„Elul“ – Monat der Erbarmung und Vergebung (2. Teil)

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Elul

Jahresende und Jahresanfang

“30 Tage im Jahr werden als ein ganzes Jahr gerechnet”, lautet die Regel für verschiedene Halachot[1]. Deshalb schreiben die Ba’ale Mussar: „Elul ist der letzte Monat des Jahres; wer daher in diesem Monat ‚Teschuwa‘ tut, dem wird es angerechnet, als ob er das ganze Jahr mit Teschuwa verbracht und alle seine Taten in Ordnung gebracht hätte, denn das ganze Jahr ist in diesem Monat enthalten[2].

Raw Meier Nathan Wachtvogel sZl., der Maschgiach von Lakewood, sagte einmal in einem Elul-Schmues: „Jeder Jehudi versucht, das neue Jahr mit Hilfe der Heiligen Tage Rosch haSchana und Jom Kippur gut anzufangen. Im Verlauf des Jahres jedoch gibt es leider einige Auf und Abs. Wenn aber wenigstens der Schlusslauf – der Monat Elul – gelingt, dann hat man das ganze Jahr gerettet. Denn „hakol holech achar haChatima“ – „Alles geht nach dem Schluss“ (“Ende gut – Alles gut”) [3].

Manche interpretieren in diesem Sinn die Aussage der Gemara zum Passuk (Tehilim 81,4): תִּקְעוּ בַחֹדֶשׁ שׁוֹפָר בַּכֶּסֶה לְיוֹם חַגֵּנוּ – “Blässt das Schofar am Neumond, am Tag der Mondverhüllung, für den Tag unseres Festes”. Welches Fest findet in einem Monat, an dem sich der Mond verhüllt, statt? Dies ist Rosch haSchana”[4]. Die heiligen Tage von Rosch haSchana sind im Monat Elul verhüllt, erst nach Ablauf dieses Monates, wenn dessen Leistung aufgedeckt wird, so offenbart sich demgemäß der Tag des Gerichts[5].

Dies passt auch mit der bemerkenswerten Aussage des Zadiks Rabbi Mordechai Jafeh sZl. von Lachowicze (Belarus) zusammen, der sagte: “Elul ist der Anfang des Jahres!”[6] Der Monat Elul ist also nicht nur der Schluss des Jahres, sondern bildet zugleich auch den Jahresanfang.

‚Schabbat Mewarchim Elul‘

Rabbi Aharon Rokach von Bels sZl. erzählte, dass sein Vater Rabbi Jisachar Dov sZl., die Art und Weise des „Rosch Chodesch Elul-Benschens“ der ungarischen Jehudim sehr zu schätzen pflegte. Diese wurde mit der Melodie der Gebete der Heiligen Tage gesagt[7]. Mancherorts weckte der Schul-Schamesch die Leute an diesem Morgen sogar mit dieser Melodie: „Stait oif Jiden, men geit haint Bentschen Rosch Chodesch Elul!“[8] – So wurde die Gemeinde auf die heilige Atmosphäre der Jamim haNora’im (der Hohen Feiertage) eingestimmt.

Dieser Schabbat ist überhaupt ein ganz besonderer, wie in den Sefarim haKedoschim festgehalten wird, denn in diesem sind die Heiligen Tage, wie auch alle Tage von Sukkot enthalten![9]

30 Tage der Vorbereitung

Zadikim begannen ihre Elul-Vorbereitungen schon ab dem 15. Aw, wie der Munkatscher Raw sZl. schreibt. Eine Andeutung dazu fand er im Zahlenwert der Worte חֲמִשָּׁה עָשָׂר בְּאָב, dass dieselbe Gimatria wie כְּתִיבָה וַחֲתִימָה טוֹבָה hat[10].

Die eigentliche Vorbereitung zum Monat Elul beginnt jedoch mit Rosch Chodesch Elul, also 30 Tage vor Rosch haSchana. Bezüglich der Vorbereitung auf den Jom Tov Pessach und den anderen ‚Moadim‘ lehren Chasal, dass Mosche Rabenu selbst diese 30 Tage vor dem Jom Tov angeordnet habe – „Schloschim Jom kodem haChag Schoalin weDorschin be’Injane haChag“„30 Tage vor den Feiertag, fragt und forscht man über die Themen des Feiertags“[11]. Rabenu Menachem Me’iri lernte daraus, dass diese Regel auch für die Vorbereitung auf Rosch haSchana gilt und dass ab Rosch Chodesch Elul Tefila, ‚Cheschbon haNefesch‘ (Rechenschaft über die begangenen Taten) und Teschuwa zunehmen sollten [12].

