Der aussergewöhnliche Jom Tov des 15. Aw – 2. Teil

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
15. Aw

Der aussergewöhnliche Jom Tov des 15. Aw (2. Teil)

3) יום שהותר שבט בנימין לבא בקהל – der Tag, an dem Binjamin wieder in die Gemeinde eintreten durfte

Nach der furchtbaren Tragödie mit der „Pilegesch Bagiw’ah“ (Kebsweib aus Giw‘ah)[1], hatte das Volk einen Eid geschworen: „Keiner von uns gebe seine Tochter einem Mann aus dem Stamm Binjamin zur Frau“[2]. Erst als man sich darüber klar wurde, dass es falsch wäre, den Untergang eines ganzen Stammes von Jisrael zuzulassen, versuchte man die Überlebenden von Binjamin zu helfen und für alle ledigen Männer Frauen zu finden. Da es in Binjamin selbst zu wenig unverheiratete Mädchen gab, suchten die Skenim (Volksältesten) nach einem „Heter“ (Erlaubnis) für ihren geleisteten Schwur. Sie erklärten, dass ihr Schwur sich lediglich auf die Väter beschränkte, die geschworen hatten – „Keiner von uns gebe seine Tochter“ – aber nicht auf ihre Kinder[3]. Falls aber die Kinder sich auf eigene Faust mit dem Stamm Binjamin vermählen, so übertreten die Väter nicht den Schwur.

Sie rieten daher den Männern von Binjamin: „Seht, ein Fest G’ttes findet jedes Jahr in Schilo statt… Geht hin und wartet in den Weinbergen. Und wenn ihr dann seht, dass die Mädchen von Schilo herauskommen, um die Reigen zu tanzen, so kommt aus den Weinbergen hervor und nehmt euch ein jeder seine Frau und geht mit ihnen in das Land Binjamin“[4]. – Diese Geschehnisse fanden zu Beginn der „Tekufat haSchoftim“ (Epoche der Richter) statt, also nach dem Ableben von ‚Jehoschua bin Nun‘ (2516).

Im Passuk wird nicht festgehalten, um was für ein jährliches Fest es sich dabei handelte. Wie der Reda“k schreibt, besteht die Möglichkeit, dass es sich hierbei um Jom Kippur oder den 15. Aw handelte, an denen, wie die erwähnte Mischna berichtet (siehe Anfang 1. Teil), die Mädchen in den Weinbergen zu tanzen pflegten. Ja, es scheint sogar, dass diese Begebenheit den Grundstein des späteren Minhag war, wie die Mischna ferner berichtet, dass die ledigen Jungen, die einen Schiduch benötigten, sich jeweils bei diesen Tänzen eine Frau auswählten.

Dies kann mit einem von Raschi zitierten Midrasch untermauert werden, der den Passuk (Breschit 49,27) „Binjamin, ist ein reißender Wolf“ so deutet: „Binjamins Nachkommen werden sich einst Beute holen, als sie sie sich Frauen raubten“. Dabei ist nicht die Rede von einer ‚echten‘ Entführung, denn erstens erklärten sich die Eltern von vornherein damit einverstanden und zweitens darf eine Frau nicht gegen ihren Willen geheiratet werden. Nachdem jedoch die Eltern versprachen, falls die Kinder unter sich einig waren, sich wegen des Schwurs nicht einzumischen, und die darauf geschlossenen Schiduchim anders als nach dem gewohnten Schema erfolgten, wird dies als Beute und Raub dargestellt.

Auf ähnliche Weise erklären die Rischonim auch den späteren in der Mischna erwähnten Minhag der Reigentänze am 15. Aw und Jom Kippur, bei denen sich – wie damals be Binjamin – die ledigen jungen Männer Frauen nahmen. Auch diese Heiraten erfolgten ganz sicher nur nach Absprache und Zustimmung der Frau und ihren Eltern[5].

Nach anderer Meinung war dieses System nur für die mitellosen Mädchen bestimmt oder für solche, die aus irgendwelchen Gründen keinen Schiduch fanden[6].

Diese Angelegenheit erfolgte sicher unter Kontrolle und Aufsicht der Chachamim, welche dies im Falle von Unsittlichkeit und „Kalut Rosch“ (Leichtsinn) sicher wieder abgeschafft hätten. Manche fügen hinzu, dass diese Handlung gerade deshalb am Jom Kippur ausgeführt wurde, da an diesem Tag jeder vor dem g’ttlichen Gericht zittert und nicht auf unsittliche Gedanken kommt[7].

Einige vermuten, dass dieser Tanz nicht am Jom Kippur selbst, sondern eher am ‚Mozae Jom Kippur‘ oder am Tag darauf stattfand[8]. Andere wiederum sind der Ansicht, dass dieser Tanz nur am 15. Aw ausgeführt wurde, und die Mischna diesen Tag mit Jom Kippur nur bezüglich seiner einzigartigen Freude gleichstellt[9].

