„Denn dieses Gebot, das ich dir heute befehle, ist nicht unerreichbar für dich und (auch) nicht fern. Nicht im Himmel ist es…. und nicht jenseits des Meeres… sondern diese Sache ist dir sehr nahe, in deinem Mund und in deinem Herzen, um es auszuüben“ (30,11-14).
G‘tt hat die Welt mit Seiner einzigartigen Weisheit erschaffen und alles mit einer hervorragenden, wohl durchdachten Ordnung organisiert. Für das neugeborene Kind, das sofort und zu jeder Zeit mit leichter Kost genährt werden muss, steht die Muttermilch schon bereit, die exakt an den Körper und die Natur des Kleinkindes angepasst ist.
Ebenso verhält es sich mit der zum Leben benötigte Atemluft, die der Mensch erhält, ohne dass er dafür irgendwelche Anstrengungen unternehmen muss. Wasser, das zwar notwendig ist, aber nicht die gleiche Bedeutung wie die Luft hat, ist auffindbar, wenn auch mit etwas mehr Mühe. Für Brot dagegen, ohne das man bis zu drei Tage auskommen kann, muss man sich viel mehr anstrengen. Und der Bau oder Kauf eines Wohnhauses, das noch weniger wichtig ist für die Existenz des Menschen, erfordert noch viel mehr Zeit und Aufwand.
Im Prinzip verhält es sich also so, dass der Mensch für sein bloßes Überleben eigentlich gar nicht so viele Dinge braucht. Er hat sich jedoch an gewisse Annehmlichkeiten und manchmal gar an Luxus derart gewöhnt, dass er ohne sie nicht leben kann, auch wenn deren Beschaffung sehr aufwendig ist. Hkb“H, Der den Menschen erschaffen hat, kennt seine Natur am besten und hat ihm das wirklich Notwendige in greifbarer Nähe bereitgestellt. Was sich aber der Mensch selbst als unentbehrlich vorstellt, darum muss er sich selber kümmern.
Auf diese Weise erklärt der Meschech Chochma die Worte von Rabbi Schimon ben Elasar: „Habt ihr schon einmal einen Hirsch gesehen, der Feigen auf dem Feld trocknet, einen Löwen, der Lasten trägt, oder einen Fuchs, der einen Laden betreibt? Trotzdem ernähren sich alle Tiere ohne Not. Wenn das bei Tieren der Fall ist, die nur erschaffen worden sind, um dem Mensch zu dienen, sollte dies umsomehr bei den Menschen gelten, die ja zum G‘ttesdienst erschaffen wurden. Warum ernähren wir uns dann nur mit grosser Mühe? Wir haben es uns durch unwürdige Taten schwer gemacht, an unsere tägliche Ernährung zu kommen!“[1]
Üblicherweise wird der Sinn dieser Gemara so interpretiert, dass der Mensch durch seine Sünden seine „Parnassa“ (Lebensunterhalt) verliert. Rabbi Meier Simcha haKohen, der Dwinsker Raw sZl. erklärt, dass hier ganz etwas anderes gemeint ist: Wenn wir Menschen nicht unnötigen Luxus nachlaufen würden, so fänden wir unsere Nahrung und Bedürfnisse viel leichter!
Und genauso wie mit der physischen ‚Parnassa‘ des Menschen, verhält es sich auch mit seiner geistigen Nahrung.
Weil sie für die Existenz der Neschama lebenswichtig ist, ist sie leicht zu haben. „Tora munachat beKeren Sawit – die Tora liegt in einem Winkel, und jeder, der möchte, kann sie nehmen“[2]. Doch oft wird die greifbare Kost aus lauter Übereifer oder Übermut übersehen. Anstatt das Naheliegende und Einfache zu ergreifen, und sich mit den wichtigen und einfachen Teilen der Tora zu beschäftigen und sie zu verinnerlichen, verschwendet man seine Zeit und Mühe mit dem Streben nach unnötigen Zielen, die, wie der irdische Luxus, zweitrangig und gar überflüssig sind! Wer sich zu hohe Ziele setzt und sie daher nicht erreichen kann, den lehrt die Tora: „lo baSchamajim hi – sie befindet sich nicht im Himmel“!
Und für diejenigen, die glauben, die Tora sei zu schwer zu erfassen, oder es gebe für sie keine Möglichkeit zu lernen, weil die Bate Midrasch, Lehrer und Chawrussot zu weit weg von ihnen in der Ferne liegen, lautet die Wahrheit: „welo me’Ewer laJam hi – sie ist nicht jenseits des Meeres“.
Für jede nur erdenkliche Problematik gibt es befriedigende Lösungen und Antworten. Ganz besonders in einer Zeit wie der heutigen, in der uns die Technologie, Computer und immer neue Sefarim eine wahre Fülle von Möglichkeiten zum „Limud haTora“ bieten, liegt es nur noch am guten Willen und Interesse jedes Einzelnen, ob und wieviel er Tora lernt: