Wochenabschnitt Beschalach – Erlangen der geistigen Reifе durch ‚Keriat Jam Suf‘ und ‚Jeridat haMan‘

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
geistigen

Bekanntlich gibt zwei verschiedene Arten des „Glaubens“:

Erstens die „Emuna Pschuta“, den einfachen und grundlegenden Glauben an Haschem als überlieferte Tatsache ohne theologische Beweise und Diskussionen, andererseits gibt es die tiefere Emuna, basierend auf philosophischen. Argumenten. und gründliches Nachdenken.

Die zweite Möglichkeit ist jedoch nur einem erwachsenen Menschen offen, der sich die „Emuna“ (Glauben) an Haschem durch seinem Verstand und Wissen aneignet. Ein Kind hingegen kann nur mit ‚Emuna Pschuta‘ erzogen werden, welche ihm entweder von den Eltern von Geburt an eingetrichtert wird oder die es selber – wie Awraham Awinu – aus dem Anblick und Erkennen von Haschems Grösse wahrnimmt, weil das Kind nicht dazu fähig ist, tiefere Gedankenzüge nachzuvollziehen und theoretische Beweise zu verstehen.

Paraohs Grundgedanke bei der Versklavung der ‚Bne Jisrael‘ war es, sie gänzlich unter seine Kontrolle zu bringen, damit sie seine Macht über Mizrajim niemals gefährden würden. Er wollte keinen zweiten „Jüdischen König“ in Ägypten haben. Deshalb ersann er eine List (Schmot 1,9) – „hawa nit‘chakma lo“ – „wir wollen sie überlisten“ – und ließ sie Tag und Nacht schuften. Sie sollten immerzu, ohne Unterlass, arbeiten, nie eine Pause einlegen, damit sie sich dar keine Gedanken über ihre Lage machen können. Dies war die Stärke von Mizrajim (Mezar-Jam/מצר-ים) gewesen, vom Wort „Mezar – Bedrängnis“ abgeleitet, ihre Untertanen so zu beherrschen, entweder mit Arbeit oder Götzendienst, dass sie völlig ins „Jam – Meer“ der 50 Tore der Tum’ah (Unreinheit) versanken [Ju“d Me“m hat den Zahlenwert von 50].

Wer auf diese tiefste Stufe der Unreinheit gesunken ist, der hat seinen Verstand und seinen Eigenwillen völlig verloren.

Stattdessen erfüllt er gänzlich ergeben, wie ein willenloser Zombie, die Befehle des „Koach haTum’ah“ (Kraft der Unreinheit) und seiner Vertreter auf Erden – die Priester des altägyptischen Götzenkultes. Deshalb wird das ‚Galut Mizrajim‘ im Sohar haKadosch auch „Galut haDa’at“ genannt, das „Exil des Verstandes“, weil dieser dort völlig unter fremde Kontrolle gebracht und ausgeschaltet wurde.

Deshalb wollte Haschem die Bne Jisrael nicht sofort erlösen und nach Erez Jisrael bringen: Stattdessen zeigte Er ihnen zuerst in- und ausserhalb von Mizrajim viele Wunder, um ihnen Seine Größe zu offenbaren. Da Jisrael sich damals geistig auf das Niveau eines kleinen Kindes befand, musste es auch so behandelt werden: Es musste von G’ttes Allmacht beeindruckt werden. Erst nach ‚Matan Torah‘ (Offenbarung der Torah), als Jisrael geistig zu wachsen und zu reifen begann, konnte es mit einem tieferen Begreifen der Emuna – durch Lernen und Verstehen – geprägt werden.

Wer erkannte Haschem bei ‚Keriat Jam Suf‘ als Erstes? Es waren die kleinen Kinder, die von den Mizrim nicht negativ beeinflusst worden waren! Sie hatten die himmlische Fürsorge mit ihren eigenen Augen gesehen und gefühlt, als sie von ihren Müttern auf den Feldern geboren und dort liegen gelassen worden waren. Deshalb riefen sie bei der Überquerung des ‚Jam Suf‘ (15,2): „Seh Keli weAnwehu“ – „Dies ist mein G’tt und ich werde Ihn rühmen“. Sie erkannten in Ihm ihren ehemaligen Pfleger, der sie mit Milch und Honig ernährt hatte[1].

So keimte im Klall Jisrael die „Emuna Pschuta“, nachdem sie die Größe von Hkb“H durch in Seinen Nissim erkannten.

Doch ihr „Da’at“, ihr Verstand und selbstständiges Denken, war noch immer nicht ganz aus dem Galut herausgewachsen. Die langjährige Entwicklungszeit, die ein Kind benötigt, um die Geistesstufe eines Erwachsenen zu erreichen, konnte auch der Klall Jisrael nicht an einem Tag erreichen. Aber die Zeit wurde knapp! Haschem wollte Jisrael bereits die Torah geben, der eigentliche Sinn und Zweck des Auszugs aus Mizrajim. Da mussten sie wenigstens eine gewisse Mindeststufe der eigenständigen Emunah besitzen, um „Matan Torah“ nicht nur als Kind, sondern als geistig ausgereifter Erwachsener wahrzunehmen.

