Siebzig Jahre Galut Bawel – 7 – Das Versprechen

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Versprechen

7. Kapitel (3388 – 3393): Das Versprechen

Als Darjawesch, der König von Medien, zusammen mit seinem Schwiegersohn Koresch Bawel eroberte, hatte er sich über den Untergang von Bawel und dessen Herrscher Belschazar gewundert. Dass Belschazar in die Hand seiner eigenen Wächter fiel, sah Darjawesch als Bestrafung von Hkb“H, weil Belschazar die heiligen Geräte des Bet Hamikdasch benützt hatte (siehe 5. Kapitel). Daher gelobte Darjawesch, dass er, wenn er über Bawel regieren wird, den Befehl erlassen werde, das Bet Hamikdasch wieder aufzubauen und die heiligen Geräte dorthin zurückzubringen. Doch später vergaß er sein Versprechen.

Als Daniel seine Stellung bei Darjawesch verließ (siehe Ende 6. Kapitel), stellte er an seiner Stelle den frommen Serubawel ben Schealtiel, einen Nachkommen von Dawid Hamelech, ein. (Serubawel war der Neffe oder Enkel von Schealtiel).

Der König war gewohnt, jeden Tag nach dem Mittagessen zu schlafen, und ließ sich von seinen zwei höchsten Fürsten und von Serubawel bewachen. Eines Tages, als der König seinen gewohnten Mittagschlaf hielt, war er vom schweren Wein, den er beim Essen genossen hatte, betrunken und schlief fest. Seine Fürsten, die neben dem Bett standen, waren schon müde vom langen Stehen. Da sagte einer zum anderen: „Lass uns doch die Zeit ein wenig mit Rätselraten vertreiben. Jeder soll ein Rätsel auf ein Blatt schreiben, und wir werden alle drei Blätter unter das Kissen des Königs schieben. Wenn dieser aufwacht, so wird er die drei Rätsel sehen und lesen. Das Rätsel, das dem König am besten gefallen wird, hat gewonnen, und sein Verfasser wird zum Vizekönig ernannt. Alle drei erklärten sich damit einverstanden und schworen, dass es auch so gemacht wird, als ob es ein Gesetz des Landes ist, das nie aufgelöst werden kann. Sogleich bestimmten sie mit einem Los, wer von ihnen das erste Rätsel schreiben wird. Sein Rätsel lautete: „Es gibt nichts Stärkeres auf der Welt als den König.“ Der zweite Fürst schrieb: „Es gibt nichts Stärkeres auf der Welt als den Wein.“ Das Rätsel des dritten hieß: „Es gibt nichts Stärkeres auf der Welt als eine Frau.“ Danach schoben sie alle drei Rätsel unter das Kissen des Königs.

Als der König aufwachte, fand er die drei Rätsel und ließ alle seine Fürsten zu sich kommen.

Dann befahl er den drei Fürsten, welche die Rätsel schrieben, dass sie deren Bedeutungen erklären sollen. „Dem Fürst, dessen Rätsel mir am besten gefällt, werde ich alle Wünsche erfüllen!“

Der erste begann sein Rätsel zu erklären: „Es gibt nichts Stärkeres als den König auf der Welt. Denn seine Befehle werden überall, auf dem Land, auf dem Meer und den Inseln befolgt. Der König bestimmt über Tod und Leben, er baut und zerstört, und alle zittern vor ihm. Seine Worte gehen nie leer aus, und sein Schwert kehrt nicht ohne Tat in die Scheide zurück.“

Das zweite Rätsel bedeutete: „Es gibt nichts Stärkeres auf der Welt als den Wein. Denn obwohl der König sehr stark ist, wird er vom Wein besiegt. Trinkt der König vom Wein und wird betrunken, so entfernt er die, die ihm nahestehen und lässt jene näher kommen, die weit von ihm stehen. Er tötet seine Freunde und liebt seine Feinde. Alle seine Taten sind dann ohne Verstand und Wissen, und sein Mund redet nicht so, wie man es von ihm gewohnt ist. Schwindet seine Berauschung und der König ist wieder nüchtern, so hat er alle seine Taten bereits wieder vergessen und benimmt sich so, als ob nichts geschehen ist.“

