דַּבֵּר אֶל אַהֲרֹן וְאֶל בָּנָיו לֵאמֹר כֹּה תְבָרְכוּ אֶת בְּנֵי יִשְׂרָאֵל אָמוֹר לָהֶם – „Rede zu Aharon und seinen Söhnen wie folgt: So sollst ihr die Bne Jisrael benschen….“ (6,23)
Bekanntlich unterscheidet sich der Jom Tow Schawuot von allen anderen Jamim Towin darin, dass die Torah kein genaues Datum angibt, wann dieser stattfinden soll. Stattdessen ist nur die Rede von „Sefirat haOmer“, der Zählung von 50 Tagen ab dem ersten Tag Pessach, und dass danach am 50. Tag „Schawuot“ gefeiert werden soll.
Der Mahara“l von Prag begründet dies damit, dass der „Limud haTorah“ (Torah-Lernen) nicht an eine bestimmte Zeit gebunden ist – וְהָגִיתָ בּוֹ יוֹמָם וָלַיְלָה (Hoschea 1,8) – die Pflicht des Torah-Lernens besteht uneingeschränkt, Tag und Nacht. Die Torah steht über der Natur – „leMa’ala miDerech haTewa“ – sie ist daher zeitlos und unbegrenzt!
In diesem Sinn deutete der Rabbi Dov Be’er sZl., der Meseritscher Magid, die Frage: „Kawata itim laTorah“, die dem Menschen nach seinem Ableben im Himmel gestellt wird: „Hast du Zeiten für das Torah-Lernen bestimmt?“[1] Diese Frage ist schwer verständlich: Wie erwähnt, besteht doch die Pflicht des Torah-Lernens zu jeder Zeit.
Weshalb sollte man dann überhaupt (nur) gewisse Zeiten für das Lernen bestimmen?
Er erklärt daher die dem Menschen gestellte himmlische Frage auf tiefere Weise: „Bist du bereits auf die Stufe gelangt, durch die Kraft der Torah die Zeiten zu bestimmen und über sie zu herrschen?“
So finden wir auch im Midrasch, wie die Mal’achim Hkb“H fragen, wann Jom Tow ist, und Er ihnen antwortet: „Ich und ihr sind darauf angewiesen, dass Jisrael den Jom Tow festlegt“[2].
Somit wird der Zusammenhang des ‚Sefirat haOmer‘ mit dem ‚Pessach‘ klar ersichtlich. Am Tag, nachdem Jisrael das Korban Pessach darbrachte, und sich somit von der Anbetung der Mizrim des „Masal Tleh“, das Sternzeichen des Schafs, distanzierten, erhoben sie sich über alle götzendienenden Naturvölkern, die an die von ihnen verehrte Natur und ihre Gesetze gebunden sind und von ihnen beherrscht werden. Jisrael hingegen entriss sich den Begrenzungen der Natur und des Zeitbegriffs und stieg bis zur Stufe von „ejin Masal leJisrael – Jisrael hat kein Masal“[3] auf. Jetzt verhielt es sich genau umgekehrt: nicht die Natur beherrschte sie, sondern Jisrael herrschte über die Natur, weil sie „leMa’ala miDerech haTewa“, über den Naturgesetzen standen.
Dies ist dann auch die Aufgabe der „Omer-Tage“, dass sich jeder Jehudi von der Anbetung der Natur – dem Streben nach irdischen Genüssen und materiellen Bereicherungen – loslöst und nach Höherem strebt.
Beim Berg Sinai angelangt, erreichte der Klall Jisrael die hohe Stufe von פָּסְקָה זוּהַמָתָן – die seit der Sünde des ‘Adam haRischon‘ (dem ersten Menschen) vorhandene Unreinheit[4], und somit auch alles an die Begrenzungen des Irdischen Bindende, schwand von ihnen. Es stand ihnen dann nichts mehr im Wege, um dieses übernatürliche Erlebnis von „Matan Torah“ (der Offenbarung der Torah) auf eindrückliche und intensive Weise zu erfahren. Sie hörten die „Asseret haDibrot“ (Zehn Gebote) direkt von G‘tt, was kein irdisches Lebewesen aushalten kann und sahen und erlebten unfassbare Dinge, die jenseits von jeglichen Gesetzen der Natur standen.
