Wochenabschnitt Wajischlach – Der Kampf um den Erhalt der drei Säulen der Welt

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
säulen

Der ganze Zweck unseres Daseins auf dieser Welt besteht darin, uns zu vervollkommnen und Haschem näher zu kommen.

Dieses Ziel erreichen wir durch das, was als die drei Säulen auf denen die Welt steht, bezeichnet wird: „Torah, Awodah und Gemilut Chassadim – Torah, G’ttesdienst und Wohltätigkeit“[1].

Wie in den Sefarim haKedoschim (heiligen Büchern) ausgeführt wird, bestand die besondere Leistung unserer drei „Awot haKedoschim“ (Väter des Volkes) darin, dass sie die Basis und Grundlage dieser drei Wege der “Awodat Haschem” (G’ttesdienstes) für den Klall Jisrael geschaffen und in ihm verankert haben. Jakov Awinu schloss diese Arbeit nicht nur mit der Verankerung der dritten Säule des „Limud haTorah“ ab, sondern verkörperte zugleich die Vereinigung aller drei Säulen.

Verständlicherweise lastete diese gewaltige Aufgabe schwer auf den Schultern Jakovs.

Er zitterte daher vor seinem Bruder Esaw, obwohl Hkb“H ihm bereits versicherte hatte, ihn vor allem Unheil zu behüten (Bereschit 28,15). Denn Jakov befürchtete, „schema garam haChet“, dass er sich inzwischen irgendeiner Sünde schuldig gemacht hatte, und somit Esaw nicht mehr gewachsen sein würde[2].

Kannte er doch seinen Bruder zur Genüge, der schon bald, nachdem sie groß geworden sind[3], sein wahres Gesicht gezeigt hatte (ibid. 25,34): „Wajiwes Esaw et haBechorah – Esaw verachtete das Erstgeburtsrecht“. Chasal berichten darüber Folgendes[4]: „Fünf Sünden beging Esaw an diesem Tag (an seinem dreizehnten Geburtstag): Mord und Vergewaltigung eines verlobten Mädchens“ – womit er gegen die Säule von Cheßed, den sozialen Umgang mit seinen Mitmenschen, verstieß; „G’ttes-Verleugnung und Verleugnung der ‘Techijat haMetim’ (Auferstehung der Toten)“ – womit er gegen die Säule der Torah verstieß; und „Verachtung der Bechorah”, d.h. er verachtete den heiligen Dienst im ‘Bet haMikdasch’, die zuvor den Erstgeborenen vorbehalten war[5] – womit er gegen die Säule der Awodah verstieß. So wandte sich Esaw an diesem Tag gleich von allen Wegen der Awodat Haschem ab, vom Ziel unseres Glaubens, und somit vom Sinn des Lebens.

Als sich nun Jakov Awinu auf seine Begegnung mit Esaw vorbereitete, rüstete er sich dementsprechend mit dem Einhalten dieser drei Säulen.

Er zeigte so, dass Esaw ihm nichts anhaben könne, da Jakov auch weiterhin das Anrecht auf die Bechorah und die damit verbundenen Berachot habe, da er sich völlig dem G’ttesdienst auf allen drei Wegen widmet. So ließ er Esaw die Nachricht zukommen (32,5): „Im Lawan garti – bei Lawan wohnte ich”, das von Raschi so gedeutet wird: „Das Wort גרתי hat dieselben Buchstaben wie תרי“ג, womit er ihm sagen liess: „Im Lawan garti, weTarjag Mizwot schamarti“, trotz meines langen Aufenthalts beim Bösewicht Lawan bin ich von ihm nicht negativ beeinflusst worden, sondern habe auch weiterhin die ganze Torah mit allen 613 Mizwot beachtet!

Außerdem schickte er ihm reiche Geschenke auf freigiebige Art, und zeigte so, dass er auch sozial tätig ist und Cheßed mit seinen Mitmenschen ausübe. Dieses Geschenk war zugleich auch eine Anspielung auf den Erhalt der Awodah, den es bestand aus 550 Tieren, den 550 ‘Korbanot Zibbur’ (Gemeinde-Opfer) entsprechend, die Jisrael später im Bet haMikdasch jeweils an den Schabatot und Moadim darbrachten.

Bemerkenswert ist zudem, dass all diese Tiere irgendeinen Makel (‘Mum’) besaßen und somit ungeeignet waren, als Korbanot dargebracht zu werden.

