Messilat Jescharim – Frömmigkeit: Ehrfurcht und Liebe, 2. Teil

Datum: | Autor: Rabbi Moshe Chaim Luzatto | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Liebe

Der große Rabbi Mosche Chaim Luzzatto lebte vor ca. 300 Jahren und ist vor allem für seine Schriften über jüdische Weltanschauung und Ethik bekannt. Sein Werk “Messilat Jescharim” («Der Pfad der Aufrechten»), welches den Weg des geistigen Wachstums eines jüdischen Menschen weist, wurde vom Gaon von Wilna hochgeschätzt und wird auch heutzutage überall auf der Welt studiert.

Fortsetzung

Neunzehntes Kapitel – Frömmigkeit: Einzelheiten, 3. Teil

Die Ehrfurcht fordert endlich auch die Ehrerbietung gegen das Bet- und Lehrhaus. Es genügt da nicht, dass man es vermeidet, sich dort leichtsinnig zu benehmen, man muss alle möglichen Formen der Ehrerbietung und Ehrfurcht wahren und zum Ausdruck bringen und alles vermeiden, was man in dem Palaste eines mächtigen Herrschers unterlassen würde.

Wir gehen zu dem zweiten Punkt über, zu der Liebe.

Da hatten wir wiederum unterschieden: die Freude, die Hingebung, den Eifer. Das Wesen der Liebe aber ist: Du musst geradezu leidenschaftlich danach Verlangen tragen, dich G-tt zu nahen, nach Seiner Heiligkeit zu streben, wie du ein Ding erstrebst, nach dem dich ein heißes Begehren entflammt. Es muss dahin kommen, dass dir die Erwähnung Seines gelobten Namens, die Verkündigung Seines Ruhmes, die Beschäftigung mit Seiner G-ttlichen Lehre eine Lust und Wonne ist in des Wortes eigentlichster Bedeutung, so wie du das Weib liebst, das du als Jüngling gefreit, so wie du dein Kind liebst, wenn es das Einzige ist, mit jener starken Liebe, die in Freude und Lust erbebt, wenn sein Name über deine Lippen kommt. Wie es in der Schrift heißt: „Wenn ich von ihm rede, muss ich seiner liebend gedenken.“[1]

Sicher ist, wer seinem Schöpfer mit der echten Liebe zugetan ist, der wird nur unter dem Druck eines wirklichen Zwanges die Arbeit in Seinem Dienste unterlassen, sonst aber kann ihn kein Grund in der Welt davon abhalten. Er lässt sich nicht bitten noch locken, vielmehr treibt sein Herz ihn eilends zu G-ttes Dienste, wenn nicht ein entscheidendes Moment ihn davon zurückhält. Das ist die schönste Tugend, wie sie die Frommen der Vorzeit, die Heiligen des Höchsten besaßen. Wie der König David sagt: „Wie ein Reh sich sehnt nach Wassersprüngen, so sehnt sich meine Seele, G-tt, zu Dir. Es dürstet meine Seele zu G-tt, zum lebendigen G-tt; wann werde ich wieder kommen und mich erblicken lassen vor G-ttes Angesicht?! “[2]

„Meine Seele verlangt, sie schmachtet nach den Höfen G-ttes, mein Herz und mein Leib, sie jubeln dem lebendigen G-tt entgegen.“[3]

„G-tt, Du bist mein G-tt, Dich suche ich, es dürstet nach Dir meine Seele, es vergeht nach Dir mein Leib.“[4] So sprach er, weil eine so gewaltige Sehnsucht nach G-tt in ihm lebte. Und so spricht auch der Prophet: „Nach Deinem Namen, Dich zu preisen, verlangt leidenschaftlich unsere Seele. Innig verlangte ich nach Dir in der Nacht, von Herzen ersehnte ich Dich in meiner Brust.“[5] Und ferner sagt David von sich: „… Auf meinem Lager ich Deiner gedenke, in den Nachtwachen ich über Dich sinne“[6] und schildert so die Lust und das Ergötzen, das ihm erwuchs, wenn er von G-tt und Seinem Ruhme sprach. „Ich ergötze mich an Deinen Geboten, die ich lieb gewonnen“[7]. „Deine Gebote sind mein Ergötzen“[8] u. s. f.

