40 Tage sind seit Rosch Chodesch Elul vergangen. Die Zeit des Wehgeschreis, des innigen Flehens und unaufhörlichen Bittens ist vorbei. In jedem Jehudi hat das Bangen, Zittern und Weinen einen tiefen Eindruck hinterlassen, so dass jeder nun bereit ist, sich im neuen Jahr zu bessern, nochmals von vorne zu beginnen, mit neuer Kraft und frischem Mut.
Der Mensch, das schwache Geschöpf, der sich noch gestern vor G’tt niederwarf, beginnt jedoch oft, gleich am nächsten Tag wieder mit seinen alten, ihm zur festen Gewohnheit gewordenen Fehlern, fort zu fahren. Liest man die Geschichte des Klall Jisrael nach der Offenbarung der Tora, wie sie die höchste Stufe der Reinheit und Heiligkeit erreicht hatten und so schnell wieder hinunter fielen, so schüttelt man verwundert seinen Kopf. „Wie ist denn das nur möglich“, wird gestaunt, „gestern so hoch und heute so niedrig?!“
Die Frage ist berechtigt und die Antworten oft unbefriedigend. Wir müssen uns aber Gedanken über unseren eigenen Fall machen; wie lautet dort die Antwort? Gestern riefen wir noch, gekleidet wie die Engel G-ttes: „Baruch Schem kewod Malchuto leOlam waed — Gesegnet sei der Name der Herrlichkeit Seines Königreiches für immer und ewig“, und wie lange dauerte diese Ewigkeit, bis wir die Heiligkeit „Seiner Herrlichkeit“ wieder vergessen haben?
Die Tora nennt den ersten Tag Sukkot „den Ersten“ – „ulekachtem lachem baJom haRischon“; diese Bezeichnung wird von unseren Weisen, seligen Andenkens, damit erklärt, dass der erste Tag Sukkot „Rischon leCheschbon Awonot“ ist, an dem die neue Rechnung der Sünden beginnt. Die Frage stellt sich daher, was es mit den vier Tagen zwischen Jom Kippur und Sukkot auf sich hat. Ist es möglich, vier Tage lang sündigen zu können ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden?
In den Sefarim haKedoschim (heiligen Büchern) wird dazu folgender Gedanke gegeben: Haschem in Seiner unermesslichen Gnade möchte nicht, dass der Mensch nach Jom Kippur, als er sich von seinen alten Sünden rein gewaschen hat, gleich wieder in seinen alltäglichen Trott verfällt und von den mit grosser Mühe erreichten, so kostbaren geistigen Höhen so schnell wieder fällt. Deshalb gibt Er uns einen Aufenthalt zwischen Jom Kippur und „Schabbat Bereschit“, dem Jahresbeginn – das Sukkot-Fest. Die Schwäche des Menschen und Stärke seines Triebs zum Bösen kennend, möchte Der Heilige, gelobt sei Er, dass unsere guten Vorsätze für das neue Jahr auf einem starken Fundament ruhen. Der Jom Tov Sukkot ist daher, dazu auserkoren worden, uns auf das neue Jahr vorzubereiten, damit wir geistig stark gerüstet und gewappnet sind, die guten Vorsätze, die wir uns an den vergangenen heiligen Tage vorgenommen haben, in die Tat umsetzen zu können.
Daher ist der Jom Tov Sukkot „Sman Simchatenu», ein „Fest der Freude“. Es ist eine Zeit, in der die Freude aufverschiedenste Art und Weise zum Ausdruck kommt, in geistiger und materieller Hinsicht. In materieller Sicht ist es „Chag ha’Asif“, eine Erntedankfest, an dem man sich der eingesammelten reichen Ernte erfreut. Hinsichtlich der geistigen Freude wird im Talmud Jeruschalmi von „Jona haNawi“ berichtet, der durch die gewaltige Freude, welche im Bet haMikdasch bei der „Simchat Bet haSchoewa“ herrschte, zu Newua gelangte!
Worüber freute man sich derart? Über das Schöpfen des Wassers, das am folgenden Morgen auf den Altar gegossen wurde. Es war also nicht nur eine Freude über die Erfüllung einer Mizwa, sondern hauptsächlich die Freude noch vor der Erfüllung der Mizwa; man erfreute sich der Möglichkeit, G’tt überhaupt dienen zu können und drückte somit die Liebe zu Seinen Geboten aus.
Wer darüber eine solche Freude verspürt, festigt in sich die hohen Stufe der vergangenen „Jamim haNoraim“ und in seiner spirituellen Entwicklung sogar noch höher steigen. Denn alle guten Vorsätze sind zwar schön und gut, aber man hat dennoch keine Garantie, dass diese auch wirklich etwas zustande bringen und einem nützen. Am Sukkot aber lernen wir, dass die Freude an die (Dienst vor G-tt) und dem „Kijum haMizwot“ (die Ausführunjg der Gebote) die richtige Einstellung ist, mit der man im Lauf des Jahres an seinen guten Vorsätzen festhalten kann.
Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb am „Jom Kippur“ die Geschichte von Jona haNawi gelesen wird. Sie lehrt uns, dass Jona durch die Freude an der Mizwa am Sukkot, die Stufe der Prophetie erreicht, also die am Jom Kippur erreichte Stufe der Heiligkeit bewahren und seine Vorsätze auch nach Jom Kippur umsetzen konnte. So ist es auch verständlich, dass es Jona haNawi gelang, mehr als 120’000 Menschen mit nur wenigen Worten zur Teschuwa zu bewegen! Da die ganze Kraft seiner Prophetie aus seiner eigenen Teschuwa stammte, die er dank seiner gewaltigen Freude zum G’ttesdienst am Sukkot bewahren konnte, konnte er auch die ganze Stadt Ninwe zu Teschuwa bewegen.
Problematisch sind einzig die vier Tage zwischen Jom Kippur und Sukkot. Wir benötigen diese Zeit, um uns auf den kommenden Jom Tov vorzubereiten. Wir laufen jedoch Gefahr, in diesen wenigen Tagen von der am Jom Kippur erreichten hohen geistigen Stufe zu fallen, noch bevor man seine geistige Entwicklung durch die Freude des Sukkot-Festes auf ein festes Fundament stellen konnte. Deshalb erweist hat uns der Heilige, gelobt sei Er, eine weitere Gnade und beginnt mit der neuen Rechnung erst am ersten Tag Sukkot. Das heisst nicht, dass die Sünden dieser Tage nicht gezählt werden. Gemeint ist, dass wenn der Jehudi am Sukkot versucht, seine Teschuwa mit der Sukkot-Freude zu festigen, er die am Jom Kippur erhaltene Reinheit seiner Neschama behält, selbst dann wenn sie bereits in diesen vier Tagen durch Sünden befleckt worden ist!