„וְאַבְרָהָם זָקֵן בָּא בַּיָּמִים וה‘ בֵּרַךְ אֶת אַבְרָהָם בַּכֹּל – Awraham wurde alt und kam in die Tage, und Haschem benschte [segnete] ihn mit allem“ (24,1)
Chasal berichten, dass Jizchak Awinu mit seinem Vater Awraham verwechselt wurde, weil sie genau die gleichen Gesichtszüge besaßen, obwohl Awraham Awinu 100 Jahre älter als Jizchak war! Es gab damals noch keine klar ersichtlichen Anzeichens des Alterns wie etwa weisse Haare. Erst als Awraham Haschem um Erbarmen bat, kam die זקנה (Alterserscheinung) auf die Welt und Awrahams Haare wurden plötzlich weiss[1].
Dies lernen Chasal aus dem zitierten Passuk:
„Awraham wurde alt und kam in die Tage“, wenn er in die Tage kam, so war er doch auch „alt“. Weshalb dann dieser doppelte Ausdruck? Damit möchte uns die Torah darauf aufmerksam machen, dass sich bei Awraham Awinu, anders als bei allen anderen Menschen zuvor, das “in die Tage kommen” auch durch gewisse äußerliche Anzeichen erkennbar wurde.
Der Maharsch”o wundert sich jedoch, weshalb dies Chasal gerade aus diesem Passuk lernen. Schließlich wird das Wort זקן (alt) bereits einige Male zuvor in der Torah erwähnt (Bereschit 18,11-12): „Awraham und Sara waren alt“? „Wir sehen daraus”, erklärt er, „dass es ‘alt werden’ bereits früher gab, es bisher aber niemanden gestört hatte, wenn alte Leute keine äußerlichen Zeichen ihres Alters aufwiesen. Awraham hingegen, der genau gleich wie sein Sohn aussah und wahrscheinlich unangenehme Verwechslungen erleben musste, die für die Betroffenen wiederum zu peinliche Momente führte, empfand dies als ernsthaftes Problem”[2].
Vielleicht machte er auch die Beobachtung, dass die Leute den Alten gegenüber nicht den gebührenden Respekt und Ehre erwiesen die ihnen zustand, oder ihnen nicht die nötige Hilfe zukommen ließen, weil sie nicht erkannten, wer alt und wer jung war.
Deshalb bat – der immer um das Wohl anderer besorgter Awraham Awinu – Haschem um Erbarmen, dieses Problem zu lösen.
Somit wird die etwas erstaunliche Erklärung Raschis verständlich, der das Ende des Passuk „und Haschem benschte Awraham בכל – mit allem“ so erklärt: „Haschem benschte Awraham mit einem Sohn – das Wort „baKol“ besitzt den gleichen Zahlenwert wie בן (Sohn) – und deshalb musste er eine Frau für ihn suchen“.
Raschi versteht den Hinweis, dass Awraham „Alles“ besass, als Einleitung für die nachstehenden Ereignisse, wie Elieser entsandt wurde, um eine Frau für Jizchak zu suchen. Folglich deutet er dieses „baKol“ als den Besitz eines Sohnes.
Dennoch ist diese Information eigentlich unnötig, da wir dies bereits aus den früheren Geschehnissen wissen. Weshalb informiert uns dann die Torah an dieser Stelle darüber, dass Hkb“H den Awraham mit einem Sohn benschte? Und weshalb auf solch umständliche Weise in Form einer ‘Gimatria’ (Zahlenwert)?
Warum schreibt sie nicht ausdrücklich: „Haschem benschte Awraham mit einem Sohn“?
„Deswegen” sagte der Sadigerer Rebbe sZl., „muss diese Information als Fortsetzung und Folge des „Altwerdens“ von Awraham verstanden werden. Die Torah möchte uns in kurzen Worten verschiedene zusammenhängende Informationen mitteilen: G’tt benschte den Awraham mit allem, sogar damit, dass Er ihm zuliebe die betagten Leute „alt“ aussehen ließ. Dadurch wurde endlich erkennbar, dass er einen Sohn besaß, den Jizchak, der bisher immer mit Awraham verwechselt worden ist!”[3]
Dieser Aspekt dürfte zum Nachdenken anregen: G’tt hatte nicht nur Awrahams Bitte erhört und sein “privates” Problem gelöst, sondern ließ diese äußerlichen Alterserscheinungen für immer in die Natur einfließen. Wenn dies tatsächlich so wichtig für die gesamte Menschheit war, weshalb hatte Er dies dann nicht gleich bei der Erschaffung von Adam haRischon, des ersten Menschen, so bestimmt?
Es scheint, als ob diese Änderung mit dem „gleichen Aussehen“ von Awraham und Jizchak zusammenhängt, und dass dieses Ereignis ein aussergewöhnliches war. Bisher ist anscheinend die vorgekommen, dass Vater und Sohn die genau gleichen Gesichtszüge aufwiesen!
