שׁוּבָה יִשְׂרָאֵל עַד ה‘ אֱלֹקֶיךָ כִּי כָשַׁלְתָּ בַּעֲוֹנֶךָ – „Kehre zurück Jisrael bis zu Haschem dein G’tt…”
Die Chasal sagen im Midrasch: „Haschem lobte Re’uwen: ‚Noch nie hat sich ein Mensch gegen mich versündigt und danach Teschuwa gemacht! Ata patachta biTeschuwa techila‘ – ‚Du hast als Erster mit der Teschuwa begonnen. Darum verspreche Ich dir, dass auch dein Enkel aufstehen und als Erster mit der Teschuwa beginnen wird‘”. Und wer ist dies? Der Nawi (Prophet) Hoschea, wie es heisst (Hoschea 14,2): „Schuwa Jisrael ad Haschem Elokecha“[1].
Die Meforschim wundern sich über diesen Midrasch: Ist es denn nicht so, dass bereits Adam haRischon und sein Sohn Kajin für ihre Vergehen ‘Teschuwa’ taten, lange vor Re’uwen? Ausserdem ist nicht klar, worin die „Mida keneged Mida“ (Maß um Maß) bestand, mit der Hkb”H den Re’uven belohnte!
Bekannt ist die Aussage des Rambam zum Thema Teschuwa:
„Was ist Teschuwa? Der Sünder lasse von seinen Sünden ab, verbanne sie aus seinen Gedanken… – ”עַד שֶׁיָּעִיד עָלָיו יוֹדֵעַ תַּעֲלוּמוֹת” – „bis derjenige, der alle verborgene Dinge weiss, bezeugen kann, dass er nie mehr zu dieser Sünde zurückkehren wird“[2].
Der Lechem Mischna wundert sich darüber und fragt: „Wie kann Hkb“H bezeugen, dass der Mensch nie mehr diese Sünde begehen wird? Man bleibt doch bis zu seinem Lebensende ein „Ba‘al Bechira“ (Inhaber eines ‘freien Willens’), also ein Mensch, der der sich in jedem Moment aus eigenem Antrieb wieder vom Guten abwenden kann?“
Bekanntlich gibt es zwei Arten der „Jir’at Haschem“ (G’ttesfurcht)[3]. Die niedrigste Stufe ist „Jir’at haChet“ – die „Furcht vor der Sünde“, wie es heisst (Tehilim 51,5): „Wecha‘tati Ienegdi tamid“ – „Meine Sünden sind ständig vor meinen Augen”. Wer aber nur diese besitzt und G’tt nur aus Angst vor Strafe fürchtet, dessen Furcht währt nicht lange, weil man sich die Strafen nicht eindrücklich genug vorstellen kann. Der ‘Jezer haRa’ kann dem Menschen leicht einreden, dass die Strafe von Hkb“H nicht so schlimm und streng sein wird. Außerdem verdrängt man schnell die Angst vor der Strafe mit der Behauptung, dass man durch ‘Teschuwa’ alles schnell wieder in Ordnung bringen kann.
Wenn sich der Mensch aber Gedanken über die Wunder G’ttes macht und sie zu begreifen sucht, gelangt er zur „Jir’at haRomemut“:
Der „Ehrfurcht vor Seiner Grösse“, die auf den Menschen wie eine Zurechtweisung wirkt und ihn zur Bescheidenheit bewegt. Diese Art der Jir’ah ist beständiger, denn die Größe von Hkb“H kann sich der Mensch ständig vor Augen führen, wenn er auch nur ein wenig die Wunder dieser Welt betrachtet, ganz zu schweigen von den Wundern, die übernatürlich sind. „Da lifne Mi ata omed“ – „Wisse, vor wem du stehst”, verstehe und erkenne Seine Größe an. „Schiwiti Haschem lenegdi tamid“ – „Die Größe von Haschem sei dir ständig vor Augen” (Tehilim 16,8).
