Ich betrat das Haus eines reichen Jehudi in Boro Park, um Spenden für Tora-Institutionen zu sammeln. Dieser Jehudi beschloss, dass ich die richtige Person bin, um seine Verärgerung über einen der grossen Marbizei Tora der Generation anzuhören. Warum musste ausgerechnet ich der Glückliche sein? Weil ich ihn sicher kannte und treffen würde. Ich sollte also mit ihm sprechen und ihn zurechtweisen…
Ich erklärte ihm sofort: „Das wird Sie aber viel kosten…!“ Aus Erfahrung weiss ich, dass diese Worte ein Gespräch sofort abbrechen.
„Warum sollte mich das etwas kosten?“ wollte er entrüstet wissen.
„Ich werde es Ihnen gerne erklären. Zuerst möchte ich aber meine Geschäfte, wegen denen ich hierhergekommen bin, abschliessen.“ Er war einverstanden und so erzählte ich ihm über die verschiedenen Institutionen, die dringend Geld benötigen und er spendete grosszügig.
Dann lehnte er sich in seinen Sessel zurück und forderte mich auf, zu erklären, warum er bezahlen musste, um mit mir sein Problem zu besprechen.
„Zuerst müssen Sie mir sagen, ob es hier in New York einen guten Hals- und Ohrenspezialisten gibt.“
Er war fast beleidigt über diese Frage: „Natürlich gibt es hier solche Spezialisten! Wahrscheinlich gibt es hunderte solche Ärzte! Der grösste Spezialist ist Professor … ich kenne ihn persönlich und würde ihn weiterempfehlen. Aber warum fragen Sie?“
„Was kostet ein Besuch bei ihm?“ wollte ich weiter wissen.
„Oho! Ein halbes Vermögen!“
„Und wenn wir beide zusammen kommen, ist es dann billiger???“
„Ich verstehe nicht was sie meinen!“ erklärte der Jehudi und schüttelte den Kopf.
„Ich werde es Ihnen erklären und zwar anhand einer Geschichte.
Der Gaon, Raw Menachem Mendel Sacks sz’l, der Schwiegersohn des Chafez Chajim, erzählte seinem Schwager Reb Leib, dem Sohn des Chafez Chajim, dass er in der Nacht von schweren Ohrenschmerzen geplagt wurde.
Reb Leib erschrak und sagte ganz erregt: „Ohrenschmerzen? Dann musst du unverzüglich zu Professor Schewes nach Wilna fahren!“
Wer hat nicht vom grössten Ohrenspezialist in ganz Russland, Professor Schewes, gehört. Er nahm zehn Rubel für jeden Besuch. Nur wohlhabende Menschen können sich einen Besuch bei ihm leisten. Raw Mendel lachte deshalb und meinte: „Warum machst du aus Ohrenschmerzen eine solch grosse Sache. Man nimmt ein Stück Watte, tränkt es mit warmem Öl und stopft es in die Ohren. Die Schmerzen verschwinden dann bald wieder.“
Raw Leib meinte es aber ernst und nahm zehn Rubel aus seiner Tasche. Er steckte das Geld in die Hand von Raw Mendels und drängte ihn, sofort nach Wilna zu fahren. Das war keine einfache Sache. Man musste zu diesem Zweck eine Kutsche nach Baston zur Zugstation nehmen und von dort aus den Zug nach Wilna. Da konnte man einige Stunden mit dem Warten auf den nächsten Zug verbringen und dann noch einige Stunden mit der Fahrt. Erst danach konnte ein Termin abgemacht werden. Schliesslich stand er vor dem Professor, der von ihm wissen wollte, welches Problem ihn zu ihm brachte. Als er ihm sagte, dass er wegen einfacher Ohrenschmerzen gekommen war, lachte der Arzt laut auf: „Wenn das Ohr weh tut, geht man zum Professor?“