Der Zusammenhang zwischen diesem Ereignis – der Heiratserlaubnis des ganzen Volks mit dem Stamm Binjamin – und dem 15. Aw, hat demnach mit dem erwähnten Reigentanz zu tun, der aus irgendwelchen Gründen am 15. Aw stattfand. Vielleicht wurde seit dem „Aufhören des Sterbens in der Wüste“ der 15. Aw auf diese Weise gefeiert.

Eine andere Erklärung für den Zusammenhang dieses „Heter“ mit dem 15. Aw, kann wie oben erklärt werden, dass auch diese ‚Drascha‘ der Ältesten (Skenim) an diesem Tag gefunden wurde. Es ist daher annehmbar, dass sich die ‚Skenim‘ eben wegen der an diesem Tag stattfindenden Reigentänze besonders darum bemühten diesen „Heter“ zu finden, damit diese Gelegenheit der ‚Schiduch-Suche‘ sogleich ausgenutzt werden konnte[10].

4) יום שבוטלו פרוזדאות שהעמיד ירבעם בן נבט – der Tag, an dem die Wachen des Jerow’am aufgelöst wurden

„Der Tag, an dem die Wache aufgelöst wurde“, die Jerow’am ben Newat eingesetzt hatte. Als Jerow’am ben Newat das „Königreich Jisrael“ – mit den 10 Stämmen außer Jehuda und Binjamin – von Jeruschalajim trennte (ca. 2964), errichtete er in Dan und Bet-El bewachte Blockaden, um den Zugang nach Jeruschalajim zu verhindern. Die Bevölkerung seines Staates sollten keine Möglichkeiten haben, an den „Schalosch Regalim“ nach Jeruschalajim hinaufzuziehen, um dort G’tt im Bet haMikdasch zu dienen und sich vor dem „König von Jehuda“ zu verneigen, der die Herrschaft über Jeruschalajim hatte. Stattdessen stellte er an diesen beiden Barrieren jeweils eine Götzenfigur in Form eines goldenen Kalbes auf und verführte so das Volk zum Götzendienst[11].

Diese Wachen bestanden bis in die Tage des Königs ‚Jehoschua ben Ela‘ (ca. 3195), der sie am 15. Aw entfernte und den Aufzug nach Jeruschalajim fortan gestattete[12].


  1. Als eine Gruppe vom Stamm Benjamin eine jüdische Frau vergewaltigt hatten und diese dadurch starb, verlangten alle anderen Stämme die Auslieferung dieser Verbrecher, um sie rechtmässig zu richten und zu bestrafen. Benjamin sträubte sich aber davor und verweigerte die Auslieferung. Darauf zogen alle Stämme vereint gegen Binjamin in den Krieg, töteten einen großen Teil des Stammes und belegten den Rest mit einem Bann (siehe Sefer Schoftim Kap. 19-21).
  2. Schoftim. 21,1
  3. Ta’anit 30b und Baba Batra 121a
  4. Schoftim 21,19-21
  5. Perusch R. Jonathan von Lunil zu Baba Batra ibid.
  6. Kol Bo 62 und Orchot Chajim Ende Hilchot Tisch’a beAw
  7. Ritw“o zu Baba Batra 121a, Rabbi Zadok haKohen von Lublin und ausführlich Mischnat Schlomo (von R. Schlomo Aharon Wertheimer s“l) zur Mischna Ta’anit 4,8
  8. Siehe ausführlich ‚Ijunim beDiwre Chasal‘ S.79 vom früheren Münchener Rabbiner R. Chanoch haKohen Ehrentreu s“l aus München
  9. Perusch R. Jonathan von Lunil und siehe ausführlich im Kommentar ‚Tiferet Jisrael‘ zur Mischna Ta’anit 4,8
  10. Manche verbinden diesen ‚Heter‘ der Heiratserlaubnis mit Binjamin mit der erwähnten Aufhebung des Verbots sich mit anderen Stämmen zu verheiraten, falls dadurch Erbbesitz zu einem anderen Stamm übergehen sollte. Sie möchten annehmen, dass beide Aufhebungen zur gleichen Zeit und aus dem selben Grund stattfanden, um den Stamm Binjamin aus seiner Verlegenheit zu helfen (Sefer haToda’ah u.a.).
  11. Sefer Melachim-1/12,27-33
  12. Ta’anit 30b, Baba Batra 121b, Jeruschalmi Ende Ta’anit und Midrasch Echa Rabba Pticha 33. Siehe auch Gittin 88a, Seder Olam Rabba Kap.22 und Sanhedrin 102a. – Gemäss dem Sefer ha’Aruch lautet die korrekte Schreibweise dieses Wortes „Prusdaot“ (oder Presdaot) und nicht Prudisot oder Pardisa‘ot wie es in den meisten Druckausgaben der Gemara steht, denn es ist eine Ableitung aus dem Lateinischem „praesidia“, eine zur Beaufsichtigung und Schutz aufgestellte Wache.

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