Erinnerungen von Raw Jitzchak Silber SZ”L
Mit Genehmigung seines Sohnes Raw Benzion Silber schlito
Wir setzten die Publikation der Auszüge aus dem Buch der Erinnerungen von Raw Jitzchak Silber SZ”L fort. Raw Jitzchak Silber ist eine herausragende Gestalt der letzten Generation, dem es nicht nur gelungen ist, während der Sowjetzeit nichts von seiner Einhaltung von Tora und Mitzwot aufzugeben, sondern auch wörtlich Tausende Talmidim aufzustellen.
Fortsetzung
Jevsekzija oder wer ist eigentlich Amalek?
Jevsekzija (“jüdische Sektion”) – das ist die allgemeine Bezeichnung der jüdischen Organisationen der RKP (Russischen Kommunistischen Partei): nach der Revolution schufen die Kommunisten innerhalb der Partei nationale Abteilungen, die die kommunistische Ideologie „inmitten der eigenen Leute“ durchsetzen sollten, was bedeutete, dass sie die Menschen in ihrer Muttersprache überreden sollten „den Sozialismus aufzubauen“. Die Mitglieder der Jevsekzija kämpften gegen die „Überbleibsel der Vergangenheit“ – den Glauben der eigenen Väter: sie schlossen die Synagogen und Mikvaot (die rituellen Tauchbäder, die für die Einhaltung der Gesetze des jüdischen Familienlebens notwendig sind), sie verboten das koschere Schlachten des Viehs, brachten diejenigen ins Gefängnis, die Tora lernten.
Es heißt in der Tora: „Erinnere dich an das, was dir Amalek auf eurem Weg beim Auszug aus Ägypten angetan hat. Der auf dem Weg über dich hergefallen ist und alle deine Schwachen geschlagen hat, die zurückgeblieben waren, du aber warst müde und erschöpft und G’tt hat er dabei nicht gefürchtet“ (Dwarim, 25:17-18). “G’tt nicht zu fürchten“ – das ist die Haupteigenschaft Amaleks.
Die Tora fährt fort: „So sei es denn: wenn Gott, dein Gott, dir Ruhe gegeben haben wird von allen deinen Feinden ringsum in dem Land, welches Gott, dein Gott dir als Erbe zur Besitznahme gibt, sollst du das Andenken Amaleks von unter dem Himmel weglöschen; vergiss dies nicht.“ (25.19).
Das sind zwei separate selbständige Gebote – sich zu erinnern, was Amalek getan hat, und dies nicht zu vergessen. Die Tora verstärkt den Befehl dadurch, dass sie noch „ein paar“ Gebote hinzufügt („du sollst tun“ und „du sollst nicht tun“ – „asse“ und „lo taasse“ auf Hebräisch). Dabei verweist Raschi in diesem Fall auf folgenden Unterschied zwischen den beiden: nicht zu vergessen, sich im Herzen daran zu erinnern, mit dem Mund. Die Tora gebietet uns, diese Tatsache für immer im Gedächtnis zu behalten.
Vor dem Zweiten Weltkrieg habe ich mich gewundert: warum hat die Tora das Andenken der Gräueltaten Amaleks verewigt? Keinem anderen Feinde gegenüber (und die gibt es in der jüdischen Geschichte zur Genüge) erteilt die Tora einen solchen Befehl. Warum? Während dieses Krieges habe ich es verstanden: Weil Amalek schrecklicher und gefährlicher als andere Feinde ist.
Wofür betont die Tora (indem sie es zweimal in drei Versen erwähnt), dass Amalek den Überfall „auf dem Weg“ verübt hat? Wenn etwa ein Bandit einen anderen Menschen zu Hause überfallen hat – wird ihm dann etwa verziehen?
Es ist nämlich so, dass fast alle Kriege eine Hauptursache oder zumindest formell eine Hauptursache für den Kampf um Territorien haben. Das Volk Israel hatte kein eigenes Territorium, es befand sich auf dem Wege.
