Grolls und sogar des Hasses entstehen, der schwelen kann, bis er ausbricht und unermesslichen Schaden anrichten kann. Er kann Familien zerbrechen. Und das alles, weil nicht genügend Zeit für das Kind vorhanden war.

Es ist etwas Schreckliches, wenn ein Kind meint, dass seine Eltern an ihm nicht interessiert sind, wenn es etwas will, und sie weder die Zeit noch die Geduld haben, ihm zuzuhören. Ein Kind benötigt besondere Pflege und besondere Aufmerksamkeit. Es fühlt sich sicher und beschützt, wenn es weiss, dass die Welt der Eltern sich auf ihn konzentriert. Wenn es dieses Gefühl nicht erhält, ist es auf sich selbst gestellt, und das ist erschreckend. Wenn es also von der Schule zurückkehrt, sollte seine Mutter das, womit sie beschäftigt ist, unterbrechen und es fragen, was es an diesem Tag erlebt hat, wie es den Tag genossen hat, was sie für das Kind tun kann. Gebt dem Kind die Aufmerksamkeit, die es benötigt.

Der Schabbat-Tisch

Man möchte meinen, dass mindestens Schabbat eine Zeit für die Kinder ist. Die ganze Familie versammelt sich um den Schabbat-Tisch. Es gibt viel gutes Essen und eine festliche Atmosphäre. Es gibt keine Störungen oder Ablenkungen. Es sollte ausreichend Zeit geben, um ein gutes Gespräch mit den Kindern zu führen. Man würde denken, dass das für die Kinder eine wunderbare Zeit ist. Aber dies ist nicht unbedingt der Fall.

Heute kommt jedes Kind mit einem Bündel von Fragen von der Schule nach Hause. Der Rebbe oder die Lehrerin sagt, dass das Kind in diesem oder jenem Fach geprüft werden soll, und der Rebbe oder die Lehrerin sagt, dass der Vater das oder jenes mit den Kindern wiederholen soll. Und so wird plötzlich der Schabbat-Tisch zu einer Erweiterung des Klassenzimmers. Und nicht nur des Klassenzimmers, sondern zu einem großen Prüfungsausschuss.

Es geht nicht nur die Chance für eine warme Familienzeit verloren, sondern es kann zu verheerenden Resultaten führen. Ein Kind mag vielleicht weinen, weil es die Antwort nicht wusste, und ein anderes Kind kann schreien, dass es nicht antworten will, und wir haben unsere liebe Mühe mit ihm. Und gleichzeitig steht ein anderes Kind mit seinen sechs Papieren da und ist enttäuscht, dass wir ihm nicht alle Fragen stellen. Das kann alles ziemlich qualvoll sein. Ein Kind sollte G“tt behüte nicht am Schabbat-Tisch in Tränen ausbrechen, weil es sich nicht an eine Antwort auf eine Frage erinnert.

Was geschieht hier? Sollte ein Schabbat-Tisch so aussehen? Soll er die Bühne für einen großen Konkurrenzkampf sein? Ist das guter Chinuch für die Kinder? Ein Schabbat-Tisch sollte für die Familie eine spezielle Zeit sein, eine Zeit, um die Wärme und bedingungslose Liebe der Familie zu geniessen. Eine Zeit, in der man zusammen singt und Diwrei Tora sagt, Geschichten erzählt und Gespräche führt, an der jeder in der einen oder anderen Form teilnimmt. Die Familie ist kein Klassenzimmer.

Ich bin mir bewusst, dass es schwierig wäre, das Erziehungssystem in dieser Hinsicht zu ändern – wenn einmal das „Erziehungsministerium“ die Kontrolle über den Schabbat-Tisch gewonnen hat. Bis sich also das System ändert, würde ich empfehlen, dass man nicht zulassen soll, dass das Klassenzimmer den Schabbat-Tisch übernimmt. Macht etwas, um über die Runden zu kommen. Stellt denjenigen, die gefragt werden wollen, einige Fragen, schaut kurz die Blätter an, und macht weiter mit dem Schabbat.

Der Schabbat-Tisch darf kein Platz der Spannung und Frustration sein. Es sollte ein Platz der Wärme, Freude und Inspiration sein.

