ln diesem Artikel versucht Raw Aryeh Carmell SZL (naher Schüler von Raw Elijahu Elieser Dessler und Herausgeber von Raw Dessler’s Buch “Michtaw Me’elijahu”), halachische Richtlinien für die Lösung moderner Probleme zum Schutz der Umwelt aufzustellen. Er berücksichtigt auch die tieferen moralischen Fragen, die sich dabei ergeben, und skizziert die grundlegenden Änderungen in unserer Einstellung, die seiner Meinung nach nötig sind, um eine Welt ohne Verschmutzung herbeizuführen.
Fortsetzung: 3. Teil
II. DIE WURZELN DER VERUNREINIGUNG
Die Ironie der Situation ist, dass die Verunreinigung hauptsächlich ein moralisches Problem ist. Jede Verschmutzung bedeutet, dass jemand irgendwo gesagt hat: „Dies passt mir, und es ist mir gleich, was für einen Einfluss dies auf einen Anderen haben wird“. Indem wir den Menschen aus seiner moralischen Verantwortung entlassen, ermutigen wir zur Verunreinigung im tiefsten und weitreichendsten Sinne.
Die Weisheit des Talmuds betont, dass die Verunreinigung der Umwelt nur verhindert werden kann, wenn der Verunreinigende sich bewusst wird, dass er seiner eigenen Welt schadet. Das Gleichnis aus dem Talmud lautet wie folgt:
Es gab den Fall eines Mannes, der Steine von seinem Feld auf einen öffentlichen Weg schaufelte. Ein gewisser Chassid (frommer Mann) sah dies und sagte zu ihm: „Narr, warum schaufelst Du Steine vom Land, das Dir nicht gehört, auf das Land, das Dir gehört?“ Der Besitzer lachte ihn aus. Nach einer gewissen Zeit musste er sein Feld verkaufen und ging später auf dem gleichen Weg und fiel über die gleichen Steine. Daraufhin sagte er: „Der Chassid hatte recht, als er sagte: Warum schaufelst Du Steine vom Land, das Dir nicht gehört, auf Land, das Dir gehört?“
Tatsache ist, dass es kein privates Recht im Gegensatz zum öffentlichen Recht gibt. Der Einzelne ist selbst ein Glied der Öffentlichkeit. Um dies jedoch zu verstehen, braucht es eine grundlegende moralische Einsicht. Sich dessen ständig bewusst zu sein, braucht es einen Chassid – jemand, der nach immer größerer moralischer Perfektion strebt.
BEVÖLKERUNGSKONTROLLE
Es wird oft die Meinung geäußert, das starke Wachstum der Bevölkerung sei ein Hauptgrund für die Verunreinigung der Welt. Mächtige und lärmende Stimmen sagen uns, dass wir unsere Probleme lösen könnten, wenn, die Weltbevölkerung nicht mehr ansteigen würde. Das scheint jedoch eine Täuschung zu sein. Verunreinigung und Überfüllung werden viel eher durch wachsenden Reichtum als durch eine wachsende Geburtenzunahme hervorgebracht, wie wir sehen werden.
Aber nehmen wir nun einmal an, dass bewiesen werden könnte, dass durch unbegrenzte Bevölkerungszunahme eine starke Verschlechterung der weltweiten Lebensbedingungen hervorgerufen wird. In einer solchen Situation wage ich es anzunehmen, dass von halachischer Seite im Prinzip kein Widerstand gegen eine freiwillige Begrenzung der Familiengrösse für die nicht-jüdische Bevölkerung besteht.
Ich betone die Worte „NICHT-JÜDISCHE“ Bevölkerung, weil die Halacha in Bezug auf Fortpflanzung in ihrer Anwendung für Juden und Nichtjuden grundsätzlich verschieden ist. Für Juden gibt es ein bestimmtes persönliches Tora-Gesetz, sich zu vermehren, und die Empfängnisverhütung ist außer unter außergewöhnlichen Umständen verboten. Für Nichtjuden ist die Lage ganz anders. Es gibt für sie kein bestimmtes Gesetz, sich zu vermehren. Es gibt nur eine allgemeine „Absichtserklärung“ von Seiten des Allmächtigen, in den Worten von Jeschaja: „Er erschuf die Welt nicht als Öde, Er erschaffte sie zur Bewohnung“.
