Tischa be-Aw – Trauer oder Depression?

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Aw

2019 fällt Tischa be-Aw auf Schabbat, den 10. August. Da am Schabbat das öffentliche Trauern und das Fasten untersagt sind, wird erst am 10. Aw (11. August) getrauert und gefastet. [Der Tempel wurde am 9. Aw angezündet. Er brannte jedoch bis zum Mittag des 10.] Das Fasten fängt schon beim Sonnenuntergang am Ende des Schabbat an, die anderen Vorschriften erst beim Ausgang des Schabbat.(Trauervorschriften in der Privatsphäre gelten auch am Schabbat: der eheliche Verkehr ist an diesem Schabbat verboten.)

Tisch’a be-Aw ist ein Tag des Inui (Fasten) und des Awelut (Trauer). Mit schlichten Worten wird dieser Tag, an dem soviel Schweres für das jüdische Volk passiert ist, in der Mischna beschrieben.

Fünf Dinge trafen unsere Väter am siebzehnten Tammus und fünf am neunten Aw . . . .

Am neunten Aw

  • wurde über unsere Väter verhängt, dass sie nicht ins Land [Israel] einziehen [siehe 4. Buch Moses Kap. 13 und 14]
  • wurde das Bet Hamikdasch (der heilige Tempel in Jerusalem) zum ersten Mal zerstört [von den Babyloniern unter NewuChadNezar]
  • und zum zweiten Mal [von den Römern unter Titus]
  • wurde Bethar erobert [und damit der Aufstand gegen die Römer unter Bar Kochba niedergeschlagen. Unzählige jüdische Männer, Frauen und Kinder wurden von den Römern niedergemetzelt]
  • und wurde die Stadt gepflügt [durch die Römer – Jerusalem wurde dem Erdboden gleich gemacht]

Mit dem Eintritt des Monats Aw reduziert man in Sachen Simcha (Fröhlichkeit).
In der Woche von Tischa be-Aw ist das Haarschneiden und das Wäschewaschen verboten [bis zum 10. Aw nachmittags, so wie während einer Schiwa].
Am Vorabend von Tischa be-Aw darf man [in der letzen Mahlzeit bevor Tischa be-Aw] nicht zwei gekochte Gerichte essen und weder Fleisch essen noch Wein trinken. (Mischna – Ta’anit Kap. 4; 6,7)

Fällt Tischa be-Aw am Schabbos, wie dieses Jahr so ist das Haarschneiden und Wäschewaschen erst am 11. Aw erlaubt.

Für genaue Details betr. die „3 Wochen“ und die „9 Tage“ und Tischa be-Aw siehe KITZUR SCHULCHAN ARUCH KAP. 122-125.

Unvermutetes Elend und Unglück wird mit diesen schlichten Worten angedeutet.

Auf physischer Ebene genügt es zu sagen, dass prozentual mehr Juden bei der Zerstörung des zweiten Tempels umkamen als während des 2. Weltkrieges. Das Ausmass des geistiges Schadens hingegen können wir gar nicht richtig abschätzen.

Auch in der „neueren“ jüdischen Geschichte sind schlimme „Dinge“ am Tischa be-Aw geschehen. Tischa be-Aw ist kein Zufall, dann der Zufall wiederholt sich nicht mit solcher Regelmässigkeit. So schmerzhaft diese Dinge auch sein mögen, zeigen sie uns eindeutig, dass G“tt Israel nie vergessen oder abgeschrieben hat.

In vielen Gemeinden wird am Tischa be-Aw Ha’asinu, das „Abschiedslied“ Mosches, gelesen, welches die schwersten Epochen jüdischer Geschichte behandelt (Bitte nachlesen 5. Buch Moses Kap 31;28 – 32;43!). Dieses wurde jeweils am Schabbatnachmittag im Tempel vorgetragen, wobei jeden Schabbat nur ein Teil vorgetragen wurde. Dieselbe Einteilung ist bei unserer Krijat HaTorah (dem Vortragen in der Synagoge am Schabbat) von Ha’asinu beibehalten worden. Die Anfangsbuchstaben der Abschnitte nach dieser Einteilung bilden das Acronym HaSIW LaCH – Dein ist der Glanz – aus dem ganzen Lied kommt Glanz hervor – HaSchem hat uns weder vergessen noch abgeschrieben!

Über die Korrelation in der jüdischen Geschichte von Assimilitation und Vertreibung wurde schon viel publiziert. Leider reicht die Zeit nicht, an dieser Stelle darüber zu berichten.