Ein sicherer Hafen

Rabbenu Jona spricht in „Iggeret Hateschuwa“ über die Instruktionen des Ribbono schel Olam an Mosche (Schemot 19:3): „So sollst du dem Hause Jaakow (den Frauen) sagen, und zu den Söhnen Israels (den Männern) sprechen.“ Warum sagte der Ribbono schel Olam zu Mosche, er solle zuerst zu den Frauen sprechen? Rabbenu Jona erklärt, dass Er wollte, dass Mosche den Frauen eine „Kurzfassung“ der Tora geben solle, bevor er zu den Männern sprach: „Weil sie diejenigen sind, die ihre Kinder in die Schule schicken und dafür sorgen, dass sie Tora lernen, und sie sind barmherzig (merachamot aleihem), wenn ihre Kinder von der Schule nach Hause kommen. Sie geben ihnen Leckerbissen, damit sie Tora lernen wollen, und sie wachen über sie, damit sie die Tora nicht verlassen. Sie unterrichten sie, wenn sie noch zu jung sind, um sich vor Awerot zu fürchten, wie in Mischlei 22:6 geschrieben steht: „Erziehe das Kind nach seinem Weg; auch wenn er älter wird, wird es sich nicht davon abwenden.“

„Die bescheidenen Frauen“, schliesst Rabbenu Jona, „sie sind diejenigen, die Tora und Furcht  fördern.“ Es sind die Frauen, die am meisten Anerkennung für die Tora und den Chinuch in Klall Jisrael verdienen. Sie führen die Kinder auf den Weg der Tora und Jira, und in Anerkennung ihrer Wichtigkeit begann Matan Tora mit ihnen.

Betrachten wir doch einige der Punkte, die Rabbenu Jona zugunsten der Frauen anspricht, etwas näher. Was bedeutet es, dass die Mütter „ihre Kinder in die Schule schicken“? Sind sie deswegen besser als die Väter, die das Schulgeld bezahlen? Und was bedeutet es, dass die Mütter „barmherzig“ sind, wenn die Kinder von der Schule nach Hause zurückkehren? Warum benötigt ein Kind, das von der Schule heimkommt, Rachmanut?

Rabbenu Jona sagt uns hier aber etwas sehr Wichtiges. Wenn ein Kind von der Schule nach Hause zurückkehrt, ist es ein „Rachmanut-Fall“. Den ganzen Tag wurde es „geschlagen und eingeschüchtert“ und jetzt benötigt es Mitleid und Mitgefühl. Das ist eine so unglaubliche Einsicht, dass ich beinahe sage, dass wir einen Rischon mit Ruach Hakodesch benötigten, um uns das zu enthüllen. Jedes einzelne Kind, das von der Schule nach Hause kommt, muss mit Rachmanut begrüßt werden.

Sogar wenn es ein ausgezeichneter Schüler ist, sogar wenn es gern in die Schule geht und am Morgen gar nicht warten kann, aus dem Haus zu gehen, ist der lange Tag in der Schule für es erschöpfend. Und wenn es nach Hause kommt, muss es mit Mitleid und Verständnis begrüßt werden. Es ist nicht leicht für ein Kind, eine Schulstunde nach der anderen durchzusitzen, auf seinem Platz zu sitzen, die ganze Zeit aufpassen zu müssen, ohne aus dem Fenster hinausschauen und mit offenen Augen träumen zu dürfen. Das ist eine grosse Forderung an jeden, gar nicht zu reden von einem jungen Kind.

Ich sage nicht, dass es nicht in Ordnung wäre, das Kind diesen Prozess durchmachen zu lassen. So müssen wir unsere Kinder in Tora mechanech sein, wie die Gemara in Bawa Basra 21a sagt: „Stopft es in das Kind wie in einen Ochsen.“ Aber am Ende des Tages ist es ein Rachmanut Fall, und wenn es nach Hause kommt, benötigt es eine Verschnaufpause. Es muss vom Druck entlastet werden und sich entspannen. Es benötigt eine Mutter, die es mit einem Glas Milch und einem Biskuit empfängt, die es fragt, ob es sich gut fühlt, ob sie etwas für das Kind tun kann.

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