Dies meint auch der erwähnte Rambam: Der Mensch sollte nicht aus Furcht vor Strafe Teschuwa machen, da trotz dieser Furcht ihn der ‘Jezer haRa’ leicht wieder davon abbringen kann. Stattdessen soll er sich durch die Betrachtung der Größe Haschems zur Teschuwa bewegen lassen, weil sie ihn dann nicht mehr sündigen lässt. Dann erst kann Haschem von ihm bezeugen, dass er nicht mehr – dank seiner neuen Einsicht und Wahrnehmung – sündigen wird. Er wird nicht mehr zu seinen früheren Vergehen zurückkehren, denn diese Sünde hatte er ohne die Erkenntnis der g‘ttlichen Größe und Herrlichkeit begangen.
Eine solche Teschuwa machte Re’uwen.
Er war deshalb der erste Jehudi, der Teschuwa aus „Jir’at haRomemut“, aus reiner Ehrfurcht vor Hkb“H, machte. Adam haRischon und Kajin hingegen machten Teschuwa aus Furcht vor Hkb“Hs Strafe, denn sie beide begannen mit ihrer Teschuwa erst, nachdem bereits eine Strafe über sie verhängt worden war. Deshalb besaß Re’uwen den ‘Sechut’ (Verdienst), dass seine Enkel die von ihm begonnene Art der Teschuwa weiter im Klall Jisrael verbreitete und sie dazu aufforderte: „Schuwa Jisrael“ – „Jisrael, machet Teschuwa”, aber nicht aus Furcht vor G’ttes Strafe, sondern „ad Haschem Elokecha“ – „bis zu Haschem dein G’tt”, also aus einer Anerkennung der Grösse von Hkb“H heraus.
Des Weiteren sagen Chasal: „Gedola Teschuwa schemaga’at ad Kisseh haKawod“[4]. Gewöhnlich wird dies so verstanden, dass die Teschuwa deshalb so gewaltig ist, weil sie bis zum g’ttlichen Thron vordringt. Es könnte aber auch so verstanden werden: Gross ist eine solche Art der Teschuwa, welche die Kraft besitzt, bis zum ‘Kisseh haKawod’ vorzudringen. Damit ist die „Jir’at haRomemut“ gemeint – die Ehrfurcht vor der Größe Haschems.
Auch Mosche Rabenu folgte der Idee Re’uwens und versuchte vor seinem Ableben den Klall Jisrael zu dieser Art der Teschuwa zu ermuntern.
„Wajelech Mosche, wajedaber et haDewarim haEle el kol Jisrael“ – „Mosche ging und sprach diese Worte zu ganz Jisrael“. Im Midrasch wird dieses „Gehen“ als „Tochacha“ (Zurechtweisung) interpretiert, gemäss dem Passuk (Tehilim 46,9): „Lechu chasu mif’alot Haschem“ – „Geht, schaut die Werke von Haschem“[5]. Doch worin liegt der Zusammenhang zwischen der Betrachtung der Werke G’ttes und einer Zurechtweisung?
Es scheint offensichtlich, dass der Midrasch hier der oben erwähnten Betrachtung folgt und uns die Besonderheit der „Jir’at haRommemut“ vor Augen führt, die den Menschen beim Betrachten der gewaltigen ‚Niflaot haBoreh‘ (Wunder G’ttes) und der ‚Haschgacha Pratit‘ (G’ttliche Vorsehung über dem Individuum) überkommt. Wer sich intensiv mit den Werken und Taten von Hkb“H auseinandersetzt, der wird dadurch von ihnen regelrecht zurechtgewiesen. Wie klein der Mensch doch vor G‘tt ist, und wie dankbar wir Ihm ständig für Alles sein müssen! Eine solche Betrachtung führt unweigerlich zu einer starken Teschuwa.
In diesem Sinn erklärt der Kli Jakar den erwähnten Passuk:
„Wajelech Mosche…“ – „Mosche ging zu allen Jehudim“. „Wajedaber et haDewarim haEle el kol Jisrael“ – „Und er sprach all diese Worte zum ganzen Volk Jisraels”, womit die Ausübung der Teschuwa gemeint ist, von der in der Parscha davor die Rede war (30,11-14): „Ki haMizwa haSot ascher Anochi meZawecha haJom…” – „Denn diese Mizwa, die Ich dir heute befehle, ist nicht verborgen und fern vor dir; es ist nicht im Himmel… Sondern die Sache ist dir ganz nahe, [um] sie in deinem Mund und in deinem Herzen auszuüben“.
