”Schnee” – die weisse Pracht in der Torah – 2. Teil

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Schnee

Schnee als Zeichen der Reinheit oder der Bestrafung

„Auch der Schnee besitzt, wie alle Dinge auf der Erde, eine gute und eine schlechte Seite”, schreibt Rabbi Zadok haKohen sZl. von Lublin[1]. So gilt der Schnee in der Torah als Beispiel für die Reinheit und Gerechtigkeit der Frommen (Tehilim 51,9): „תְּחַטְּאֵנִי בְאֵזוֹב וְאֶטְהָר תְּכַבְּסֵנִי וּמִשֶּׁלֶג אַלְבִּין” – „Entsündige mich mit dem Esow-Gras, dass ich rein werde, und wasche mich, dass ich wieder weisser als Schnee bin“. Und im Buch Jeschaja heisst es (1,18): אִם יִהְיוּ חֲטָאֵיכֶם כַּשָּׁנִים כַּשֶּׁלֶג יַלְבִּינוּ„Wenn eure Sünden auch blutrot sind, sollen sie schneeweiss werden“[2].

Andererseits wird der Schnee auch als Mittels des Krieges und der Strafe erwähnt. So fragt Hkb“H den Ijow (38,22-23): „Bist du gewesen, wo der Schnee herkommt, oder hast du gesehen, wo der Hagel herkommt, die Ich verwahrt habe für die Zeit des Trübsal und für den Tag des Streites und Krieges?“

Hagel und Schnee im Krieg, Waffen des g’ttlichen Gerichts!

So hat sich das in der Geschichte immer wieder betätigt. Denken wir nur an Napoleons und Hitlers Niederlagen in Russland, wo der “General Winter” den Verteidigern des Landes zur Seite stand!

Im Midrasch wird jedoch erklärt, dass Hkb”H ein Teil dieser fürchterlichen Waffe in Mizrajim bei der „Makkat Barad”, bei der Plage des Hagels, einsetzte, sie aber hauptsächlich in den Tagen von „Gog und Magog” einsetzen wird. „So spricht Haschem zum Nawi Jecheskel (38,22): „Ich werde ihn richten mit Pest, Blut, stürmischen Regen und Awne Algawisch (wie Kristall leuchtende Steine)”[3]. Was bedeutet Awne Algawisch? Es sind Steine (Brocken) aus Schnee und Hagel, riesige Gebilde so groß wie Hügel und Berge; Schneebrocken so gross wie der Zahlenwert des Wortes ‘Scheleg’, also 333 Parsaot und Hagelkörner so gross wie der Zahlenwert von ‘Barad’, also 206 Parsaot”.

Eine Parsa entspricht ca. 3840 m (nach R”Ch Naeh) bez. 4608 m (nach Chason Isch). Vielleicht sind die Worte des Midrasch als Masse/Volumen zu verstehen:

D.h. würde man die gesamte Masse des Schnees, das während den sieben Tage und Nächte der Plage auf das ganze Land Mizrajim herunterkam als Länge messen, würde dies eine Strecke von 1278.72 km bez. 1534.464 km ergeben!

„Als Mosche zu Haschem dawente (betete), dass der Hagel aufhören solle, schickte Hkb”H tausende Mal’achim, die die Schneebrocken und Hagelkörner auffingen, so dass sie einfach zwischen Himmel und Erde in der Luft hängen blieben. In den Tagen von Jehoschua fiel ein Teil dieser Schneemassen auf die Kena’anim nieder, als Jehoschua gegen sie Krieg führte. Der Rest wird später auf Gog und Magog niedergehen…”[4]

Interessantes dazu schreibt der Malbim in seinem Kommentar zum oben erwähnten Passuk in Ijow:

„Es gibt viele hohe Berge, deren Spitzen mit ewigem Schnee, sogenannten Gletschern, bedeckt sind, wie z.B. im Tirol, in der Schweiz, im savoyischen und im piemontesischen Gebirge. Manche dieser Gletscher erstrecken sich über ein riesiges Gebiet… Ferner gibt es Gletscher und Eishöhlen unterhalb der Erdoberfläche, von denen viele vor dem menschlichen Auge verborgen sind, und in Asien und Grönland gibt es gewaltige Eisflächen. Diese sind die „Schnee- und Eislager“ von denen Hkb“H den Ijow fragte, ob er diese bereits gesehen habe. Viele davon sind zur Bestrafung der Menschheit vorbereitet, wenn z.B. Schneewinde- und Lawinen ganze Städte unter sich begraben, und Eisbrüche und Hagel viel Schaden, je nach g’ttlichem Willen, anrichten“.

