Sefirat HaOmer – zur Zeit des Tempels – Teil 2 – die Zeddukim

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Zeddukim

Der Besuch bei Rabbi Nachum

Sie trafen den greisen Rabbi Nachum in seinem Garten. Er sass im Schatten eines Feigenbaums und lernte Torah.

«Rabbi, mein Sohn möchte Rabbi Nachum etwas fragen.»

Rabbi Nachum lächelte das Kind ermunternd an. «Ja, Schimon, was möchtest du?»

«Rabbi, warum bringen wir das Getreide-Erstlingsopfer von Tierfutter …. ich meine, ich meine… warum bringen wir dieses Opfer von Gerste, die man hauptsächlich für Tiere . . . . würde ein Edelmann denn ein Geschenk von Tierfutter annehmen?» Schimon brachte vor Aufregung den Satz fast nicht heraus.

Rabbi Nachum schaute Schimon an: «Eine gute Frage! Eine wirklich gute Frage – und du hast ganz allein daran gedacht?»

Schimon errötete, aber er antwortete nicht.

«Schauen wir, vielleicht finden wir zusammen eine Erklärung. Hast du gestern abend Omer gezählt?» Der Knabe nickte. «Die nächsten sieben Wochen wird jetzt Abend für Abend gezählt, wieviel Tage schon seit dem Tag des Omers vergangen sind. Und was ist dann?»

«Dann ist Schawuot»

«Und…?»

«Und…. und…. und dann bringt man im BetHaMikdasch nochmals ein Mincha, ein Speiseopfer…. und es heisst Schtej HaLechem (die zwei Brote) …. weil man es in der Form von zwei Laib Brot bringt». Schimons Vater hatte ihm auf dem Heimweg davon erzählt.

«Gut, gut, mein Junge. Und weisst du, woraus diese Schtej HaLechem am Schawuot bestehen?»

Schimon zögerte, «nein.»

«Dann sag ich’s dir — aus feinem Weizenmehl von der neuen Ernte. Es ist auch ein Erstlingsopfer. So wie wir kein neues Getreide bis nach dem Omeressen dürfen, so darf man kein neues Getreide bis nach den Schtej HaLechem für ein Mincha (Speiseopfer) benützen – ausser dem Omer.» Der letzte Satz war an Schimons Vater gerichtet. «Jetzt sag mir noch was anderes, mein Kind. Am Pessach zogen wir aus Ägypten aus, und wurden zu einem freien Volk. Was geschah am Schawuot?»

«Mattan Torah!», schoss es aus Schimons Mund, «HaSchem gab uns die Torah am Berg Sinai».

Rabbi Nachum nahm seinen Stock in die Hand und zeichnete etwas im Sand.

«Schau Schimon, es gibt riesige Gebäude in Ägypten, die so aussehen.» Er hatte Pyramiden mit seinem Stock gezeichnet. «Vielleicht solche Gebäude mussten unsere Väter in Ägypten bauen. Also hier ist Ägypten», er zeigte auf die Pyramiden, «und hier gehts zum Berg Sinai.» Rabbi Nachum zeichnete einen langen Weg im Sand und einen Berg an dessen Ende. «Hier waren wir am Pessach», er zeigte auf den Anfang des Weges, «und hier am Schawuot» – er zog einen Kreis um den Berg Sinai. «So lagerten die Kinder Israel um Sinai.»

Dann zeichnete Rabbi Nachum eine paar Getreideähren mit langen Grannen am Anfang des Weges.

«Das sind die Gersten, das Tierfutter, das wir am Tag nach dem Auszug opfern. Und das….» er zeichnete dicke Ähren mit kurzen Grannen am Ende des Weges «…. das sind die Weizen, die wir bringen am Tag, an dem uns HaSchem die Torah gab.»

Rabbi Nachum schaute das Kind erwartungsvoll an. «Nu?»

Schimon schluckte.

«Kann man vielleicht sagen, dass nach dem Auszug aus Ägypten in HaSchems Augen Gerste das richtige Futter für uns war? Und erst nachdem wir die Torah am Berg Sinai erhielten, wurde unser Essen zu Weizen? Erst dann waren wir wirklich Menschen in Seinen Augen?» Schimon schaute Rabbi Nachum fragend an.

«Bravo! Du hast die Antwort zu deiner Frage selbst gegeben.»

«Nach der Befreiung aus Ägypten lebten die Kinder Israel noch mit Sklavenvorstellungen: Arbeiten zum Essen und Essen zum Arbeiten – und Essen und andere Genüsse als Lebensinhalt! – nicht viel anders als ein gerstenfressender Ochse oder Pferd. Die Torah befiehlt uns entsprechend, „unsere“ Gerste als Mincha zu bringen. Erst ein geistiger Lebensinhalt macht uns zu Menschen. Diesen geistigen Inhalt fanden wir am Berg Sinai. HaSchem in Seiner grossen Güte hat uns in der heiligen Torah mitgeteilt, wie wir leben sollen. Erst so werden wir des Weizens würdig, erst so werden wir des Attributs Mensch würdig. Am Schawuot wird dein Vater dir sicher über die Bedeutung der Geschehnisse damals am Berg Sinai erzählen,» Rabbi Nachum schaute zu Schimons Vater, «sie waren und sind immer noch die wichtigsten Ereignisse in der ganzen Weltgeschichte!»