Raub oder der Kampf um Reichtümer können als Ziele des Krieges dienen. Die Juden besaßen keine besonderen Wertgegenstände. Doch nicht etwa die Ohrringe und Ringe, die sie aus Ägypten mitgenommen haben! Amalek hat diese ja auch nicht im Sinn gehabt.
Es kommt vor, dass zwischen den Völkern alter Hass wieder entflammt, wie es z.B. zwischen Armeniern und Aserbaidshanern der Fall ist. Aber auch das lag in diesem Fall nicht vor. Amalek ist der Enkelsohn von Esaw. Esaw und unser Vorvater Jakov waren Brüder. Es ist wahr, dass sie zwar seinerzeit verfeindet waren, aber nachdem er ein wertvolles Geschenk von Jakov bekommen hatte, ging Esaw nach Sse’ir und verliess freiwillig Erez Israel.
Warum hat Amalek denn die Juden überfallen? Er hatte einen Grund, aber einen ganz besonderen.
Der Auszug aus Ägypten war begleitet von Wundern. Die ägyptischen Plagen waren als „Heilbehandlung“ gedacht, für die Ägypter und so auch für die Jiden, die schon so lange in Ägypten vor sich hin siechten, dass sie schon ebenso Götzen dienten und nicht mal mehr beschnitten waren. Es war Zeit, dass sowohl diesen, als auch jenen die Augen geöffnet werden sollten, dass es den einen G’tt gibt, den Einen Herrn über diese Welt. Aus diesem Grunde hat Haschem Ägypten mit zehn Schlägen getroffen – er gab ihnen damit zehn Lektionen. Zum Beispiel war der wichtigste Götze in Ägypten der Nil – daher waren zwei der ersten drei Schläge (diese „Denkzettel“ waren in Gruppen unterteilt: drei, drei, drei und ein letzter) auf den Nil ausgerichtet: das Wasser wurde zu Blut, das Land wurde übersät mit Fröschen, die aus dem Fluss gekrochen kamen.
Gegen Ende der zehn ägyptischen Plagen fingen die Jiden an an G’tt zu glauben. Auch viele andere Völker hatten einmal kurz über G’tt nachgedacht. Amalek – mit seiner Leitidee – dem Nichtglauben an die Kräfte, die über der Natur stehen – „fürchtete G’tt ja nicht“. Und beschloss somit, den Mythos „zu entlarven“: es ging in die Wüste, überfiel die Juden, die von Haschem geführt worden waren, um zu zeigen, dass ja gar nichts Schlimmes dabei ist. Amalek war zerschlagen worden, aber die Furcht vor den Jidn wie vor dem Volk G’ttes war ins Wanken gebracht worden.
Das Wort „Amalek“ hat zwei Wortstämme: „am“ (Volk) und „lak“ (schlürfen). Amalek ist „das Volk, das Blut schlürft“. Ein Volk, das nicht einfach nur mordet, sondern das in seinem Morden auch quält – und sich darin noch am Morden erfreut.
Der Zahlenwert (das Zusammenzählen der einzelnen Buchstabenwerte) „Amalek“ ergibt genau denselben Zahlenwert wie das Wort „safek“ (Zweifel). Das Hauptanliegen Amaleks ist es, den Zweifel in die Herzen der Jidn zu säen: „Wer hat gesagt, dass es einen G’tt gibt? Wer hat behauptet, dass die Tora von G’tt kommt?“ Und dann geht es schon weiter: „Man muss doch überhaupt nicht unbedingt beten. Es ist überhaupt nicht notwendig den Schabbat einzuhalten. Man kann doch auch so Jude sein…“- und alles Weitere, das wir leider nur zur Genüge schon alles gehört haben.
Amalek kühlt das Herz aus.