וְכָל הָעָם רֹאִים אֶת הַקּוֹלֹת – „Das ganze Volk sah das Gehörte!“ (Schmot 20,15) Mann, Frau und Kinder, jeder sah die gesprochenen Worte von Hkb“H. Man nahm alles Gesagte nicht nur mit den Ohren, sondern mit allen Sinnesorganen gleichzeitig in sich auf!
Hkb“H öffnete vor ihnen alle Himmel, sie sahen die Mal’achim (Engel) und konnten sich selbst davon überzeugen, dass es selbst dort Oben keine andere Macht ausser G’tt gab[5]. Sie sprengten jegliche Einschränkung des Irdischen. Sogar der Tod, das unumgehbarste aller begrenzenden Naturgesetze, konnte ihnen nichts mehr anhaben! Als Haschem nämlich zu ihnen sprach und ihre Neschamot (Seelen) vor Schreck aus den Körpern wichen, wurden sie sofort wiederbelebt[6].
„Techijat haMetim“, die Wiederbelebung toter Materie, ist doch sonst eigentlich völlig ausgeschlossen und unmöglich!
Deshalb sagen Chasal, dass wenn sie auf dieser hohen Stufe geblieben wären. Kein Volk, ja sogar der Mal’ach haMawet (Todesengel) nicht über sie hätte herrschen können![7] Denn durch die Kraft der Torah standen sie über der Natur und ihren Gesetzen und beherrschten so alle der Natur untergeordneten Dinge.
In den Sefarim haKedoschim folgt auch die Deutung des Wortes כה („koj – so“) diesem Gedankengang. Als sich Awraham Awinu über seine naturbedingte Kinderlosigkeit beklagte, wies Hkb“H auf die Sterne und sprach (Bereschit 15,5): „Koj jihje Sar’echa – So wie diese werden deine Nachkommen sein“. Normalerweise wird der Vergleich von Awrahams zukünftigen Kindersegen mit den Sternen des Himmels so verstanden, dass er so viele Nachkommen wie die unzählbare Menge der Sterne haben wird.
Raschi zitiert jedoch die Erklärung von Chasal, wonach Hkb“H zu Awraham sagte: „Ich werde dich über deine, von der Natur aus beschränkten Möglichkeiten erheben, und so wirst du dann Kinder haben“[8]. Gemäss Chasal deutet das Wort “כה” also auf die Kraft der Natur und den Einfluss der Sterne hin: „Jisrael, deine Nachkommen, werden so wie die Sterne Kraft und Einfluss auf die Natur der Erde haben, weil sie über dem Einfluss des „Masal“ stehen, und es gar selbst beeinflussen können!“
In diesem Sinn wird auch der einleitende Satz der „Birkat Kohanim“ interpretiert:
„כֹּה תְבָרְכוּ אֶת בְּנֵי יִשְׂרָאֵל – So sollst du die Bne Jisrael segnen….“. Jisrael soll damit gebenscht werden, dass sie die Stufe von „koj“ erreichen und damit über den Naturgesetzen stehen. Dies ist die größte aller Berachot! Denn solange man durch die Natur eingeschränkt ist, wird die Wirkung und Entfaltung von jeglichem Segen gestört und behindert.
Deshalb müssen die Kohanim diese gewaltige Beracha dem Volk unbedingt mit echter Liebe zu Jisrael übergeben. Wie sie in der Beracha davor sagen: „Lewarech et Jisrael beAhawa“. Denn Streit, Neid und Hass sind irdische Begrenzungen, die zu den Tücken der menschlichen Natur gehören und im totalen Widerspruch zur Birkat Kohanim stehen. Wie könnte Jisrael mit „koj“ – der Loslösung von allen Beschränkungenen – gebenscht werden, wenn dieser Segen von irgend etwas eingeschränkt wird?!
- Schabbat 31b ↑
- Schmot Rabba 15,2 ↑
- Schabbat 156a ↑
- Schabbat 186a ↑
- Schabbat 88a ↑
- Siehe ausführlich Schabbat 88b ↑
- Eruwin 54a ↑
-
Schabbat 156a ↑