Teschuwa aus Liebe und Freude
„Purim Katan“ steht vor der Tür und erinnert mich an die bemerkenswerte Erklärung des Rabbi Chajim (Hager) von Kossov sZl. (gest. 5614/1854) bezüglich seines Namen: „Im Sohar haKadosch heisst es, dass „Jom Kippurim“ – als ‘kePurim‘ verstanden werden muss – also in gewisser Form dem Freudentag von Purim gleicht. Und weil der grosse Jom Kippur bekanntlich auch einen „Jom Kippur Katan“ besitzt, besitzt der grosse Tag von Purim auch einen „Purim Katan“[1].
Obwohl der Klall Jisrael an jedem “Jahresanfang” den gnadenvollen Tag von Jom Kippur erhält, an dem sie sich reinwaschen und wieder ihren verlorenen Kontakt zu G’tt aufnehmen können, gibt es dennoch auch mitten im Jahr solche Momente, wenn auch in viel kleinerem Rahmen, wie den „Jom Kippur Katan“ am Erew Rosch Chodesch.
Es liegt in der Natur des Menschen, der – so wie ein Feuer immer frischen Sauerstoff und Brennmaterial benötigt – jeden Tag von neuem „Diwre Chisuk“ (Worte der Stärkung) benötigt.
Deshalb benötigt der täglich auf dem Pfad der Tugend wandelnde Jehudi, manchmal nur einen kleinen Anstoß, um wieder voller Elan und Energie zur ‘Awodat Haschem‘ in „Schuss“ zu kommen – und dafür genügt ihm die kurze Besinnung und Teschuwa am „Jom Kippur Katan“.
Der grosse Jom Kippur hingegen, ist die Zeit einer totalen Revision, für die großen Sünder allgemein, aber auch für die Frommen, um ihre Wege zu überprüfen, ob ihnen nicht Irrtümer unterlaufen sind oder sonstige Verbesserungen notwendig sind.
Ähnlich verhält es sich mit Purim, dem Gegenstück von Jom Kippur. Wird am Jom Kippur durch Furcht und Tefila, Busse und Weinen, die Nähe zu G’tt gesucht, sollte am Purim das gleiche Ziel durch Freude erreicht werden, und zwar durch die eigene irdische Freude, die durch eine schmackhafte Se’uda und Weintrinken erweckt wird, und durch geistige Beflügelung durch die ‘Keriat haMegila‘, sowie durch das Erfreuen anderer Menschen durch ‘Matanot laEwjonim‘ und ‘Mischloach Manot‘.
Die Teschuwa durch Freude ist im Gegensatz der Teschuwa durch Furcht viel schwerer zu erreichen, obwohl sie dem Menschen viel angenehmer erscheint. Die meisten Menschen lassen sich nämlich sehr leicht durch die Erinnerung an die Vergänglichkeit des Menschen – „jaskir lo Jom haMissa“[2] – oder Furcht vor Strafe und dem Zittern vor dem Ungewissen zur Teschuwa bewegen. Dies ist der Vorteil der „Teschuwa miJir’ah“ wie diese genannt wird.
Ihr Nachteil jedoch ist, dass sie nicht tief und innig genug im Menschen Wurzeln schlägt, um lange anzudauern. Deshalb wurde uns mehrere Male im Lauf des Jahres „Jom Kippur Katan“ und andere Tage gegeben, zur Teschuwa durch Furcht, um immer wieder einen neuen Anlauf nehmen und die „Kurbel der Teschuwa“ ein weiteres Mal drehen zu können.
Ganz anders verhält es sich mit der „Teschuwa meAhawa“, der inneren Freude und Dankbarkeit an Hkb“H über seine vollbrachte Wunder, oder durch die erweckte Liebe zur Torah und dem Erblicken des Lichts der Wahrheit. Diese benötigt einen viel länger dauernden Prozess, und erfolgt erst nach tieferer Besinnung und vielem Nachdenken. Deshalb ist sie ein Resultat viel tieferer Gefühle und ist eine widerstandsfähige, stabil verankerte Teschuwa.