Um diesen Prozess zu beschleunigen, gab Haschem ihnen das „Man“, das himmlische Brot. Chasal lehren uns dazu: „Lo nitna Torah lidaresch ela leOchle Man“ – „die Torah wurde nicht zum Erforschen gegeben, nur denjenigen, die vom Man essen“[2]. Das Man hatte die Eigenschaft, den Körper und Verstand zu reinigen[3], denn es war ein himmlisches Produkt, rein von jeglichen biologischen Abfällen und negativen Nebenwirkungen.

Es wurde daher vollständig vom Körper aufgenommen, ohne dass etwas wieder ausgeschieden werden musste[4].

So ernährten sie sich vom Man 22 Tage lang bis zu „Matan Torah“ – vom 16. Ijar[5] bis und mit dem Abend des 7. Siwan – und dadurch öffnete sich bei ihnen Tag für Tag ein Tor zum Verständnis zu einem der 22 Buchstaben des Alef-Bets, mit dem die Torah geschrieben ist.

Das Man besaß auch die Eigenschaften der Muttermilch, wie Chasal sagen. Deshalb konnte man in ihm den Ta’am (Geschmack) aller Speisen spüren, so wie das Kind in der Milch seiner Mutter den Ta’am aller Esswaren spürt, die sie gegessen hat[6]. Interessant ist die Bemerkung von Rabenu Bachja, dass das Man in der Nacht während der dritten Nachtwache[7] herunterfiel, zu der Zeit, in der das Baby von der Mutter gesäugt wird[8]. – Das Man musste also die Bne Jisrael geistig wie ein Kind aufziehen und gross werden lassen!

Damit lassen sich die Psukim zu Beginn dieser Parscha so verstehen (13,17):

Wajehi beschalach Paroh“ – „Als Jisrael von Paroh entlassen wurde“, schreibt der Midrasch, „begleitete sie dieser“[9]. Er wollte seine schlechten Einflüsse und irrigen Ansichten, die er Jisrael bis jetzt eingegeben hatte, mitgehen lassen. „et ha’Am“ – „das Volk“, damit ist bekanntlich das „Erew Raw“ gemeint[10] – das mizrische Anhängsel, dessen schlechten Einflüsse, Jisrael später so viel Schaden hinzufügte.

Welo nacham Elokim Derech Erez Plischtim ki karov hu…“ – „G’tt wollte sie nicht durch das Land Plischtim nach Erez Jisrael bringen (obwohl dies schneller wäre), weil es zu nahe an Mizrajim lag, denn G’tt sagte, vielleicht wird das Volk es bereuen und nach Mizrajim zurückkehren, wenn sie den Krieg sehen werden…

Welcher Krieg ist hier gemeint? Die „Milchemet haJezer“, der bekannte immerwährende Kampf gegen den ‘Jezer haRa’ (Trieb zum Bösen). Haschem sagte: Wenn Ich Jisrael gleich jetzt, so wie sie sind, nach Erez Jisrael bringe, so werden sie diesem geistigen Kampf nicht gewachsen sein, da sie noch zu nahe an Mizrajim sind, noch zu sehr unter dem Einfluss der Tum’at Mizrajim leiden. Daher wäre es besser, sie durch die weite Wüste gehen zu lassen, in der sie das Man zu essen bekämen, um ihren Verstand geistig wachsen zu lassen und ihnen danach die Torah am Berg Sinai zu geben.

Dennoch verließ Jisrael Mizrajim nicht unbewaffnet (13,18):

Wachamuschin alu Bne Jisrael me’Erez Mizrajim“, sie verliessen das Land bereits gewappnet mit der in Mizrajim erworbenen „Emuna Pschuta“, der stärksten Waffe auf der Welt!

Mit dieser Waffe gelang es ihnen beim „Jam Suf“ das Wasser spalten zu lassen und die Mizrim endgültig zu besiegen, wie die Torah über sie bezeugt (14,31): „Waja’aminu baHaschem“ – „sie glaubten an G‘tt“. Doch dies war nur der erste Schritt ihrer geistigen Reife. Die zweite und höhere Stufe der Emuna, erreichten sie erst mit der Heilung und Läuterung ihres Verstandes durch den Genuss des Man.

  1. Sota 11b und 30a
  2. Mechilta Beschalach 16,4
  3. Siehe ausführlich Rabenu Bachja 16,4 u.a.
  4. Joma 75b
  5. Gemäss Magen Awraham (zu Schu“A O“Ch 494,1) bestand der Monat Ijar damals aus 30 Tagen.
  6. ibid. 75a
  7. Siehe Berachot 3a, dass die Nacht in drei ‚Mischmarot‘ (Nachtwachen) eingeteilt ist.
  8. Rabenu Bachja ibid.
  9. Schmot Rabba 20,3. – Deshalb verwendet der Passuk das Wort „Wajehi“, das „waj hai“ (schmerzlich ist dies) beudeutet, womit man betont, dass es dabei (auch) etwas Leidvolles gab (siehe ausführlich Megila 11b und Midrasch Schmot Rabba Kap.20).
  10. Sohar Bd2/S,45b

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