Sefirat HaOmer – zur Zeit des Tempels – Teil 3 – die Zeddukim

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Zeddukim

Was war der Zweck der dreifachen Fragen und Antworten beim Schneiden der Gerste für das Omer: „Ist das eine Sichel?… Ist das ein Korb? …. Soll ich schneiden? … „? Um diese Frage richtig zu beantworten, ist ein kleiner Exkurs in die jüdische Geschichte notwendig, genauer gesagt in die nicht sehr ruhmreiche Geschichte der Zeddukim.

Wer waren die Zeddukim?

Die Zeddukim [Saduzäer] bildeten eine politisch mächtige Gruppierung im jüdischen Königreich zur Zeit des 2. Tempels. Sie leugneten verschiedene Grundprinizipien des überlieferten Judentums ab. Wie entstanden die Zeddukim?

Es war zur Zeit der griechischen Hegemonie im vorderen Orient vor ca. 2300 Jahren. Nach dem Tod Alexanders des Grossen zerfiel das Griechenreich in vier Teile: der jüdische Staat geriet erst unter griechisch-ägyptische und dann unter griechisch-syrische Hegemonie (Vorgeschichte von Chanuka!). In dieser trüben Zeit erhob sich eine geld- und machtgierige Clique in Jerusalem. Ihre Machenschaften brachten zur Besetzung Jerusalems durch die Ägypter und Syrier. Unter dem Schutzmantel dieser Besetzungsmächte erreichten die begeisterten Quislinge bald ihre Ziele – Reichtum und Macht. Wie zu erwarten war, verliessen sie jetzt auch öffentlich das „veraltete“ Judentum und propagierten den „progressiven“ Lebenstil und Götzendienst der Griechen. Leider fanden sie in Jerusalem viele Anhänger für ihren Typ des „neuen Juden“. Diese hiessen die Mitjawnim oder Hellenisten.

Unter dem Syrerkönig Antiochas wurden Milah, Schabbat und andere Gebote der Tora unter Todesstrafe verboten, was zum Aufstand der Hasmonäer führte. Nach deren Sieg und der Vertreibung der Griechen verschwinden aller Spuren der Mitjawnim auf der Stelle. Zur selben Zeit treten zwei neue Gruppen plötzlich auf: die Zeddukim und Baitossim, Anhänger eines gewissen Zaddok und Boëthos. Diese hielten nur ein minimales Judentum: was schriftlich explizit stand (Tora sche’bichtaw), akzepierten sie, die ganze mündliche Überlieferung (Tora sche’be’al peh) lehnten sie ab. Und in ihrer Weltanschauung standen sie dem Griechentum, nicht dem Judentum, nah. Sie waren keine anderen als die untergetauchten Mitjawnim. Da totale Assimilation im wiederhergestellten jüdischen Staat nicht mehr möglich war, praktizierten sie jetzt eine Art „light“ Judentum. [HaGaon Rav J.E. Halevi in Doroth Harischonim]

Was war der Kern ihrer Ideologie?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir erst kurz den überlieferten jüdischen Glauben darstellen. Dieser ruht auf drei Pfeilern:

  1. Die Existenz des Schöpfers, der das ganze Universum schuf [auch mich und dich!] Alles ist von Ihm abhängig, Er ist von allem völlig unabhängig. Er ist G“tt.
  2. Tora von Sinai: G“ttes (einmalige) Offenbarung seiner Tora zum jüdischen Volk. [Es gibt objektiv Gutes und Böses!]
  3. Lohn und Strafe: G“tt belohnt/bestraft je nach Verdienst in dieser und/oder der nächsten Welt. [Deine Taten, Worte und Gedanken haben Folgen – sie werden von HaSchem bewertet!].

