Nachdem sich Jakov Awinu mit 14 Jahren emsigen Torahlernens in der Jeschiwa von ‘Schem und Ewer’ geistig gestärkt hatte[1], machte er sich endlich auf den Weg zu seinem Onkel Lawan nach “Aram Naharajim” (Mesopotamien). Bisher hatte Jakov Awinu sich vor den meisten Gefahren und Prüfungen des Lebens in das “Zelt der Torah” zurückziehen können, sich von allen irdischen Verlockungen absondern und sich lediglich dem G’ttesdienst widmen können. Jetzt aber musste er gezwungenermaßen in das gewöhnliche Leben dieser Welt eintreten und sich all ihren Gefahren stellen.
Nun kam der Prüfstein seiner ganzen bisherigen “Awodat Haschem”:
War diese wirklich so intensiv und ausgeprägt, dass er auch ausserhalb des ‘Bet Hamidrasch’, abgeschnitten von der guten Kinderstube seiner heiligen Eltern, diesen Weg weiter, ohne jegliche Abweichung, schreiten konnte?
Daher wiederholt der Passuk nochmals den Auszug Jakovs aus Be’er Schewa, obwohl dieser bereits 14 Jahre zuvor geschah, wie am Ende der letzten Parscha berichtet wurde. Denn Jakov war im geistigen Sinne bisher noch gar nicht von seinem Zuhause weggegangen, er war lediglich von einer Jeschiwa in eine andere gezogen, aus einem G’tteshaus in das andere übergewechselt. Hingegen jetzt, da er sich auf den Weg nach Charan begab – „Wajelech Charana“ – das vom Sohar haKadosch als „Charon Af – Entbrennen des Zornes“ interpretiert wird[2] – da begann sein eigentlicher Wegzug aus Be’er Schewa: „Wajeze Jakov“. Denn die richtigen Gefahren und Prüfungen – der Charon Af des ‘Jezer haRa’ (des Triebs zum Bösen) – lauerten erst in Charan auf ihn, und ihn dort zu verführen.
Ganze 22 Jahre lang wurde Jakov von Lawan auf Strich und Faden Tag für Tag hereingelegt. Dies begann mit dem Austausch von Rachel gegen Lej’ah, und endete bei der Viehaufteilung, wo Lawan jedesmal seine Abmachungen abänderte oder abstritt (der geborene Politiker!).
Jakov Awinu aber sagte 22 Jahre lang kein Wort!
Während sich Lawan und seine Gesellen fortwährend über die übernatürliche ‘Hazlacha’ (Erfolg) von Jakov aufregten und daher immer neue Intrigen spannten, um ihn gänzlich auszubooten, erduldete Jakov alle Mühseligkeit schweigend: Er regte sich überhaupt nicht auf.
Und nicht nur das, er führte seine Arbeit weiterhin treu, exakt und ehrlich aus, so dass ihm niemand irgendeine Schuld zuschieben konnte. Der „Charon Af“ blieb bei Lawan, und konnte Jakov nichts anhaben!
Vielleicht kann somit eine weitere Stelle im Sohar haKadosch verstanden werden, der die Arbeit Jakovs bei der Viehzucht mit dem “Anlegen der Tefillin” vergleicht[3]. Auch in den Poßkim wird zu diesem Thema eine interessante Andeutung dafür gefunden, dass man zuerst den Tallit anziehen und erst danach die Tefillin anlegen soll, denn es heisst (30,42): „Wehaja Ha’atufim Lelawan weHakeschurim leJakov – die Spätgeborenen waren für Lawan und die Frühgeborenen für Jakov“, „Atufim“ ist eine Andeutung für das Einhüllen im Tallit (להתעטף בציצית) und „haKeschurim“ für das Festbinden der Tefillin (קשר תפילין)[4].
Worin aber besteht der Zusammenhang zwischen der Viehzucht Jakovs und Tallit und Tefillin?