Ähnlich kommentiert er auch den folgenden Passuk in Tehilim (68,15): „Wenn der Allmächtige feindliche Königreiche über Jisrael ausbreiten ließ und sie nun vernichten möchte, תַּשְׁלֵג בְּצַלְמוֹן, lässt Er den Schnee, der die hohen Berge bedeckt, über sie stürzen“. – „Wie eine Schnee-Lawine wird sie die g’ttliche Strafe überkommen und sie völlig bedecken, sie in Finsternis einhüllen, sodass „Zalmon“, sie im צֵל-מָוֶת, im Schatten des Todes weilen werden“[5].

In der Gemara werden auch Schnee- und Eis-Lagerstätten erwähnt, die in einem der sieben Himmel namens „Machon” zur Bestrafung der Rescha’im (Frevler) bereitliegen.

Dawid haMelech erwähnte sie, als er Haschem lobte und sprach (148,8-9): „הַלְלוּ אֶת ה‘ מִן הָאָרֶץ… אֵשׁ וּבָרָד שֶׁלֶג וְקִיטוֹר רוּחַ סְעָרָה עֹשָׂה דְבָרוֹ” – „Lobet Haschem von der Erde…, denn Feuer und Hagel, Schnee, Rauch und Sturmwind, erfüllen Sein Gebot“. Chasal fragen, weshalb Dawid von der „Erde” spricht, wenn sich diese Lager doch im Himmel befinden? Sie antworten, dass sich diese zuerst tatsächlich im Himmel befanden, Dawid haMelech bat jedoch um Erbarmen und brachte sie durch sein Gebet auf die Erde herunter[6].

Somit erklärte der Nezi“w von Voloszin sZl. den Passuk über die Bestrafung von Sdom und Amora, wo es heisst (Bereschit 19,24): „Haschem ließ über Sdom und Amora Schwefel und Feuer vom Himmel niedergehen, von Haschem, vom Himmel“. Nachdem bereits gesagt wurde, dass diese Bestrafung direkt von Haschem ausgeführt wurde, sollte die Wiederholung „von Haschem, vom Himmel“ eigentlich überflüssig sein? Die Torah möchte uns darauf hinweisen, dass Hkb“H damals nichts Neues schuf, sondern die von Ihm bereits im Himmel „Machon“ vorbereiteten Mittel der Strafe benützte”[7].

Doch welchen Vorteil hat uns Dawid haMelech damit verschafft, nachdem sich nun die Schneelager der Bestrafung anstatt im Himmel auf der Erde befinden?

Rabbi Chajim Elasar Schapiro sZl., der Munkatscher Raw sZl. schreibt dazu Folgendes: „Da sich diese zur Bestrafung vorbereiteten Lagerstätten nicht mehr im Himmel, sondern auf der Erde befinden, ist es für die Zadikim leichter, dafür zu dawenen, dass schwere Winter voller Schnee und Eis, die das Leben der Jehudim erschweren, kürzer oder milder werden sollen. Es gab diesbezüglich viele Geschichten von grossen Zadikim, die durch ihre Tefila Schneemassen schmelzen ließen oder langen und schweren Wintern ein früheres Ende setzten…”[8].

Mit Bestrafung durch Schnee ist jedenfalls nur heftiger Schnee gemeint, der durch einen Sturm oder ähnliches herunterkommt. Gemütlicher Schneefall jedoch ist eine gute Sache[9].

Dies betonen auch die Ba’ale haTosfot: „Durch Dawids Tefila sind nicht alle Schnee- und Eis- Lagerstätten zur Erde heruntergekommen, sondern nur diejenigen, die zur Strafe gedacht waren. Der Schnee aber, der zum Nutzen der kommenden Ernte und Pflanzenwelt gebraucht wird, wie z.B. der Schnee für die Berge (siehe 1. Teil), kommt weiterhin vom Himmel herab, wie es heisst (Jeschaja 55,10): „כִּי כַּאֲשֶׁר יֵרֵד הַגֶּשֶׁם וְהַשֶּׁלֶג מִן הַשָּׁמַיִם” – „Denn wie Regen und Schnee vom Himmel herabkommt, so kehrt er nicht dahin zurück, erst wenn es die Erde getränkt und sie befruchtet und im Wachstum gefördert hat…”[10]

