Wochenabschnitt Pinchas – Die besondere Stufe und Fähigkeit von Mosches Nachfolger

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Stufe

Haschem sprach zu Mosche: „Du wirst eingesammelt werden zu deinem Volk (sterben)…“ Da sprach Mosche zu Haschem: „Der G’tt, der Geist alles Fleisches, setze einen Mann über die Gemeinde ein, der vor ihnen auszieht und heimkehrt…, damit die Gemeinde von Haschem nicht einer Schafherde ohne Hirten gleicht!“ Und Haschem sagte ihm: „Nimm den Jehoschua bin Nun…“ (27,13-18)

Als Mosche Rabenu, der treue Führer und Hüter Klall Jisraels, sein Todesurteil vernommen hatte, galt sein erster Gedanke der Wahl eines geeigneten Nachfolgers. Er blieb dem ihm anvertrauten Volke bis in den Tod treu, und konnte sich nicht zur Ruhe legen, ehe er sich nicht vergewissert hat, dass es auch für eine Zukunft ohne Mosche Rabenu gerüstet ist[1]. Dennoch ist die Bitte Mosches, der Haschem die Charaktereigenschaften und Voraussetzungen seines Nachfolgers aufzählt, über die jener verfügen sollte, etwas ungewöhnlich.

Weshalb sollte Hkb“H dem Volk nach Mosches Ableben keinen guten „Manhig“ (Anführer) geben?

Es scheint daher, dass Mosche Rabenu hier eine besondere Eigenschaft genannt hat, die ohne seine ausdrückliche Bitte von Haschem möglicherweise nicht berücksichtigt worden wäre. Welche Eigenschaft ist hier gemeint und weshalb?

Raschi erklärt, weshalb Mosche hier eine Bitte an G’tt zum ersten Mal mit der aussergewöhnlichen Bezeichnung „Eloke haRuchot“ – „Haschem, der G’tt der Geister alles Fleisches“ einleitet. Mosche bat um einen Anführer, der imstande war, mit den verschiedenen Denkweisen der Menschen zurechtzukommen. Haschem antwortete ihm darauf (27,18): „Kach lecha et Jehoschua bin Nun, Isch ascher Ruach BoNimm den Jehoschua bin Nun, ein Mann, in dem Geist ist“, also genau die Art von Anführer, von der du gesprochen hast, der auf die Denkweise eines jeden Einzelnen einzugehen versteht.

Heutzutage würde man dies wohl als einfühlsame Kommunikations-Gewandtheit bezeichnen, eine Mischung aus Psychologie und Diplomatie plus einer gehörigen Portion gesunden Menschenverstandes.

Doch all dies genügt nicht zur Beantwortung der Frage, weshalb Hkb“H diese Qualitäten nicht von sich heraus von einem „Manhig haDor“ (Führer der Generation) verlangen?

Wie sollte er denn ohne diese Fähigkeiten mit einem noch unsesshaften Wander- und Kriegervolk fertig werden?

Der Kli Jakar beschreibt die Aufgabe eines ‘Manhig Jisrael’: Dieser muss “die Sünden des Volkes tragen” und haftet für dessen Verfehlungen, sogar wenn es sich nur um sündhafte Gedanken handelt, da sie die Sünder zurechtweisen müssen. Selbstverständlich kann kein Führer alle Gedanken seiner Untergebenen erkennen und wegen einer unterlassenen Zurechtweisung und Belehrung dieser getadelt werden, denn (Dewarim 29,28) „haNistarot laHaschem Elokenu“, die verborgenen Gedanken des Menschen sind nur Haschem offenbart. Wenn es sich aber um einen ‘Manhig haDor’ wie Jehoschua bin Nun handelt, der ein „Isch ascher Ruach Bo“ ist, also „Ruach haKodesch“ (“heiliger Geist”) besitzt, und daher auf die Denkweise jedes Einzelnen einzugehen versteht, weil er all deren Gedanken zu erfassen vermag, der haftet auch für gedankliche Vergehen!

In diesem Sinn erklärt Rabbi Pinchas haLevi Hurwitz sZl., der Frankfurter Raw, die Bezeichnung „Eloke haRuchot“, der G’tt, der jedem etwas von Seinem ‘Ruach haKodesch’ geben kann[2].

Diese ‘Madrega’ (Geistesstufe), der Kenntnis der Gedanken der Mitmenschen durch Ruach haKodesch, war möglicherweise von Hkb“H nicht als Voraussetzung für den nächsten ‘Manhig Jisrael’ vorgesehen gewesen.

Eine geeignete Führungskraft hätte vielleicht auch nur natürliche, psychologische Menschenkenntnis gebraucht, um das jüdische Volk führen zu können. Dennoch bat Mosche Rabenu, dass Hkb“H dem neuen Anführer des Volkes diese besondere Madrega des „Ruach Elokim“ verleihe, und zwar nur dem nächsten Anführer Jisraels, seinem Nachfolger. Er verlangte dies nicht für alle künftigen geistigen Oberhäupter und Regenten des jüdischen Volkes. Es scheint, dass diese besondere Madrega nur für denjenigen Anführer nötig war, der als Mosches direkter Nachfolger ersetzen sollte und die begonnene Aufgabe Mosches zu vollenden hatte – das Volk Jisrael nach Erez Jisrael zu bringen.

Der große und deutlich zu erkennende Unterschied zwischen der geistigen Stufe Mosches und Jehoschuas wurde von der damaligen Generation so formuliert, wie Chasal festhalten: „Pne Mosche kaChama, uPne Jehoschua keLewana” – „Das Gesicht Mosches gleicht der Sonne, das Jehoschuas dem Mond”[3]. Wie hätte das Volk auf einen Stellvertreter Mosches reagiert, der auf einer für jedermann ersichtlich niedrigeren Stufe als Mosche stand? Mosche, der die Launen des Volkes kannte, wollte daher seinem Nachfolger unter die Arme greifen und ihn geistig stärken, indem er ihm speziellen ‘Ruach’ haKodesch’ verlieh. Jehoschuas Nachfolger hingegen, die ‘Schoftim’ (Richter), benötigten diese besondere Madrega nicht mehr, um als Führungskraft zu fungieren.

Da man schon lange nicht mehr an Mosches hohe Madrega und Führungsart gewohnt war, wurden auch keine Vergleiche mehr gezogen.

Und dennoch wurden auch die ‘Schoftim’ und spätere, von G’tt auserwählte Anführer Jisraels jeweils von einer gewissen Stufe des „Ruach Haschem“ überkommen, wie dies selbst bei einem einfachen Mann wie „Jiftach haGil’adi“[4] und anderen Richtern vom Passuk bezeugt wird. Jeder ‘Manhig Jisrael’ benötigt wenigstens eine gewisse Stufe von ‘Ruach haKodesch’, sonst könnte er seines Amtes nicht walten. Jehoschua jedoch, erhielt eine ganz aussergewöhnliche Stufe der Heiligkeit und Newuah (Prophetie). In den Sefarim haKedoschim steht daher[5], dass er deshalb in der Torah als „bin Nun“ bezeichnet wird – ein “Sohn” der 50. Stufe der ‘Binah’ (tieferes Verstehen).

  1. Siehe Raschi 27,15
  2. Panim Jafot zur Stelle
  3. Baba Batra 75a
  4. Schoftim 11,29
  5. Megale Amukot zu Woetchanon (Ofna 12) und Schlo“H (Massechet Ta‘anit Torah Or 101). Siehe über die 50 Tore von Binah in Rosch haSchana 21b und Nedarim 38a.

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