„Im Monat Ijar des zweiten Jahres nach dem Auszug Jisraels aus Mizrajim, befahl Hkb“H Mosche sie zu zählen“ (1,1). Wie aus den weiteren Psukim hervorgeht, stand der Zweck dieser Zählung im Zusammenhang mit der Fahnen-Einteilung der 12 Stämme – die „Degalim“.
Im Midrasch heisst es ferner: „Als Hkb“H sich Jisrael auf dem Berg Sinai offenbarte, erschien Er umringt von 22’000 Mal’achim (Engel), die alle in Degalim eingeteilt und gruppiert waren. Sobald die Bne Jisrael dies erblickten, sehnten sie sich ebenfalls nach einer solchen Degalim-Einteilung und sprachen: „Halewai – wollte doch G’tt, dass auch wir so sein können“. Darauf erfüllte Hkb“H ihr Verlangen und liess Mosche Rabenu diese Einteilung vornehmen“[1].
Nun stellt man sich die Frage, wenn es Jisrael wirklich so sehr die Nachahmung der himmlischen „Degalim“ begehrten, weshalb warteten sie dann über ein Jahr damit.
Schliesslich kannten sie ihre eigene Einteilung bereits von Jakov Awinu, wie es heisst (2,2): „Isch al Diglo beOssot leBet Awotam jachanu – Jeder bei seiner Fahne, nach dem Zeichen ihres Stammhauses sollen sie lagern“, das von Raschi so kommentiert wird: „Sie lagerten nach den Zeichen (Ordnung), die ihnen ihr Vater Jakov übergab, als sie ihn aus Mizrajim trugen“.
Auch muss erklärt werden, warum Hkb“H ihr Verlangen nicht schon gleich bei der Einweihung des Mischkan erfüllte, am Rosch Chodesch Nissan 2449, sondern erst ein Monat danach, am Rosch Chodesch Ijar?
Es ist wohl eindeutig, dass es bei diesen „Degalim“ nicht einfach um millitärische Ordnung oder blosser Nachahmung der Mal’achim ging. Hier steckte vielmehr dahinter!
„Bei Matan Torah kam im Klall Jisrael die Begierde und Lust auf, eine „Merkawa“ für G’tt zu sein, Seiner Heiligkeit als Stuhl und Kutsche zu dienen“, gab Rabbi Dawid Twersky, der erste Tolner Rebbe sZl., zu verstehen[2]. Sie wollten so nahe und innig mit G’tt verbunden sein und sich Ihm total hingeben. Dies ist der tiefere Sinn, weshalb Schlomo haMelech in Schir haSchirim das gewaltige Erlebnis von Matan Torah als „יוֹם חַתוּנָתוֹ – Tag der Heirat“ bezeichnet. Denn echte Liebe ist mit völliger Hingabe und totaler Auflösung seines eigenen „Ich“ und privaten Interessen verbunden. Solange es dem Menschen jedoch möglich ist, seine auflammende Liebe wieder gänzlich abzuschalten, und kalt und berechnend seine eigene Interessen und Ziele zu verfolgen, kann sich unmöglich in ihm die echte „Ahawat Haschem, Ahawat Torah und Ahawat Jisrael“ entwickeln!
Nachdem die Bne Jisrael beim Berg Sinai sich ihrer mizrischen Unreinheit vollständig entledigen konnten (פָּסְקָה זוּהַמָתָן), sie endlich die unendliche Liebe von Haschem zu Jisrael erkannten und sie diese ebenfalls völlig übermannte. Bei ihrer Ankunft beim Berg Sinai bezeugt die Torah (Schmot 19,2): „wajachanu baMidbar wajichan scham Jisrael – Sie lagerten in der Wüste und Jisrael lagerte dort“, wobei der Passuk von Mehrzahl zur Einzahl wechselt.
Deshalb lehren daraus Chasal, dass diese Lagerung neben dem Berg Sinai anderst als sonst war.
Während es bei allen Lagerungen ansonsten immer gewisse Streitigkeiten und Uneinigkeiten gab, erfolgte diese Lagerung „ke’Isch Echad beLew Echad – vereint wie ein Mann mit einem Herzen“[3]. Der Zahlenwert von אֶחָד (Eins) ist derselbe wie אַהַבָה (Liebe)[4]. Nachdem Jisrael alle ihre zwischenmenschlichen Differenzen beseitigen konnten und „ke’Isch Echad“ eine totale Harmonie und Einheit im Volk schaffen konnte, wurden sie auch „Lew Echad“ und es entfaltete sich unter ihnen eine gewaltige „Ahawat Jisrael“.