Passend dazu ist die Erklärung der heiligen Rabbi Jisrael (Friedmann) von Rus’zin sZl. (gest. 5611/1850) über den bekannten Ausspruch von Chasal: „Nichnas Jajin jaza Sod“[3], wenn Wein (im Menschen) eindringt, strömt das in ihm verborgene Geheimnis aus:
„Durch den Wein wird der Unterschied zwischen dem Jehudi und dem Nochri erkennbar. Von außen gesehen geht es dem Nochri gut und er ist immer fröhlich und gut gelaunt, während der Jehudi im Galut immer stöhnt und krächzt. Die Wahrheit, das innen Verborgene, lässt sich jedoch erst durch den Wein erkennen. Was geschieht, wenn sich der Nochri betrinkt? In seinem Rausch verwandelt er sich plötzlich in ein wild gewordenes Tier, schlägt alles kaputt und lässt seinen Zorn an jedem aus. Da tritt sein wahres Wesen und Innere zu Tage – die Wurzel seiner Seele ist das „Azwut“, die Trauer, Melancholie und Frustration über die Leere seines Lebens. Der angetrunkene Jehudi hingegen singt und tanzt zusammen mit seinen Freunden, denn die wahre Wurzel seiner Neschama ist „Simcha“, die Freude und Zufriedenheit über den Zweck an seinem Dasein, trotz aller Probleme des täglichen Lebens, weil er einen Sinn in seinem Leben hat!“[4]
Aus diesem Grund besitzt die „Teschuwa aus Liebe“ eine längere und intensivere Wirkung, da sie aus viel tieferen Gefühlen stammt, aus der Wurzel der jüdischen Neschama – aus ihrer „Simcha“.
Ihr Nachteil allerdings ist, das sie nur schwer und seltener erreicht wird, weil sie eben einen längeren und tiefgreifenden Prozess benötigt, und erst durch die enge Nähe des Menschen und seine Liebe und in ihm wachsene Berauschung zu G’tt und der Tora erfolgt! Und das Erlangen eines solchen „Rausches“ durch den Wein der Erkenntnis, ist dem Menschen wegen den täglichen Leiden und Problemen erschwert, die ihm keine Zeit für die dafür nötige Besinnung ermöglichen. Deshalb gibt es auch nur selten einen „Purim Katan“ (nur in einem Schaltjahr), als weiterer Moment der „Teschuwa meAhawa“ ausser dem grossen Purim, an dem es selbst dem gehetzten Menschen möglich ist, durch die irdische und geistige Freude einen „Rausch der Liebe“ zu G’tt zu erhalten.
Ad delo Joda
Spinnen wir diesen Gedankenfaden ein wenig weiter, so erscheint uns diese „Message“ auch aus dem bekannten und außergewöhnlichen Ausspruch von Chasal über die Trinkpflicht am Purim: „meChajew Inesch leBassume baPurja ad delo Joda ben Arur Haman leBaruch Mordechai – Der Mensch ist verpflichtet sich am Purim aufzuheitern, bis er keinen Unterschied mehr zwischen „Verflucht sei Haman“ und „Gelobt sei Mordechai“ erkennt“[5].
Es ist die grosse Kraft des Purimfestes, der an diesem Tage jedem Jehudi die seltene Möglichkeit zur Erlangung der „Teschuwa meAhawa“, der Rückkehr aus Freude, eröffnet. Es ist daher seine Pflicht, diese Chance zu ergreifen, sich an die Liebe zu G’tt zu erfreuen, sich an Seiner Gnade und Seinen Wundern für Jisrael – selbst im Galut wie in ‘Schuschan‘ – zu erwärmen. So wie Chasal berichten, dass der Klall Jisrael nach ihrer Rettung am Purim nochmals die am Berg Sinai erhaltene Torah und g’ttlichen Gebote auf sich nahmen, aber diesmal „aus Liebe“[6].
