Wochenabschnitt Schoftim – Das ständige Mahnmal des „Egla Arufa“

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Egla

„Wenn ein Erschlagener gefunden wird… liegend auf dem Feld, ohne dass man weiss wer ihn erschlagen hat… so soll im Tal das Genick des Kalbes gebrochen werden… Du aber sollst das unschuldige Blut aus deiner Mitte wegschaffen, in dem du das Rechte in G’ttes Augen verrichtest!“ (21, 1-9)

Wer die Parscha von „Egla Arufa“ anschaut, bemerkt, dass sie in der Torah inmitten zweier Abschnitte positioniert ist, die vom Thema „Krieg“ handeln.

Die Psukim davor behandeln die verschiedenen Verhaltensregeln, wenn man in den Krieg zieht, deren Fortsetzung zu Beginn der Parschat „Ki Seze laMilchama“ zu finden ist. Es erstaunt daher, dass es die Torah für nötig befunden hat, das Thema „Kriegführung“ mit den Satzungen von „Egla Arufa“ zu unterbrechen?

Der Chatam Sofer sZl. sieht darin eine wichtige Lehre, die ebenfalls mit dem Thema Krieg verbunden ist: Bekanntlich werden die Menschen in Kriegszeiten in Anblick der täglichen Opfer und Zerstörungen dermaßen abgestumpft, dass auf das Leben anderer nicht mehr so geachtet wird wie sonst. Wer täglich mit vergossenem Blut konfrontiert wird, kann den Wert eines Menschenlebens nicht mehr so hoch schätzen wie früher. Ähnliches haben auch Verhaltensforscher anhand von Statistiken herausgefunden, wonach in Kriegszeiten die Quote von Straßenunfällen drastisch zunimmt!

Deshalb unterbricht die Torah das Thema „Krieg“ mit der Parschat „Egla Arufa“, die uns den Wert von jüdischem Leben lehrt.

Unschuldig vergossenes Blut wird nicht einfach vergessen, sondern es wird nicht eher geruht, bis der Schuldige gefunden und hingerichtet oder zumindest der Akt des „Egla Arufa“ vollzogen wird.

In diesem Sinn wird im Sefer haChinuch die Mizwa von „Egla Arufa“ erklärt: „Auf diese Weise wird dieser Mord publik und zum allgemeinen Gespräch im Klall Jisrael gemacht, um das Volk auf diese furchtbare Tat aufmerksam zu machen, sich von einer solchen abzuwenden und sie zu verabscheuen. Aus diesem Grund ist es auch verboten, den Ort, an dem das getötete Kalb begraben wird, zu bearbeiten und zu besäen; das für immer bleibende Brachland soll ein ständiges Mahnmal an das zerstörte jüdische Leben bleiben!“[1]

Ähnlich wie bei einem Korban, das für eine begangene Awera (Sünde) dargebracht wird, symbolisiert das durch Genickbruch getötete Kalb den sündigenden Menschen, nur die daraus zu ziehende Lehre ist eine andere: Beim Korban wird dem Sünder sein eigenes Vergehen demonstriert, weil er eigentlich anstelle des Tieres sterben sollte[2], bei Egla Arufa hingegen wird das Kalb nicht anstelle des unbekannten Mörders getötet!

Es ist lediglich eine Aufforderung an den Zibbur (Gesellschaft), sich das Ausmaß dieser schrecklichen Tat vor Augen zu führen.

Deshalb wird, wie Chasa“l sagen, ein Kalb und keine Kuh verwendet, um darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Tier keine “Früchte” – Kinder – auf die Welt brachte und in einem fruchtlosen Boden verscharrt wird, so wird auch der ermordete Jehudi fortan keine Früchte mehr in diese Welt bringen können. Dabei ist nicht nur die Rede von Kindern im wortwörtlichen Sinne, denn jede Mizwa, die der Ermordete nun nicht mehr ausführen kann, ist auch eine verlorene Frucht![3]

Einer Erklärung bedarf noch der abschließende Passuk dieser Parscha (21,9): „Du aber sollst das unschuldige Blut aus deiner Mitte wegschaffen, in dem du das Rechte in G’ttes Augen verrichtest!“ Raschi zitiert hierzu die ‘Drascha’ von Chasal: „Dies lehrt uns, dass, falls der Mörder nach dem vollzogenen Akt des Egla Arufa gefunden wird, er dennoch hingerichtet werden muss, denn dies ist das Rechte in den Augen von Haschem“[4].

Diese Lehre verwundert ein wenig, denn aus welchem Grund hätten wir überhaupt annehmen sollen, den Mörder nicht mit dem von der Torah vorgesehenen Tod zu bestrafen? Wie oben ausgeführt, ist das Egla Arufa ja nur als Mahnmal für den Klall Jisrael gedacht und bildet keinen Ersatz für die Bestrafung des Mörders! Ferner bedarf auch der Wortlaut des Pasuks eine Erklärung:

Weshalb spricht er vom Wegschaffen „unschuldigen Blutes”, hier ist doch die Rede von der Hinrichtung eines “schuldigen” Mörders?

Vielleicht kann dies mit den Worten des Targum Jonathan ben Usiel beantwortet werden, der Bemerkenswertes berichtet: „Sofort nach dem Verscharren des getöteten Egla Arufa, kriechen Würmer aus dem Nabel des Kadavers hervor und begeben sich bis zum Haus des Mörders. Daraufhin soll das Bet-Din den Mörder ergreifen und hinrichten“.

Hier liegt somit ein Spezialfall vor, wonach das Bet-Din jemanden durch ein himmlisches Zeichen als Mörder identifiziert und verurteilt, anstelle der ansonsten von der Torah erforderlichen menschlichen Zeugenaussage!

Deshalb warnt der Passuk an dieser Stelle ausdrücklich, dass der Mörder nicht verschont werden darf: „Du aber sollst das unschuldige Blut aus deiner Mitte wegschaffen“. Auch wenn gemäss den üblichen Gesetzen zur Hinrichtung eines Mörders, dieser nur von den Würmern identifizierte Mann „unschuldig“ ist, sollst du ihn dennoch wegschaffen und töten, denn in diesem Falle wird so „das Rechte in den Augen von Haschem verrichtet“!

  1. Sefer haChinuch Mizwa 531
  2. Ramba“n Anfang Parschat Wajikra
  3. Sota 45b und Raschi zur Stelle, Raschi und Sifseh Chachamim zu Dewarim 21,4
  4. Sota 47b

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