Rabbi Jisrael Isserlein sZl., der Verfasser des Terumat haDeschen, bemerkte dazu:

„Der Name ‘Elul’ leitet sich aus dem aramäischen ויאללון ab, was laut Targum im Laschon Hakodesch dem Wort וְיָתֻרוּ – „auskundschaften/durchwühlen“ entspricht, das z.B. im Passuk über die ‚Meraglim‘ (Kundschafter) steht[13]. Deshalb bläst man den ganzen Monat lang Schofar, denn das Bet-Din warnt uns 30 Tage vor der Einladung zum Gericht, dass wir uns ordentlich vorbereiten sollen. Wir müssen unsere Lage eruieren, unsere Taten untersuchen und überdenken, und die zur Verteidigung benötigenden ‚Sechujot‘ (Verdienste) sammeln“[14].

Auf diese Weise wird auch die Bedeutung des Sternzeichen im Monats Elul, ‚Betulah‘ (Jungfrau), anhand des Passuk in Jirmijahu (31,20) erklärt: שׁוּבִי בְּתוּלַת יִשְׂרָאֵל – „Kehre zurück, du Jungfrau Jisraels“. Daraus geht hervor, dass dieser Monat für die Rückkehr, die Teschuwa, bestimmt ist[15].

Der Jesod weSchoresch ha’Awodah zitiert aus dem Sohar haKadosch[16], dass sich der Passuk (Dewarim 21,13): „Und sie [die ‚Eschet Jefat Toar‘, also die schöne Kriegsgefangene] beweine einen Monat lang ihren Vater und ihre Mutter“ auf den Monat Elul bezieht. Mit dem Vater ist Hkb“H gemeint und mit der Mutter ‚Knesset Jisrael‘ (die Gesamtheit des jüdischen Volkes); denn einen Monat lang weine jeder Jehudi vor Haschem, im Elul, dessen Tage eine besonders günstige Zeit für Tefila und Teschuwa sind![17]

Rabbi Aharon Rokeach von Bels sZl. verglich den Elul mit der Vorbereitung der ‚Chassidim haRischonim‘, von denen Chasal berichten, dass sie sich jeweils vor der Tefila eine Stunde lang vorbereiteten: „Auch wir bereiten uns auf die Tefilot der heiligen Tage vor. Der ganze Monat Elul gleicht der einen Stunde vor der Tefila!“[18]

Ein Geschenk von Haschem

„Der Monat Elul ist ein gewaltiges Geschenk“, erklärte der erste Gerrer Rebbe sZl., der Chidusche haRim. „Wenn ganz plötzlich ein Krieg ausbricht, hat der Soldat keine Zeit, sich darauf richtig vorzubereiten, sich seelisch und körperlich einzustellen: Er greift sich sein Gewehr und stürzt sich in den Kampf. Wir hingegen erhalten Jahr für Jahr ein Geschenk von 30 Tagen, um uns ordentlich auf den Jom haDin (Tag des Gerichts) vorzubereiten“[19].

Eine Andeutung hierzu findet sich in den Worten von Jakov Awinu, der seinem Bruder Esav erklärte, weshalb er auf dessen Begleitung verzichten muss, da er sich nicht beeilen konnte (Bereschit 33,14): וַ’אֲנִי אֶ’תְנָהֲלָה לְ’אִטִּי לְ’רֶגֶל הַמְּלָאכָה – „Ich aber führe [meine Sippe] gemächlich, so wie es für den Verlauf der Arbeit [Tempo der Herdentiere] notwendig ist“. Die Anfangsbuchstaben ergeben das Wort Elul[20].

