Die kupfernen Schlüssel

Datum: | Autor: R' Berel Bollag | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Schlüssel

Die folgende Geschichte ereignete sich in Jeruscholajim während der letzten Sommertage des Jahres 5666/1906. Der Vorplatz der Batei Machse im Jüdischen Viertel war voller Menschen, die gekommen waren, um Haraw Hirsch Michel Schapiro sZl. die letzte Ehre zu erweisen.

Batei Machse im jüdischen Viertel von Jeruschalajim
Batei Machse im jüdischen Viertel von Jeruschalajim

Die בתי דין (Rabbinergerichte) der Stadt hatten die Einwohner aufgerufen, zum Zeitpunkt der Beisetzung nicht zu arbeiten, so wie es die Halacha bei dem Begräbnis einer grossen Persönlichkeit verlangt. Viele Rabbanim hielten Trauerreden. Dann ging der Trauerzug los. An ihrer Spitze war der spätere Jeruschalajimer Raw, Haraw Joissef Chaim Sonnenfeld sZl. zu sehen, welcher den grossen Verlust sehr beweinte.

Raw Jossef Chaim Sonnenfeld SZL
Raw Jossef Chaim Sonnenfeld SZL

Während die Trauerreden gehalten wurden, ging ein Gerücht herum, das alle Anwesenden in Erstaunen versetzte. Niemand wusste das Geheimnis zu lösen.

Die Chewra Kadischa hatte in der geschlossenen Hand des Verstorbenen einen kupfernen Schlüssel gefunden.

Der Grabstein von Reb Hirsch Michel Schapiro SZL
Der Grabstein von Reb Hirsch Michel Schapiro SZL

Weder die Witwe noch die restlichen Familienangehörigen wussten über diesen mysteriösen Schlüssel Bescheid. Was lag Reb Hirsch Michel denn so am Herzen, um diesen Schlüssel auf seinem Totenbett in der Hand zu halten? Wem gehörte der Schlüssel überhaupt?

Das Rätsel wurde bohrender, als sich der Vorsteher der Chewra Kadischa sich plötzlich daran erinnerte, dass vor drei Jahren etwas Ähnliches geschehen war. Damals war Haraw Sasson Persiado sZl, eine herausragende Toragröße, von dieser Welt gegangen.

Die Chewra Kadischa hatte in seinem Gewand ebenfalls einen kupfernen Schlüssel gefunden.

Der Grabstein von Raw Sasson Persiado SZL
Der Grabstein von Raw Sasson Persiado SZL

Nun konnte sich auch ein vornehmer Herr daran erinnern, dass ein solches Exemplar auf dem Tische lag, als Haraw Nochum Lewi sZl. von Schadik niftar wurde.

Der Grabstein von Reb Nochum Halevi Schadiker
Der Grabstein von Reb Nochum Halevi Schadiker

Der Trauerzug hoffte sehr, dass jemand dieses Geheimnis lüften wird. Doch es geschah absolut nichts. Auch nachdem das Grab bereits wieder zugeschaufelt war, hatte man immer noch keinen Hinweis.

Der Raw von Jeruscholajim war zu jener Zeit Haraw Schmuel Salant sZl. . Er näherte sich bereits dem neunzigsten Lebensjahr. Sein Gesundheitszustand erlaubte es ihm nicht mehr, seine Wohnung zu verlassen. In jener Woche rief er jedoch seinen Schamasch zu sich und liess ihn wissen, dass er einen Besuch bei der trauernden Familie Schapiro zu tun gedenke.

Raw Schmuel Salant SZL
Raw Schmuel Salant SZL

Als die Familie des Raw davon erfuhr, wollten sie ihn um jeden Preis von seinem Vorhaben abbringen. Dieser ließ sich jedoch nicht beirren und sagte: „Ihr wisst nicht, wer Reb Hirsch Michel war. Er ist es wert, dass ich seiner Familie trotz meiner angeschlagenen Gesundheit diesen Besuch abstatte.“

Auf zwei Bekannte gestützt, begab sich der greise Raw auf die Straße. Für die Einwohner war dies ein Ereignis. Viele Kinder umgaben den schwer gehenden Raw.

Als er wieder zu Hause war, traf er auf Dr. Wallach sZl, den Gründer und Oberarzt des Schaare Zedek Spitals, welcher dort auf den Raw wartete.

Er hatte vom „Ausflug“ des Raws gehört und sich große Sorgen gemacht. Zu seiner grossen Freude war alles in bester Ordnung.

Dr. Mosche Wallach SZL
Dr. Mosche Wallach SZL

„Reb Moische“, wandte sich der Raw an den Arzt, „was sagst du zum riesigen Verlust, den Jeruschalajim erlitten hat? Komm, ich erzähle dir eine Begebenheit, die die Grösse des Dahingeschiedenen zeigt.“

Die Anwesenden lauschten gespannt.

Der Raw fuhr fort: „Haraw Nochum von Schadik lernte zu einer festgelegten Zeit mit einer grossen Persönlichkeit der Stadt zusammen. Einmal lernten sie die Gemara in Massechet Chagiga, welche den Passuk „בַּמִּסְתָּרִים תִּבְכֶּה נַפְשִׁי“ (wörtlich übersetzt “im Verborgenen weint Meine Seele”) folgendermassen erklärt: Haschem habe einen Ort, welcher „Misstarim“ heisst. Dort weint Er über die Sch’china, welche im Galut leidet.“

„Diese Worte berührten Reb Nochum zutiefst. Er weinte sehr.. Vom Schmerz erfasst, beschloss er, dass es sich gehören würde, dass auch die Menschen auf dieser Welt einen geheimen Ort (Misstarim = geheim) auswählen würden und mit Haschem trauerten. Eine Gruppe eingeweihter Männer solle sich von Zeit zu Zeit an jenem verborgenen Ort treffen und den Galut der Sch’china beweinen.“

„Reb Nochum sprach mit einigen seiner Freunde darüber und der Vorschlag wurde sogleich angenommen. Man machte sich daran, einen Ort zu finden. Endlich traf man ein Häuschen neben der Schiloach-Quelle, das sich ganz in der Nähe des Har Hasejtim. Die Überlieferung sagt, dass es als Mikwe von Rabbi Jischmoel Kohen Gadol gedient habe.

„Der Eingang war aber geschlossen, ein passender Schlüssel war nicht vorhanden.

Ein Schlosser wurde beauftragt, die Türe aufzubrechen und ein neues Schloss anzubringen. Der Fachmann arbeitete ausgezeichnet und hielt alles geheim. Dreizehn gleiche Schlüssel aus Kupfer fertigte er für die Gruppe an.“

„Nun wurden die Schlüssel an die Mitglieder, alles herausragende Grössen der Torah, verteilt. Zu festgelegten Zeiten trafen sie sich dort und beweinten die Leiden der Sch’china. Haraw Hirsch Michel gehörte dieser Gruppe der Auserwählten an.“ schloss der Raw seine Erzählung.

kupferner Schlüssel
kupferner Schlüssel

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