„Wenn Pharao zu euch sprechen und sagen wird: „Gibt für euch ein Zeichen!” Dann sage zu Aharon: „Nimm deinen Stock und werfe ihn vor Pharao, dann wird er zu einer Schlange werden” (7, 9).
Der Midrasch erklärt den Sinn dieses Zeichens damit, dass die Schlange den Bösewicht Pharao darstellte, der die Bne Jisrael wie eine Schlange biss. Haschem wollte Mosche Rabenu damit folgendes mitteilen: „Du Mosche wirst diese Schlange solange mit dem Stock schlagen, bis er selbst wie ein Stock sein wird, der nicht beissen kann!”[1]
Im Vergleich Pharaos mit einer Schlange scheint eine tiefere Bedeutung verborgen zu sein.
Bekanntlich symbolisiert die Schlange das “Wesen des Bösen”, weil die erste Sünde durch die erste Schlange – die “Nachasch haKadmoni” – verursacht wurde, die Chawa zum Genuss von der Frucht des verbotenen “Ez haDa’at” (Baum der Erkenntnis) verführte. Wie Chasal berichten, wurde ihr zur Strafe die Hände und Füße abgeschnitten, so dass sie und ihre Nachkommen nur noch auf den Bauch kriechen können[2]. Sie wurde auch damit bestraft, keinen Geschmack mehr am Essen zu empfinden. Alles was sie isst, schmeckt für sie wie der Staub der Erde[3].
Somit verlor die Schlange ihre Ähnlichkeit zu den anderen Tieren, äußerlich und innerlich. Sie gleicht jetzt eher einem Stock, ohne Hände und Füße und ohne jegliche Geschmacksempfindung , weil sie der Pflicht aller Tiere nicht nachgekommen ist, dem Menschen untertan zu sein, ihm zu dienen und die Größe und Wundertaten von Hkb“H zu demonstrieren.
Ganz im Gegenteil, sie verleugnete die Größe von Hkb”H, indem sie Chawa gegenüber behauptete, dass man durch den Genuss der Frucht des “Ez haDa’at” ebenfalls die Allwissenheit G’ttes erreichen könne, und verleitete so den Menschen zur Sünde. Deshalb symbolisiert sie das Böse – den “Koach haTum’ah”.
Womit kann sie bezwungen werden?
Mit der Demonstration und der Entfaltung der g’ttlichen Kraft und Allmacht. Diese kann hauptsächlich auf zwei Arten gezeigt werden: Einerseits durch die Midat haChessed (G’ttes Güte und Milde), wie wunderbar Hkb”H die Welt und deren Natur geschaffen hat, wie Er sie fortwährend erneuert und fortsetzt, und wie Er sich um alle seine Geschöpfe kümmert. Andererseits durch die Midat haDin wehaGewura (G’ttes Strenge und Stärke), wie Er die Welt mit Gerechtigkeit und Stärke richtet und beherrscht .
Beide Seiten zeigte Hkb“H in Ägypten, wo er sich des unterdrückten Klall Jisrael erbarmte und ihn auf wundervolle Weise aus Mizrajim erlöste, und wo Er die Mizrim bestrafte und richtete.
Es ist bemerkenswert, dass alle ‘Makot’ (Plagen) mit dem Stock von Mosche Rabenu ausgeführt werden mussten, obwohl dieser Stock selbst überhaupt keine eigene Kraft besass.
Wozu wurde dann dieser Stock benötigt?
Ein Stock kann normalerweise auf zwei Arten verwendet werden: Er dient dem Menschen als Stütze – das Wort מטה (‘Mate’ – Stock) kommt von מוט (‘mot’ – sich neigen/darauf stützen) oder es wird als wirksamer Schutz und Waffe zum Schlagen verwendet. (Da man sich zur Verteidigung ebenfalls auf den schlagenden Stock verlässt, passt auch dafür die Bezeichnung „Mate“ als Stütze) .
Der Stock verkörpert daher beide Seiten: Er kann dem Menschen entweder als Stütze und Fortbewegungshilfe dienen – ‘Midat haChessed’, oder als Waffe zur Verteidigung – ‘Midat haDin wehaGewura’. Somit verstehen wir den tieferen Sinn des königlichen Szepters oder des Marschallstabs, die diese beiden Formen der Macht symbolisieren. Der Herrscher und Anführer kann seine Untertanen auf zwei Arten regieren und beherrschen – gütig und gnadenvoll oder streng und hart.
