Gedanken in ständiger Bewegung

Datum: | Autor: B. Pappenheim | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Gedanken

Wer war das?

In seinem Schiur ging es zu wie in einer Schlacht. Man bestürmte sein Pult, diskutierte heftig, argumentierte, griff an – er aber steuerte sein Schiff durch die stürmische See und brachte es in einen sicheren Hafen.

Nach zwei Stunden war der Schiursturm vorüber. Einmal beschlossen die Schüler, ihn mit keiner Frage und keiner Reaktion zu unterbrechen, um herauszufinden wie lange ein/sein einseitiger Lernvortrag dauern würde. Nach einigen Minuten äußerte er: Ich bin es nicht gewohnt, auf einem Bet Hachaim (Friedhof) einen Schiur zu geben. Sprach‘s und stieg von seinem Pult herab (erzählt vom Ponewezher Raw, Raw Kahaneman SZL).

Er liebte die Entdeckung, den Chidusch in der Tora. Selbst im Lehren und in der Psika sah er die funkelnde Schönheit der Idee, die sich hinter dem einfachen konkreten Gegenstand verbirgt.

Seine Gedanken waren in ständiger Bewegung.

So weit, dass er, wenn er allein seines Weges ging, mit sich selbst sprach, als würde er einen Gesprächspartner überzeugen wollen.

Um seine Geburt rankt sich folgende Geschichte, für die der Westeuropäer seine Vorstellungskraft bemühen muss, um Russlands und Litauens endlose Wälder vor sich zu sehen. Man fuhr im offenen Schlitten zur nächsten Kreisstadt, um Brit Mila vollziehen zu lassen. Das Baby war in warmen Kissen wohlverpackt. Die Pferde galoppierten bergauf bergab. Plötzlich merkte man, dass das Kissenbündel mit dem Kind entglitten war. Unter Furcht und Schrecken ging es zurück. Ein Wolf hatte neben dem Kindchen Wache gestanden.

Sein Weg zur Spitze:

Wilna, Kowno – von Rabbi Jisroel Salanter trotz seiner Jugend als sein Vertreter für halachische Belange eingesetzt, als er selbst in die weite Welt zog, zehn Jahre Kelm, mit Rabbi Simcha Sissel eng verbunden, kurz Slobodka und dann. ……….

Schon in Kowno war er bei den „Maskilim“ bestens gehasst und gefürchtet. „Nichts Neues unter der Sonne“: Die Maskilim hielten guten Kontakt zu den staatlichen Gremien und führten eine unermüdliche Hetzpropaganda gegen die Institutionen der Charedim. Vor allem aber versuchten sie, in den Torazentren selbst „die Beglückung der Aufklärung“ zu verbreiten. Zeitungen mit bestbezahlten Autoren standen zu ihrer Verfügung. Er, nun, schuf heimlich eine Gegentruppe, die Machsike Hadass. Die Maskilim nannten es „sein schwarzes Kabinett“. Für den Augenblick unterlag er: Musste Kowno verlassen.

Wie eine Grossjeschiwa entsteht?

Ist da zuerst der überragende Talmid Chacham der die Schüler anzieht? Oder ist es die natürliche Entwicklung, dass sich jemand der Jugend widmet und sich dann aus einer Kerngruppe die Grossjeschiwa bildet? Wahrscheinlich sind es diese und andere Faktoren zusammen, die eine Rolle spielen.

Die ständige Wühlarbeit der Maskilim, ihr Anschwärzen bei den Behörden, trug den Hauptanteil daran, Woloschin zu Fall zu bringen. Die Talmidim strömten nun zu ihm und seiner Jeschiwa. Es war gar nicht leicht, dort aufgenommen zu werden. Die Schülerzahl war begrenzt, selbst wenn man das Prüfungsgespräch mit dem Rosch Jeschiwa bestanden hatte. Der geographische Fächer sollte weit gespannt sein: Aus diesem Städtchen einer, aus jener Großstadt drei u.s.w. Selbst Rabbi Jossef Kahaneman wurde abgelehnt, denn seine Brüder lernten schon dort. Bis einer der andern berühmten Rosche Jeschiwa dieser Jeschiwa ihn an einem Erholungsort kennen lernte und, von dem jungen Genie beeindruckt, ihn wärmstens empfahl.

