Eine aussagekräftige Anspielung auf das Wesen des Monats Elul finden wir in seinem Namen:
אני לדודי ודודי לי – אלול
„Ich gehöre meinem Liebsten und mein Liebster mir.“
(Schir haSchirim, 6:3).
Und tatsächlich ist Elul ein Monat der besonderen Nähe zum Allmächtigen, wenn die Reue, die Rückkehr und das Gebet Ihm besonders willkommen sind und eine besondere Kraft haben. Es gibt uns die einmalige Möglichkeit, uns auf die kommenden Tage des Gerichtes „Rosch haSchana“ und „Jom Kipur“ vorzubereiten, die Möglichkeit zu verdienen, in das Buch der Lebenden eingeschrieben zu werden.
Jedoch ist es kein großes Geheimnis, dass diese Tage von vielen ohne großen Enthusiasmus aufgenommen werden und sogar mit einigem Widerwillen. Wie ein junger Mann sich ausgedrückt hat: „Es wäre schön wenn man diese furchtbaren Tage überspringen könnte, und sofort zu Simchat Torah kommen könnte“! Diese Ansicht ist von vornherein falsch, denn die Freude der Seele ist vom Grad ihrer Reinigung in den Tagen des Gerichtes abhängig.
Was ist aber der Grund für eine solche Haltung? Oft bekommt man folgendes zu hören: „Kann ich denn etwas in mir ändern? Ich habe es schon oft versucht und es klappt nicht. Ja, die „Furchtbaren Tage“ verpflichten zur Selbstanalyse und zur Reue, aber ich krieg‘ sowas nicht hin“! Kommt aus, dass wir durch die Skepsis davon abgehalten werden, an uns zu arbeiten. Aber wenn man darüber nachdenkt, merkt man, dass hinter der scheinbar gerechtfertigten Skepsis etwas anderes steckt. Wir sind einfach nicht bereit, etwas in unserem Leben zu ändern und deswegen versuchen wir auf jede mögliche Art und Weise, alles so zu belassen, wie es ist. Wir handeln nach dem ominösem Prinzip: „Wenn die Trunksucht die Arbeit stört, dann schmeiß die Arbeit hin“!
Aber man sollte nicht den Mut verlieren! Dieses Problem ist nicht neu. Bereits Rabeinu Jona widmete in seinem fundamentalen Werk „Schaarej Tschuwa“ ein ganzes Kapitel den Faktoren, die den Menschen zur Reue und Rückkehr erwecken können. Kommt aus, dass es ohne diesen erweckenden Impuls tatsächlich sehr schwer ist, zur Tschuwa (Reue, Rückkehr) zu kommen. Deswegen muss man als erstes herausfinden, was als solch ein erweckender Impuls dienen kann. Die Antwort darauf finden wir in den Briefen von Raw Jisroel Salanter (Brief 7): „Natürlich ist es Schofar! Deswegen wurde es auch verordnet, in diesem Monat in Schofar zu blasen: „Kann es sein, dass in Schofar geblasen wurde und das Volk sich nicht erschüttert?“ (Amos 3)“. Schofar erinnert uns an die nahenden Tage des Gerichtes und hat deswegen die Kraft, uns vom Platz zu rücken.
Aber kann denn so ein kleiner Anstoß einen Menschen zwingen, sich zu ändern? In Wirklichkeit sehen wir, dass viele Juden artig dem Schofar den ganzen Monat Elul zuhören, und das hindert sie nicht daran, so zu bleiben, wie sie vorher waren. Raw Jisroel Salanter behandelt auch diese Frage: „Natürlich ist der Klang des Schofars allein ein kleiner Impuls, aber wenn wir ihn richtig anwenden, dann können wir Berge versetzen“! Auf welche Weise? „Wenn dich der Jezer haRa (der böse Trieb) gepackt hat, dann zehre ihn in ein Beit Midrasch (Lehrhaus). Wenn der böse Trieb wie Stein ist, dann wird er zerbröckeln, wenn wie Eisen, dann wird er schmelzen“ (Kiduschin 30b). Alles was wir tun müssen, ist den Jezer haRa, und genauer gesagt sich selbst ins Beit Midrasch zu schleppen! Rav Salanter sagt weiter, dass dafür der Klang des Schofars ausreichend ist. Und erst dort, im Beit Midrasch, wird sich das Schicksal des bösen Triebes in die richtige Richtung regeln.
Ist es denn wirklich so einfach? Ist der Mensch, der die Torah lernt, tatsächlich befreit vom bösen Trieb? Ist so etwas überhaupt möglich? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns an das Buch „Emuna uVitachon“ (Glaube und Hoffnung), welches von unserem Lehrer Chason Isch geschrieben wurde, wenden. Im Kapitel 3, 7 wird ausführlich beschrieben, welchen Einfluss das Torahlernen auf den Menschen hat: „Der Fleiß im Torahlernen hat die Fähigkeit, die Seele zu reinigen. Er macht sie fein und leuchtend. Er verleiht der Seele das Gefühl der Reinheit und Heiligkeit und gleichzeitig verwurzelt er im Herzen die Abneigung zum müßigen Frohsinn und zu den leeren (sinnlosen) Genüssen. Außerdem führt das fleißige Lernen der Torah zur grenzenloser Liebe und Bereitschaft, alle Gebote in kleinsten Einzelheiten hingebungsvoll zu erfüllen. Und die innere Stimme wird uns vorsagen, dass wir wegen diesem Lernen und Erfüllen erschaffen wurden“.
Wie wir sehen, ändert das Torahlernen gänzlich den Menschen, macht ihn geistig erhaben und der Torah ergeben. Als Folge wird der Mensch weniger durch die zahlreichen Versuchungen, die ihn umgeben, gefährdet. Das haben die Weisen auch gemeint, als sie den Sieg gegen Jezer haRa besprochen haben! Aber es gibt eine Bedingung, die Chason Isch unterstrichen hat: das Lernen muss fleißig sein, und gemeint ist: vertieft, mit dem Ziel, das Material richtig und in allen Einzelheiten zu lernen.
Kehren wir zurück zu der ersten Frage: ist es wahrlich möglich, die Tschuwa in der kurzen Zeit vor furchtbaren Tagen zu machen? Es sind doch so viele Sünden und so wenig Zeit und Willen. Die Antwort ist: ja, denn von uns wird sehr wenig verlangt: eine kleine Regung des Gewissens, welche durch den Klang des Schofars geweckt wurde, in die richtige Richtung zu leiten. Man muss die Möglichkeit für ernsthaftes und reguläres Torahlernen finden. Das wird unser erster und wichtigster Schritt zur vollständigen Sühne.
Die Redaktion der deutschsprachigen Ausgabe des Magazins «Beerot Itzchak» würnscht allen Lesern und ihren Familien כתיבה וחתימה טובה!