Der Stock von Mosche wird daher in der Torah (Schmot 4,20) „Mate haElokim“ genannt, weil er das Szepter G’ttes verkörperte, einerseits Gnade für Jisrael und andererseits Bestrafung für die Mizrim erteilte.
Äusserst interessant ist die Vorgeschichte und Herkunft dieses Stock.
‘Adam haRischon’ nahm ihn aus dem ‘Gan Eden’ mit, als er von dort vertrieben wurde[4]. Genau am selben Ort, an der die Schlange – das Böse – ihre Tätigkeit aufnahm, ihr Gift zu verbreiten, um die Menschen zu blenden und zur Sünde zu verleiten, genau an dieser Stelle befand sich auch das Gegengift, der am Freitag vor Schabbateingang erschaffene Stock von Mosche Rabenu[5]. Denn das ‘Gan Eden’ repräsentiert die Entfaltung der Herrlichkeit G’ttes auf der Erde.
Die Aufgabe von Adam und Chawa war es (Breschit 2,15) „leAwda uleSchamra“, den Garten zu bearbeiten und zu behüten, d.h. die Herrlichkeit G’ttes auf der ganzen Welt auszubreiten und vor jeglichen Hindernissen zu schützen. Als es jedoch der Schlange, dem Koach haTum’ah (Kraft der Unreinheit), gelang, dies zu vereiteln, mussten sie die Herrlichkeit von Hkb“H auf andere Weise demonstrieren – nicht mehr vom Gan Eden aus nach außen, sondern direkt inmitten des Exils. Deshalb nahm Adam diesen Stock mit, um seine Lebensaufgabe nie zu vergessen, als königliches Szepter zu fungieren und die Majestät G’ttes in der Welt zu verkünden.
Vielleicht wurde der Stock gerade deshalb von G’tt unmittelbar vor Schabbateingang geschaffen, weil seine Aufgabe mit der Heiligkeit des Schabbats verbunden war, als Symbol von G’ttes Majestät auf der Erde zu dienen. So wie sich uns am Schabbat die Präsenz der “Königin Schabbat” offenbart und sich die heilige Schechina G’ttes über die Hüter des Schabbat entfaltet.
Die Schlange, der Koach haTum’ah und das Böse von Ägypten, musste daher mit dem Stock geschlagen werden.
Und zwar solange, bis die Schlange selber einem Stock glich, d.h. ebenfalls der Entfaltung und Offenbarung G’ttes auf der Erde diente. Die Schlange hatte nicht den ersten Weg gewählt, um diese Aufgabe so wie die anderen Tiere auszuführen, die durch ihre bloße Existenz, die ‘Midat haChessed’ von Hkb”H beweisen und zeigen, wie herrlich und wunderlich Er die Natur geschaffen hat und dass Er sie ernährt. Vielmehr versuchte die Schlange diese Aufgabe zu verhindern. Deshalb musste sie nun die zweite Aufgabe des Stocks erfüllen , und die g’ttliche Strenge seines Gerichts und Bestrafung, G’ttes Allmacht und Kraft verkünden.
Genauso erging es dem der „ersten Schlange“ gleichenden Pharao. Ähnlich wie ‘Adam haRischon’ mussten die Söhne Jakovs ihrer Sünden wegen aus dem Garten Eden – ‘Erez Jisrael’ – weggehen, um in Ägypten G’ttes Gnade zu verkünden und zu offenbaren. Doch statt dem Klall Jisrael eine Stütze zu sein und ihnen in ihrem ‘Galut’ (Exil) zu helfen, versuchte die „Schlange Pharao” sie zu stören und zu beissen. Sie fielen bis auf die 49. Stufe der Tum’ah (Unreinheit) und konnten ihre Aufgabe im Galut nicht richtig erfüllen.
Lesen wir im Midrasch die weitere Geschichte des Stockes von Adam haRischon nach, so findet sich darin eine Parabel zur weiteren Geschichte des jüdischen Volkes.