Trauer oder Depression?

Simcha (Glücklichsein, Freude) gehört zu den wichtigsten Bestandteilen des Judentums. Und Azwut (Traurigkeit) ist höchst verpönt.

„Obwohl Azwuth keine Awejra ist, kann Azwut dorthin führen, wo keine Awejra hinführen kann!“

Wie ist Simcha mit der Pflicht des Awelut, des Trauerns, zu vereinbaren?

Rabbi Dawid Kimchi (der ReDaK in seinem Wörterbuch Sefer HaSchoraschim sub ezew) erklärt, dass Azwut mit Zorn und Sorge zu tun hat. Traurigkeit, die aus Frustation und Unsicherheit stammt, ist verpönt.

Bitachon, G-ttesvertrauen ist die Überzeugung, dass man sich auf HaSchems Zusagen verlassen kann und dass Er es gut mit einem meint (Chowat Halewawot).

Bitachon und Azwut schliessen sich gegenseitig aus. Der Ba’al Bitachon, der G-ttesvertrauen besitzt, ist immer beSimcha (glücklich, freudig). Der „erste Tischa be-Aw“ war in der Wüste beim Auszug aus Ägypten, als das ganze Volk weinte und trauerte über die Nachrichten der Kundschafter. Dies rührte von Unsicherheit und Frustation her“… wie lange noch werden sie nicht an Mich glauben…“ so HaSchems Vorwurf (Bamidbar 14; 11. Siehe auch Dewarim 1;32-33)

Das vorgeschriebene Awelut (Trauer), ist das Gefühl, das mit einem Verlust verbunden ist (MaHaRaL). Am Tischa be-Aw muss man fühlen, bedauern, sich bewusst sein dessen, was einem fehlt, was Am Jisrael fehlt, was der Welt fehlt. Trauern um was sein könnte und nicht ist.

Wir hatten alles: eine Stätte, wo man G-ttesnähe erreichen konnte; wir konnten alle 613 Mizwot der Torah erfüllen, wir sprachen die Sprache, in der HaSchem zu den Propheten sprach, wir hatten ein eigenes unumstrittenes heiliges Land, wir konnten Korbanoth bringen, das jüdische Volk hielt sich in allen Bereichen an die Gesetze der heiligen Torah, wir hatten Torah-Gelehrte, die Tana’im, von legendärer Grösse.

Und heute? Heute haben die Meisten von uns vergessen, was wir hatten, was wir auch jetzt haben könnten.

Ein König hatte einen Sohn, der Schlimmes getan hatte und vom Königshaus weggeschickt werden musste. Er ging von Ort zu Ort, bis ihm sein Geld ausging. Er verdiente dann sein tägliches Brot mit Feldarbeit in einer fern abgelegenen Region.

Eines Tages sah er, wie sich alle Bauern aufgeregt unterhielten. Der König komme morgen und wer einen Zettel mit einem beliebigen Wunsch in die königliche Kutsche hineinwerfe, dem erfülle der König den Wunsch. Die ganze Nacht hindurch sass der Königssohn und überlegte sich, was er sich wünschen solle. Als die Kutsche am nächsten Tag verbei fuhr, zielte er vorsichtig und warf seinen Zettel.

Der König erkannte die Handschrift seines Sohnes sofort. Und als er den Zettel las, weinte er. Sein Sohn hatte vergessen, woher er kam und wohin er zurück gehen konnte. Was der Prinz verlangte, war ein einfacher Strohhut, wie ihn die anderen Bauern trugen, sodass die Sonne ihn nicht auf den Kopf stach. [Aus den Erzählungen des Rabbi Nachman von Breslow]

„Jeder, der um Jeruschalajim trauert, wird auch den Wiederaufbau sehen; der, der nicht um Jeruschalajim trauert, wird dieses nicht erleben.“
Fehlt jemand etwas, kann man es ihm zurückgeben; wem nichts fehlt dem kann man auch nichts zurückgeben – MaHaRaL

Zum Thema Freude, Kummer und Traurigkeit im Judentum ist das ausgezeichnete Buch GATEWAY TO HAPPINESS von RABBI ZELIG PLISKIN sehr zu empfehlen!

Selbstverständlich gehört auch Reue zum Fasttag Tischa be-Aw – jede Generation, in welcher das Bet HaMikdasch nicht aufgebaut wird, ist so, wie wenn es wegen ihrer Taten zerstört wurde. Aber dies kommt erst, nachdem man sich wirklich dessen bewusst geworden ist, dass einem etwas etwas fehlt, obwohl man eine schöne Wohnung besitzt und eine Super-Stelle inne hat und sich Ferien in xyz leisten kann …..