Danach sprach Serubawel und erklärte die Bedeutung des dritten Rätsels: „Es gibt nichts Stärkeres auf der Welt als eine Frau. Obwohl der König der Stärkste auf der Welt ist und der Wein noch stärker ist als er, werden sie alle von der Frau besiegt. Ist der König betrunken, so kann ihn eine Frau betören, sodass er ihr alles gibt und für sie macht, was sie verlangt. Er verzichtet auf die Freundschaft, die er zu seinen Freunden hegt und hört nicht mehr auf die Ratschläge seiner Ratgeber und Fürsten. Selbst der einfache Mann arbeitet sein ganzes Leben lang für seine Frau, um sie zu ernähren und damit sie sich schön kleiden und schmücken kann. Sie kann das Leben eines Mannes erfreuen oder zerstören. Ist nicht bereits der erste Mensch der Welt, Adam Harischon, durch die Frau zur Sünde verleitet, der stärkste Mensch der Erde, Schimschon Hagibor, durch eine Frau verraten, und sind nicht selbst große Zadikim wegen ihren Frauen irregeleitet worden?!“

Niemand hatte etwas gegen Serubawels Behauptung einzuwenden. Alle waren sich einig, dass er recht hatte, und er wurde zum Vizekönig ernannt.

Als der König Darjawesch ihn nach seinem Wunsch fragte, erwiderte Serubawel: „Mein Herr, der König, erinnerst du dich an dein Versprechen, das Bet Hamikdasch wieder aufzubauen und die heiligen Geräte zurückzubringen? Ich bitte dich nur, dein Versprechen zu erfüllen!“

Sofort ließ Darjawesch seinen Schwiegersohn Koresch zu sich rufen, und sie begannen den Aufbau des Bet Hamikdasch zu planen. Doch Darjawesch starb bald darauf in einem Krieg, nachdem er nur ein Jahr auf seinem Thron über Bawel regiert hatte. Dies war im Jahr 3389. Als Koresch König wurde, gelangten die Jehudim von der Herrschaft der Meder (Modai) unter die Herrschaft der Perser (Poras). Die zwei nebeneinanderliegenden Länder wurden ein vereintes Königreich. Die Perser waren nach den Kasdäern bereits die dritte Herrschermacht über die Jehudim im Golus Bawel.

Als sich der Perserkönig Koresch auf den Thron von Bawel, Poras und Modai setzte, setzte er das Verlangen seines Schwiegervaters emsig fort.

Er schrieb einen Brief an alle seine Untertanen, in dem er folgendes befahl: „Ich bin von G-tt auserwählt worden, ein Haus für Ihn in Jeruschalajim aufzubauen. (Der Prophet Jeschajahu hatte dies bereits in einer Newua vorausgesagt). So befehle ich, dass jedermann den Jehudim beim Bau des Bet Hamikdasch behilflich sein soll. Wer die Möglichkeit besitzt, nach Jeruschalajim zu gehen und ihnen beim Bau zu helfen, soll dies tun, und die anderen sollen alles Nötige zum Bau, wie Gold, Silber, Steine und Holz spenden. Niemand wage es, sie beim Bau zu stören!“

42’360 Jehudim kehrten unter der Führung von Serubawel, den der König als ihren Fürst ernannt hatte, mit Freude aus dem Golus Bawel nach Jeruschalajim zurück.

Ausserdem gingen mit ihm Jehoschua ben Jehozodok, Nechemja, Mordechai und die Propheten Chagai, Secharja und Mal’achi und andere Persönlichkeiten. Sie wurden von 200 Sängern begleitet, welche die schwerbepackten Auswanderer mit fröhlichen Liedern unterhielten. Außerdem brachten sie 7337 Knechte und Mägde und viel Vieh mit. Koresch gab die 5400 goldenen und silbernen Geräte des Bet Hamikdasch an Scheschbazar (nach manchen Meinungen wurde Serubawel in der kasdischen Sprache so genannt, nach anderen ist dies Daniel), der sie nach Jeruschalajim zurückbrachte. 60’000 Arbeiter begannen mit dem Bau des Bet Hamikdasch und wurden vom König selbst bezahlt. Dafür benötigte er jedoch ein riesiges Vermögen, das er von Hkb“H erhielt.