Zaddok und Boëthos leugneten diesen dritten Pfeiler des Judentums ab. Um sie sammelten sich die ex-Mitjawnim. Kern der Ideologie dieser neuen Bewegung war, dass es keinen Lohn und Strafe und keine nächste Welt gebe. Mit anderen Worten, es sei völlig egal, ob man Mitzwot halte, Gutes tue und ein moralisches Leben führe oder das Umgekehrte. Als direkte Folge entarteten die Mitzwot, die Befehle der Tora, zu belanglosen, hohlen Zeremonien. Nach Zaddok und Boëthos war das ganze Judentum nur noch eine Frage des „Lifestyle“; für die ex-Mitjawnim eine der politischen Opportunität. [RaMBaM: Kommentar zu Awot]

Was wollten die Zeddukim?

Wir wissen von einer ganzen Anzahl angestrebter Änderungen, die nichts anderes waren als plumpe Versuche, den Status und die Privilegien ihrer reichen Kreise zu verstärken. Je nach König hatten die Zeddukim die politische Macht inne und konnten beträchtlichen Druck ausüben. [HaGaon Rav J.E. Halevi in Doroth Harischonim]

Die Zeddukim stritten das überlieferte Datum des Omer-Opfers und folglich dasjenige von Schawuot ab.

In der Tora (Parschat Emor – Vajikra 23, 15) steht, dass man das Omer-Opfer MiMochorat HaSchabbat – am Tage nach dem Ruhetag – bringe und dann mit Sefirat HaOmer, dem 7-wöchigen Omer-Zählen, anfängt. Am Ende der sieben Wochen ist dann Schawuot. Mit dem Ruhetag – HaSchabbat meint die Tora den Jomtov von Pessach (der 15. Nissan): das Omer muss am 16. Nissan gebracht werden; so die überlieferte Erklärung zu dieser Bibelstelle.

Bekanntlich wird der siebte Wochentag (Samstag) in der Tora „Schabbat (Ruhetag)“ genannt, aber die Umkehrung stimmt nicht. Der Terminus „Schabbat“ wird auch sonst gebraucht: Jom Kippur heisst in der Tora Schabbat, Schemitta heisst Schabbat (Ruhejahr). Zur überlieferten Auslegung, dass hier unter Schabbat der Ruhetag von Pessach zu verstehen sei, gibt es auch eine ganze Reihe von Hinweisen aus dem Schrifttum.

Die Zeddukim versteiften sich jedoch darauf, dass hier Schabbat = Samstag und unter „Mochorat HaSchabbat“ nur Sonntag zu verstehen sei: erst am Sonntag nach Pessach bringe man das Omer, zähle erst dann Omer, Schawuot falle immer auf Sonntag.

Die Frage, warum die religiöse Tradition in diesem Falle die weltlichen Ambitionen der Zeddukim tangierte, kann nur mit Vermutungen beantwortet werden.

  1. Vielleicht war die Störung des Kommerzlebens, welche das Schawuot-Fest in der Mitte der Woche verursachte, den reichen Zeddukim ein Dorn im Auge. Ein „langes Wochenende“ verursachte dagegen nur eine minimale Störung und hatte auch seine positiven Seiten. [Rav J.E. Halevi in Doroth Harischonim]
  2. Oder vielleicht suchten sie „davka“ Konfrontation. Auf ihre neue „Tradition“ von „nur was wir heute im Text verstehen“ pochend, lehnten sie aus Prinzip die seit eh und je überlieferten Auslegungen ab. [Fast alle diese stammten noch von Mosche selber, der ca. 1100 Jahren vorher lebte.]
  3. Aber vielleicht gab es auch einen eigentlichen ideologischen Grund. Das jüdische Volk erlangte seine Freiheit am Pessach: nicht mehr Paraohs Sklaven, nicht mehr Teil der ägytischen Ökonomie, nicht mehr irgend ein Teil Ägyptens waren wir – wir waren frei und unabhängig!

Pessach war der Tag, an dem wir stolz vor aller Welt proklamieren konnten: „Ivri anochi! – ich bin ein Ivri, ein Hebräer!“. Jedoch am Tag nach dem Auszug aus Ägypten fängt Sefirat HaOmer, das Omer-Zählen, an. Dieses unmittelbar nach dem Befreiungsfest beginnende Zählen bildet eine Brücke zu Schawuot, dem Tag von Matan Tora, der Offenbarung der Tora am Berg Sinai. Diese Mitzwah von Zählen unterstreicht den folgenden Grundgedanken:

Freiheit für uns Jehudim ist nur eine Vorstufe zu Matan Tora – ein Vorstufe, die zur Tora führen muss.