Er untersuchte seine Ohren und erklärte schroff: „Alles ist ok. Die Ohrenschmerzen werden bald vorbeigehen.“ Er wollte nicht einmal das Geld entgegennehmen, sondern fragte, woher er komme. Von Radin hatte er noch nie gehört. Erst als er ihm erklärte, dass das Dorf sich unweit von Lida befand, wunderte er sich nochmals: „Und du willst mir sagen, dass du wegen diesen einfachen Ohrenschmerzen extra von Lida hierhergekommen bist?“
Reb Mendel fühlte sich wirklich dumm und verstand nicht, warum sein Schwager ihm das angetan hatte. Als er nach Radin zurückkehrte, wartete Reb Leib schon angespannt auf ihn: „Und, was hat der Spezialist gemeint…?“
„Was hat er gemeint?“ sagte er verärgert „Genau das, was ich dir schon vorher gesagt habe, dass es gar nichts ist und es für mich keinen Grund gegeben hat, zu kommen! Warum machst du dir wegen meinen einfachen Ohrenschmerzen solche Sorgen?“
Reb Leib atmete erleichtert auf: „Zum Glück war es eine unnötige Sorge! Ich erkläre dir, warum ich so besorgt war. Du kennst doch sicher die Geschichte von Rabbi Elieser beRabbi Schimon, als seine Frau ihn aus einem bestimmten Grund nach seinem Tod in seinem Zimmer liess. Er blieb dort während zweiundzwanzig Jahren hinter verschlossener Türen. Kein Ungeziefer konnte ihm etwas antun. Eines Tages sah seine Frau, wie ein kleiner Wurm aus seinem Ohr kam und deshalb etwas Blut zum Vorschein kam. Sie erschrak, denn sie konnte nicht glauben, dass Ungeziefer in seine Nähe kommen könne. Er erschien ihr im Traum und beruhigte sie. Dieser einzelne Wurm, der seinen Körper inzwischen schon verlassen hatte, war eine Bestrafung dafür, dass er einmal mit angehört hatte, wie man einen Talmid Chacham verschämte und er nicht genügend protestiert hatte…
Als ich gestern hörte, wie ein junger Mann verachtend über einen Rosch Jeschiwa sprach, während du dort standest und nicht protestiert hast, war ich etwas entrüstet. Nachdem du mir aber heute früh gesagt hast, dass du an schrecklichen Ohrenschmerzen leidest, war ich ganz besorgt. Man muss ja kein grosser Chacham sein, um den Zusammenhang zwischen beiden Dingen zu verstehen. Gestern hast du Schlechtes gehört und heute klagst du über Ohrenschmerzen… Deshalb sandte ich dich sofort zum Professor Schewes, da ich Schreckliches befürchtete. Jetzt bin ich aber beruhigt…“
Nun wandte ich mich dem reichen Jehudi zu, der mir unschöne Dinge über einen Marbiz Tora erzählen wollte: „Verstehen Sie jetzt? Sie möchten mir Schlechtes über diesen Talmid Chacham erzählen. Sie müssen mir dafür aber für den Arztbesuch bei diesem Professor bezahlen, falls ich von Ohrenschmerzen geplagt werde…!“
Der Jehudi begann zu lachen – für mich war es aber alles andere als lustig. Er wollte aber weiter wissen: „Auch wenn ich Sie dafür bezahlen müsste, warum muss ich auch zum Professor gehen?“
„Ganz einfach, weil er auch ein Halsspezialist ist und es könnte sein, dass Sie einen solchen benötigen. Das gehört aber zu einer weiteren Geschichte.
Ich befand mich in New York, als der Gaon Raw Mosche Feinstein sz’l niftar wurde. Zehntausende Jehudim standen am Purim und weinten bitterlich. Der Bürgermeister von New York sah es und interessierte sich dafür, wie alt der verstorbene Jehudi denn bei seinem Tod war. Als man ihm sagte, dass er über achtzig Jahre alt war, da wunderte er sich, weshalb man ihn dann beweine…
Er hatte eine andere Anschauung über Leben und Tod…
Nach der Lewaja erzählte der Enkel von Raw Mosche einer kleineren Gruppe Jehudim, was er persönlich von seinem Grossvater gehört hatte.