Newuchadnezar, der alles Gold und Silber von Jeruschalajim und vom Bet Hamikdasch geraubt hatte, besaß ein gewaltiges Vermögen. Er wollte es jedoch nicht seinem Sohn Ewil Merodach‚ überlassen, weil dieser nicht mit Geld umgehen konnte. Daher ließ er vor seinem Tod riesige Schiffe aus Kupfer bauen und belud sie mit seinem Gold und Silber. Danach ließ er eine große Grube im Fluss פרת (Eufrat), der durch Bawel fließt, ausheben, in die er seine Schiffe versenkte und begrub. Als Belohnung für gewaltige Leistung von Koresch, brachte ihn Hkb“H auf den Gedanken, im Fluss פרת nach dem Vermögen von Newuchadnezar zu suchen, das er auch schließlich fand.

Die Jehudim, die mit Serubawel nach Jeruschalajim zurückkehrten, kamen dort nach einer fünfmonatigen, mühevollen Reise an. Welch trauriger Anblick erwartete sie! Das Land lag in Trümmern und war verödet.

Kurz darauf versammelten sich alle Jehudim am Rosch Haschana in Jeruschalajim und bauten einen Misbeach[1] am alten Ort auf dem Har Habajit[2] auf (3390).

Durch die נביאים Chagai, Secharjo und Malochi wussten sie den genauen Standort und die Grösse des Misbeach. Auf einem provisorischen Misbeach brachte Jehoschua, der Kohen gadol, wieder die ständigen Opfer[3] dar. Sechs Monate dauerten die Vorbereitungen für den Bau des Bet Hamikdasch. Die Jehudim zahlten Geld für die Steinhauer, damit sie riesige Steine aus Felsen schlugen. Viele Fachleute aus צר und צידון wurden mit Essen und Öl dafür bezahlt, damit sie Holz aus den Wäldern (Libanon) über das Meer nach Erez Jisrael verschifften. Ein halbes Jahr später, im Monat Ijar, wurde dann in großer Feierlichkeit das Fundament des zweiten Bet Hamikdasch gelegt. Die Kohanim waren festlich gekleidet und bliesen auf Trompeten, die Lewijim spielten mit ihren Musikinstrumenten und sangen Loblieder für Hkb“H. Während die Jungen der versammelten Jehudim Jubel und Freudenschreie ausstießen, begannen die Alten zu weinen. Denn das erste Bet Hamikdasch, war ein großer und herrlicher Bau gewesen und seine Fundamente waren demgemäß aus sehr großen Steinen gemacht worden. Das Fundament des zweiten Bet Hamikdasch jedoch war aus kleineren Steinen. Daraus war erkennbar, dass dieses Bet Hamikdasch viel kleiner und nicht so prächtig wie das Erste sein wird und deswegen begannen die Alten beim Anblick des kleinen Fundaments zu weinen. Außerdem wussten sie, dass die Schechina[4] nicht in diesem Bet Hamikdasch ruhen wird, so wie beim Ersten. Ihr Weinen übertönte die Begeisterung der Jungen.

Weshalb waren aber nur so wenige Jehudim nach Erez Jisrael zurückgekehrt?

Die Jehudim, die in Bawel einen kleinen Besitz erworben hatten, wollten diesen nicht verlassen. Sie befürchteten, ihre Familie in Erez Jisrael, das gänzlich verödet war, nicht ernähren zu können. Auch lebte man dort ständig in Furcht vor den Völkern ringsherum. Außerdem blieben viele Jehudim, so wie Esra Hasofer‚ in Bawel, weil sie dort ihre Rebbes und חברותות zum Toralernen hatten. Sie befürchteten, dass sie dies in Erez Jisrael, wenigstens in‚ den ersten Jahren des Aufbaus, nicht haben werden. Sie sagten auch, dass diese Rückkehr nach Erez Jisrael sowieso nicht die endgültige Erlösung, sondern nur eine provisorische sei, und zogen es vor, gleich im Galut zu bleiben.