Rabbi Jisrael von Rus’zin sZl. sagte einmal: „Wenn der Regen auf die Erde fällt, wird sie zu Schlamm, was den Menschen unangenehm ist – ‘Midat haDin’ (himmlisches Strafgericht)”. Seine Quelle im Himmel ist jedoch die ‘Midat haRachamim’ (g’ttliches Erbarmen). Beim Schnee verhält es sich genau umgekehrt: Wenn er unten auf die Erde fällt, ist er herrlich weiss und zeigt sich somit als ‘Midat haRachamim’. In Wirklichkeit stammt er aber aus der ‘Midat haDin’!”[11]

Jüdische Kinder spielen im Schnee, Wilna 1916/17
Jüdische Kinder spielen im Schnee, Wilna 1916/17

Des Weiteren erklären Chasal, dass es auch im Gehinom zwei Abteilungen gibt:

Ein Gehinom aus Feuer und eines aus Schnee, in denen die Rescha’im nach ihrem Tod bestraft werden. „Das Gericht der G’ttlosen im Gehinom dauert zwölf Monate, sechs Monate in der Hitze und sechs Monate in der Kälte… Im Schnee werden sie ihre Seelen reinwaschen können, wie es heisst „תַּשְׁלֵג בְּצַלְמוֹן” – „im Schatten des Todes werden sie weilen” (siehe oben). Hingegen bei [torahtreuen] Jisrael steht (Mischle 31,21): „לֹא תִירָא לְבֵיתָהּ מִשָּׁלֶג, כִּי כָל בֵּיתָהּ לָבֻשׁ שָׁנִים” – „Sie fürchtet für ihr Haus den Schnee nicht, denn ihr ganzes Haus ist in Purpur gekleidet“. Lese nicht שָׁנִים (Purpurkleid), sondern als ob שְׁנַיִם (zwei) steht, womit Talit und Tefilin gemeint sind, mit denen sich Jisrael einhüllen. Diese zwei Kleidungsstücke schützen sie vor dem Gehinom”[12].

Vielleicht wird der Talit und die Tefilin deshalb als ”Purpurkleider” bezeichnet, weil diese zwei Mizwot wie ein Purpurmantel, der als besonderes Ehrenzeichen eines Herrschers betrachtet wird, als besondere Zeichen und Merkmale eines g’ttesfürchtigen Jehudi gelten und ihn daher vor der Strafe schützen.

Mir scheint, dass Chasal deshalb von zwei Schutzkleidern sprechen, die gegen die Strafe des Gehinom benötigt werden, weil es ja, wie sie uns lehren, zwei verschiedene Abteilungen des Gehinom gibt:

Der weisse Talit schützt hauptsächlich vor dem Gehinom aus (weissem) Schnee und die Tefilin schützen vor dem Gehinom aus Feuer. [Der Zusammenhang wird von den Mekubalim so erklärt: Die ‘Neschama’ des Menschen befindet sich im Gehirn, weil sie sozusagen aus Feuer besteht, und auch das Gehirn mit elektrischen Impulsen arbeitet und mit den einzelnen Nervenzellen kommuniziert. Deshalb steht auf den ‘Tefilin schel Rosch’ der Buchstabe ‘Schin’, denn der Kopf symbolisiert den Buchstaben ‘Alef’ und zusammen mit dem ‘Schin’ der Tefilin bildet sich das Wort אֵשׁ (Feuer). Auch die ‘Tefilin schel Jad’, die auf dem Arm gegenüber dem warmen Herzen gebunden werden, symbolisieren das Feuer[13].]

Des Weiteren finden wir beim Zora’at (Aussatz), dass der Schnee als Beispiel für die stärkste Farbe der vier Stufen eines weissen, unreinen Aussatzes verwendet wird[14]. Auch bei Mosche Rabenu, Miryam und Na’aman heisst es jeweils im Passuk, dass sie aussätzig wie Schnee wurden[15]. Gemäss den obigen Ausführungen scheint abgesehen von der leuchtend weissen Farbe des Schnees[16] eine tiefere Verbindung zwischen dem Zora’at und dem Schnee zu bestehen, weshalb diese Farbe als Markierung des schwersten Aussatzes gewählt wurde: Die Farbe des Schnees soll den Sünder an das Gehinom des Schnees erinnern![17]

Vergesslichkeit und Erinnerung

Ein weiterer, interessanter im Schnee enthaltener Gegensatz wird in den Schriften unserer Gedolim sZl. festgehalten. Rabbi Zadok haKohen sZl. von Lublin schreibt: „Der Schnee stiftet zu ausgelassener, übermütiger Freude an. Die Kälte ergreift Besitz über den menschlichen Ernst und Besinnung und lässt ihn seine Pflichten vernachlässigen und vergessen. „Scheleg“ (333) hat den Zahlenwert von שִׁכְחָה (Vergesslichkeit)“[18].

