Wochenabschnitt Wajischlach – Der Sinn hinter Jakovs Botschaft an Esaw

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Jakov

וַיִּשְׁלַח יַעֲקֹב מַלְאָכִים לְפָנָיו אֶל עֵשָׂו אָחִיו… Jakov Awinu schickte Kundschafter zu seinem Bruder Esaw, um herauszufinden, was dieser im Sinn hatte. Er wollte wissen, ob er noch immer Rachegelüste gegen ihn hegte oder ob er sich mit ihm versöhnen wollte.

Raschi zitiert den Midrasch, wonach diese Boten „richtige Mal’achim“ (Engel) waren. Die Meforschim wundern sich über die Notwendigkeit, Engel zu schicken.

Konnten nicht gewöhnliche Menschen diese Aufgabe ebenso gut erfüllen?

Aber selbst ihr Auftrag erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich Jakov befahl ihnen nämlich, Esav das Folgende mitzuteilen (32,5): „So spricht Jakov, dein Knecht, bei Lawan habe ich gewohnt und bin dort bis jetzt zurückgehalten worden“.

Laut Raschi teilte er ihm damit zwei Sachen mit: a) „Ich wurde kein Fürst und angesehener Mann bei Lawan, sondern blieb ein Fremder; du hast also keinen Grund, mich wegen der Brachot unseres Vaters noch immer zu hassen“. b) „Sogar bei Lawan habe ich alle 613 Mizwot der Torah erfüllt und meine Pflichten nicht vernachlässigt. Selbst von Lawans schlechtem Charakter und seinen Untaten bin ich nicht beeinflusst worden“.

Der zweite Teil dieser Botschaft ist unverständlich: Was sollen diese Erklärungen über das ‚Zidkut‘ (Frömmigkeit) Jakovs? Interessiert sich denn ein Esaw dafür, und würde diese Meldung seine Meinung über Jakov ändern?

Hat Esaw überhaupt eine Ahnung, hat er überhaupt Verständnis für die Bedeutung einer solchen Aussage?

Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir uns zuerst mit einer anderen bemerkenswerten Aussage der Rischonim beschäftigen, wonach alle Tiere, die Jakov dem Esaw zum Geschenk machte, fehlerbehaftet und krank waren und somit nicht für die Opferung geeignet waren. Jakov wollte mit seinem Geschenk nämlich den Götzendienst Esaws nicht unterstützen[1]. Diese Erklärung ist auch schwer zu verstehen, denn wenn Jakov sich darum Sorgen machen würde, hätte er ihm doch anstatt von Tieren etwas anderes schicken sollen: Schmuck, z.B., oder kunstvolles Geschirr oder schöne Kleider. Was für einen Sinn hat es, einen wütenden Esaw mit kranken und fehlerhaften Tieren besänftigen zu wollen?

Chasal sagen uns aber, dass Jakov und Esaw eine Vereinbarung getroffen hatten, dass beide jeweils eine der Welten als Erbteil bekamen: Esaw nahm sich das „Olam haSeh“ – „die irdische, materielle Welt“ und Jakov das „Olam haBa“ – „die zukünftige, geistige Welt“[2]. Deshalb beklagte sich Esav auch, dass Jakov ihm die Brachot „gestohlen“ hatte, obwohl er die „Bechora“ (Erstgeburtsrecht) gekauft hatte. Jakov habe kein Recht auf solche Brachot, die auf materielle Dinge (‚Gaschmiut‘) gerichtet sind. In den Sefarim haKedoschim wird jedoch erklärt, dass wenn Jakov die materiellen Dinge für geistige Zwecke (‚Ruchaniut‘) nutzt, um G’tt damit besser dienen zu können und nicht, um sich mit irdischen Genüssen und Luxus zu vergnügen, diese somit als ‚Ruchaniut‘ betrachtet werden und ihm erlaubt seien.

Es kommt also darauf an, wie man das Materielle nutzt , was von außen nicht immer leicht zu erkennen ist.

Wer etwa eine astronomische Geldsumme für einen Etrog bezahlt, will sicherlich die Mizwa auf die schönstmögliche Weise erfüllen (‚Hidur Mizwa‘). Jedem Außenstehenden ist klar, dass der Käufer für eine kleine, schwer verdauliche Frucht nie eine solche Summe bezahlen würde, wenn es ihm dabei nur um deren irdischen Genuss ginge! Lässt er aber schmackhafte Speisen und auserlesene Weine auf seinen Schabbat-Tisch bringen, dann ist für einen Außenstehenden die Erfüllung einer Mizwa nicht immer klar zu erkennen.

Auch in unserer Geschichte war der Neid auf das jüdische Geld und Besitz oft eine wesentliche Ursache für Verfolgungen und Antisemitismus. Der Hass Esaws auf Jakov basiert auf dem vermeintlichen Diebstahl von irdischen Gütern, die gemäß der Abmachung ihm gehörten.

Jakov versuchte daher, seinen Bruder zu besänftigen, indem er ihm den wahren Sachverhalt erklärt:

„Ich bin kein Fürst und angesehener Mann geworden. Den Reichtum benutze ich nicht wie du, um Macht und politische Ziele zu erreichen. Ich benutze mein Geld lediglich für die Erfüllung der 613 Mizwot, was ich selbst bei Lawan nicht vergessen habe. Er hingegen hat seinen Reichtum in vollen Zügen genossen!“

Diese Botschaft ließ er ihm durch echte Mal‘achim überbringen, die Jakov durch seine Mizwot und Ma’assim Towim erschaffen hatte[3]. Esaw sollte so überzeugt werden, dass Jakovs Erwerb von Reichtum und irdischen Gütern tatsächlich nur für geistige Zwecke erfolgt war.

Zudem wollte Jakov ihm vor Augen führen, dass er immer noch keine Ahnung vom wahren Wert der materiellen Güter hatte.

Deshalb schickte er ihm kranke und fehlerbehaftete Tiere. Esaw würde gewiss nicht die wahren Gründe für diesen Schritt erkennen, sondern müsste annehmen, das Jakov nichts anderes als schlechte Ware besitze.

Dies wäre auch kein Wunder: Denn als Mensch, der sich auf das Geistige konzentrierte, musste Jakov ein leichtes Opfer für Betrüger wie Lawan und Konsorten sein. Jakovs Reichtum bestand folglich aus Gütern niedriger Qualität. Weshalb sollte er, Esav, ihn dann noch angreifen? Jakov hatte doch offensichtlich keine materiellen Vorteile durch die Brachot erzielt, sondern nur geistige Dinge und Fähigkeiten, die Esaw sowieso nicht interessierte.

  1. Siehe Ba’al haTurim zur Stelle, Midrasch haGadol und Lekach Tov
  2. Siehe Raschi Bereschit 25,22 gemäss Jalkut Toldot 110
  3. Schlo“H (Torah Schebichtaw P. Wajischlach 8) u.a.

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