So wie im Himmel, so auf der Erde – Teil 17 – Schutz vor Sünde?

Datum: | Autor: Rabbi Ezriel Tauber SZl | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Sünde
Rabbi Ezriel Tauber SZl – L’ilui nischmat Hamechaber
Fortsetzung

Schutz vor Sünde?

“Und Haschem/G-tt befahl dem Menschen wie folgt: “Von jedem Baum des Gartens kannst du essen, wie du magst; aber vom Baum der Erkenntnis zwischen Gut und Böse darfst du nicht essen, denn an dem Tag, an dem du davon isst, wirst du sterben“[1]

Eine der großen Schwierigkeiten, die wir mit der Episode über Adams Sünde haben, ist das Prinzip, dass ein Mensch, der völlig mit der Erfüllung eines Gebotes beschäftigt ist, beschützt wird. Die totale Hingabe an die gute Tat beschützt den Menschen davor, irgendeine Sünde zu begehen. Wenn dem so ist, wie konnte Adam dann sündigen?” Wenn wir davon ausgehen, dass Adam auf der höchsten Stufe des Wissens lebte, dann müssen wir annehmen, dass er ständig mit der Erfüllung eines Gebotes beschäftigt war.

Wie konnte er dann sündigen?

Die Antwort lautet, dass der Schutz vor Bösem nur dann hilft, wenn man sich bewusst ist, dass man ein Gebot ausführt, also nur wenn man die Tat ausführt, weil sie ein Gebot ist. Wenn Sie zum Beispiel Ihrem Nachbarn helfen, seine Ware auszuladen, nur weil Sie ein gutes Herz haben, sind Sie vielleicht ein netter Mensch, aber Ihre Tat ist keine bewusste Erfüllung von G-ttes Willen. Und in diesem Sinn genügt sie nicht. Obwohl eine solche Tat lobenswert sein mag, schützt sie nicht vor Bösem.

Wenn sich jemand aber bewusst ist, dass er handelt, weil G-tt es ihm so befohlen hat, dann ist er von einer schützenden Aura umgeben. Genau dieses Bewusstsein, dass sein Handeln die Ausführung eines Gebotes ist, verbindet ihn vollständig mit G-tt. Wenn jemand mit G-tt verbunden ist, werden seine Taten zu viel mehr als zu bloß guten Taten. Sie werden auch zu G-ttlichen Taten.

Genau das war Adams Problem:

Er war sich nicht vollständig bewusst, dass seine bloße Handlung, etwas zu essen, die Erfüllung von G-ttes Willen war. Dieser Mangel an Bewusstsein verriet die Tatsache, dass er zu seinem eigenen Vergnügen ass. Es ist an sich nichts dagegen einzuwenden, zu seinem eigenen Vergnügen zu essen, aber es schafft Gefühl des g-ttlichen Schutzes. Und deshalb war Adam für die Versuchung der Schlange empfänglich.

Achol Tochal

Wenn Adams Untergang daraus entstand, dass er das richtige Bewusstsein von G-tt nıcht in seine Taten integrierte, wo sehen wir dies in den Passukim? Über alle Bäume des Gartens sagte G-tt Achol Tochal wörtlich: “Esse, du sollst essen.“ Diese doppelte Aussage kann auf zwei Arten verstanden werden:

1) als Befehl (du musst essen),

2) als Einladung (du darfst essen).

Die Interpretation dieser Aussage lag bei Adam. Wenn Adam sie als Befehl verstanden hätte, hätte er in dem Garten mit zwei Befehlen gelebt: einem negativen Befehl, nicht von dem Baum der Erkenntnis zu essen, und einem positiven Befehl, von allen anderen Bäumen zu essen (Achol Tochal). So wäre es jedes Mal ein bewusstes Erfüllen von G-ttes Willen gewesen, von einem der erlaubten Bäume des Gartens zu essen (also ein positiver Befehl). Unglücklicherweise interpretierte Adam G-ttes Worte so, dass es ihm erlaubt sei, von allen Bäumen zu essen. Deshalb war er sich nicht bewusst, dass sein Essen eine Erfüllung des G-ttlichen Willens war. Der Beweis dafür zeigt sich im Gespräch der Schlange mit Adams Frau, Chava.

Zuerst muss erwähnt werden, dass die Schlange im Garten Eden keine gewöhnliche Schlange war.

In Wirklichkeit war sie die Manifestation eines Prinzips – das Prinzip, dass der Mensch geprüft werden muss, um diese Größe auch zu verdienen. Dazu erschuf G-tt einen Engel zu dem ausdrücklichen Zweck, Adam mit schwierigen Prüfungen zu konfrontieren. Der Engel wählte ein Geschöpf, durch das er seinen Zweck erfüllen konnte, die Schlange. Die ursprüngliche Schlange war demnach eine Manifestation des himmlischen Vertreters des Bösen.