Jakov Awinu vergass auch im Hause Lawans nicht die Lehre seines Vaterhauses und war auch während seiner Arbeit, als er sich mit dem Vieh abgab, mit Hkb“H verbunden – in Tallit und Tefillin gehüllt! So handelte er auch gegenüber einem solchen Bösewicht und Betrüger wie Lawan immer nur mit Treue und Ehrlichkeit und verlor nie seine Emuna und Bitachon in Hkb“H.
Nur ein einziges Mal zürnte Jakov Awinu dem Lawan und sagte ihm seine Meinung ins Gesicht, nämlich dann als sein Schwiegervater ihm wie einem Dieb nacheilte und alle seine Zelte nach seinem entwendeten Götzen absuchte. „Wajichar leJakov wajarew beLawan… – da verdross es Jakov und er stritt sich mit Lawan und sagte zu ihm: „Was ist mein Verbrechen, was ist meine Sünde, dass du mir nachgesetzt hast?“ (31,26)
Aber auch dieser “Charon”, dieser Zorn, war berechnet, wie der Ramban erklärt. Zuerst ließ ihn Jakov alle seine Sachen abtasten und seinen Götzen suchen, und erst danach – als Jakovs Unschuld bewiesen war – wies er Lawan zurecht.
Rabbi Jisrael Friedmann, der heilige Rus’ziner sZl. ging einen Schritt weiter und erklärte:
„Den Zadik Jakov Awinu störte auch diese Belästigung und letzte Schikane von Seiten Lawans nicht, und er hätte sich nach 22-jährigem Schweigen auch jetzt zurückhalten können. Jakov nahm jedoch den ‘das Böse verkörpernde’ Lawan sehr ernst. Nicht umsonst war er von einem Tag auf den anderen geflohen, denn er fürchtete, Lawan würde ihn nicht aus seinen Fängen lassen, bis es ihm doch noch gelingen würde, Jakov (chalila) geistig wie materiell zu vernichten. Die Intrigen von Lawan gegen Jakov zielten nämlich nicht nur auf dessen materiellen Besitz. Vielmehr ging es dem über grosse “unreine Kräfte” besitzende Zauberer um die geistige Zerstörung Jakovs – „Arami Owed Awi – Lawan der Aramäer [wollte] meinen Vater [Jakov] vernichten” (Dewarim 26,5).
Deshalb erregte sich Jakov derart und fragte: „Was sind meine Verbrechen und Sünden? Habe ich denn tatsächlich so fest gesündigt und bin dem “Koach haTum’ah” verfallen, dass du mir nacheilst und mich nicht aus deinen Händen lassen willst?” – Davor zitterte Jakov Awinu!
Lawan sucht seinen Götzen bei Jakov.
Dies gab Jakov zu denken: Weshalb sollten sich dieser hier, in einem Haus voll Heiligkeit und Reinheit, befinden? Folglich verstand Jakov, dass Lawans Anschuldigungen einen viel tieferen Aspekt hatten: Mit ‘seinem Götzen’ meinte er wohl andere Awerot, wodurch Jakov der Tum’ah Lawans verfallen sein sollte.
Dagegen erwidert Jakov auf heftige Weise: „20 Jahre lang habe ich dir ehrlich gedient…”. Er machte einen “Cheschbon haNefesch” (Rechenschaft von sich selbst), er zählte seine Treue und Ehrlichkeit auf und findet keine einzige Sache, mit der er sich gegen G’tt und Seiner Torah versündigt hatte! Er plädiert daher auf Freispruch – und Lawan muss ihm Recht geben…
- Siehe Raschi 28,9 und ende 11 ↑
- Sohar Bd1. Anfang P. Wajeze ↑
- ibid. Parschat Wajeze S.162a. Siehe auch Tosafot haSchalem zu P. Wajechi in Haschlamot zu S. 176. ↑
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Ateret Skenim und Elja Rabba zu Schulchan Aruch (O”Ch Anfang 25) und Kaf haChajim 25,2 im Namen des Ben Isch Chai (Wajero 3). ↑