Trotz der Hilfe von Koresch waren die Mittel der Jehudim in Erez Jisrael nur sehr gering, und sie litten unter Geldmangel. Deshalb begannen sie, ihre Familien nur mit Früchten und Gemüse zu ernähren, um Geld für den Bau und die Opfer des Bet Hamikdasch zu sparen.

Mitten in ihrem eifrigen Wiederaufbau wurden die Jehudim jedoch gestört. In Erez Jisrael wohnte seit der Vertreibung von Jisrael ins Galut Bawel ein fremdes Volk, das כותים (Kutäer) nach ihrem Ursprungsland „Kuta“ genannt wurde. Man nannte die Kutim auch שומרונים (Samaritaner), weil sie in der Gegend von Schomron (Samaria) in Erez Jisrael wohnten. Sancheriw, der König von Aschur, hatte die 10 Stämme von Jisrael in ferne Länder vertrieben (noch bevor die Stämme von Jehuda und Binjamin durch Newuchadnezar ins Golus Bawel vertrieben wurden). Sein Nachfolger „Schalmanesser“ vertrieb auch die Jehudim aus שומרון, dem oberen Teil des Landes. Dort siedelte er dann die Kutim an. Diese wurden an ihrem neuen Wohnort von wilden Tieren bedroht und traten daher zum Judentum über. Sie meinten es aber nicht ernst und dienten weiterhin Götzen.

Die Kutim verlangten, dass man auch sie am Bau des Bet Hamikdasch beteiligen lasse. In Wirklichkeit aber wollten sie den Bau verhindern! Da aber Serubawel ihre Absicht erkannte, ließ er sie nicht mitmachen. So bestachen sie die Fürsten von Koresch mit Geld, dass sie den König überreden sollen, den Bau des Bet Hamikdasch zu verhindern.

Eines Tages ging Koresch in seinem Land spazieren und fand es leer und verlassen vor. „Weshalb sind viele Orte verlassen und verkommen? Wo sind die vielen Arbeiter und die guten Gold und Silberschmiede hingegangen?“ fragte Koresch seine Fürsten. „Du hast doch befohlen, dass alle Jehudim nach Jeruschalajim auswandern sollen. Viele von ihnen waren unsere Gold und Silberschmiede und jetzt bauen sie das Bet Hamikdasch!“ antworteten sie. Da ärgerte sich Koresch und vergaß sein Versprechen und befahl: „Wer bereits den Fluss פרת (um nach Jeruschalajim zu gehen) überschritten hat, kann dort bleiben, wer nicht, der bleibt hier!“

So wurde die Rückkehr nach Jeruschalajim unterbrochen, und die weitere Hilfe für den Bau des Bet Hamikdasch unterblieb.

Der Grund dieses Unterbruchs war, dass die von Jirmijahu Hanawi vorausgesagte Zeitspanne von 70 Jahren, die das Galut Bawel dauern sollte, noch nicht verstrichen war. Seit der Zerstörung des ersten Bet Hamikdasch durch Newuchadnezar im Jahre 3338 waren erst 52 Jahre vorbeigegangen. Es fehlten daher noch 18 Jahre bis zum Ende des Galut Bawel.

Koresch jedoch, der sein Versprechen nicht erfüllte, wurde bald darauf nach einer Regierungszeit von dreieinhalb Jahren im Krieg getötet (3392).

Sein Sohn „Artachschasto“, der Kambyses genannt wurde, regierte ein halbes Jahr. Auch er verhinderte den Weiterbau des Bet Hamikdasch. Nach ihm bestieg Achaschwerosch, sein Sohn und ein Enkel von Koresch, den Thron über Persien und Medien (3393).

Fortsetzung folgt ijH.


Mit freundlicher Genehmigung des Verlegers Hr. S. Beck (Zürich). Bestellungen des Buches «70 Galut Bawel» unter +41 44 241 43 89.

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