Die Aufgabe des Omerzählens – „Tikkun haMidot“
„Haschem sprach zu Mosche auf dem Berg Sinai folgendes… Sechs Jahre säe dein Feld, und im siebten Jahr soll Ruhe für das Land sein…. Zähle dir sieben Ruhejahre, sieben Jahre jedesmal, so seien dir die Tage der sieben Ruhejahre 49 Jahre sein…“ (25,1-8)
Das Symbol und die tiefere Bedeutung der Zahl Sieben, mit der viele Zeitabschnitte und Mizwot der Torah verbunden sind, hat schon viele beschäftigt.
Der Ramban weist auf den Zusammenhang des siebenjährigen Schmitta-Zyklus und der Schöpfung des gesamten Universums in sieben Tagen hin. Die Kabbala lehrt uns, dass Hkb“H die Welt mit sieben „Sefirot haEljonot“ (himmlischen Sphären) erschuf, die in den sieben Wochentagen verkörpert sind. Das ganze Konzept der Schöpfung, die Existenz und der Erhalt des gesamten Weltalls mit allen seinen Gestirnen, Geschöpfen, der Tier- und Pflanzenwelt, wird von G‘tt mit diesen sieben Eigenschaften von „Chessed, G’wura, Tif’eret, Nezach, Hod, Jesod und Malchut“ geführt. Deshalb besteht auch die Aufgabe des Menschen darin, G‘tt mit diesen sieben Eigenschaften zu dienen:
Güte/Gnade – Haschem mit Liebe zu dienen und auch seine Mitmenschen zu lieben und ihnen zu helfen.
Stärke – G’tt mir Furcht zu dienen, sich gegen den Jezer haRa zu stellen, indem man Grenzen und Sicherheitsvorkehrungen aufstellt, die vor Übertretungen schützen sollen.
Pracht – Die Ausübung der Mizwot mit Genauigkeit und äusserlichen Pracht.
Sieg/Beständigkeit – Solange gegen das Böse und seine eigenen schlechten Neigungen kämpfen, bis man einen beständigen Sieg errungen hat.
Herrlichkeit – Die innere Schönheit beim Torahlernen, Tefila und Ausübung der Mizwot, indem sie mit der richtigen ‘Kawana‘ (Andacht) und ohne jeglichen Hintergedanken verrichtet werden. Sich Hkb“H vollständig unterwerfen und Ihn ständig für alles loben und danken.
Fundament/Grundlage – Der innige Wille und Antrieb G’tt mit all seiner Kraft und Möglichkeiten in Reinheit zu dienen, neue und weitere Ebenen zu erreichen, und diese Möglichkeiten auch anderen zu verschaffen und zu übergeben.
Majestät – Man nimmt das Joch der Herrschaft von Haschem auf sich und dient ihn, so wie ein Diener Tag und Nacht seinen Herrn ohne jegliche Einschränkung dient, mit Liebe und Ehrfurcht zugleich.
Daher heisst es bei der Mizwa von „Schabbat“ (Schmot 20,9-10): „Sechs Tage sollst du arbeiten und am siebten Tag ruhen“. Eigentlich geht es bei dieser Mizwa lediglich um die Schabbat-Ruhe, was wird dann mit „sechs Tagen sollst du arbeiten“ gemeint? Es ist doch keine Mizwa in den Wochentagen eine Arbeit zu verrichten!
In den Sefarim haKedoschim wird das so erklärt: Die Torah möchte uns hier zu verstehen geben, dass der Schabbat kein eigenständiger, von den vorangehenden sechs Wochentagen völlig unabhängiger Tag ist. Vielmehr basiert der Schabbat auf den vorangehenden Wochentagen, und ist dessen geistiges Endprodukt und Erzeugnis. „Mi scheTorahch be’Erew Schabbat jochal beSchabbat – wer sich am Erew Schabbat bemüht, isst am Schabbat“, sagen Chasal[1]. Nur wer sich in den Wochentagen vorbereitet, hat am Schabbat zu essen.
Die Woche setzt sich wie eine Kette aus sechs Wochentage und einen Schabbat-Tag zusammen, weil sie den sieben Schöpfungstagen entsprechen, die wiederum auf die sieben g‘ttlichen Eigenschaften abgestimmt sind. Nur wer sich um den Erhalt der ersten sechs geistigen Stufen von „Chessed bis Jesod“ bemüht, kann auch die siebte und höchste Stufe erzielen – die „Malchut“ (Majestät) genannt wird, womit die Heiligkeit der „Schechina“, der „Königin Schabbat“ gemeint ist.
Genau wie das kleinste Maß einer längeren Zeitperiode, eine Woche, von sieben Stufen geprägt ist, und in der ebenso viele Ziele erreicht werden müssen, so ist auch das größere Zeitmass, die Schmitta-Periode, mit den sieben Eigenschaften verbunden. Daher hat auch das Schmitta-Jahr selbst die gleiche Aufgabe wie der Schabbat. Der Jehudi soll sich von den weltlichen Tätigkeiten zurückzuziehen und sich vermehrt dem G’ttesdienst, dem Torah-Lernen und Kijum haMizwot, der geistigen Bereicherung seines Verstands und der inneren Läuterung seines Geists, widmen.