Als Raw Mosche noch ein junger Awrech war, war er Raw in der Stadt Lubjan in Russland. Die kommunistische Regierung schränkte seine Tätigkeiten ein, wo es ihnen nur möglich war, und unternahm alles, um ihn von seiner Gemeinde zu isolieren. Sie deuteten an, dass sie jeden, der mit ihm irgendetwas zu tun hatte, nach Sibirien senden würden. Die Furcht vor der Regierung führte dazu, dass die Leute sich fürchteten, dem Raw ‚Gut Schabbes‘ zu sagen.
Es gab in der Stadt aber auch einen grossen Gelehrten, der leider bei einem Unfall seine beiden Füsse verloren hatte. Er fürchtete sich nicht davor, dass man ihn in seinem Zustand nach Sibirien schicken würde, denn er konnte nicht arbeiten. Der Raw besuchte ihn deshalb jeden Schabbat-Abend, um ihm Gut Schabbes zu wünschen und sich nach seinem Wohlergehen zu erkundigen.
Viele andere Jehudim kamen auch zu diesem Jehudi, der dann jeweils einen Schiur über die Parscha der Woche erteilte. Im Winter zogen sich diese Schiurim in die Länge.
Als der Raw am Morgen von Schabbat Parschat Wajera zu dem Jehudi kam und ihn nach seinem Befinden fragte, erhielt er zur Antwort: „Heute werde ich sterben…!“
Der Raw reagierte aufgewühlt: „Wie kann man so sprechen? Man darf keine schlechte Sache prophezeien!“
Der Jehudi erklärte, dass er im Schiur am Abend zuvor über die Töchter von Lot gesprochen hatte, die glaubten, die ganze Welt sei zerstört worden und dass nur sie mit ihrem Vater überlebt hätten.
Die Gemara erzählt, dass sie ihre Tat ‚Leschem Mitzwa‘ machten, damit die Welt weiterhin existieren konnte. Als sie aber ihre Höhle verliessen, stellten sie fest, dass sie sich geirrt hatten und eine ganze Welt – ohne Sedom – noch existierte. Der Jehudi kritisierte dann die Töchter dafür, dass sie ihre Tat öffentlich gemacht hatte. Warum mussten sie umherposaunen, dass sie ihre Söhne von ihrem Vater erhalten hatten?
Der Jehudi erzählte weiter, dass er in der Nacht einen Traum hatte, in dem ihm zwei alte, vollständig mit Zni’ut gekleidete Frauen erschienen. Sie stellten sich als Töchter von Lot vor und erzählten ihm, dass sie ihn vor ein himmlisches Gericht rufen liessen, weil er sie schlecht beurteilt und dargestellt hatte. Sie erklärten ihre Tat: „Wir haben die Welt dadurch doch vor falschen Meschichisten gerettet! Alle wussten, dass wir grosse Zidkaniot waren und da plötzlich waren wir schwanger. Sie hätten alle gesagt, dass es eine geistige Schwangerschaft war und hätten die Kinder vergöttert, wie die Christen es tausende Jahre danach glaubten.
Wir waren deshalb bereit, uns in der Öffentlichkeit beschämen zu lassen, nur damit kein Chillul Haschem entsteht! Weil unsere Absicht Leschem Schamajim war, hatten wir das Verdienst, dass Moschiach von uns abstammen wird! Denn Ruth, die Grossmutter von David Hamelech, stammte von Moav, während Na’ama, die Frau von Schlomo Hamelech, von Amon stammte. Nachdem du uns zum Schlechten beurteilt hattest, rufen wir dich zum Din Tora!“
Am Moza’ei Schabat wurde er niftar. Seine Zunge wurde aufgeblasen und er erstickte dadurch!
Er sprach mit seiner Zunge etwas Schlechtes und so wurde er dafür bestraft.
Nun wandte ich mich wieder an mein Gegenüber und erklärte: „Verstehen Sie jetzt, warum Sie mit mir zusammen zum Spezialisten kommen müssen? Sie müssen ihn wegen Ihrem Hals aufsuchen!“
„Lass es sein!“ gab er nun nach.
Ich konnte sein Leben retten. Wenn wir uns auch ermahnen, können auch wir unsere Leben retten!
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