Diese Liebe darf natürlich nicht eigennützig sein, nicht eine Liebe zu G-tt, weil Er dem Menschen Gutes tut, weil Er ihm Reichtum und Glück verleiht, sondern eine Liebe, wie zwischen dem Sohn und seinem Vater, die rein in der Natur begründet ist und mit dem Zwange der Naturnotwendigkeit in die Erscheinung tritt. „Ist Er nicht dein Vater, der Dich geschaffen hat?“[9] Die Feuerprobe besteht diese Liebe in Not und Elend. So sagen die Weisen: „Lieben sollst du den Ewigen, deinen G-tt, mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Vermögen.“ „Mit deiner ganzen Seele, die Schrift meint, auch wenn es dich das Leben, mit deinem ganzen Vermögen, buchstäblich, wenn es dich dein ganzes Vermögen kostet.“[10]

Zwei Antworten muss man immer bereit haben, soll das Unglück und das Elend sich nicht wie ein Bleigewicht an die Liebe hängen.

Die eine passt für jeden Menschen, die zweite freilich nur für den, der mit seiner Auffassung in die Tiefe gedrungen: Die eine ist: „Was G-tt tut, das ist wohlgetan“.[11] Das bedeutet, dass jener Schmerz und das Elend, das ihm als Unglück erscheint, es in Wahrheit nicht ist, sondern recht eigentlich ein Glück ist. So entfernt ein Arzt Fleisch, ja ein ganzes Glied, das beschädigt ist, damit der Körper gesund wird und nicht zugrundegeht.

Die Handlung ist scheinbar grausam und doch recht eigentlich ein Akt der Barmherzigkeit, der für den Kranken zuletzt auf ein Glück hinausläuft. Darum wird er auch nicht um dieser Handlung willen dem Arzt seine Liebe entziehen, umgekehrt er wird sie noch steigern. So geht es auch dem, der daran denkt, dass Alles, was G-tt an ihm tut, mag es nun seinen Leib oder sein Gut berühren, nur zu seinem Glücke ist, der daran glaubt, dass es sicher zu seinem Glücke ist, wenn er auch das Wie nicht zu sehen und zu erkennen vermag.

Seine Liebe werden alle Not und aller Schmerz nicht zu schwächen vermögen, im Gegenteil, sie wird immer mehr sich steigern und Kraft gewinnen.

Doch die, die sich zu der rechten Erkenntnis durchgerungen, die bedürfen auch dieses Trostgrundes nicht. Sie denken ja nie an sich, ihr ganzes Gebet ist nur darauf gerichtet, G-ttes Ehre zu erhöhen und Ihm Freude zu bereiten.

Und je mehr Hindernisse sich gegen sie auftürmen, je mehr Kraft sie darauf verwenden müssen, um sie wegzuräumen, desto höher wächst ihr Mut, desto größer ist ihre Freude über die Gelegenheit, die Unüberwindlichkeit ihres Glaubens zu offenbaren. Es geht ihnen wie dem Heerführer, der sich durch Tapferkeit auszeichnet, der am liebsten immer dort weilt, wo die Schlacht am meisten gefährdet ist, damit die Größe seines Sieges um so leuchtender erstrahle. Es ist das auch bekanntlich bei der Liebe zwischen den Menschen nicht anders. Man freut sich jedes Mal, wenn sich die Gelegenheit bietet, dem geliebten Wesen zu zeigen, wie innig und stark man es liebt.

Die einzelnen Momente in dieser Liebe zu G-tt waren: die Hingebung, die Freude und der Eifer.

Die Hingebung

Du musst Dich so völlig G-tt hingeben, dass Du für nichts Anderes Sinn und Aufmerksamkeit hast. Von R. Elasar, dem Sohne des Pedath, erzählt der Talmud : „Wenn er auf dem oberen Markt in Sepphoris mit der Tora beschäftigt da saß, dann lag sein Mantel auf dem unteren Markt.“[12] Das Höchste erreicht man nun in dieser Tugend, wenn man sich seinem Schöpfer so zu jeder Zeit, zu jeder Stunde hingibt. Zum mindesten muss aber, wenn man wirklich seinen Schöpfer liebt, zur Zeit des G-ttesdienstes diese Hingebung zu Tage treten. Im Talmud Jeruschalmi[13] wird von R. Chanina, dem Sohne Dossas, erzählt. Er betete, da kam eine Schlange und biss ihn, er aber unterbrach nicht sein Gebet. Und als seine Schüler ihn fragten: „Meister, hast du denn gar nichts gemerkt?“ Da antwortete er: „Ich kann es beschwören, weil ich so in Andacht versunken war, habe ich nichts gespürt.“

