Wochenabschnitt Mischpatim – Steht die medizinische Behandlung im Gegensatz zu ‚Bitachon‘?

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
arzt

Wer jemanden geschlagen und Schaden zugefügt hat, muss ihm ausser Schadenersatz auch die Heilungskosten bezahlen (21,19): „weRapo Jerape – er muss ihn heilen“.

Chasal lernen daraus, dass es einem Arzt (Heiler) erlaubt ist, die Kranken zu heilen[1].

Gäbe es diese ausdrückliche Erlaubnis nicht, hätte man nämlich annehmen müssen, dass eine Heilung durch Menschenhand gegen den Willen von G‘tt verstößt. Schließlich hat Er doch diese Person erkranken oder verletzt werden lassen, weil Er es so wollte. Wie kann und darf sich dann ein Mensch in g’ttliche Anliegen einmischen?

Der doppelte Ausdruck – „weRapo Jerape“ – soll diese irrige Annahme entgegentreten. Die Verwendung ärztlicher Hilfe ist nicht nur erlaubt, sondern manchmal auch gefordert und verlangt[2]. Deshalb, erklärt der Ibn Esra, verwendet der Passuk an dieser Stelle keine “leichte“ grammatikalische Form (‘Binjan Kal‘) und sagt „weRapo Jirpe – und er kann ihn heilen lassen“, sondern (Binjan haKawed / schwere Konjugation) „weRapo Jerape – und er soll ihn heilen lassen“.

Dies wird auch so im Schulchan Aruch festgehalten:

„Die Torah hat die Erlaubnis zum Heilen erteilt, es ist eine Mizwa“[3]. – Eine Erlaubnis der Torah gilt für uns als eine Mizwa!

Der Chid“o geht sogar einen Schritt weiter und schreibt, dass man sich nicht auf Wunder verlassen darf, sondern vom Arzt behandeln lassen muss! Gleichzeitig warnt er jedoch vor einer falschen Einstellung zur irdischen Medizin: Dem Patienten muss im Herzen klar bewusst sein, dass es Hkb“H ist, Der ihn heilt und genesen lässt – der Arzt hingegen ist nur Sein Bote! Nur so besteht keine Gefahr, dass die Heilung durch Menschenhand im Widerspruch zum g’ttlichen Willen und zur Pflicht unseres ‚Bitachon‘ (G‘ttvertrauen) steht[4].

Wie der Mahara“l von Prag sZl. betont, braucht nicht nur der Patient die Erlaubnis der Torah, einen Arzt aufzusuchen. Auch der Arzt selber braucht sie für seine Beschäftigung mit dem Handwerk des Heilens. Denn auch sie birgt ihre Gefahren! Es gibt nämlich kein anderes Handwerk ausser demjenigen des Arztes, dass sich ausschließlich mit dem „Chomer“, der irdischen Materie des menschlichen Körpers beschäftigt, ohne dessen „Zura“ (Form), seine geistige Seele und ihre höheren Dimensionen überhaupt zu berücksichtigen. Aus diesem Grund sagen Chasal:

„Tov schebaRof’im laGehinom – [sogar] der Beste unter den Ärzten gehört ins Gehinom“[5].

Auch der „Beste aller Ärzte“ läuft durch sein Studium des menschlichen Körpers und dessen Behandlung Gefahr, von seinen Einsichten und Erkenntnissen beeinflusst zu werden. Nur zu leicht könnte er vergessen, dass „Ani Haschem Rof’echa“ (15,26), die Heilkraft nach wie vor nur in der Hand von G’tt liegt[6].

Der Mahara“l erklärt in diesem Sinn auch, weshalb der König Chiskijahu das „Sefer haRefuah“ versteckte, das von den Chachamim als ‘gute Tat‘ gelobt wurde[7]. Die Menschen hatten seit vielen Generationen verschiedene Heilmethoden gekannt, die in einem „Buch der Heilkunst“ aufgezeichnet wurde. Manches Wissen war von Adam haRischon und Noach überliefert worden, die es vom Mal’ach Refael gelernt hatten[8]. Anderes stammte von der Weisheit von Schlomo haMelech[9].

Die Menschen verließen sich daher bei der Heilung ihrer Krankheiten nur noch auf die irdische, natürliche Medizin und ihr G’ttesvertrauen drohte total zu schwinden!

Deshalb musste König Chiskijahu eine drastische Massnahme ergreifen und versteckte das Buch[10].

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Torah zwar die Heilung durch menschliche, irdische Hilfe erlaubt, diese darf aber nicht im Gegensatz zu unserem G’ttvertrauen stehen oder dieses vernachlässigen! Demgemäß lässt sich besagte Halacha des Schulchan Aruch auch so interpretieren: Die Torah hat zwar die Erlaubnis zum Heilen durch einen irdischen Arzt erteilt. Aber es ist gleichzeitig auch eine Mizwa – denn man darf dabei nicht vergessen, dass das auf Anweisung und entsprechend dem ausdrücklichen Willen des himmlischen Arztes geschieht – „Ani Haschem Rof’echa“, G’tt ist der eigentliche Heiler!

  1. Baba Kama 85a
  2. Siehe ausführlich Tosfot Baba Kama, Ramba“n im Sefer Torat ha’Adam (Kiswe Ramban Bd2/S.42) und Bet Josef zu Jore Dea 336
  3. Schulchan Aruch Jore Dea 336,1
  4. Birke Josef zu Jore Dea 336,2
  5. Kiduschin 82a
  6. Mahara”l in Chidusche Aggadot zu Kiduschin 82a (S.153)
  7. Berachot 10b und Psachim 56a
  8. Taschbe“z Katan 445, Jalkut Re’uweni P. Bereschit S.53a und Tosfor haSchalem zu Torah P. Noach 7,23/§7)
  9. Rambam in Perusch haMischnajot zu Psachim 4,10, Ramban in der Einleitung seines Kommentars zu Torah, Schu“t Raschb“o Bd1/413 und Reda“k zu Melachim 2/20,3
  10. Mahara“l in Nezach Jisrael Kap.30 (S.142)

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