Durch nationale Freiheit und Unabhängigkeit allein sind wir noch nicht über die Stufe von Gerste, von tierfutter-würdigen Wesen gestiegen. Erst am Fest der Tora, an Schawuot, bringen wir ein Weizenopfer, erst dann ist der wirkliche Geburtstag des jüdischen Volkes. So haben wir auf die Frage „von welchem Volk bist du?“ wie einst Jonah zu antworten: „Ivri anochi – ich bin ein Ivri, ein Hebräer — we’et HaSchem Elokim ani jarej – und HaSchem G-tt unterwerfe ich mich!“ (siehe Jonah Kap. 1, 8-9)

Diese Botschaft des Omer-Zählens stand diametral im Gegensatz zur weltlichen Ideologie der Zeddukim und Baitossim und muss ihnen ein Dorn im Auge gewesen sein. Es gäbe schon eine Berechtigung für jüdischen Lifestyle und Folklore im jüdischen Staat. Sie wollten nicht Schawuot total abschaffen, aber bitte, Pessach, das Fest nationaler Befreiung, musste auf unabhängige Weise, ohne eine direkte Brücke zu Schawuot, zur Tora, gefeiert werden.

Mit der Zerstörung des zweiten Tempels durch die Römer und dem Untergang des jüdischen Staates, verschwanden die Zeddukim und Baitossim mit all ihrer politischen Macht und ihrem Reichtum von der Bühne der Geschichte. Wieviele den Weg zurück in den Schoss des Judentums schafften und wieviele sich den neuen Gegebenheiten anpassten und nun zur Musik Roms tanzten, ist nicht bekannt.

In der langen jüdischen Geschichte war das Los der Zeddukim kein Einzelfall.

Immer wieder gab es Bewegungen, die versuchten, ein Judentum ohne Tora – oder mit einer zurechtgeschneiderten Teil-Tora – zu etablieren. Und immer wieder erlitten diese Versuche Schiffbruch: ein grosser Teil der Nachkommen gaben ihre jüdische Identität auf.

Ein trauriges Beispiel dazu spielt sich leider in unserer Zeit in Amerika ab. Jedem, der noch ein bisschen Liebe zum jüdischen Volk hat, tut das Herz weh über das Zerfallen der jüdischen Identität in den nicht Tora-orientierten Kreisen – „Are you Jewish? My parents are Jewish. . . .“

Noch heute wird das Schawuot-Fest von allen jüdischen „Strömungen“ gefeiert. Aber seien wir ganz ehrlich: wie sieht dieser Schawuot aus? Nur als Folklore, oder im besten Fall als Erinnerungstag von rein historischem Wert? – Ein Schawuot, an dem selbst die Zeddukim nichts auszusetzen hätten?

Am Schawuot, dem Fest von Matan Tora, gibt es keine besonderen Mitzwot. Nur eine Forderung hat die Tora:

«Heute am meinem Geburtstag arbeite nicht – unterbreche dein alltägliches Leben und beschäftige dich nicht mit ablenkenden Dingen. Nicht deine Taten will ich heute — keine Mazzah und Marror, kein Schofar, keinen Lulaw und Sukka — heute am meinem Geburtstag sollst du mir dein Herz geben.»

Schawuot fordert von uns nichts mehr und nichts weniger als eine ehrliche Neuwidmung zur Tora, zu den ewiggültigen Worten des lebendigen G“ttes. „Na’asseh WeNischma – wir werden erfüllen und lernen“ – so antwortete Israel am Berg Sinai, und so antwortet Israel am Schawuot über alle Jahrtausende. Antworten auch wir so, wird auch unsere Selbstauffassung zu: „Ivri anochi – we’et HaSchem Elokim ani jarej „, dann (siehe Jonah Kap. 1, 8-9) haben wir denn Sinn von Schawuot verstanden.

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