Übrigens mahnt sehr oft die Tora zur Hingebung:

„Du sollst lieben den Ewigen, deinen G-tt… und dich Ihm hingeben.[14] – „Ihm sollst du dich hingeben“[15]– „Ihm sollt ihr euch hingeben.“[16] Und David spricht: „Meine Seele folget dir in Hingebung.“[17] Alle diese Schriftworte sagen das Gleiche. Sie reden von der Hingabe des Menschen an G-tt, dass er sich mit Ihm untrennbar verbunden fühle. R. Schimon, der Sohn Levis, sagt: „Drei Ausdrücke finden wir in der Schrift für die Liebe, mit der G-tt Jisrael umfängt: Hingebung, Verlangen und Sehnsucht‘‘[18]; und das sind eben die Momente der rechten Liebe: Das Verlangen, von dem ich oben sprach, die Hingebung und die Lust und Wonne, die man in der Beschäftigung mit den Dingen, die das geliebte Wesen berühren, findet.

Die Freude

Sie ist ein Hauptprinzip für die rechte Art, G-tt zu dienen: Wie David mahnend ruft: „Dienet dem Herrn in Freude, tretet vor Ihn in Jubel.“[19]

Ferner: ‚Die Gerechten sind froh und jauchzen vor G-tt und jubeln in Freude.[20] Und unsere Weisen sagen: „Die Herrlichkeit G-ttes weilt nur bei dem Menschen, wenn er in jener frohen Stimmung ist, wie sie mit der Erfüllung einer Mitzwa verknüpft ist.“[21]

Zu dem obenerwähnten Verse: „Dienet G-tt in Freude“ bemerkt der Midrasch:[22] Rabbi sagte: ‚Wenn du eintrittst zum Gebet, dann muss deine Brust die Freude darüber schwellen, dass du vor dem unvergleichlichen G-tte betest.‘“ Das ist eben die richtige Freude, die den Menschen frohlocken lässt, dass es ihm vergönnt ist, vor dem Herrn zu beten, der Seines Gleichen nicht hat, mit Seiner Lehre und Seinen Geboten sich zu beschäftigen, die zur wahren Vollendung führen und ewige Güter sind.

Und Schlomo spricht im Gleichnis des Weisen:

„Zieh mich zu Dir, Dir wollen wir eilends folgen. Der König bringt mich in Seine Kammer, wir wollen jubeln und fröhlich sein in Dir!“[23] Das will sagen: Je tiefer wir in jene Kammern dringen dürfen, in dem wir das Wissen von G-ttes Größe erfassen, um so größer wird unsere Freude, desto mehr jauchzt uns das Herz in der Brust. So heißt es; „Jisrael freut sich seines Schöpfers, die Söhne Zions jubeln ob ihres Königs.“[24] David hatte in dieser Tugend eine hohe Stufe erstiegen. Er durfte sagen: „Lieb ist Ihm mein Gesang, ich freue mich des Herrn.“[25] Und ferner: „Und komme ich dann zu dem Altare G-ttes, zu G-tt, der Freude meines Jubels, dann dank ich Dir mit Harfenspiel, o G-tt, mein G-tt.“[26] Und endlich: „Es jubeln meine Lippen, wenn ich Deinen Ruhm singe, auch meine Seele, die Du erlöst hast.“[27]

So übergewaltig war die Freude in seinem Innern, dass, ihm unbewusst, seine Lippen Jubelhymnen flüsterten, wenn er in G-ttes Lob und Ruhm sich versenkte. Lodernde Flammen schlugen in seiner Seele empor, wenn sie in Freude vor G-tt erglühte, das sagen die letzten Worte:

„Auch meine Seele, die Du erlöst hast.“

Wir finden G-tt gegen Jisrael erbittert, weil es bei der Erfüllung der Gebote es an diesem Moment hat fehlen lassen: „Weil du dem Ewigen, Deinem G-tt, nicht in Freude und mit frohem Herzen gedient hast…“[28] Umgekehrt, als David Jisrael in der Zeit, da sie zu dem Bau des Tempels spendeten, auf dieser hohen Stufe sah, betete er für sie, es möchte ihnen diese schöne Tugend erhalten bleiben und nimmer von ihnen weichen: „Auch Dein Volk, das sich hier findet, sehe ich, mit Freuden Dir spenden. Herr, G-tt unserer Väter Abraham, Jizchak und Jisrael, bewahre immerdar solchen Sinn und solche Gedanken im Herzen Deines Volkes und lenke sein Herz zu Dir!“[29]