Von Reb Itzele (Blaser) Petersburger sZl., dem grossen Schüler von Rabbi Jisrael Salanter sZl., wird erzählt, dass er einmal bei seiner Drascha (Rede) am Rosch Chodesch Elul in Schul den ‚Aron haKodesch‘ öffnete und unter Tränen ausrief: „Ribbono schel Olam (Herr der Welt), ich danke Dir, dass Du uns den Monat Elul geschenkt hast. Ribbono schel Olam, wir empfangen Dein Geschenk mit Liebe und Freude!“

Mir scheint, dass sich die in den Posskim zitierte Andeutung des Monats Elul in der Megilat Esther (9,22) in diesem Sinne deuten lässt:

[וּמִשְׁלוֹחַ מָנוֹת] אִישׁ לְרֵעֵהוּ וּמַתָּנוֹת לָאֶבְיוֹנִים – „[Zugeschickte Gaben] ein Mann seinem Nächsten und Geschenke für die Armen“.[21] Damit wieder Friede und Einigkeit zwischen G’tt und dem Menschen herrschen kann, hat Er uns ‚Arme‘ (also arm an Mizwot und guten Taten) den Monat Elul geschenkt.

40 Tage ‚Et Razon‘

Seit jeher galt der Elul als eine besondere „Et Razon“ (Zeit des himmlischen Wohlwollens). Der Tur zitiert aus den Pirke deRabbi Elieser, dass Mosche Rabenu am Rosch Chodesch Elul zum dritten Mal den Berg Sinai bestieg, wo er 40 Tage blieb und am Jom Kippur die zweiten ‚Luchot haBrit‘ (Bundestafeln) hinunterbrachte. Diese 40 Tage wurden von da an als Tage des g’ttlichen Wohlwollens, der Rückkehr zu Ihm und der Versöhnung für die kommenden Generationen festgelegt[22].

Im Sohar haKadosch wird dazu eine interessante Andeutung im Passuk über Noach nach der ‚Mabul‘ (Sintflut) gefunden (Bereschit 8,6): „Es war am Ende von 40 Tagen, da öffnete Noach das Fenster der Tewah [Arche]“. Das Wort הַתֵּבָה hat denselben Zahlenwert (412) wie יוֹם כִּפּוּרִים – der „Tag der Versöhnung“[23].

Der Bne Jisachar fügt hinzu, dass der Monat Elul bereits seit ‚Beriat haOlam‘ (Welterschaffung) als besondere ‚Et Razon‘ gilt. Da Hkb“H in diesem Monat die Welt erschuf, muss folglich diese Zeit eine besonders günstige sein![24]

Diese 40 Tage sind in den Endbuchstaben des Passuks (Schir haSchirim 6,3) אֲ’נִי לְ’דוֹדִי וְ’דוֹדִי לִ’י angedeutet:

4 mal Jud = 40, der Passuk, der bekanntlich von den Kadmonim[25] (Großen der früheren Generationen) als Merkmal des Monat Elul angegeben wurde[26]. Auch besitzt das Wort לי den Zahlenwert von 40; „weDodi li“„mein Freund“ (Haschem) wendet sich mir zu, indem Er mir 40 wohlwollende Tage gab. Das Wort לי besteht aus den Buchstaben „Lamed“ und „Jud“. Dies ist eine Andeutung auf die 30 Tage von Elul und den ‚Asseret jemej Teschuwa‘ (10 Tagen der Busse) im Monat Tischri, die noch größer als die 30 vorherigen Tagen sind[27].

Weshalb es gerade 40 Tage sind wird anhand der Worte von Chasal erklärt, wonach die „Jezirat haWlad“ (die Entstehung eines Kindes) 40 Tage dauert[28]. Genauso wie die Entstehung und erste Formung des menschlichen Körpers (Embryo) und seiner ‚Neschama‘ (Seele) 40 Tage benötigen, sind für die ‚Teschuwa‘ ebenfalls 40 Tage notwendig. Dies ist deshalb der Fall, weil das Wesen der Teschuwa eine vollständige Regeneration des Sünders bedeutet, der dadurch zu einem neuen Menschen wird. So heißt es auch bei der sündigen Stadt Ninvej (Jonah 3,4): „Noch 40 Tage und Ninive wird umgedreht werden!“[29]

In diesen Tagen ist es unsere Aufgabe, uns wie ein neugeborener Mensch zu erneuern im Sinne des Passuk (Tehilim 51,12) „Lew Tahor bara li Elokim“ – „ein reines Herz schuf mir G’tt“. Mit dem Wort לִי sind die 40 Tage von Rosch Chodesch Elul bis Jom Kippur gemeint, in denen man sich reinigen und erneuern kann[30].

