Rabbi Jakov Jizchak sZl., bekannt unter dem Namen „Der heilige Jehudi“, pflegte jeden Tag in der „Mischna Torah“, dem Sefer Dewarim zu lernen. Dies war sein „Sefer Mussar“! Er meinte, dass derjenige, der alle seine Tage mit Teschuwa verbringen möchte, ständig in der „Mischna Torah“ lernen solle.
Auf diese Weise wird erklärt, weshalb das Sefer Dewarim gerade mit der „Tochacha“, der Zurechtweisung Jisraels durch Mosche Rabenu über die begangenen Sünden des jüdischen Volkes, beginnt. Denn es war das Ziel dieses Sefers, dem Menschen den „Derech haTeschuwa“, den Weg der Selbsterkenntnis und Rückkehr zu G‘tt, zu lehren. Eine Andeutung dafür finden wir zu Beginn des Sefer Dewarim, das mit den Worten „Eleh haDewarim” – „Dies sind die Worte“ beginnt[1]. Mit ‘Dewarim‘ ist die ‘Teschuwa‘ gemeint, wie dies aus den Worten des Nawi (Propheten) Hoschea ersichtlich ist, der sprach (14,3): „Kechu Imachem Dewarim weSchuwu el Haschem“ – „Nimmt mit euch Worte und kehrt zurück zu Haschem“.
Passend dazu kommentiert der Or haChajim haKadosch die Fortsetzung des oben erwähnten Passuks:
„Ascher diber Mosche el kol Jisrael“ – „Dies sind die Worte [der Zurechtweisung] die Mosche zum ganzen Volk Jisrael sprach”. Nicht nur zu den dort anwesenden Jehudim, sondern zum ganzen Volk, also auch zu allen zukünftigen Generationen Jisraels[2].
Das jährliche Leinen der Parschat Dewarim am „Schabbat Chason“, dem Schabbat vor Tisch‘a beAw, ist überaus passend. Die Torah möchte uns damit auf unsere Aufgabe in diesen Tagen hinweisen, uns vermehrt mit der Teschuwa zu befassen und aus den begangenen Fehlern, welche zur Zerstörung des ‚Bet haMikdasch‘ und dem Untergang des jüdischen Reichs führten, zu lernen. So wird auch der Sinn des Namens „Schabbat Chason“, das vom Wort „Choseh“ – „Seher“ abgeleitet wird, als „Schabbat der Betrachtung und Besinnung“ gedeutet. Denn ohne eingehende Betrachtung der Fehler kann keine Teschuwa getan werden. Wie soll denn ein neues G‘tteshaus entstehen, wenn wir nicht zuerst das verfaulte Fundament ersetzen, statt nur die morschen Balken zu übertünchen?
Die Schabbatot der drei Wochen – und insbesondere der „Schabbat Chason“ – sind daher eine besonders geeignete Zeit für Teschuwa.
So erklärte einmal der Gerer Rebbe, der Bet Jisrael sZl.: „Im Wort ‚Schabbat‘ (שבת) ist die besondere Kraft der Teschuwa (שב), die an jedem Schabbat vorhanden ist, angedeutet. Zwar ist am Schabbat das „Awelut beFarhessja“, das öffentliche Trauern wie z.B. die Verminderung des Fleisch- und Weingenuss etc. verboten[3], aber „Dewarim sche‘beZin’ah“ (Genüsse, die im Verborgenen stattfinden) müssen eingeschränkt werden[4]. So kann auch am Schabbat Teschuwa gemacht werden, obwohl eine besonders starke Reue den Sünder zu einem gebrochenen Herzen und zum Weinen bringen können. Denn Teschuwa ist mit den auch am Schabbat aktuellen „Dewarim sche‘bezin’ah“ vergleichbar, Reue über im Verborgenen begangene Sünden…[5]
In diesem Sinne verglich sein Ururgroßvater, der Chidusche haRi“m sZl., die Teschuwa mit der „Brit Mila“, wie es im Passuk heißt (10,16): „uMaltem et Orlat leWawchem“ – „Ihr sollt die Verstocktheit eurer Herzen beschneiden“, und gemäß der Regel von „Mila doche Schabbat“[6] ist die Beschneidung am Schabbat erlaubt![7]
Ganz besonders gilt dies, wenn „Schabbat Chason” direkt vor – oder wie in diesem Jahr – auf dem Tag des ‚Churban haBajit‘ (Zerstörung des Tempels) fällt.
Ein solcher Schabbat ist eine ausgesprochen wirkungsvolle Zeit und Gelegenheit für die Teschuwa, auch wenn diese dann nur beZin’ah, im Verborgenen, im Herzen und Gedanken stattfindet. Gerade wenn man am festlich gedeckten Schabbat-Tisch sitzt, sich an schmackhaften Speisen und Getränke labt und erquickt, wenn eine heilige und erhabene Stimmung in der Stube herrscht, alle Hausgenossen und Gäste sich an den schönen ‚Semirot‘ erfreuen oder man sich über Inhalt und Lehre der wöchentlichen ‚Sidra‘ beschäftigt, gerade in diesem Moment soll auch an andere Jehudim gedacht werden, denen leider all dies nicht vergönnt ist! Indem man sich das noch immerwährende ‚Galut‘ vor Augen führt, wo leider so viele Jehudim den Schabbat entweihen oder nicht einmal eine Ahnung davon haben, was überhaupt Schabbat ist!
In diesem Sinne kommentiert der Ketaw Sofer sZl. die Erklärung Raschis, weshalb den Mosche Rabenu – wie Jakov Awinu – mit seiner Zurechtweisung bis vor seiner ‚Petira‘ (Ableben) wartete. Denn hätte er Jisrael während seines Lebens immer wieder ermahnt, so hätte dies keine fruchtbare Wirkung erzielt. Es liegt nämlich in der Natur des Menschen, dass er die Notwendigkeit für Teschuwa nicht einsieht, solange es ihm gut geht und er keinen Schmerz oder Not leidet.
Er sieht keinen Grund, weshalb er etwas anders machen soll oder sich ändern muss, auch wenn ihm dies von einem Nawi (Propheten) verkündet wird.
So hörte Jisrael auch nicht auf die Mahnungen der g‘ttlichen Boten, dass die Zerstörung des ‚Bet haMikdasch‘ bald bevorstehe, denn es ging ihnen gut, und sie waren mit sich und der Welt zufrieden. Deshalb wies Jakov Awinu seine Kinder und Mosche Rabenu das jüdische Volk erst vor ihrer ‚Petira‘ zurecht, im Anblick des Todes und des bereits zu verspürenden Schmerzes und Trauer über das baldige Dahinscheiden des Vaters und Lehrers. Denn nur dann, in einem solchen Moment, wenn man dem Verlust gegenübersteht und ins Auge sieht, ist der Mensch bereit für die „Tochacha“, für Zurechtweisung und Ermahnung über seine Vergehen.
- Bet Jakov (-Alexander, Ende Parschat Dewarim) ↑
- Siehe auch Bet Jakov ibid., Sfat Emet (P. Dewarim 5649) und Bet Jisrael (Dewarim 5716) ↑
- Schulchan Aruch (Orach Chajim 552,10 und Mischna Berura §10) ↑
- ibid. 554,19 und Mischna Berura §40 ↑
- Siehe Bet Jisrael (P. Dewarim 5716, 3. Abschnitt) ↑
- Schabbat 131a und Joma 85b ↑
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Bet Jisrael ibid. und Pne Menachem (Schabbat Teschuwa 5756) ↑