Die Zweifel und Bedenken von ‘Rivka Imenu‘
„Wajit‘rozazu haBanim beKirba, watomar, im ken, lama seh Anochi… – als sich die Kinder heftig in ihrem Innern regten, da sprach sie (Rivka): „Wenn dem so ist, warum (wollte ich es) denn?“ Und sie ging um Haschem zu befragen“ (25,22).
„Es kann unmöglich sein“, schreibt der „Or haChajim haKadosch“, „dass Rivka Imenu ihren Wunsch zur Schwangerschaft bereute. Rivka war eine ausgesprochene Zadeket, der nur die Ausübung ihrer ‘Awodat Haschem‘ (G’ttesdienst) und der Aufbau des zukünftigen Klall Jisrael am Herzen lag!“
Aus diesem Grund lehnt der Or haChajim die Erklärung mancher Rischonim[1] ab, die folgende Frage stellen: „Weshalb wandte sich Rivka sich nicht an ihren Schwiegervater Awraham Awinu oder an ihren Mann Jizchak Awinu, die beide Newi’im (Propheten) waren, sondern begab sich stattdessen zum Bet haMidrasch von ‘Schem und Ewer‘, wie Raschi schreibt. Sie erklären daher, dass Rivka einen halachischen Entscheid einholen wollte, der es ihr erlauben sollte, durch ein Medikament ihre Schwangerschaft abzubrechen. Da sie eine negative Einstellung bei ihrer Familie fürchtete, die so lange (20 Jahre[2]) auf die Geburt der Kinder wartete, wollte sie die Meinung Außenstehender erfragen.
Bedenkt man jedoch Rifkas wahre Interessen, wie sie der Or haChajim betont, so rückt auch diese Erklärung der Rischonim in ein anderes Licht: Wie Raschi von Chasal zitiert, wollte Esaw beim Vorbeigehen eines Götzenhauses dort hinein gehen und bewegte sich daher energisch im Bauch der Mutter. Rivka, die davon ausging, dass sie nur ein Kind trug, befürchtete daher, dass dieses Kind nicht der würdige Nachfolger und Stammeshalter zur Begründung des Klall Jisrael sein könne. Darum dachte sie, dass ihr ein schweres Vergehen unterlaufen war und sie nicht mehr würdig war, diesen Vater des jüdischen Volkes zur Welt zu bringen.
Auf diese Weise kommentiert der Zeror haMor das überflüssige scheinende Wort „beKirba – in ihrem Innern“. Es hätte eigentlich nur „Wajit‘rozazu haBanim – es stritten/regten sich die Kinder“ stehen müssen. Da dies während ihrer Schwangerschaft passierte, ist es doch klar, dass dies in ihrem Innern geschah. Der Passuk möchte uns aber lehren, wie Rivka Imenu sich selbst die Schuld ihrer angeblicher Verfehlung gab: „beKirba – es ist wegen mir!“
Als echte Zadeket war sie bereit, die Konsequenzen ihrer Taten zu tragen. Vielleicht würde Haschem ihre Teschuwa erhören und ihr eine weitere Chance geben, sie also noch einmal schwanger werden lassen – mit dem richtigen Vater Jisraels, mit einem echten Zadik. Andernfalls müsste Jizchak eine andere Frau heiraten. Doch „dieser“ Rascha, der sich jetzt in Ihrem Innern befand und Götzen dienen wollte, sollte besser gar nicht zur Welt gebracht werden. Deshalb wollte sie um die Erlaubnis zur Abtreibung bitten, um dessen Geburt zu verhindern!
So werden die schwer zu übersetzenden Worte Rivkas verständlich: „Im ken – wenn dem so ist“, dass ich einen zukünftigen Rascha trage, „lama seh Anochi – warum denn ich“, weshalb bin dann gerade ich die Frau von Jizchak, dem Zadik und Gründervater Jisraels. Ich bin doch gar nicht würdig, den Klall Jisrael als Stammesmutter zu dienen!“
Dazu passt die von den Ba’ale haTosfot zitierte ‘Gematria‘ (Zahlenwert) des Wortes זה, das auf die 12 Stämme Jisraels hindeutet [7+5=12], als deren Stammesmutter sich Rivka nicht für geeignet betrachtete[3].
Dies passt auch zur Erklärung Raschis der Worte „Lama seh Anochi – Wozu habe ich mir die Schwangerschaft erbeten?“ Ich war doch (noch) nicht würdig, um den Stammesvater zu gebären! Und der Ramban interpretiert es so: „Lama seh Anochi – Weshalb lebe ich überhaupt?“ Denn mein ganzes Streben auf dieser Welt gilt doch nur der Errichtung des Klall Jisraels, etwas anderes hat keinen Sinn für mich.
So dachten und handelten unsere ‘Imahot haKedoschot‘ (heiligen Stammenmütter) und dies war wohl der Grund, dass eben sie dafür auserwählt wurden, diese noch nicht existierende Nation von Jisrael aufzubauen! Awraham und Jizchak Awinu, die ihr ganzes Leben lang Menschen zur Rückkehr zu G’tt bewegten, hätten sich wahrscheinlich nicht so gesträubt und vielleicht darauf gezählt, auch aus diesem Sohn, der Götzen dienen wollte, einen g’ttesfürchtigen Mann zu machen. Rifka Imenu aber, die aus einem götzen dienenden Haus stammte und daher den Unterschied kannte zwischen einem Zadik, der von Geburt auf G’ttes Pfaden folgt, und einen Ba’al Teschuwa, wie sie es war, verstand, dass der dritte und endgültige Vater Jisraels nur ein vollständiger Zadik – יעקב שלימתא – sein konnte, der ein regelrechter „Kadosch miBeten Imo“, ein bereits „aus dem Mutterbauch hervorgehender Heiliger“, war.
- Ba’ale Tosfot in Moschaw Skenim und Perusch Rabbi Chajim Paltiel ↑
- Siehe Raschi 25,20 ↑
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Hadar Skenim und Tosafot haSchalom ↑