Die Aufgabe der Schmitta-Jahre wird zudem mit einem ebenfalls siebenfachen Zyklus von jeweils sieben Schmitta-Jahren zu einem abschließendem 50. Jowel-Jahr weitergeführt.
Die aus sieben zusammengehörenden Teilen bestehende Kette der g‘‘ttlichen Sefirot, ist nicht nur von den sieben einzelnen Teilen abhängig, sondern jeder Teil für sich selber ist ebenfalls mit allen anderen sieben verknüpft. D.h. jede Sefira beinhaltet als ein Ganzes ebenso sieben Stufen, so besteht z.B. die Sefira von Chessed auch aus 7 Attribute und Stufen: „Chessed schebeChessed, Gewura schebeChessed, Tif’eret schebeChessed etc. (Gnade der Gnade, Stärke der Gnade, Pracht der Gnade) – zusammen also 49 Teile oder ‚Madregot‘ (geistigen Stufen), die durch die 50. Stufe miteinander verbunden und vereint werden.
Dieselbe Aufgabe der Schmitta-Jahre ist in kleinerem Rahmen das Ziel der sieben Omer-Wochen und 49 Omer-Tagen.
Deshalb besteht die Mizwa des Zählens aus zwei Teilen: Dem Zählen der sieben Wochen einerseits und dem Zählen der 49 Tage anderseits[2]. Nachdem wir unsere seelische Freiheit am Pessach durch den im Geist wieder erlebten Auszug aus der Knechtschaft erreicht haben, können und müssen wir uns durch die Arbeit an den sieben Midot während der Omer-Zeit auf den Erhalt der Torah und Mizwot vorbereiten.
So wird der einleitende Passuk der dieswöchigen „Parscha“ zur Mizwa von „Schmitta“ und „Jowel“ verständlich: „Haschem sprach zu Mosche auf dem Berg Sinai folgendes… Sechs Jahre säe dein Feld, und im siebten Jahr soll Ruhe für das Land sein….“
Raschi wundert sich, weshalb die Torah ausgerechnet bei diesen Mizwot den „Berg Sinai“ erwähnt. Schließlich wurden die meisten Mizwot der Torah auf diesem Berg befohlen?
Aber hier wird auf die tiefere Bedeutung von „Schmitta und Jowel“ angespielt, die mit ihrem siebenteiligen- und 49-teiligen Zyklus die Aufgabe des Jehudi auf der Welt, wie auch die Vorbereitung auf „Matan Torah“ symbolisieren.
Wer jedoch diese Vorbereitung, die innere Läuterung seiner sieben Midot, nicht beachtet, gelangt, ‘chalila‘ (G’tt behüte), schnell zur siebenfachen Sünde. Die Torah warnt uns daher in der nächsten Sidra, in der Parscha der „Tochacha“ (Zurechtweisung): „Werdet ihr mir dann noch nicht gehorchen, so werde ich fortfahren euch für eure Sünden siebenfach zu züchtigen…“ (26,18 und 28).
Vielleicht bestand deshalb Esra haSofer mit seiner Verordnung darauf, dass man die „Tochacha“ unbedingt vor Matan Torah leint[3], weil damit auf die Wichtigkeit des „Tikun haMidot“, der „Bearbeitung der sieben Eigenschaften“, als Vorbereitung zu Schawuot hingewiesen wird. „Chag haSchawuot – das Wochenfest“ besteht daher nicht nur aus dem Abschluss einer bloßen Zählung von sieben Wochen und sieben mal sieben Tagen. Vielmehr basiert die Erreichung der fünfzigsten Stufe der Keduscha – „tisperu chamischim Jom“ – auf den 49 vorangehenden Stufen der Bearbeitung seiner Eigenschaften.
Obwohl die Mizwa des Omerzählens nur sieben Wochen umfasst, also 49 Tage, spricht die Torah hier vom „Zählen von 50 Tagen“.
Denn genauso wie bei den einzelnen Sefirot, wer sich von „Chessed bis Jesod“ empor arbeitet, automatisch die abschließende und alles in sich vereinende Stufe von „Malchut“ erreicht, erzielt auch derjenige, der bis 49 zählt und sich dementsprechend vorbereitet[4], die 50. Stufe von alleine. Mit dem Zählen und Erreichen der 49. Stufe erreicht man automatisch die 50. Stufe als G’ttesgeschenk!
- Awoda Sara 3a ↑
- Chagiga 17b ↑
- Megila 31b ↑
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Wie im vorangehenden Artikel zu Parschat Emor erwähnt, wird in den Sefarim haKedoschim das Wort „Sefira – zählen“ von „Saphfir“ (Edelstein) abgeleitet und als „sich läutern und zu einem Edelstein veredeln“ interpretiert. ↑