Bedenkt man die jährlich durch Übermut im Schnee verursachten, zahlreichen Unfällen und Todesopfer, neben den einfachen, kleinen durch die Kälte bedingte Prüfungen im täglichen Alltag, so sollten uns diese gutgemeinten Sätze ein wenig aufhorchen lassen!

Andererseits wurde uns vom heiligen Arisal eine Segula zur Stärkung des „Sikaron“ (Erinnerungsvermögen) und Entfernung der „Schickcha“ überliefert. Demnach soll man seine Stirn dreimal mit Schnee (nach einigen Meinungen mit dem ersten in der jeweiligen Wintersaison gefallenen Schnee) einreiben[19].

Der Ben Isch Chai deutet in diesem Sinn die früher erwähnten Worte von Rawa (siehe 1. Teil):

„Der Schnee ist gut für die Berge“. Die Berge, die am höchsten gelegenen Gebiete auf der Welt, sind ein Gleichnis für den Kopf, den am höchsten gelegenen Teil des menschlichen Körpers. Der Schnee ist damit eine gute „Segula“ für den Verstand![20]

Aus all diesen Betrachtungen geht Folgendes hervor: Wer sich G’ttes Allmacht und Güte bei der Befolgung Seines Willens – aber auch die mögliche Bestrafung im gegenteiligen Fall – vor Augen führt, der wird wohl kaum seine Pflichten gegenüber Hkb“H vernachlässigen oder gar vergessen.

Fürwahr, die weisse Pracht sorgt für eine ständige Mahnung und Erinnerung an G’ttes Walten und Allmacht!

Jüdische Kinder im Schnee, Jeruschalajim 1921
Jüdische Kinder im Schnee, Jeruschalajim 1921

  1. Diwre Sofrim S.29b
  2. Siehe auch Ijow 9,30 und Ejcha 4,7
  3. Midrasch ‘Minjan’ (Bate Midraschot-Wertheimer Bd2/S.77-88)
  4. Midrasch Alef-Beth des Rabbi Akiwa (-Wertheimer, S.100-101) und Midrasch haGadol (Schmot 9,33).
  5. Gemäss Berachot 15b
  6. Chagiga 12b
  7. Chumasch Ha’amek Dawar zur Stelle
  8. Diwre Torah 6,59
  9. Chumasch Torah Temima Dewarim 28/§17
  10. Tosfot Chagiga 12b. – Siehe ferner in Chumasch Torah Temima (Dewarim
  11. Binjan Schlomo (-Langermann, 8,67)
  12. Midrasch Tanchuma P. Re’ej 13,1, Midrasch Mischle 31, Psikta deRaw Kehana (-Buber, Kap. 11) und teilweise in Jeruschalmi Sanhedrin 10,3.

    und Sohar Hak. Bd1/S.238b. Siehe ferner auch Pri Zadik (- Lublin, P. Achare 6).

  13. Gemäss Einleitung zum Sefer Sodi Rasja des R”E Rokeach und Brit Olam (Hakdama zum zweiten Teil und Kommentar ‘Luchot haBrit’ §17-18).
  14. Mischna Nega’im 1,1
  15. Schmot 4,6, Bamidbar 12,10 und Melachim-2 5,27
  16. Bartenura und Tosafot Jom Tov ibid.
  17. Chemdat Jamim von R. Schalom Shabazi sZl., ein großer Chacham, der im 17. Jhr. in Taizz (Jemen) gelebt hatte. Siehe ähnliches auch in Schem miSchmuel (-Sochatschov, P. Tasria S.225). der auch den Zusammenhang zwischen dem Schnee-Gehinom und dem Zora’at erklärt.
  18. Diwre Sofrim S.22a
  19. Pri Ez Chajim in Scha’ar Hanhagat haLimud, Mischnat Chassidim, Sefer haSechira (Injan Sikarin) und Likute Mahar“ich (Bd1/Ende ‘Kewiut Itim laTorah’) – allerdings muss man dabei eine spezielle ‘Kawana’ (Jichud) haben, die dort erwähnt wird.
  20. Ben Jehojada zu Ta’anit 3a

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