Messilat Jescharim – 16 – die Reinheit

Datum: | Autor: Rabbi Moshe Chaim Luzatto | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Reinheit

Der große Rabbi Mosche Chaim Luzzatto lebte vor ca. 300 Jahren und ist vor allem für seine Schriften über jüdische Weltanschauung und Ethik bekannt. Sein Werk Messilat Jescharim («Der Weg der Geraden»), welches den Weg des geistigen Wachstums eines jüdischen Menschen weist, wurde vom Gaon von Wilna hochgeschätzt und wird auch heutzutage überall auf der Welt studiert.

Fortsetzung

Sechzehntes Kapitel – Die Reinheit

Die Reinheit besteht in der Vervollkommnung der innersten Regungen des Herzens. Wir finden auch bei David die Wendung: „Ein reines Herz schaffe mir, G-tt! (Tehillim 51,12)”. Wesentlich ist, dass man dem Jezer auch nicht den geringsten Anteil an den Handlungen einräumt, dass allen Handlungen überlegene G-ttesfurcht und nicht ein sündiges Verlangen zu Grunde liege. Das gilt auch von den rein körperlichen, materiellen Handlungen. Wenn man auch die Tugend der Zurückhaltung übt, d. h. von dieser Welt nur das Notwendigste nimmt, so muss man doch auch in Hinblick auf das Wenige, das man genießt, die inneren Regungen des Herzens rein erhalten, d. h. der Gedanke darf nicht auf die Begierde und den

Genuss gerichtet sein, sondern allein auf das Gute, das aus dieser Handlung hervorgeht, wie eine verständige Auffassung der religiösen Pflichten das überblickt. In diesem Sinne sagt Schlomo: „In all deinen Wegen suche ihn zu erkennen, dann wird er deine Pfade ebenen (Mischlej 3,6)”.

Aber auch das ist zu beachten:

Ebenso wie es der reinen Gedanken bedarf bei den körperlichen Handlungen, sollen diese, die an sich dem Jezer nahe stehen, seinem Machtbereiche entrückt sein, so bedarf es auch der reinen Gedanken bei den guten Werken, sollen diese, die an sich der G-ttheit nahe stehen, nicht ihrem Bereiche entrückt sein und in die Sphäre des Jezer fallen.

Es ist das der Begriff ‏שלא לשמה‎ „nicht in reiner Absicht“, der so oft in den Aussprüchen unserer Weisen vorkommt. Es gibt freilich, wie aus diesen Aussprüchen hervorgeht, mannigfache Nuancen dieses Begriffes. Am schlimmsten ist, wenn Einer gar nicht den Dienst G-ttes im Auge hat, sondern nur daran denkt, seine Umgebung zu täuschen und Ehre und Reichtum zu ergattern. Von ihm sagen die Weisen, es wäre besser, er wäre nie geboren (Jeruschalmi Brachot 1,2)! Und der Prophet meint solche Menschen, wenn er sagt: „Wir waren alle wie Unreine, und wie ein besudeltes Gewand all unsere Frömmigkeit (Jeschaje 64,5)”.

Eine andere Form ist die, dass man G-tt um des Lohnes willen dient.

In Bezug darauf sagen zwar die Weisen: „Es ist immerhin gut, wenn man Tora lernt und die Mitzwot ausübt, auch wenn es nicht in reiner Absicht geschieht. Man wird, wenn‚ man das tut, auch zum Tora-Lernen und der Ausübung der Mitzwot in reiner Absicht gelangen (Pessachim 50b).” Aber wer noch nicht zu dieser Stufe gelangt ist, hat zur Vollkommenheit noch eine weite Strecke.

Die sorgsamste Überlegung jedoch und die größte Arbeit ist erforderlich dort, wo die unlautere Absicht sich in die reine verstohlen eindrängt. Es geht Einer z. B. aus reiner Absicht an die Ausübung einer Mitzwo, weil G-tt sie geboten hat. Aber er kann es doch nicht lassen, damit irgend eine Nebenabsicht zu verbinden, er möchte doch dafür von seiner Umgebung gelobt werden oder einen Lohn für seine Handlung erhalten. Und wenn er auch nicht geradezu auf das Lob ausgeht, hört er sein Lob, dann nimmt er es in der Freude seines Herzens mit dieser Mitzwo noch genauer.

So hatte die Tochter des Rabbi Chananja ben Teradion einen besonders edel anmutigen Gang, und als sie einmal hinter sich die Worte hörte: „wie edel anmutig ist doch der Gang dieses Mädchens“, gab sie sich noch mehr Mühe damit (Awoda Zara 18,2).” Ihr tugendsames Wesen erfuhr also eine Steigerung durch das Lob, das ihr gespendet wurde.

Sicher ist das, was daran verboten ist, nur verschwindend wenig, aber schließlich ist die Handlung, die eine derartige Beimischung hat, nicht völlig rein.