„Ad delo Joda“, durch diese Art der Teschuwa wird kein Unterschied mehr zu erkennen sein zwischen den Vor- und Nachteilen von „Arur Haman“, der schnellen Teschuwa aus Furcht vor Strafe, die durch verhängte Geserot (Dekrete) durch Bösewichte wie Haman haRascha erfolgen[7], und „Baruch Mordechai“ und der nur schwer erreichbaren Teschuwa durch Liebe und Freude. Denn die Teschuwa aus Liebe ist in einen starken Fels gehauen, unerschütterlich und tief verwurzelt, so hoch und so erhaben, dass sie keine Hilfe und Unterstützung durch die kleinere und viel schwächere „Teschuwa aus Furcht“ benötigt. Denn alle Hürden und Nachteile sind bereits überwunden – „ad delo Joda“.
baJamim haHem baSman haSeh
Somit verstehen wir den Sinn der vor dem ‘Megila-Leinen‘ gesagten Beracha „scheAssa Nissim la’Awotenu baJamim haHem baSman haSeh – Gelobt sei der Wunder unseren Vätern machte, in jenen Tagen, in diesem Tagen“.
Für gewöhnlich wird erklärt, dass sich das „baSman haSeh – in diesen Tagen“, auf unsere Emuna hinsichtlich der G’ttlichen Wunder bezieht, die Hkb“H nicht nur einst, sondern auch in unseren Tagen macht und für die wir Ihn deshalb loben. Doch es ist wohl eindeutig, das sich diese „heutigen Nissim“ die in diesem Moment gelobt werden, nicht nur auf uns geschehene Wunder während des ganzen Jahres hindurch beziehen, sondern in erster Linie direkt mit dem heutigen Tag von Purim verbunden sind.
Das Wort „Nes – Wunder“ bedeutet „ein besonderes Zeichen uns erteilten Erhabenheit und Würde, wie es heisst (Tehilim 60,6): „נתת ליראך נס להתנוסס – Du hast denen, die Dich fürchten, ein Zeichen gegeben, um sich zu erheben“.
In den Sefarim haKedoschim wird die besondere Freude der ‘Jamim Towim‘, bei deren Ankunft wir „scheHechejanu weKijemanu weHigijanu laSman haSeh“ sagen, damit erklärt, dass jedes Jahr an ihnen die selbe besondere „Et Razon“ (günstige Zeit) und himmlische Fülle, wie damals zur Zeit des Wunders, wieder zu uns zurückkehrt. Der Sinn und Zweck der für uns vollbrachten Nissim ist nicht eine nur zeitlich begrenzte einmalige Rettung aus einer gewissen Lage oder Situation. Denn so wie G’tt unbegrenzt ist, sind Seine Taten unendlich. Sie wirken fortwährend und deren Fülle muss nur geweckt werden. So ist es z.B. möglich, auch während des Jahres durch das Lernen gewisser Dinge in der Torah, deren Kraft zu wecken, wie das Lernen der Korbanot an Stelle deren Darbringung wirkt etc.
Der Zweck und die Aufgabe der Nissim ist es, dem Klall Jisrael fortwährende und für immer wirksame Momente der Erhebung zu verschaffen, durch die sie sich geistig stärken und G’tt nähern können. Deshalb wird am Purim vor dem Leinen der ‘Megilat Esther‘, vor der Erwähnung der uns an diesen Tagen geschehenen „Nissim“, durch die Beracha „scheAssa Nissim“ daran erinnert, dass diese Wunder keine einmaligen Ereignisse waren, die nur eine historische Bedeutung besitzen.
Ganz im Gegenteil sind sie auch „baSman haSeh“, uns für immer geschenkte hohe, erhabene Momente, durch die wir die Möglichkeit erhalten, an jedem Purim – ‘Gadol‘ oder ‘Katan‘ – wie damals Jisrael, zu G’tt durch Liebe und Freude zurückzukehren und sich aus unseren schwierigen physischen und geistigen Situationen zu erheben.