So sagen Chasal im Midrasch:
„Als Sarah Imenu schwanger wurde, begannen die Völker der Erde Sarah zu verleumden und behaupteten: „Wie ist es möglich, dass dem 100jährigen Awraham ein Kind geboren wird? Das Kind stammt sicher von Awimelech oder dem Paraoh!“ Dies ging soweit, dass selbst Awraham Zweifel hegte. Deshalb befahl Hkb“H dem Mal’ach, der für das Kindererzeugen verantwortlich ist: „Mache die Gesichtszüge des Kindes ganz wie die seines Vaters, damit alle bezeugen müssen, dass Jizchak der Sohn von Awraham ist“[4].
Das Hkb“H dies ausdrücklich vom Mal’ach verlangen musste, lehrt uns, dass dies bisher nicht üblich war. Folglich haben sich wegen Awraham Awinu zwei Dinge auf der Welt – genauer gesagt, in der Natur des Menschen – geändert: Kinder gleichen ihren Eltern, und alte Menschen sieht man ihr Alter nun an.
Welchen Vorteil brachten diese Änderungen für die Menschheit, und weshalb gab es diese nicht schon früher?
Dies könnte vielleicht folgendermaßen erklärt werden: In den “Hilchot Sanhedrin” finden wir, dass ein (sehr) alter Mann vom Kollegium des aus 71 Dajanim bestehenden „grossen Sanhedrin” disqualifiziert ist, über eine Hinrichtung zu entscheiden, da „ein alter Mann, der schon lange keine Kinder erzieht, nicht mehr genügend Erbarmen besitzt und und daher den Angeklagten nicht genügend verteidigen würde (‘melamed Sechut’)!“[5]
Es ist also eine natürliche, menschliche Entwicklung, dass der Mensch eher härter und intoleranter wird, je älter er wird. Diese Entwicklung hat sicher seine Vorteile, denn ohne diese im Laufe des Lebens erworbene Härte, könnte der Mensch sich nicht in einer gemeinen, bösartigen und zerstörerischen Umwelt behaupten. Die Erfahrungen, die der Mensch während des Älterwerdens sammelt, stärken und härten ihn ab, da er nur so seine altersbedingten Gebrechen und Schwächen meistern kann. Dennoch kann, wie erwähnt, diese Härte manchmal zum Nachteil sein, wenn er dadurch gehindert wird, eine gewisse Toleranz und Nachsicht gegenüber seinen Mitmenschen zu zeigen.
Um den älter werdenden Menschen an die von ihm verlangte Milde zu erinnern, wird sein Haar weiss:
Die weisse Farbe weist bekanntlich auf die „Midat haRachamim“ hin. [Auf diese Weise begründet Rabbi Jedidja Tia Weil sZl. der Raw von Karlsruhe unter anderem, weshalb man sich am Jom Kippur, am Tag des Gerichts, in weisse Gewänder kleidet[6]. – Auch am Schabbat pflegte man einst weiße Kleider anzuziehen].
Die weisse Farbe ist ein himmlisches Zeichen, dass sich die älter werdende Generation intensiver mit der Ausübung von „Chessed und Rachamim“ beschäftigen soll, um dadurch ihre langsam schwindende Weichheit auszugleichen. Dies kann durch Hilfeleistung an andere Bedürftige oder durch die Unterstützung der jüngeren Generation erreicht werden.
Am wichtigsten ist diese Hilfeleistung durch Rat und Tat gegenüber der eigenen Familie. Um auch im fortgeschrittenen Alter Mitleid mit seiner Familie zu fühlen, ließ Hkb“H die Kinder wie die Eltern aussehen. So sehen die Eltern in den Kindern sich selbst, ihr Ebenbild, und dies erweckt alte Erinnerungen und ganz spezielle Gefühle in ihnen. Sie erinnern sich, wie sie sich selber in deren Situationen befanden und auf die Hilfe anderer angewiesen waren!
Dies ist auch einer der Gründe, weshalb G’tt den Menschen sozusagen „בצלמו – in Seinem Ebenbild“ geschaffen hat:
Damit Er sich des Menschen erbarmt, der Sein Werk ist, wenn Er das „Zelem Elokim“ des Menschen erblickt.
Aber dieses Erbarmen hatte bisher keinen Sinn, da die Menschheit bis zur Zeit von Awraham Awinu völlig verkommen und der g’ttlichen Gnade überhaupt nicht würdig war. Deshalb zerstörte Hkb“H die Welt durch die ‘Mabul’ (Sintflut), und hätte dies ohne Sein Versprechen an Noach, ohne Awraham Awinu und der Existenz des Klall Jisrael immer wieder getan. Erst durch Awraham hatte die Welt einen Sinn erhalten, deshalb schenkte Hkb“H der Menschheit „Erbarmen“ in Form dieser zwei Änderungen, dass Kinder ihren Eltern gleichen, und die alten Menschen sichtbar alt werden.
- Baba Mezia 87a ↑
- Maharsch”o zur Stelle ↑
- Knesset Mordechai (-Sadigura, P. Chaja Sara 5727) ↑
- Midrasch Tanchuma Anfang Parschat Toldot ↑
- Sanhedrin 36b mit Raschi, und Rambam Hilchot Sanhedrin 2,3 ↑
-
Lewusche Badim (Einleitung) Draschot zu „Kol Nidre“, Jerus. 5748 ↑