Es heisst über Amalek: „Das dich in der Wüste überfiel“ – „ascher karcha ba derech“. Das können wir auch verstehen als „das dich in der Wüste ausgekühlt hat“ („kor“ – „Kälte“, „karcha“ – auch „über dich herfiel“ und „dich abkühlte“.) „Auf dem Weg“ – auf dem langen Weg, auf dem wir uns noch heute befinden, denn seit der Vertreibung bis zur Ankunft des Maschiach – ist es ein langer Weg.
Die Tora sagt: „…denn die Waltung auf G’ttes Thron heisst: Krieg für G’tt gegen Amalek von Geschlecht zu Geschlecht“ (Schmot, 17:16). Ein paar der Worte in diesem Vers sind sehr merkwürdig geschrieben: im Wort „Thron“ fehlt der Buchstabe „Aleph“ (nicht „kisseh“, sondern „kes“), der Name haShems ist nur zur Hälfte angedeutet (nicht mit vier Buchstaben, sondern nur mit zweien). Wieso?
Die Tora weist uns auf Folgendes hin: solange Amalek existiert, ist Haschem‘s Thron nicht vollständig. Was ist dieser „Thron“? Die Menschen setzen denjenigen auf einen Thron, demgegenüber sie sich entschlossen haben sich zu unterwerfen. Das Wort “Thron G’ttes“ bedeutet hier G’tt zu gehorchen. Amalek schwächt diesen Thron und somit das Sich-G’tt-Unterordnen. Deshalb ist der Thron nicht vollständig, solange es Amalek gibt. Und somit wird auch der Name haShems für uns unvollständig sein, solange das Gedächtnis an Amalek nicht unter dem Himmel ausgelöscht wurde.
Was nun Deutschland betrifft, so ist, um es kurz zu fassen, Deutschland gleichgestellt mit Amalek, von dem wir aus der mündlichen Tora wissen. Der Talmud führt im Traktat Megila 6B ein Zitat von Rashi an: „Germamija – ist die Bezeichnung für eine Macht (einen Staat), der aus Edom hervorgegangen ist (alias Esav). Der Gaon von Wilna (der, unter anderem, die Schreibweisen einzelner Worte im Talmud untersucht hat), verdeutlicht: „Germamija“ – muss gelesen werden als „Germanija“. Und weist darauf hin, dass dies ein Nordvolk mit heller Haut und hellen Haaren ist.
Edom/Esav hatte viele Nachkommen. Einer seiner Söhne nämlich – Elifaz, hatte wiederum einen Sohn, der Amalek war. “Germania” ist eben Amalek, ein Enkel Esavs.
Die Germanen haben sich noch im Mittelalter als Amalek erwiesen, im Zeitalter der Kreuzzüge. Sie haben nicht nur an den Kriegszügen teilgenommen, sondern haben auch erbarmungslos ganze jüdische Gemeinden auf ihrem Territorium ausgelöscht (allen sind die Namen dieser Städte wie Worms (Wermaisa in Hebräisch) und Mainz (Magenza) ja bekannt, wo die Juden fast gänzlich ermordet worden sind; das Gebet „Av ha rachamim“ – „der barmherzige Vater“, das wir am Schabbat beten, wurde von einem unbekannten Juden aus Deutschland verfasst).
Bis zum Zweiten Weltkrieg, solange sich die Deutschen noch still und leise verhielten, haben einige der Juden gemeint, dass wir uns nicht mehr „an Amalek erinnern“ und „unsere Seelen nicht mehr mit Hass vergiften sollen“. Jetzt bemüht sich Deutschland aus allen Kräften, dass die Vergangenheit vergessen werden soll. Aber einer der jüdischen Partisanen, der im Krieg umgekommen ist, ein Rabbiner, dessen Namen ich jetzt nicht nennen werde, weil ich fürchte mich zu täuschen, hat einmal sehr schwerwiegende Worte gesagt. Es soll der Name des Juden, so sagte er, ausgelöscht werden, der sich traut zu vergessen, was die Deutschen uns angetan haben.
Übersetzung M. Vorobiev
Fortsetzung folgt ijH