Daraus lernen wir, dass jeder Mensch eine moralische Pflicht, obwohl nicht unbedingt den halachischen Befehl hat mitzuhelfen, dass die Welt nicht verödet, sondern voll bevölkert wird. Das Wort, das „zur Bewohnung“ übersetzt wurde, könnte auch mit „zur Besiedlung“ übersetzt werden. Aus dem könnten wir folgern, dass, wenn ein Sättigungsgrad erreicht wurde, und jede weitere Zunahme der Bevölkerung nicht als Schritt nach vorne in Bezug auf „Bewohnung der Welt“ betrachtet würde, sondern als ein Schritt zurück in die Verödung, das Ziel, ausgedrückt durch Jeschaja, erreicht wäre, und die nicht-jüdische Bevölkerung keine moralische Pflicht mehr hätte, sich zu vermehren. Natürlich wäre es praktisch sehr schwer, festzulegen, wann der Sättigungsgrad erreicht wäre. Es könnte z.B. die Meinung vertreten werden, dass die Menschheit den G-ttlichen Willen besser erfüllen könnte, indem sie, anstatt sich in großen Städten zu versammeln, sich in den relativ unbevölkerten Teilen der Welt ausbreiten sollte. Aber theoretisch besteht diese Möglichkeit. Wenn einmal festgelegt würde, dass ein solcher Sättigungsgrad erreicht ist, wäre es im Einklang mit dem G-ttlichen Willen, dass die nichtjüdische Bevölkerung die Geburtsrate vermindere.
Was das Volk der Tora anbetrifft, ist jedoch die Pflicht, sich zu vermehren, absolut und kann nicht durch Bevölkerungs-Statistiken beeinflusst werden. Sie ist nicht auf der physischen Betrachtung wie „die Bewohnung der Welt“ basiert, sondern auf der geistigen Notwendigkeit, dass es in der Welt mehr Menschen gibt, die sich einem Leben von Tora und Mitzwot widmen, was dann auch das allgemeine Steigen des geistigen Niveaus der Welt zur Folge hat. Hierfür gibt es keinen Ersatz.
lNDUSTRlELLES WACHSTUM
Obwohl wir die Möglichkeit einer Bevölkerungseinschränkung unter gewissen Umständen für die nichtjüdische Bevölkerung in Betracht ziehen, müssen wir doch betonen, dass es komplett unverantwortlich wäre, so zu sprechen, als ob die Einschränkung des Bevölkerungswachstums die einzige oder Haupt-Lösung für unsere Probleme wäre. Es kann ja kein Zweifel bestehen, dass die Probleme der Umweltverschmutzung fast nur durch die Industrie entstehen, und die Produktion und der Verbrauch von Gütern aller Art ist in den Händen von einem kleinen Teil der Weltbevölkerung, diesen 20%, die wir „Erste-Welt-Länder“ nennen.
40% der Energie der Welt wird von 6% der Weltbevölkerung verbraucht – den USA. Der nicht enden wollende Kreislauf der Produktion und des Verbrauchs von Luxusgütern erzeugt eigenes schnelles Wachstum, und es ist uns klar, dass der Hauptgrund der Umweltverschmutzung hier liegt. Die Weltbevölkerung vermehrt sich im Moment jährlich um ca. 2%; die Industrieleistung hingegen vermehrte sich in den letzten Jahren um ca. 7% jährlich. Bei dieser (exponentiellen) Wachstumsrate wurde geschätzt, dass die industrielle Umweltverschmutzung den Planeten innerhalb von ca. 20 Jahren überwältigen wird. Es wurde ausgerechnet, dass sogar wenn das Bevölkerungswachstum gestoppt würde und sogar wenn Maßnahmen gegen die Umweltverschmutzung diese erfolgreich um 75% vermindern würde, die endgültige Verschmutzung der Atmosphäre des Planeten nur um einige Jahrzehnte verschoben würde, falls die exponentielle Wachstumsrate auf ihrem gegenwärtigen Niveau fortgesetzt würde.
EINE REVOLUTION DES GEISTES
Trotz der weltweiten Besorgnis über unsere sich verschlechternde Umwelt haben wenige Menschen die tieferen Probleme, die sich daraus ergeben, erkannt. Die Folgerungen sind zu revolutionär. Sie gehen gegen die eingefahrenen Gedankenwege, welche die Westliche Welt während der letzten zwei Jahrhunderte beherrscht haben.
Die Wahrheit ist, dass das Ziel des unbegrenzten physischen Wachstums nicht mehr haltbar ist; der einzige Weg aus dieser schlimmen Lage ist kompletter und radikaler Wechsel, nicht der Methoden, sondern der Ziele. Der Mensch ist fähig, sich eigene Ziele zu setzen und sie auch zu ändern, falls dies nötig ist; Indem er seine eigenen Ziele erzeugt, wird er sein eigener Herr. Nur auf eine Art kann die Katastrophe, die die Menschheit bedroht, abgewandt werden: Materielle Ziele müssen durch geistige Ziele ersetzt werden.