Seine Jeschiwe
Seine Jeschiwe

Die Würde, Ehre und Wertschätzung eines Bachur Jeschiwa gingen ihm über alles.

Er prägte den Begriff „Jeschiwemann“ anstatt des respektlosen „Bachur-Jeschiwa“……. Als einer der Talmidim einem reichen Besucher seinen Stuhl anbot, sah er darin einen Fehler. Vielleicht verstecke sich ein Körnchen Schmeichelei und Minderwertigkeitsgefühl in dieser Geste.

Der berühmte Mäzen Baron Ginzburg beehrte eines Tages die Jeschiwa. Er war sehr beeindruckt. Beanstandete aber, dass hier nicht wie in den Hochschulen üblich, die unterschiedlichen Gruppen in verschiedenen Klassenräumen lernten. Fünf Stufen in einem Saal? Er erwiderte: Sie bekamen die Tora gemeinsam und studieren sie gemeinsam. Das ist die richtige Ordnung.

Die Art des Lernens?

Zusätzlich zu den Rischonim, Ramban, Raschba, Ritwa stützte man es auf den Kezot, den Netiwot, Rabbi, Akiwa Eger. Man nahm ein Skalpell und teilte die Sugia an ihren feinsten Adern.

Bachurim seiner Jeschiwa am Purim des Jahres 1936
Bachurim seiner Jeschiwa am Purim des Jahres 1936

Und er? Natürlich war die intellektuelle Jugend von dieser Art des Lernens berauscht: Am Anfang des „Sman“ drückte man ihm ein Daf Gemara in die Hand, wie es für Schüler gedruckt wird. Am Schluss des Schiur stand ein Gebäude vor dem Zuhörer. Waren ja seine Schiurim auch während des Zman nicht zum einzelnen Daf, sondern umrissen die ganze Sugia – das Thema. Er senkte das Verlangen nach „Mehr“ im Lernen und in der Tora in die Gemüter seiner Schüler und lehrte sie, in der Tora die anspruchsvollste Stufe des menschlichen Denkens zu erkennen.

Trotz allem: Soviel Geist und Geister an einem Ort – es muss zu einem Vulkanausbruch kommen.

Der Auslöser waren die hohen Anforderungen, die der Maschgiach Rabbi Jehuda Leib Chassmann an die Schüler stellte. Kein Zweifel, dass der Funken der Revolte von links übergesprungen war. Er sagte traurig: Der Tod seiner Tochter war ein tiefer, privater Schmerz, aber Schmerzen von der Allgemeinheit zugefügt?

Dieser Rosch Jeschiwa der sich darum sorgte, ob die Schuhe seiner Talmidim besohlt waren, hatte auch die Funktionen als Raw der Stadt zu erfüllen. Seine Kontrollen der Handelsgewichte waren so sorgfältig, dass auch die Nichtjuden der Stadt ihre Waren bei den Jehudim abwogen. Nachtarbeit bei Mazzot und in den Bäckereien ließ er nicht zu. Oftmals waren es Frauen und Jugendliche, die diese Arbeiten verrichteten.

Als Isch Zibur?

Er gründete „Knesset Jisrael“, ein Grundstein der späteren „Agudas Jisroel“, an deren ersten Bausteinen er entscheidend mitfeilte.

Die Last all dieser Pflichten wog schwer. Nicht jeder „Tomech Tora“ wusste sich wie der Frankfurter Baron Rothschild zu benehmen. Der Baron unterbrach sein Gespräch mit ihm auch dann nicht, als man ihm mehrmals meldete: “Die Königin ist da“.

Als 1909 ein Großbrand in der Stadt wütete, fiel ihm auch das Gebäude der Jeschiwa zum Opfer. Er fuhr nach London, um nach finanzieller Hilfe Ausschau zu halten und – zerbrach an dieser Aufgabe. Tausende erfüllten in London „Chessed schel Emet“.

Sein Werk in Litauen wuchs und gedieh, bis der Antisemitismus Litauens mit dem der Deutschen sich an primitiver Grausamkeit überbot und dem herrlichen Städtchen ein trauriges Ende bereitete. Die jüdischen Buchstaben aber, die flogen in die Luft und schufen ein neues ….. in den USA und in Zukunft wohl auch in Jeruschalajim.

Rabbi Elieser Gordon, Tels’er Rosch Jeschiwa 1840 – 1910

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