Von welcher Mizwa ist hier die Rede? „Damit ist die Mizwa der Teschuwa gemeint”, erklärt der Ramban, wie es im Passuk zuvor ausdrücklich heisst (30,10): „Wenn du auf die Stimme von Haschem deines G’ttes hörst… wenn du zu Ihm zurückkehrst mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele“. כִּי קָרוֹב אֵלֶיךָ הַדָּבָר מְאֹד בְּפִיךָ וּבִלְבָבְךָ לַעֲשֹׂתוֹ – „Die Teschuwa“, kommentiert der Wilnaer Gaon sZl., „ist dir ganz nahe, weil du dafür nicht bis in den Himmel hinaufsteigen musst, um sie auszuüben. Für die Teschuwa genügt dein Mund, dein Herz und dein Tun für die drei Vorgänge, durch die der Mensch alle seine Tätigkeiten ausübt: „Machschawa, Dibur und Ma’asseh” – die Gedanken, das Reden und die Tat.
Deshalb benötigt man für die Teschuwa die folgenden Schritte:
- «Charata», die Reue im Herzen wegen der begangenen Sünden – für unlautere Gedanken;
- «Widui», das mündliche Bekennen aller seiner Sünden – insbesondere für die Sünden, die er mit seinem Reden beging; und
- «Asiwat haChet», das Ablassen von sündigen Taten und «Kabbala al ha’Atid», den Vorsatz zur künftigen Besserung – um seine Taten in jeglicher Hinsicht zu korrigieren, sei es in Bezug auf übertretene Verbote (Mizwot lo ta’asse) oder die Unterlassung von Geboten (Mizwot Asse).
So brachte Mosche Rabenu an seinem letzten Lebenstag dem jüdischen Volk den richtigen Weg zur Teschuwa bei, wie diese mit Hilfe der drei oben erwähnten Schritte ausgeführt werden muss. „Wajedaber et haDewarim haEle el kol Jisrael“ – „Und er sprach all diese Worte zum ganzen Volk Jisraels”. Mosche erklärte ihnen zudem, dass es grundsätzlich jedem Jehudi möglich sei, Teschuwa zu tun. Doch dies gilt nur für die unterste Stufe der Teschuwa (תשובה תתאה), wenn diese aus Furcht vor G’ttes Strafe getan wird. Deshalb verwendet der Passuk bei dieser Teschuwa das Wort ”wajedaber”, womit strenge Rede und Zurechtweisung gemeint ist, weil dieser Weg nicht ganz so stabil ist und die ‘Midat haDin’ (G’ttes Strenge) nicht vollständig von ihm weicht.
Danach fügte Mosche aber hinzu:
„Wajomer alehem…” – „Er sagte zu ihnen: 120 Jahre bin ich heute alt…” Raschi erklärt dies so: „Mosche sagte: „Heute bin ich geboren worden und heute werde ich sterben”. Hiervon lernen Chasal, dass Haschem den Zadikim ihre Jahre ganz macht[6]. Bei dieser Aussage verwendet Mosche die sanfte Ausdrucksweise ”wajomer”. Hier spricht Mosche zu den Zadikim und Personen, die Haschem auf einer höheren Stufe dienen wollen und daher wie er die Gunst besitzen, von Haschem ganze Jahre zu erhalten. Sie sollen wissen, dass es noch eine weit höhere Art der Teschuwa gibt (תשובה עילאה), „Lo uchal od lazet welawo” – „Ich kann nicht mehr ein- und ausgehen”. Diese aus der Ehrfurcht vor G’tt erwachsende Teschuwa jedoch ist standhaft und stabil. Sie benötigt keine Verbesserung mehr!
- Midrasch Bereschit Rabba 84,19 ↑
- Rambam Hilchot Teschuwa 2,2 ↑
- Siehe ausführlich Messilat Jescharim Kap.24 u.a. ↑
- Joma 86b ↑
- Midrasch Tanchuma P. Wajelech ↑
-
R”H 11a, Kiduschin 38a und Sota 13b ↑