Ora weSimcha weSasson wiJekar
Beim erstmaligen Aufatmen der Jehudim in Schuschan heisst es in der Megila (8,16): „lajeJehudim hajta Ora weSimcha weSasson wijekar – den Jehudim war Licht und Freude, Fröhlichkeit und Ehre [gegeben]“. Chasal deuten diese vier Begriffe als Hinweise auf Torah, Jom Tov, Brit Mila und Tefillin[8], worüber sich die Meforschim sehr wundern: Jom Tov ist wohl verständlich, und im Bezug der Torah wurde bereits erwähnt, dass Jisrael durch diese Geschehnisse die Torah nochmals aus Liebe auf sich nahmen. Doch was ist mit Mila und Tefillin, weshalb werden gerade diese Mizwot angeführt? Was verbindet sie mit der Purimgeschichte?
Mit den obigen Ausführungen ist die Antwort bereits gegeben: In diesem Passuk wird der Höhepunkt der Purimgeschichte betont, das Ziel und der Zweck des Wunders – die uns gegebene Möglichkeit zur „Teschuwa meAhawa“, aus Liebe und Freude. „Purim“ ist ein Jom Tov, an dem gegessen und Wein getrunken wird, um die irdische Freude im Menschen zur Liebe von Hkb“H zu erwecken. So wie der Wein im Jehudi innen seine Lebensfreude weckt und ihn die täglichen irdischen Leiden und Probleme lässt, so soll er dieselbe Lehre aus der Purimgeschichte erkennen, dass hinter all den täglichen Prüfungen G’tt steht, der ihn durch Haman haRascha nur wachrütteln möchte, bis er wieder zu Ihm und zu Seiner Liebe zurückfindet. In der damaligen Generation hatte Jisrael tatsächlich diese Lehre gezogen und die Torah von Haschem nochmals mit Liebe auf sich genommen.
Ebenso heißt es von der Mizwa Mila, dass diese, weil sie die erste alle Mizwot war, von Jisrael mit besonderer Liebe aufgenommen wurde und daher in allen Generationen hindurch immer mit Liebe und aussergewöhnlichen ‘Messirut Nefesch‘ ausgeführt wird[9]. Deshalb wird in der Megilat Esther die „Brit Mila“ mit „ ששון- Fröhlichkeit“ betitelt. So nahm der Klall Jisrael damals auch die Ausführung aller 613 Mizwot mit Liebe auf sich. Und so erfüllten sie den Zweck der ihnen geschehenen Wunder; sie erhoben sich und kamen G’tt mit Liebe und Freude näher. Und wie der Sinn der Tefillin knüpften sie erneut ihre Bande mit G’tt. Daher werden die Tefillin in der Megila mit „יקר – Ehre/Teueres“ bezeichnet, denn wie die Mila werden auch die Tefillin in der Torah אות genannt[10]. Der Jehudi trägt jeden Tag zwei „Auszeichnungen“ die seine Verbundenheit mit Haschem bezeugen[11], und das „Nes“ (Zeichen) von Purim zeigte, dass das jüdische Volk wieder seine אותות und Erhabenheit wieder erlangt hatte.
- Torat Chajim (-Kosssov, Haschmatot S.47) ↑
- Siehe Berachot 5a, wie man den starken Trieb des Jezer haRa, der einem zur Sünde verleiten möchte, bezwingen kann: „Man erinnere sich an den Tag des Todes“! ↑
- Eruwin 65a ↑
- Knesset Mordechai (- Sadigura) P. Wajikra 5732 ↑
- Megila 7b ↑
- Schabbat 88a ↑
- Sanhedrin 97b ↑
- Megila 16b ↑
- Schabbat 130a, s.a. Sanhedrin 32b ↑
- Brit Mila (Bereschit 17,11) und Tefillin (Schmot 13,16) ↑
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Menachot 36b ↑