Dies wird im Passuk (32,14) angedeutet, in dem jedes Wort mit dem Buchstaben Me”m endet: „עזים מאתים ותישים עשרים רחלים מאתים ואילים עשרים”. Auch bei den Korbanot findet sich ein solch ungewöhnlicher Passuk (Bamidbar 29,33): „ומנחתם ונסכיהם לפרים לאילים ולכבשים במספרם כמשפט”[6]. Jakov zeigte dem Esaw damit, dass er sich und seine Kinder schon auf den künftigen Dienst im Bet haMikdasch mit dem Lernen der Halachot der Korbanot vorbereiten. Er versteht es daher, die fehlerhaften Tiere genauestens zu erkennen und auszusortieren…

Die Ba’ale haTosafot erwähnen einen weiteren interessanten ‘Remes’ (Andeutung) auf die oben erwähnten Worte Jakovs an Esaw: „עם לבן גרתי – mit Lawan wohnte ich”. Das Wort גר-תי ist eine Andeutung auf das erste Bet haMikdasch, in dem die g’ttliche Schechina 410 Jahre lang ruhte, also גר-wohnte und ת“י hat den Zahlenwert von 410. Mit לבן wird auf die Korbanot angedeutet, mit denen man sich dort von seinen Sünden reinwaschen konnte (מלבן bedeutet wörtlich ”weiss machen”)[7].

Dennoch versuchte der Mal‘ach (Engel) von Esaw, sich gegen Jakov zu stellen.

Er musste einsehen, dass er gegen drei so starke Säulen nicht viel bewerkstelligen konnte und griff daher zu List und Tücke: Wie der Ba’al haTurim schreibt, versuchte er Jakov anzugreifen um ihn zu verkrüppeln. Denn als „Ba’al Mum” (Invalide) dürfte Jakov keine Awodah verrichten und keine Korbanot darbringen[8].

Er konnte zwar den Jakov nicht besiegen, doch es gelang ihm seinen Hüftballen zu verrenken (32,25). Da dieser Kampf kein physisches Kräftemessen war, sondern ein geistiges Ringen um die ruchanius‘dige (spirituelle) Zukunft des Klall Jisrael, geben uns Chasal die Tragweite dieser geistigen Verletzung zu verstehen und sagen im Midrasch: „Er verursachte dadurch einen Schaden bei den Nachkommen Jakovs – damit ist das ‘Dor schel Schmad’ – ‘Generation der Abtrünnigen’ gemeint”[9].

Gemäss der Meinung mancher ist damit die langjährige, hellenistische Unterdrückung während des ‘Zweiten Bet haMikdasch’ gemeint. Nach der Meinung anderer ist damit die 20-jährige, schwere Verfolgung während der hadrianisch-römischen Herrschaft gemeint. In beiden Epochen wurden leider viele Neschamot (Seelen) vom jüdischen Weg der Torah abgebracht.

Dennoch errang Esaw keinen Sieg über Jakov.

Mit dem “Nes Chanuka” (Chanukawunder) konnte die Awodah im Bet haMikdasch wieder aufgenommen werden, und nach dem Tod des Kaisers Hadrian j”s, erlebte die Torah eine ihre stärksten Blütezeiten in der Generation der Schüler von Rabbi Akiwa und Rabbi Jehuda haNassi.

Als Esaw einsehen musste, dass er gegen diese beiden Säulen von Jakov – Torah und Awodah – nichts ausrichten konnte, versuchte er zumindest, Jakovs „Gemilus Chassadim“ anzugreifen. Er versöhnte sich mit ihm und bat ihn, ihm in sein Land zu folgen. Dort wollte er ihn durch die Sitten und Bräuche von Edom beeinflussen, wo die freundliche und zuvorkommende Art gegenüber Fremden verabscheut wird[10]. Doch auch hier verstand Jakov sofort den Zweck dieser falschen Freundlichkeit und lehnte dies ab.

Deshalb betont der Passuk nachträglich (33,18): „Wajawo Jakov Schalom Ir Sch’chem – Jakov kam ganz nach Sch’chem”. Raschi zur Stelle erklärt: „Ganz in seinem Körper“[11] – Haschem heilte ihn, so dass er kein Ba’al Mum (Invalid) mehr war und die Awoda der Korbanot wieder ausführen konnte, was er nach den tragischen Geschehnissen in Sch’chem tatsächlich tat (35,1). „Ganz in seiner Torah“ – er hatte in all diesen schweren Jahren sein Torahlernen nicht vernachlässigt und nichts davon vergessen. „Und ganz in seinem Geld“ – trotz aller erlittenen Schwindeleien von Seiten Lawans blieb Jakov seinen Verpflichtungen ihm gegenüber treu und tat nichts unrechtmäßiges, obwohl er dazu allen Grund gehabt hätte (siehe 31,36-42).

Er blieb also auch in seinem Gemilus Cheßed und im Umgang mit seinen Mitmenschen, mit körperlichem Einsatz und finanziell „ganz“.

  1. Pirke Awot 1,2
  2. Berachot 4a und Raschi 32,11
  3. Bereschit 25,27-34
  4. Baba Batra 16b und Bereschit Rabba 63
  5. Raschi 25,32
  6. Tosafot haSchalem zu Torah 32,13/6 und Jalkut Re’uweni. S.a. Ba’al haTurim 32,14.
  7. Tosafot ibid. 32,4/13
  8. Siehe Ba’al haTurim 28,20
  9. Midrasch Bereschit Rabba 77,3
  10. Siehe Bamidbar 20,21 und Raschi Dewarim 23,8
  11. Raschi 33, 18 gemäss Schabbat 3b und Bereschit Rabba 79,5

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