Zion…

… dort wohnte vormals die Majestät G-ttes
und dein Schöpfer öffnete dort des Himmels Tore
deinen Toren gegenüber.
Die Herrlichkeit G-ttes allein war dein Licht,
du brauchtest nicht Sonne, Mond und Gestirne als Leuchten.

Du bist Stätte der Herrschaft, du Thron G-ttes
wie können Sklaven sitzen, wo einst deine Fürsten thronten!

Belebung der Seele ist die Luft deines Landes
besser als duftende Myrte der Staub deiner Erde,
als Honigkeim deine Flüsse

Aus den Klageliedern von Tischa be-Aw
Zijon halo tischali
von Rabbi Jehuda HaLevi


Klage Zion und deine Städte
gleich dem Weib in seinen Wehen,
gleich der jungen Frau, umhüllt mit Sack
um den Mann ihrer Jugend.

um dem Tempel, der zerstört wurde
wegen der Sünde seines Volkes;
und über G-tteslästerer, die ins Heiligtum gedrungen sind.

Um den Sturz der Diener G-ttes,
die einst Lieder des Heigtums sangen
um ihr Blut, das wurde vergossen
so wie das Wasser von Zions Strömen.
Um das stillgelegte Haus der Weisen
und um die Vernichtung des Sanhedrin.
Um die täglichen Korban Tamid Opfer
und um die Entweihung der heiligen Gefässe.
Um die Prinzen aus Zions Königshaus,
die Nachkommen von Dawid HaMelech
Um die Ehre, die dahinging
bei der Zerstörung des Tempels.

. . . . .

Um G-ttes Namen, der entweiht wurde
im Munde ihrer Bedränger.

Und mit dem Gebet, das man zu Dir fleht
vernimm und erhöre Zions Worte.

Aus den Klageliedern
Eli Zion weOreha

Was ist am Tischa be-Aw wegen Inui (Fasten) verboten?

Alle Inui’im (wegen Inui verbotene), gelten von Sonnuntergang am Vorabend des 9. Aw bis zum Eintritt der Nacht am Ende des 9. Aw

Achtung! Fällt der 9. Aw auf Schabbat, so gelten die Vorschriften für Sonntag!

  • Das Essen und Trinken
  • Das Gehen mit Lederschuhen
    Achtung! Nach dem Schulchan Aruch sind Stoff- und Gummi- Turnschuhe erlaubt. Sneakers etc., deren Oberteile etc aus Wildleder oder Leder sind, sind jedoch nicht erlaubt
  • Sich waschen. Sogar das Gesicht darf man morgens nicht waschen. Nach dem WC soll man nur seine Finger waschen.
  • Sich cremen oder salben
  • Der eheliche Verkehr (sogar am Schabbat, wenn der 9. Aw auf Schabbat fällt)

Was ist am Tischa be-Aw wegen Awelut (Trauer) verboten?

  • Torah oder Talmud lernen – nur Ejcha, Ijow und die traurigen Stellen in Jirmijahu sind erlaubt. Vom Talmud sind nur die Stellen über die Zerstörung des Tempels und Trauervorschriften erlaubt
  • Das Grüssen
    Wir man von jemanden gegrüsst, so antworte man mit gedämpfter Stimme
  • Frische Kleider anziehen
  • Das Spazierengehen oder sonstige Ablenkungen vom Inhalt des Tages
  • Das Arbeiten – bis zur Mitte des Tages (= Sonnenaufgang bis – untergang) ist verboten. Nachmittags ist das Arbeiten erlaubt. Man sieht jedoch keine Beracha (Segen) an Arbeit, die man am Tischa be-Aw macht.
  • Zu Schacharit legt man nicht Talit und Tefillin an – dagegen legt man sie dann zu Mincha.
  • Manche schlafen Tischa be-Aw auf dem Boden mit einem Stein als Kissen, andere mit weniger Kissen wie gewohnt.
  • Tischa be-Aw abends und am Tag bis zur Mitte des Tages sitzt man tief wie bei einer Schiwa d.h. auf dem Boden oder auf einem niedrigen Gegenstand.
  • Abends wird Megilat Ejcha (das KLAGELIED der Bibel) gelesen – am Tag werden Kinoth (Trauergedichte) gesagt.
  • Man vermindere so viel wie nur möglich seinen Genuss und seine Würde.
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