Auch die Torah wurde auf diese Weise mit dem Wunsch von (Schmot 24,7) „Na’asseh weNischma“ fraglos und in toaler Hingabe angenommen, ohne jegliche Zweifel, Vorurteile und Bedingungen. So wurde Jisrael mit der Torah eins und Matan Torah war von echter, immer bestehende Liebe zur Torah gekennzeichnet.
Genauso verhielt es sich mit ihren bisherigen Reklamationen und Unzufriedenheiten gegenüber Haschem, die sich beim Anblick der g’ttlichen Offenbarung in völliges Nichts auflösten und dahinschwanden. Sie mussten ihre Nichtigkeit eingestehen und erkannten die G’ttliche Pracht und Erhabenheit, die kein irdisches Geschöpf, ja nicht einmal die himmlischen Heerscharen, erfassen und begreifen können. Wie konnte dann noch irgend eine Frage oder Zweifel an der G’ttlichen Gerechtigkeit und Herrschaft aufkommen?
Wie konnte sich der niedrige und begrenzte Mensch überhaupt anmassen, das Unfassbare und Unbegreifliche, über alle seine Begriffe und natürliche Vorstellungen Stehende zu begreifen?
Diese Erkenntnis war die ideale Voraussetzung, um sich mit Hkb“H zu vereinen und als sie dann die „Degalim“ der Mal’achim erblickten, kam in ihnen der Wunsch auf, sich wie diese dem G’ttlichen Willen völlig hinzugeben, ihn von nun an ohne „Jezer haRa“ und irdische Störungen dienen zu können. Eben wie eine „Merkawa“ (Kutsche), die willenlos, ohne jegliches Selbstinteresse, total von ihrem Kutscher beherrscht und geführt wird.
Diese, erst beim Berg Sinai im Klall Jisrael aufkommende Sinneswandel dürfte der Grund sein, weshalb sie diese „Degalim-Einteilung“ bisher nicht ausführten. Obwohl sie ihre Einteilung schon von Jakov Awinu kannten, konnten sie diese jedoch nicht einnehmen, solange es zwischen ihnen noch zwischenmenschliche Differenzen gab. Warum soll ich hinten oder links und nicht rechts oder vorne stehen etc.?
Nur eine vollständige „Ahawat Jisrael“ konnte eine solche dauerhafte Einteilung ermöglichen, was es bei Jeziat Mizrajim noch nicht gab. Erst bei „Matan Torah“ wo sie tatsächlich die Stufe von „ke’Isch Echad beLew Echad“ erreichten, war diese Voraussetzung geschaffen. Doch sie ging leider bald danach durch die Sünde des Egel mit der Ermordung von Chur (Schwager von Mosche Rabenu)[5] und der tiefen Spaltung zwischen den Stämmen und dem „Schewet Levi“ verloren[6]. Hinzu kam, dass sie sich gegen G’tt versündigt hatten und daher die „Luchot haBrit“ („steinerne Tafeln des Bundes“) zerbrochen wurde[7], also ihre Verbindung mit der Torah ins Wanken geriet. Eine echte „Ahawat Jisrael“ kann nur zusammen mit „Ahawat Haschem und Ahawat Torah“ bestehen!
Folglich vereinten sich diese drei „Ahawot“ erst wieder 30 Tage nach der Einweihung des Mischkan, als die Schechina wieder fest wohnend im Klall Jisrael ruhte[8].
Erst dann konnte endlich ihr Wunsch nach den „Degalim“ in die Tat umgesetzt werden, nachdem sie alle störenden Mängel und Differenzen zwischen sich und gegenüber G’tt und der Torah beseitigt hatten. Dann konnten sie eine echte „Merkawa“ für Schechina G’ttes sein!
- Midrasch Rabba 2,3 ↑
- Sefer Birkat David (-Talne, Tscherkassy, Ukraine) gest. 5642/1882 ↑
- Raschi gemäss Mechilta zur Stelle ↑
- א-ח-ד = 1+8+4 = 13 / א-ה-ב-ה = 1+5+2+5 = 13 ↑
- Siehe Raschi Schmot 32,5 gemäss Midrasch Wajikra Rabba 10,3 und Sanhedrin 7a ↑
- Siehe Schmot 32,26-28 ↑
- Siehe ibid. 32,19 ↑
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Ein fester Wohnsitz gilt erst nach 30 Tage, wie dies im Schulchan Aruch bezüglich der Pflicht einer Mesusa-Anbringung ersichtlich ist (Jore Dea 286,22) ↑