Und wie nun auf den Altar hier unten nur das feinste Mehl kommen durfte, das durch dreizehn Siebe gegangen (Menachot 76b) und von allem Staub gereinigt ist, so wird auch auf dem Altar dort oben nur die Handlung als wohlgefällig aufgenommen und als ein Akt des erlesenen und vollendeten Opferdienstes betrachtet, die vollkommen ist und rein von jeder Art von Staub. Ich will damit nicht sagen, dass jede andere Handlung völlig unbeachtet bleibt – G-tt kürzt keinem Wesen seinen Lohn, er vergilt jede Tat nach ihrem Werte. Soll aber von der vollkommenen Arbeit im Dienste G-ttes die Rede sein, die den wahren Freunden G-ttes ziemt, dann verdient diesen Namen nur die Arbeit, die völlig rein, ohne jede Nebenabsicht, nur um G-ttes und keines anderen Zweckes willen vollführt wird. Je weiter sich eine[1] von dieser Stufe entfernt, desto mehr wird sie mit Fehlern behaftet.

Eine Reihe von Schriftversen mag das erläutern.

David sagt: „Wen habe ich sonst im Himmel und neben Dir verlange ich nichts auf Erden (Tehillim 73,25).“ Und ferner: „Dein Wort ist vielfach geläutert, und dein Knecht hat es lieb (Tehillim 119,40).“ In der Tat, der echte Dienst G-ttes muss vollkommen geläutert sein, mehr noch als Gold und Silber. Wie es von der Tora heißt: „die Worte G-ttes sind lautere Worte, im Tiegel zur Erde herabfließend geläutert, siebenfältig gereinigt (Tehillim 12,7).“

Will Einer G-tt in Wahrheit dienen, dann wird er sich nicht mit Geringwertigem begnügen, er wird sich nicht damit zufrieden geben, Silber zu nehmen, das mit Schlacken und Zinnstücken gemischt ist, d. h. er wird nicht die Form des G-ttesdienstes wählen, die mit unschönen Nebenabsichten untermischt, sondern die, die gebührend geläutert und gereinigt ist. Wer das tut, von dem heißt es: er übt die Mitzwa aus in ihrem eigentlichsten Sinne. Und wer die Mitzwa so ausübt, den erreicht nie – so sagen die Weisen – eine schlimme Kunde (Schabbat 63a). Und ferner: „Tue Alles um des Schöpfers willen und alle deine Gedanken dabei mögen aus reiner Absicht entspringen (Nedarim 62a).“

Das ist es auch, was vor Allem die erstreben, die G-tt mit ganzem Herzen dienen.

Denn wer nicht an G-tt mit der echten Liebe hängt, für den ist diese Läuterung des G-ttesdienstes nur eine Mühe und große Last. Er sagt: Wer kann das durchführen! Wir sind doch irdische Menschen, vom Weibe geboren, wir können diesen höchsten Grad der Läuterung nicht erreichen! Doch die G-tt lieben und nach Seinem Dienste sehnsüchtiges Verlangen tragen, die freuen sich des, wenn sie G-tt ihre treue Liebe beweisen können und in der Reinheit und Läuterung des G-ttesdienstes das Höchste leisten. Das meint David mit den Schlussworten des oben zitierten Schriftverses: „Und dein Knecht hat es lieb.“

Und das ist auch in Wahrheit der Prüfstein, an dem die Diener G-ttes geprüft und nach ihren Abstufungen gesondert werden.

Je mehr Einer es versteht, sein Herz rein zu erhalten, desto näher tritt er G-tt, desto mehr wird er von Ihm geliebt. Und die großen Männer unserer Geschichte, die Stammväter und anderen Führer, sie haben Siege darin erfochten, ihr Herz vor Ihm zu läutern. David ermahnt seinen Sohn Schlomo: „Alle Herzen erforscht G-tt, und kennt all ihr Dichten und Trachten (Diwrei Hayamim 1 28,9).“ Und die Weisen sagen: „G-tt sieht aufs Herz (Sanhedrin 106b).“ Dem Herrn, gelobt sei Er, genügt es eben nicht an der Handlung, dass die Mitzwa ausgeübt wird, das Wichtigste ist Ihm, dass das Herz rein und in seinen innersten Regungen auf den rechten Dienst G-ttes gerichtet sei.

Das Herz ist wie ein König gegenüber allen Organen des Körpers und leitet sie. Stellt es sich nicht selbst in den Dienst G-ttes, dann hat der Dienst der anderen Organe keinen Wert. Wohin die Regung des Herzens sie führt, dahin folgen sie. Und deutlich genug heißt es in der Schrift: „Mein Sohn, gib mir dein Herz (Mischlej 23,26)!“

  1. dem Dienst G-ttes gewidmete Tätigkeit

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