Wie wir im ersten Teil dieses Artikels gezeigt haben, lässt die Tora Dinge der Welt nicht unbeachtet. Im Gegenteil, wie Raw Huna zu seinem Sohn sagte, ist die Erreichung einer gesunden physischen Umgebung selbst von geistiger Bedeutung und innerhalb der Sphäre der Tora. Die Tora misst dem Leben in dieser Welt einen hohen Wert bei, weil wir durch dieses Leben die geistigen Werte erreichen können.
Andererseits hat sie immer versucht, uns klar zu machen, dass materielle Ziele, die man nur um ihrer selbst Willen zu erreichen versucht, nur zum Ruin und zur Selbsttäuschung führen können. Sprichwörter, wie „Wer ist reich?“ – „Derjenige der mit seinem Teil zufrieden ist“, „Neid, Genusssucht und Suchen nach Einfluss treiben einen Menschen aus dieser Welt“, „Je mehr weltliche Güter, desto mehr Sorgen“, „Kein Mensch stirbt nach Erfüllung auch nur der Hälfte seiner Wünsche“ zeigen uns klar die Ansicht der Tora über diese Frage.
Der heutige Unterschied ist folgender: Was Moralisten während Tausenden von Jahren (mit wenig Erfolg) gesagt haben, ist inzwischen Notwendigkeit geworden, eine einfache Frage des Überlebens. Falls es uns nicht gelingt, unsere unersättliche Lust nach immer höherem Lebensstandard, unsere Lust, es anderen gleichzutun, zu zügeln, müssen wir uns auf die Katastrophe der industriellen Umweltverschmutzung, die unvermeidlich ist, gefasst machen. Das Ideal des unbegrenzten wirtschaftlichen Wachstums, von welchem unsere gegenwärtige Wirtschaft abhängt, hat sich als Illusion gezeigt. Wir wissen nun, dass wenn ein gewisses kritisches Stadium erreicht wird, weiteres Wachstum kontraproduktiv ist im Sinne von reiner Befriedigung.
Dieses Wissen allein jedoch wird nie zur Änderung des tödlichen Beispiels des Verbrauchs, der Produktion und der Verunreinigung führen. Was könnte dazu führen? Nur eine Weltbewegung, welche die Vorstellungskraft der Menschheit packen könnte; eine Bewegung, deren Ziel es wäre, das enorme geistige Potential, das momentan in den Herzen und Geistern der Menschen eingeschlossen ist, freizulassen. Dies wäre eine Bewegung, die nicht weniger als eine kopernikanische Revolution des Geistes der Menschheit endlich zeigen würde, wie materielle Ziele durch geistige ersetzt werden können. Eine Welt, die dies tun würde, würde frei von dem Albtraum des unbegrenzten industriellen Wachstums. Geistiges Wachstum erzeugt keine Verunreinigung. lm Gegenteil, es verkleinert sie: denn, wie wir gesehen haben, ist Verunreinigung hauptsächlich ein moralisches Problem. Geistiges Wachstum bedeutet Entwicklung der Möglichkeiten der Menschheit, Chessed (Menschenliebe), Keduscha, (Heiligkeit) und Emeth (Streben nach Wahrheit) auszuüben. Wenn das Ziel das geistige Wachstum sein wird, wird die Überproduktion infolge des künstlich in die Höhe getriebenen Verbrauchs automatisch zurückgehen. Die Industrie wird die wirklichen Notwendigkeiten der ganzen Menschheit zufriedenstellen anstatt die eingebildeten Notwendigkeiten weniger Reicher. Mehr Freizeit wird keinen Terror bringen; es wird unsere ganze Zeit und unseren ganzen Einsatz brauchen, uns geistig schöpferisch zu betätigen. Hier wird die wirkliche Einheit und Gleichheit der ganzen Menschheit realisiert. Differenzen von Rasse, Reichtum und Intellekt werden unwichtig werden, weil die ganze Menschheit in ihrem geistigen Potential zuletzt gleich ist. Natürlich müssen die Massenmedien und alle anspruchsvollen Mittel der Erziehung und Propaganda dieser Bewegung zur Verfügung stehen, indem sie ihre revolutionären Ziele verbreiten. Die Welle von menschlicher schöpferischer Kraft, die hierdurch freigemacht wird, ist für uns heute unvorstellbar, die wir noch in der umnachteten und rückständigen Ära der materiellen Ziele leben.
EINE MESSIANISCHE VISION
Ein messianischer Traum? lch bin einverstanden, aber als orthodoxe Juden glauben wir an das Kommen solch einer Zeit; und als orthodoxe jüdische Wissenschaftler glauben wir, die historischen Trends, die es hervorbringen können, zu erkennen. Es wurde uns gesagt, dass die messianische Zeit durch natürliche Mittel kommen werde, und nur in unserer Zeit, mit unserer weltweiten Wandelbarkeit von Ideen und unserer elektronischen Unmittelbarkeit von Nachrichten könnte solch eine universelle geistige Revolution überhaupt vorstellbar sein.