Der Eifer

Du musst für Seinen heiligen Namen eifern, musst hassen, die Ihn hassen, und bestrebt sein, sie zu demütigen, soweit es nur in deinen Kräften steht, damit der Dienst G-ttes ausgeübt und seine Herrlichkeit erhöht werde, Wie David es ausdrückt: „Fürwahr, die Dich hassen, G-tt, die hasse ich, und empfinde Ekel an denen, die sich wider Dich auflehnen.“[30] Und Elijahu spricht: „Geeifert habe ich für den Herrn der Heerscharen.“[31] Wir sehen ja, welches Glück ihm zu teil geworden, weil er für seinen G-tt geeifert, wie es in der Schrift heißt: „Weil er geeifert für seinen G-tt und gesühnt für die Kinder Jisraels.‘‘[32] Die Weisen haben über den, der einem Vergehen gegenüber einzugreifen vermochte und es nicht getan, scharfe Worte gesprochen, sie erklären, dass ihn dieselbe Schuld trifft, wie den Sünder.[33]

Und im Midrasch Echa[34] sagen sie:

„Ihre Fürsten waren wie Hindinnen“, „wie bei der Sonnenglut die einen Hindinnen unter die anderen kriechen und sich verstecken, so die Großen in Jisrael, wenn sie eine Sünde sahen, wandten sie ihr Antlitz ab. G-tt aber sprach; es kommt die Stunde, da tue ich ihnen das Gleiche.“ Es ist doch die einfachste Sache von der Welt: Wenn Einer Jemanden liebt, dann kann er es nicht über sich gewinnen, es ruhig anzusehen, wie man ihn schlägt oder lästert, er wird ihm ohne Weiteres beispringen. So kann auch der, der G-ttes gelobten Namen liebt, es nicht ertragen und ruhig mit ansehen, dass man ihn entweiht und Seine Gebote übertritt. Das meint Schlomo mit den Worten: „Die die Tora verlassen, rühmen die Frevler; aber die, die die Tora behüten, sind über sie entrüstet.“[35]

Diejenigen, die den Frevler trotz seines Frevels rühmen und ihm seine Fehler nicht vorhalten, das sind eben solche, die die Tora verlassen und sie der Entweihung preisgeben.

Doch die die Tora behüten, die alle Kraft anwenden, um ihr Kraft zu verleiben, die werden naturgemäß über ihn entrüstet sein. Sie werden sich nicht überwinden und nicht stillschweigen können. Und zu Ijow spricht G-tt: „Lass sich ergießen Deines Zornes Fluten, wirf mit einem Blicke jeden Hochmütigen nieder! Mit einem Blicke demütige jeden Hochmütigen, und strecke die Frevler zu Boden! Birg sie im Staube allesamt, banne ihr Angesicht an verborgenen Ort!“[36] An der Kraft dieser Liebe erkennt man den, der seinen Schöpfer wirklich liebet: „Ihr liebt G-tt, darum hasst das Böse“[37], sagt der Psalmist.

Fortsetzung folgt ijH

  1. Jirmijahu 31,19
  2. Tehillim 42,2
  3. Tehillim 84,3
  4. Tehillim 63,2
  5. Jeschaja 26,8
  6. Tehillim 63,7
  7. Tehillim 119,47
  8. Tehillim 119,143
  9. Dewarim 32,6
  10. Brachot 54 nach Dewarim 6,5
  11. Brachot 60,2
  12. Eruwin 54b
  13. Jeruschalmi Brachot 5,1
  14. Dewarim 30,20
  15. Dewarim 10,20
  16. Dewarim 13,5
  17. Tehillim 63,9
  18. Bereschit Raba 80,7
  19. Tehillim 100,2
  20. Tehillim 68,4
  21. Schabbat 30
  22. Schocher Tov 100
  23. Schir Haschirim 1,4
  24. Tehillim 149,2
  25. Tehillim 104,34
  26. Tehillim 43,4
  27. Tehillim 71,23
  28. Dewarim 28,47
  29. Diwrei Hajamim 1 29,17
  30. Tehillim 139,21
  31. Malachim1 19,10
  32. Bamidbar 25,13 – Entweder ist im Text der Name Pinchas ausgefallen oder der Verfasser folgt hier der talmudischen Auffassung פנחס זה אליה.
  33. Schabbat 54
  34. Zu 1,6
  35. Mischlej 28,4
  36. Ijow 40,11
  37. Tehillim 97,10

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