“Und die Schlange war klüger als alle Tiere des Feldes, die Haschem/G-tt erschuf “[2]

Da die Schlange zu dem ausdrücklichen Zweck erschaffen worden war, Adam, ein Wesen mit fast G-ttlicher Intelligenz, zu konfrontieren, wurde auch sie mit außergewöhnlicher Intelligenz ausgestattet. Und sie wusste, dass sie gegen Adam nichts Böses ausrichten konnte, solange dieser vollständig damit beschäftigt war, G-ttes Wille zu befolgen. Daher musste sie zuerst einmal herausfinden, wo Adam seine verwundbare Stelle hatte.

“Ist es wahr“, fragte die Schlange die Frau, “dass G-tt gesagt hat, dass ihr von keinem Baum des Gartens essen dürft?“

Sie antwortete: “Wir dürfen von den Bäumen des Gartens essen, aber (nicht vom Baum der Erkenntnis).“

Ihre Antwort verriet ihre innere Haltung. Wenn sie den g-ttlichen Ausdruck von Achol Tochal als Befehl interpretiert hätte, hätte sie antworten müssen: “Uns wurde befohlen, von den Bäumen des Gartens zu essen…“ anstatt “Wir dürfen von den Bäumen des Gartens essen …“ Wäre dies ihre Antwort gewesen, hätten die bösen Pläne der Schlange nie ausgeführt werden können. Aber sie antwortete, “Wir dürfen essen …“ Dies zeigte in aller Deutlichkeit, dass weder sie noch ihr Mann das dauerhafte G-ttesbewußtsein erlangt hatten, das vor Bösem schützt. Für sie bedeutete Essen Vergnügen, und nicht die Erfüllung eines Gebots. So kam die Schlange zu ihrer Chance.

Pflichten des Körpers, Pflichten des Herzens

Heute stehen wir vor denselben Prüfungen. Es gibt 613 Gebote. Diese werden die “Pflichten des Körpers“ genannt, denn sie beinhalten vor allem körperliche Aktivitäten, wir legen Tefilin, wir beten, wir sind wohltätig usw. Streng genommen decken die “Pflichten Körpers” jedoch nicht unseren ganzen Alltag ab. Manche werden nämlich nur unregelmäßig angewendet oder nur wenn der Bet Hamikdasch (Tempel) steht oder gelten nur für Könige usw. Die heute relevanten Pflichten nehmen in Wirklichkeit nur einen kleinen Teil des Tagesablaufs des durchschnittlichen Judens in Anspruch. Daher ist die Bandbreite an täglichen Verrichtungen, die nicht explizit unter die “Pflichten des Körpers“ fallen, sehr groß.

Andererseits gibt es viele Arten von Gegebenheiten, die “Pflichten des Herzens“ genannt werden. Sie umfassen das ganze Innenleben einer Person, ihre Haltung den Mitmenschen, ihrer materiellen Umwelt und ihrer jeweiligen Lebenslage gegenüber. Fühlt zum Beispiel jemand, der vor einer Mahlzeit einen Segensspruch sagt, in seinem Herzen Dankbarkeit, dass sein Schöpfer ihm dieses Essen bereitet hat? Dies ist eine Pflicht des Herzens. Ein Mensch kann alle täglichen Verpflichtungen, die der Schulchan Aruch vorschreibt, auswendig lernen, aber ist er auch glücklich, einfach am Leben zu sein und seinem Schöpfer zu dienen? Wenn man sich den “Pflichten des Herzens“ bewusst wird, dann wird das ganze Leben eine potenzielle Kette von Taten, G-tt zu dienen und seinen Willen zu erfüllen.

Es gibt Menschen, die wirklich glücklich sind, einfach am Leben zu sein – und man kann es in ihren Gesichtern sehen.

Sie strahlen Leben aus. Der Grund dafür ist, dass für sie jede Sekunde ihres Lebens einen Erfolg bedeutet. Jeder Moment bietet die Gelegenheit zu fragen: Was für Gefühle, Gedanken und Reaktionen erwartet G-tt von mir? Ich kann die Pflichten des Herzens in jeder Lebenslage erfüllen.

Diese innere Einstellung zu besitzen, gibt ungeheure Kraft. Und gerade weil es sich letztendlich um eine innere Einstellung handelt, liegt es bei uns, sie uns anzueignen oder nicht. Darüber hinaus wird ein solcher Mensch die Gebote am Ende besser befolgen. Auch wenn er seine Absichten nicht verwirklichen kann – seien sie weltlicher oder geistiger Natur, – so wird doch die Befolgung der Gebote nicht darunter leiden.

Titelblatt des Sefer “Chowas Halewawot” - Pflichten des Herzens von Rabbeinu Bachja ibn Pakuda
Titelblatt des Sefer “Chowas Halewawot” – Pflichten des Herzens von Rabbeinu Bachja ibn Pakuda

Wenn er zum Beispiel den geistigen Ansprüchen in irgendeiner Weise nicht genügt – wenn er sogar eine schwere Sünde begeht -, dann wird er doch nicht mit den Achseln zucken und sagen: “Nun, es ist sinnlos, zu versuchen ein guter Mensch zu sein. Ich bin schon mit Sünde beladen. Dann kann ich doch gleich so weitermachen.“ Ein Mensch, der jeden Moment als eine weitere Gelegenheit sieht, G-tt zu dienen, wird sich nicht so leicht dieser Art von Gedanken unterliegen.