„Von Adam wurde der Stock über Chanoch dem Noach gegeben, der gab es seinem Sohn Schem, der es dem Awraham weitergab, danach kam er zu Jizchak und Jakov Awinu. Jakov nahm den Stock nach Ägypten mit und übergab es dort dem Josef, doch nach Josefs Ableben wurden seine Besitztümer konfisziert. So gelangt der Stock in den Palast des Pharao, wo er von Jitro, einer der Ratgeber Pharaos gefunden wurde. Als dieser dann aus Ägypten floh nahm er ihn mit und pflanzte ihn in Midjan in seinem Hausgarten ein. Viele versuchten den Stock wieder herauszuziehen, aber dies gelang nur Mosche Rabenu, als auch er aus Ägypten geflohen war. Jitro verstand, dass dieser Stock für Mosche, dem künftigen Erlöser Jisraels, bestimmt war und überließ ihn Mosche”[6].
Der von ‘Adam haRischon’ aus dem Garten Eden mitgenommene Stock und das Ziel, das er verkörperte, gerieten im ‘Galut Mizrajim völlig in Vergessenheit. Bis Mosche und Aharon wieder das königliche Zepter schwingen ließen, und der „Mate haElokim“ überall auf der Welt wieder erkennbar wurde – indem er anhand der “10 Makkot” beide Seiten der g’ttlichen Präsenz auf Erden demonstrierte: Einerseits die Gnade G’ttes, die Er gegenüber Jisrael walten ließ, die sich Ihm unterwarfen und Seine Größe huldigten und anerkannten, und andererseits die gerechte Bestrafung der sich dagegen Stellenden. Erst nachdem der Pharao zahlreiche Schläge eingesteckt hatte und der “Koach haTum’ah” gedemütigt wurde, ließ er die Bne Jisrael aus seinen Fängen.
All dies zeigten Mosche und Aharon dem Pharao bereits im Voraus mit der Verwandlung des Stocks in einer Schlange.
„Der Stock wird dein Untergang sein, weil du, wie die Schlange, kein Stock und Stütze für Jisrael warst, sondern es stattdessen mit der dir anvertrauten Macht wie mit einem Stock schlugst. Deshalb wirst auch du am Ende wie die Schlange einem Stock gleichen, niemandem mehr schlagen und beißen können, sondern selbst geschlagen werden, und wenigstens auf diese Weise die g’ttliche Kraft der Welt verkünden”.
Auch der Stamm von Dan, der von Jakov Awinu mit einer Schlange verglichen wurde, zeigte diese Eigenschaft (Bereschit 49,16):
„Dan jadin Amo keAchad Schiwte Jisrael”. ‘Dan’ wird den ganzen Klall Jisrael alleine und ohne jegliche Hilfe richten, womit “Schimschon haGibor” gemeint ist, der die Plischtim (Philister) ganz alleine besiegte[7]. Die Plischtim, die Jisrael wie eine Schlange bissen und sie zur Sünde verleiteten, wurden von Schimschon durch den von ihm geschwungenen „Mate haElokim“, die g’ttliche Kraft, die er als „Nesir Elokim” besass, unschädlich gemacht. Deshalb wird Dan mit eine Schlange verglichen, weil er es verstanden hatte, die tückische Schlange zu zertreten und mit dem Stock zu zerschlagen.
Eine Andeutung dazu finden wir im Wort דן (4+50), dass den selben Zahlenwert wie מטה) 40+9+5) besitzt.
Auch bei seinem Sohn „Chuschim“ finden wir diese Eigenschaft. Wie Chasal berichten, schlug er den Frevler Esav mit seinem Stock und schlug so dessen Kopf ab, als dieser das Begräbnis von Jakov Awinu behindern wollte[8]. Esav – der ‘Koach haTumah’, wurde mit einem Stock gerichtet und geschlagen! So wie es im Chad Gadja-Lied heisst: „Der Stock kam und schlug den Hund…“[9]
- Midrasch Schmot Rabba 3,12 ↑
- Siehe Raschi zu Bereschit 3,14 gemäss Midrasch Bereschit Rabba 20,5 ↑
- Joma 75a gemäß Jeschaja 65,25 ↑
- Pirke deRabbi Elieser Kap.19 und 40 ↑
- Awot 5,6 ↑
- Pirke deRabbi Elieser Kap. 40 ↑
- Raschi gemäss Midrasch Bereschit Rabba 99,11 ↑
- Sota 13a ↑
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Esaw wird zu einem Hund verglichen (Midrasch Bereschit Rabba 84,5, Tanchuma P. Jitro 3 und P. Ki Sejze 9, Raschi Schmot 17,7, Sohar Hak. Bd2/S.65a u.a. ↑