Manche erklären auf diese Weise die Worte Hilels:

,אִם אֵין אֲנִי לִי מִי לִי – „Wenn ich nicht zu mir, wer ist zu mir“[31]; wenn ich nicht Teschuwa – לִי – in diesen 40 Tagen der speziellen ‚Et Razon‘ mache, wer wird mir dann helfen Teschuwa zu machen?! Auch die Worte Dawid haMelechs werden auf diese Weise gedeutet, der sprach (Tehilim 118,6): ה’ לִי לֹא אִירָא – „Haschem ist zu mir, ich fürchte mich nicht“. Wenn ich mich G’tt in den 40 Tagen von לִי nähere, so brauche ich mich nicht vor dem Tag des Gerichts zu fürchten![32]

Diese 40 Tage beinhalten zudem 960 Stunden, was als eine Andeutung auf den Schi’ur von 40 Sa’ah Regenwasser, die eine ‚Mikwah‘ benötigt, die 960 Lug entspricht. Diese Tage besitzen die Kraft einer Mikwah, die den Unreinen reinigen und ihn wie ein neugeborenes Geschöpf erneuern[33].

Es liegt also an uns, dieses gewaltige Geschenk G’ttes tatsächlich mit Liebe und Freude anzunehmen und etwas in diesen 40 Tagen der besonderen ‚Rachamim‘ (Gnade) zu erreichen!

  1. Makot 3b
  2. Kowez Sichot (Bd6/S.301). Siehe mehr dazu im Sefer Panim Jafot (P. Achare)
  3. Leket Reschimot (Injane Elul weJamim Nora’im, S.8)
  4. Rosch haSchana 8a
  5. Rabbi Mosche Midner sZl. (Kitweh Rema”m haSchalem S. 186)
  6. Kitweh Rema”m haSchalem S. 187. Siehe ausführlich Netiwot Schalom (P. Dewarim S.102)
  7. Minhage Eisenstadt S.64 und Minhag der ‚7 Gemeinden Ungarns‘ (Sechor leAwraham S.409)
  8. Beto Na’awo Kodesch (- Minhage Bels, Elul-Tischri S.36)
  9. Seder haSemanim des Ba’al Awodat Jisachar
  10. Scha´ar Jisachar
  11. Megila 32a
  12. Chibur haTeschuwa (Ma’amar 2/Kap.2) und Seder haJom. – Der Maharsch“o (Megila 32a) hingegen ist der Ansicht, dass Mosche Rabenu für die Jamim haNora’im keine offiziellen Vorbereitungszeit bestimmte, denn jeder Tag muss ‚Teschuwa‘ gemacht werden!
  13. Bamidbar 13,2
  14. Leket Joscher Bd1/S.120
  15. Sefer haToda’ah Kap.17. S,a, Kezeh laMate zu Mate Efrajim 581,1
  16. Sohar Chadasch (Parschat Ki Sejze S.46b)
  17. Scha’ar haMajim Kap.1
  18. Beto Na’awa Kodesch-Minhage Bels (Elul-Tischri Bd1/S.34)
  19. Siach Sarfe Kodesch Bd1
  20. Kezej haMate zu Mate Efrajim 581,2
  21. Kizur Schulchan Aruch 128,1 Elef laMate 581,1 und Elja Rabba 581,1
  22. Tur Anfang Hilchot Rosch haSchana 581 gemäß Pirke deRabbi Elieser Kap.46, Kizur Schu“A 128,1 und Chaje Adam 138,1
  23. Tikune Sohar (Tikun 6)
  24. Bne Jisachar Chodesch (Elul 1,4)
  25. Mate Mosche 778, Arisa“l in Scha’ar haPsukim (zu Schir haSchirim)
  26. Awudraham (Injan R“H), Ba“ch zum Tur 581 u.a.
  27. Mej Menuchot von Rabbi Refael Berdugo sZl., aus Marokko (P. Ha’asinu)
  28. Nidah 30a (und Raschi Bereschit 7,4) in Bezug der physischen Entstehung eines Embryos und Menachot 99b bezüglich dem Erhalt der ‚Neschama‘.
  29. Moda leBinah (Elul S.37)
  30. Bne Jisachar (Tischri 3,2) und Mischna Berura Anfang 581
  31. Pirke Awot 1,14
  32. Binah le’Itim (-Weiss, Monat Elul Nr.1351)
  33. Bne Jisachar ibid.

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