Wochenabschnitt Wajechi – Der Beginn des „Galut Mizrajim“ – ein Leben ohne den ‚Zadik‘

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Galut

Es wurde uns von Esra haSofer überliefert, dass „Parschat Wajechi“ eine geschlossene Parscha ist, d.h. man lässt in der Sefer Torah keinen „neun Buchstaben breiten“ Abstand zwischen der vorherigen Parscha und dieser, wie es sonst üblich ist. Raschi nennt als Grund, dass die Bne Jisrael bereits das nahende Galut zu spüren begangen und ihre Augen und Herzen verstopft/verschlossen wurden, nachdem Jakov Awinu niftar wurde.

Hkb“H sagte bekanntlich dem Awraham Awinu ein Galut von 430 Jahren voraus, die ab der Geburt von Jizchak Awinu gezählt wurden. Die eigentlichen 210 Jahre des Galut Mizrajim aber begannen mit der Ankunft der Bne Jisrael in Mizrajim und dies lag schon 17 Jahre zurück. Man muss sich daher fragen, weshalb die Kinder Jisraels das Galut erst jetzt zu spüren begannen; nach der einen Berechnung befanden sie sich schon über 200 Jahre im Galut und hatten bis jetzt nichts gespürt, und nach der anderen Berechnung befanden sie sich zumindest seit 17 Jahre im Galut und hatten auch noch nichts bemerkt.

Die Frage wird noch schwieriger, wenn man bedenkt, dass sie auch noch lange Zeit nach der ‚Petira‘ (Ableben) von Jakov Awinu keine Frontarbeit in Mizrajim leisten mussten.

Denn solange noch einer der „Schwatim“ lebte, kam es nicht zu ihrer Versklavung. Levi ben Jakov lebte am längsten – 137 Jahre, 93 Jahre davon in Mizrajim. Folglich mussten die Bne Jisrael nur 117 Jahre lang schwer arbeiten. Von Jakovs Petira bis zum eigentlichen Beginn des Galut, dauerte es also noch rund 76 Jahre (93 – 17 = 76).

Chasal lehren uns aber, dass sich das Galut nicht unbedingt in schweren Leiden und harten Prüfungen des Klall Jisraels zeigt. Es ist vielmehr die fehlende innere Kraft zur „Awodat Haschem“ (G‘ttesdienst), der mangelnde Willen und das uns abhanden gekommene, glückliche Gefühl, Haschem dienen zu können! Sehnsüchtig warten wir auf eine Gelegenheit, Haschem aufrichtig und mit voller Kawana (Andacht) loben und danken zu können. Und weil wir uns unseres Mangel zumindest bewusst sind, bitten wir jeweils vor Beginn der „Schemona Essre“, dem Hauptteil unserer Tefilot: „Haschem sefatai tiftach, uFi jagid Tehilatecha“ – „Mein Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund Dein Lob preisen kann!“

In den Sefarim haKedoschim werden verschiedene Möglichkeiten zitiert, wie man selbst heute dieses Manko zumindest teilweise wettmachen kann.

Sie sprechen daher viel von der Wichtigkeit, sich in der Nähe eines Zadiks aufzuhalten. Die fehlende Wärme und geistige Kraft, die wir zur Awodat Haschem benötigen, können nur die Zadikim der Generation ausstrahlen und ihren Mitmenschen vermitteln. Sie spenden uns Trost in allen Nöten, stärken uns mit „Diwre Chisuk“ wenn es notwendig ist, Dawenen für uns zu Haschem und sind unsere Wegweiser im Irrgarten des „Olam haSeh“ (der irdischen Welt), unsere Leuchtfeuer im Dunkel des Galut.

War es nun jemandem vergönnt, sich im Schatten eines solchen Zadiks und ‚Gadol haDor‘ zu sonnen, und wird er ihm plötzlich weggerissen und muss ihn verlassen, so ist dies gleichbedeutend wie das Aufwachen aus einem bösen Traum. Nackt und schutzlos, verlassen und vor Kälte zitternd, muss er sich nun ohne Hilfe des Zadiks in seinem bitteren Galut, mit allen schweren Prüfungen des Alltags durchschlagen.

So ähnlich muss es den Kindern Jisraels nach dem Hinscheiden ihres Familienoberhaupts Jakov Awinu, dem ‚Zadik haDor‘, ergangen sein.

Auf einmal fühlten sie sich verlassen und schutzlos, alleine auf der weiten Flur der Awodat Haschem, und dies, obwohl sie selbst grosse Zadikim waren. Jetzt erst begann für sie das Galut; nicht etwa die schwere, körperliche Arbeit, sondern die Trägheit im geistigen G’ttesdienst. Der Einzige, bei dem sie Trost finden konnten, war Josef haZadik. Denn dieser hatte einst eine ähnliche Situation zu meistern, in den 22 Jahren, in denen er die Nähe seines Vaters vermissen musste und dennoch allen Gefahren trotzte und jeglichen Prüfungen standhielt. Daher sagt der Passuk (50,21): „Wajenachem otam wajedaber al Libam“ – „Und (Josef) tröstete sie und sprach ihnen ans Herz“.

Ausser den früher im Passuk erwähnten Versicherungen von Josef gegenüber seinen Brüdern, dass er ihnen wegen der vergangenen Geschehnisse nicht böse war, musste Josef seine Brüder trösten und ihnen Mut zu reden, sie aufmuntern, dass sie auch ohne die Hilfe des Vaters ihre Awodat Haschem fortsetzen können und müssen.

Dazu passt die von Raschi zitierte Erklärung Chasals[1], wonach Josef sie mit den folgenden Worten tröstete:

„Wenn es zehn Lichter nicht gelang, ein einziges Licht auszulöschen, wie vermag dann ein Licht zehn Lichter auszulöschen?!“ Dies kann vielleicht so erklärt werden: Josef munterte sie dazu auf, weiter in ihrer Awodat Haschem zu wachsen, jeder der „Heiligen Schwatim“ auf seinem ihm eigenen Weg. Denn so wie es ihnen nicht gelungen war, ihn, Josef von seiner „Awoda“ abzubringen und diese auszulöschen, als sie ihn zu töten gedachten, so könne auch die Petira von Jakob Awinu ihre Awodat Haschem nicht vermindern oder auslöschen. Sie können und dürfen nicht stehen bleiben!

  1. Megila 16b

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