Diese Bewegung benötigt eine Persönlichkeit. ln modernen Zeiten sind viele der weitreichendsten Revolutionen auf geistigem Gebiet von Juden beeinflusst worden; wie Einstein, Freud, Marx, obwohl alle diese von der Tora-Tradition weit entfernt waren. Wäre es so weit hergeholt zu glauben, dass die kommende Revolution des Geistes durch eine dynamische Persönlichkeit kommen könnte, die dieses Mal durchtränkt wäre von der geistigen Wahrheit der Tora mit einer viel tiefergehenden Sicht als Freud, mit viel radikaleren ldealen als Marx und mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, die Welt von dem dunklen Albtraum des verschmutzten Planeten in eine helle Zukunft der geistigen Kreativität zu führen?
Vielleicht können wir erst heute die Bedeutung der wundervollen Vision des Propheten Jecheskel erkennen, der vor 2500 Jahren sah, wie „am Ende der Tage“ das Meer selbst und alle Fische und Lebewesen darin verunreinigt und erkrankt und nahe dem Tode sein würden. Er sah auch einen Strom reinen Wassers unter der Schwelle des Tempels in Jerusalem hervorfließen – der aus dem Allerheiligsten hervorkam. Ein bloßes Geriesel zuerst, und dann wächst es an Volumen und schwillt an zu einer riesigen Flut, die zum verunreinigten Meer hinunterströmt, das Wasser „heilt“ und Leben bringt den sterbenden Fischen; die der Wüste auch Leben bringt, wenn ein großer Obstgarten mit fruchtbaren Obstbäumen neben seinem Ufer entspringt.
Keine andere Generation wie die unsere kann besser die Bedeutung dieser Vision erkennen; die Parabel des verunreinigten Meeres – etwas, das nur unser Zeitalter bezeugt – und die innere Bedeutung: die Macht der Wasser der Tora und Reinheit, das Leben auf diesem Planeten zu revolutionieren, indem der Menschheit ihr wahres Ziel, das kreative Leben des Geistes wiedererstattet wird.
Es gibt keinen passenderen Weg, diesen Artikel zu beenden, als Jecheskel selbst sprechen und uns über seine vormalige Vision erzählen zu lassen, die höchst relevant ist in unseren Tagen. Es ist auch eine Vision, die uns Hoffnung gibt, dass die vielen Sorgen unserer verschmutzten und verletzten Welt mit G-ttes Hilfe ihre endgültige Lösung durch die heilenden Kräfte der Tora finden werden.
„Und er führte mich zum Eingang des Hauses
und siehe! Wasser fließen von unter der Schwelle des Hauses nach Osten,
denn die Vorderseite des Hauses lag nach Osten
und die Wasser rinnen von unter der rechten Seite
des Hauses, südlich vom Altar.
Er ließ mich auf dem Weg durch das Nordtor hinaustreten
und von außen zum äußeren Tor, das nach Osten gewandt lag,
herumgehen, und siehe, quellende Wasser von der rechten Seite,
und indem der Mann, die Messschnur in der Hand, ostwärts schritt,
maß er 1000 Ellen und ließ mich durch das Wasser gehen,
Wasser bis zu den Knöcheln.
Er maß 1000 Ellen und ließ mich durch das Wasser gehen,
Wasser bis zu den Knien.
Er maß weitere 1000 und ließ mich hindurchgehen,
Wasser bis zu den Hüften.
Da er 1000 gemessen, da war es ein Strom, den ich nicht
durchschreiten konnte, und hoch gingen die Wasser,
Wasser nur zum Schwimmen, ein Strom, der nicht durchschritten werden konnte.
Da sprach er zu mir: Hast Du’s gesehen, Menschheit’s Sohn,
und geleitete mich durch zum Ufer des Stromes,
und da ich zurückkehrte, siehe, da war an dem Ufer des Stromes zu beiden Seiten überaus reicher Baumwuchs.
Er sprach zu mir: diese Wasser strömen nach dem östlichen Kreis, fließen über die Öde und kommen in das Meer, ins Meer, diese hinausgeleiteten, und es gesunden die Wasser.
Und es wird sein, dass alles sich bewegende lebende Wesen überall, wohin der Doppelstrom kommt, leben wird, und die Fische werden ungemein zahlreich sein, denn diese Wasser sind hingelangt, sodass sie gesundeten und sie leben können alles, wohin der Strom kommt.
Am Strom selber aber wächst zu beiden Seiten seiner Ufer jeglicher Baum zum Fruchtgenuss.
Nicht welken seine Blätter, nicht hören auf seine Früchte.
In jedem Monat bringt er sie zur Reife,
denn seine Wasser, vom Heiligtum strömen sie,
und seine Früchte dienen zur Speise, seine Blätter zur Heilung.“