Statt dessen wird er sagen:

“Ich habe gesündigt. Ich habe eine große Chance verpasst. Aber ich werde es wieder gutmachen. Egal, wie sehr ich versagt habe, ich kann immer Teschuwa machen; mein Schöpfer erhört all meine Gebete und den ernsthaften Wunsch, mich wieder mit ihm zu verbinden, auch wenn ich gesündigt habe.“ Dies ist die Erfüllung einer Pflicht des Herzens.

Jeder neigt dazu zu sündigen; jeder strauchelt irgend- wann und wahrscheinlich mehr als einmal in seinem Leben. Die wirklichen Probleme entstehen aber, wenn wir uns selbst erlauben, uns wertlos zu fühlen und enttäuscht zu sein, nachdem wir gesündigt haben. Wenn wir niedergeschlagen sind, entsteht der Fehler. Nach unserer Sünde haben wir die Verantwortung, um G-ttes Gunst zu bitten und unsere Beziehung zu ihm wiederherzustellen. Dies ist Teschuwa. Wenn wir aber sündigen und meinen, es lohnt sich nicht, unser vorheriges Niveau wieder zu erreichen, machen wir unsere Sünde nur noch schlimmer. Deshalb ist jede Sünde potenziell nur ein Teil der Sünde.

Wenn Wir zulassen, dass dies uns auf eine spirituelle Talfahrt bringt, dann haben wir die Beziehung zum Sinn unseres Lebens verloren.

Der Mensch, der sich selbst dazu erzogen hat, das Leben und jeden Moment zu schätzen, wird größere Kraft haben, aus dieser Talfahrt wieder hochzukommen. Er wird nie von Gefühlen der Wertlosigkeit überwältigt. Er ist es gewohnt, die Bedeutung und Schönheit jedes Moments zu fühlen. Wenn er versagt, fühlt er sich schlecht. Wenn sich seine Ziele nicht verwirklichen, ist er niedergeschlagen – da er aber weiß, dass jeder Moment des Lebens einen Wert hat, kann er Rückschläge und Misserfolge besser überwinden.

Wir können unser Innenleben also auf zwei Arten betrachten: als einen Bereich, in dem wir, wenn überhaupt, wenige Verpflichtungen haben, oder als einen, in dem wir selbst gesteuerten Verpflichtungen unterliegen. Die erste Betrachtungsweise ist im Prinzip gleichzusetzen mit Adams Verständnis von Achol Tochal Adam aß von den anderen Bäumen, und obwohl dies eine Erfüllung von G-ttes Willen war, war er sich dieser Tatsache nicht bewusst.

Dies machte das Essen zu nichts mehr als zu einem weltlichen Akt.

Wenn er sich jedoch der Notwendigkeit bewusst gewesen wäre, die “Pflichten des Herzens“ zu erfüllen, hätte er begriffen, dass der einfache Akt des Essens eine große Gelegenheit ist, dem Schöpfer gegenüber Dankbarkeit auszudrücken, dass er auf dieser Welt seinen Willen erfüllen darf. Wäre Adam sich bewusst gewesen, dass es eine Pflicht des Herzens sein kann, das Leben zu genießen. Dann wäre er in ein Gefühl von Heiligkeit gehüllt worden, das ihn vor den Tücken der Urschlange geschützt hätte. Er war sich dessen aber nicht bewusst, und das öffnete das Tor zur Sünde.

Wir möchten das Tor zur Sünde nicht öffnen.

Heutzutage lauert sie überall, sogar bei geschlossenen Türen, und droht einzudringen. Die einzige Lösung ist, eine innerlich gefestigte Persönlichkeit zu werden. So jemand kann zum Beispiel über den Times Square laufen und von allem Bösen unangetastet bleiben. Wenn andererseits ein Mensch zwar alle Gesetze erfüllt, aber ohne seinen Verstand dabei zu gebrauchen – oder schlimmer noch, dessen Gedanken nur bei allem Bösen, was auf der Straße passiert, sind -, dann ist er in großer Gefahr, den Verführungen der Urschlange verfallen. Es ist deshalb heute vielleicht wichtiger als je zuvor, ein “Pflicht-des-Herzens“-Jude zu werden Es ist die beste Versicherung gegen das Unheil, dem sich Adam öffnete.

Fortsetzung folgt ijH

Zusammengestellt durch Yaakov Astor, Ins Deutsche übersetzt durch David Halonbrenner, überarbeitet durch Rolf Halonbrenner und Clarisse Pifko

Mit ausdrücklicher Erlaubnis des Copyrightinhabers Juefo.com. Das Sefer kann unter info@juefo.com bestellt werden.

  1. Bereschit 2, 16-17
  2. Bereschit 3,1

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