«Was du gesagt hast, stimmt», fuhr Rabbi Nachum fort, «Für eine Mitzwa darf man nichts Minderwertiges benützen, im Gegenteil, man sollte bestrebt sein, nur das Beste zu nehmen. Aber wie gesagt, hier will die Torah uns mit dem Gerstenopfer eine besondere Lehre beibringen.» Rabbi Nachum strahlte Schimon und seinen Vater an. «Mögest Du zu einem wahren Talmid Chacham heranwachsen und mögen deine lieben Eltern und wir alle immer nur Freude an dir haben!»

«Omejn» antworten Schimon und sein Vater. Sie dankten Rabbi Nachum und nahmen Abschied. Rabbi Nachum kehrte zu seinen Studien zurück.

Schimon und sein Vater machten sich auf den Weg nach Hause. Der Vater sagte, dass Schimon sich als Belohnung für eine so gute Frage und für seine Antwort etwas wünschen dürfe.

Eine Frage, die Schimon nicht stellte, wird im Talmud behandelt.

Was war der Zweck der dreifachen Fragen und Antworten: „Ist das eine Sichel?… Ist das ein Korb? …. Soll ich schneiden? … „?

Zur Zeit des 2. Tempels lebte in Jeruschalajim ein gewisser Gelehrter namens Zaddok. Dieser nahm verschiedene „moderne“ Ideen und das Gedankengut der götzendienenden Griechen an, der damaligen Herrscher des nahen Ostens, die im krassen Widerspruch zum Judentum standen. Insbesondere nahm er die Ansicht an, dass HaSchem den Menschen für gute Taten nicht belohne und für böse nicht bestrafe. Es sei in Wirklichkeit ganz belanglos, was ein Mensch während seines Lebens tue. Diese Meinung steht in völligem Widerspruch zur Lehre des Judentums:

Das Leben ist nicht sinnlos; man wird für seine Taten in dieser und in der nächsten Welt belohnt (und bestraft).

Eine ganze Gruppe von oberflächlichen Menschen sammelte sich um Zaddok; die freuten sich, einen so fortschrittlichen „Lehrer“ zu haben, welcher „moderne“ Ansichten vertrat. Für sie waren demzufolge die Mitzwot von Torat HaSchem nur noch hohle Zeremonien, nur noch Folklore, denn sowieso sei alles egal. Man nannte sie ‚die Zeddukim‘, die Anhänger Zaddoks. Viele Reiche gehörten ihren Reihen an, und sie konnten erheblichen politischen Druck ausüben.

Viele unter ihnen hätten am liebsten das ganze Judentum fallen lassen. Politisch wäre aber so etwas nicht tragbar gewesen – niemand hätte mehr auf sie geschaut. Die Zeddukim hielten sich an ein Minimum jüdischer Gebräuche. Sie hüteten nur, was schriftlich explizit im Text der Torah stand, und nur so, wie sie es gerade verstanden. Alle mündliche Überlieferung und Tradition ignorierten sie, obwohl man die Absicht eines alten Texts ohne überlieferte Erklärung unmöglich richtig verstehen kann.

Und so kam es zu einem Streit um das Datum von Schawuot. Die Zeddukim wollten die folgende Neuerung durchsetzen: Man schneide und bringe das Omer immer erst am Sonntag nach Pessach. Dadurch falle dann automatisch Schawuot auf Sonntag.

Im Talmud wird erzählt, dass Rabbi Jochanan ben Sakai die Zeddukim-„Rabbiner“ für den Grund ihrer Auslegung fragte.

Sie konnten nicht antworten, ausser einem einzigen von ihnen, der als Grund die Liebe Moses zum jüdischen Volk als Grund angab. Moses hätte sicher dem Volk zwei aufeinanderfolgende Ruhetage gegönnt (Schabbat und Schawuot am Sonntag).

Der Zweck der Versammlung der Menschen, der Fragen und Antworten beim Schneiden des Omer war, die Tradition zu sichern – man schneidet das Omer immer am 16. Nissan, am Tag nach Pessach. Gegen diese öffentlich abgehaltene, bewusst erlebte Handlung des grossen Bet Din Jeruschalajim konnte die Propaganda und der Druck der Zeddukim nicht aufkommen.

Mit der Zerstörung des zweiten Tempels durch die Römer und den Untergang des jüdischen Staates verschwanden die Zeddukim von der Bühne der Geschichte. Man weiss nicht, wieviele den Weg zurück in den Schoss des Judentums fanden und wieviele sich den neuen Gegebenheiten anpassten und nun zur Musik Roms tanzten.

Fortsetzung folgt.

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