Wochenabschnitt Ki Teze – „Schiluach haKen“ – das richtige Vorgehen beim „Kijum ha Mizwot“

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
mizwot

„Wenn sich vor dir ein Vogelnest antrifft…, wegschicken sollst du die Mutter, und die Jungen darfst du dir nehmen…“ (22,6-7)
Die Gebote der Torah sind dem Jehudi gegeben worden, damit er sich durch sie vervollkommnen kann. Wie uns Chasa“l lehren, sind es daher genau 613 Mizwot, bestehend aus 248 „Mizwot Asse” (Gebote) und 365 „Mizwot lo Ta’asse” (Verbote), die dem menschlichen Körper entsprechen, der aus 248 Gliedern und 365 Sehnen besteht.

Die g’ttlichen Mizwot reinigen und heiligen den Menschen und führen sein Herz und seinen Verstand auf den richtigen Weg.

Dies gilt jedoch nur dann, wenn eine Verbindung zwischen der Ausführung der Mizwot und dem Herz und Verstand des Menschen besteht. Wer eine Mizwa mit Andacht (‘Kawana’) und Interesse, mit Freude, Kraft und Begeisterung (‘Hitlahawut’) ausführt, nach der nötigen Vorbereitung und mit dem erforderlichen Wissen, bei ihm erweckt sie ungeahnte erfrischende Kräfte, Energie und Lebensfreude. Dadurch gelingt es dem Jehudi, alle Hürden und Hindernisse, die das Leben mit sich bringt, zu überwältigen.

Ganz anders jedoch verhält es sich mit demjenigen, der die Mizwot auf monotone, lustlose Weise erfüllt, seinen Aufgaben nur der Pflicht wegen, ohne den nötigen Respekt und die erforderliche Liebe nachkommt, wie eine gefühllose Maschine, die ihre vorprogrammierte Arbeit erledigt. Der Einfluss solcher Mizwot kann nicht tief gehen. Solche Personen gleichen eher einem Computer, bei dem nur Kontakte von Schaltern und Mikrochips Drähte und Eisenteile in Bewegung setzen. Diese haben jedoch keine Wirkung auf den “Charakter“ des Gerätes. So haben auch beim Menschen körperliche Bewegungen, die lediglich vom Verstand befohlen werden, nur schwachen Einfluss auf ihn, wenn keine Verbindung zum Herz und Gefühl besteht.

Es ist daher sehr wichtig, sich auf die richtige Ausführung der Mizwot vorzubereiten.

Man muss die praktischen Details studieren, sich in ihre Bedeutung, ihren Sinn und Zweck vertiefen. Auf diese Weise lernt man die Gebote der Torah zu schätzen und zu lieben, bis sie derart bedeutungsvoll geworden sind, dass sie beim Menschen höher als alle materiellen Genüsse stehen, indem man sich bewusst ist, dass die Mizwot haTorah das einzige Mittel ist, welches dem jüdischen Menschen erlaubt, sein Lebensziel zu erreichen. Wer mit den Mizwot so eng verbunden ist, wird sie auch mit der notwendigen ‘Kawana’ und Begeisterung erfüllen, so dass während ihrer Ausführung sein Herz davon innig berührt wird und die ‘Keduscha’ (Heiligkeit) der Mizwa regelrecht Besitz vom Menschen ergreift und ihn auf die richtige Bahn führt.

Dies ist wohl das Geheimnis vieler Zadikim gewesen, die sehr viel Arbeit und Mühe in die richtige „Vorbereitung“ (‘Hachana’) zur Ausführung der Mizwot investierten. In den Sefarim haKedoschim heißt es daher: „Die Hachana zur Mizwa ist (fast) noch grösser als die Mizwa selbst!“ Denn je größer die Vorbereitung, desto größer ist die Kraft und der Einfluss der Mizwa auf den Menschen!

Ein typisches Beispiel dazu finden wir in der Mizwa von „Schiluach haKen”, dem Wegschicken der Vogelmutter vor der Wegnahme ihrer Kinder.

Der Midrasch erklärt dazu folgendes: „Haschem zeigte sein Erbarmen mit dem neugeborenen Menschen und befahl, die „Brit Mila“ erst am achten Tag vorzunehmen, weil es dann kräftig genug ist. So erbarmte Er sich auch über das Vieh, das nicht vor dem achten Tag seiner Geburt geschlachtet werden darf; und Er ließ sein Erbarmen über die Vögel walten…“[1].

Diese Worte lassen aufhorchen, stehen sie doch im Widerspruch zu den warnenden Worte der Mischna, wonach man nicht sagen soll: „Auf ein Vogelnest erstreckt sich Deine Barmherzigkeit“. Und in der Gemara wird dies so interpretiert, dass die Gesetze G’ttes nicht mit Gründen der Barmherzigkeit etc. begründet werden sollen, sondern sie müssen als Befehle des Königs betrachtet und sozusagen “grundlos“ ausgeführt werden[2].

Im Sefer Chowat haLewawot wird der Unterschied zwischen dem Guten, das dem Menschen von Haschem gespendet wird, und einer guten Tat, die ein Mensch an seinem Nächsten ausübt, so erklärt: „Der Mensch will durch sein Erbarmen mit anderen im Grunde genommen sich selbst helfen, denn er kann die Not des Anderen nicht mit ansehen.“

„Er hilft dem Anderen, um seinen eigenen Schmerz zu lindern!”

„Wir lernen davon“, schreibt der Sfat Emet, „dass G’ttes Erbarmen nicht mit dem menschlichen Erbarmen zu vergleichen ist. Haschem erbarmt sich nicht der Not und den Schmerzen des Menschen, denn schließlich stammt ja der Schmerz und die Not von G’tt selbst. Er hat sie über den Notleidenden verhängt, weil Er es für richtig hielt. Dennoch führt Hkb“H die Welt mit der Eigenschaft von “Erbarmen“ und heisst daher „Ba’al haRachamim“ – Er ist der Herr und Meister des Erbarmens, der mit Barmherzigkeit Seine Schöpfung führt und leitet. Das „Erbarmen“ selbst herrscht dagegen nicht über Ihn, es kann unmöglich Seinen Willen ändern und beeinflussen!“

Dies meint auch der zitierte Midrasch, so die Erklärung des Sfat Emet: „So wie G’tt Sein Erbarmen über den Menschen walten liess, führt Er mit dieser Gnade auch das Vieh und die Vögel. Wer sich jedoch nicht genügend mit der Analyse des Sinns und des Zwecks der Mizwa von „Schiluach haKen“ beschäftigt hat, wer die Mizwa ohne Vorbereitung und Andacht ausführt, erhält einen gänzlich falschen Eindruck, der ihn in die Irre leitet. Er misst G’ttes Eigenschaften und Barmherzigkeit mit seinem beschränkten menschlichen Verstand und sieht im Wegschicken der Vogelmutter, ein gewöhnliches, menschliches Gefühl des Erbarmens. Eine solche Betrachtungsweise wird von der erwähnten Mischna verpönt!

G’ttes Eigenschaften sind keine Gefühlsregungen, die durch Motive und Launen geleitet und bestimmt werden, sondern sie sind Seine, von Ihm gefällte selbstständige Entscheidungen”[3].

  1. Midrasch Dewarim Rabba 6,1
  2. Berachot 33b
  3. Gemäss Sfat Emet zu Parschat Ki Seze 5655

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