Wochenabschnitt Tasria – Gibt es „Zora’at“ in der heutigen Zeit?

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
zora'at

אָדָם כִּי יִהְיֶה בְעוֹר בְּשָׂרוֹ… לְנֶגַע צָרָעַת וְהוּבָא אֶל אַהֲרֹן הַכֹּהֵן…

„Wenn sich auf der Haut des Fleisches eines Menschen ein Aussatz befindet…, so soll er vor Aharon den Kohen gebracht werden…“ (13,2)

Unsere Weisen sl. zählen 12 Sünden auf, die „Zora‘at“, einen übernatürlichen Aussatz, verursachen: „Götzendienst, das Verfluchen von G‘tt oder die Entweihung seines heiligen Namens, Giluj Arajot (Unzucht), Diebstahl, Laschon haRa, falsche Zeugenaussage, Rechtsbeugung, Meineid, das Betreten von fremden Besitz (oder Einmischung in fremde Angelegenheiten im Allgemeinen), das Hegen von falschen Gedanken, das Anzetteln von Streit zwischen Brüdern und Ajin haRa (Missgunst)“[1].

Wenn man jedoch allgemein von „Zora‘at“ und „Nega‘im“ spricht, so redet man in der Regel nur von der Sünde des „Laschon haRa“ als Ursache, da dieser Aussatz durch „schlechte Reden“ hervorgerufen wird. Damit beantwortet man die Frage, weshalb heutzutage niemand mehr von einem solchen Zora‘at befallen wird, obwohl diese Sünde leider immer noch sehr häufig vorkommt: Weil wir uns schon so sehr daran gewöhnt haben, nicht mehr darauf zu achten, was wir sagen, dass eine himmlische Warnung durch einen Aussatz keinen Sinn mehr hätte!

Manche nennen als Grund, wieso es heute keinen Zora‘at mehr gibt, dass wir heute keinen ausgewiesenen Kohen und Korbanot haben und uns daher nicht mehr von einem Zora‘at reinigen könnten. Hkb“H will uns in Seiner Gnade nicht verunreinigen, solange wir keine Möglichkeit zur Reinigung besitzen.

Diese Antworten gelten jedoch nur für Zora‘at, der die Menschen wegen „Laschon haRa“ befällt. Weshalb aber gibt es nicht auch heute noch Aussatz für die weniger häufig begangenen Sünden wie z.B. Götzendienst, Diebstahl etc.?

Zudem ist letztere Erklärung unverständlich: Die Heilung vom Aussatz hat ja nicht unbedingt etwas mit der Reinigung von der Tum‘ah zu tun. Wir sind heute beinahe alle durch Berührung eines Toten (טמא מת) oder durch andere Tum‘ot verunreinigt. Welchen Unterschied würde es dann noch machen, wenn wir, chalila, auch noch die Tum‘ah von Zora‘at hätten?

Ziel und Sinn des Aussatzes könnten immer noch erreicht werden: Eine g‘ttliche Warnung für das Begehen einer schlimmen Awera! Und wer danach mit Hilfe des „Aharon haKohen“ in der heutigen Zeit – die jeweiligen ‘Gedole haDor‘ (Großen unserer Zeit), die Rabbanim und Rosche Jeschiwot, unsere geistigen Führer – Teschuwa macht und sich mit Tefila und Tränen der Reue, die anstelle der Korbanot gelten, an Haschem wendet, dass Er ihn heile, von diesem reumütigen Jehudi könnte der Aussatz wieder genommen werden – dann hätte doch der Aussatz auch heute sein Ziel erreicht!

Deshalb muss die Antwort darauf sein, dass wir heute nicht mehr den ‘Sechut‘ (Verdienst) haben, ein solch beeindruckendes Zeichen von Hkb“H zu erhalten![2]

Früher, als der Klall Jisrael sich auf einer hohen geistigen Stufe befand, war er täglich von offensichtlichen und übernatürlichen Wundern umgeben. Das ‘Mischkan‘ und das ‘Bet haMikdasch‘ wiesen darauf hin, dass die Jehudim auf einer Madrega (Stufe) von „leMa‘ala miDerech haTewa“ – über den Naturgesetzen – standen. Schließlich geschahen dort täglich zehn Wunder[3].

Somit ist auch verständlich, weshalb der Aussatz auf der Haut des Mensch oder auf einem Kleid bereits in der Wüste möglich war, während es den Aussatz auf der Hauswand nur in Erez Jisrael gab[4]. Denn die Veränderung der menschlichen Körperhaut kann aus unzähligen Gründen vorkommen, weil er ein „Chai“ – ein lebendiges Wesen ist. Ein Aussatz auf dem Körper des Menschen ist daher kein so großes Wunder wie der Aussatz auf einem Kleid. Aber auch die Verfärbung eines Kleides – das aus einem „Zomeach“ (Pflanze) oder aus einem „Chai“ (Tier) hergestellt ist – ist in der Natur möglich und kommt vor, weil auch das Kleid „Leben“ oder „Wachstumskraft“ in sich hat.

Bei einem Stein hingegen, einem „Domem“ (leblose Materie), der die unterste Stufe der ganzen Weltschöpfung darstellt (Domem, Zomeach, Chai und Medaber), ist das Vorkommen eines Aussatzes völlig unnatürlich und deshalb das größte Wunder. Zu einer solchen Veränderung der Naturgesetze war der Klall Jisrael erst dann würdig, als er sich auf dem Boden von Erez Jisrael befand. Denn dort wuchsen sie durch die Heiligkeit des Landes, wo selbst jeder Stein und leblose Materie die „Keduschat ha’Aretz“ besitzt, auf eine noch höhere Stufe.

Als aber die Bne Jisrael später von dieser hohen Madrega (Stufe) fielen, gerieten sie wieder unter die Herrschaft der Naturgesetze. Heute verfügen wir nicht mehr über „Newuah“ (Prophetie) und sind keine offensichtlichen und übernatürlichen Wunder gewohnt. Wunder geschehen nur noch auf verborgene Weise, wie die Nissim von „Purim“. Ein Aussatz, ist daher nicht mehr für unsere Madrega geeignet, auch wenn er eine wirkungsvolle Warnung bzw. Strafe wäre.

Der Akedat Jizchak (R. Jizchak Arama sZl., gest. Neapel 5254/1494) erklärt aber, dass es Aussatz auf der Neschama (Seele) gibt, selbst wenn der Aufsatz bei uns nicht auf dem Körper vorkommt. Die heilige und empfindliche Neschama, der g‘ttliche Teil im menschlichen Körper, steht nicht auf der gleichen Stufe wie unser Körper. Wenn der Mensch mit seinem Körper, chalila, eine der 12 erwähnten Awerot (Sünden) begeht, so erhält seine Neschama diesen Zora‘at. Sie wird wie ein Aussätziger von G’ttes Nähe verstoßen und muss unsägliche Leiden durchstehen, bis sich der Mensch wieder davon gereinigt hat!

Tatsächlich gelten nach manchen Rischonim die Halachot des Mezora (Aussätzigen) auch in der heutigen Zeit[5]. Rabbi Tarfon hat sogar drei Aussätzige für rein erklärt, obwohl er bereits nach der Zerstörung des Bet haMikdasch lebte[6]. Heute fehlt uns nur ein „Kohen Mejuchas“ – ein Kohen der seine Abstammung bis zu Aharon haKohen nachweisen kann – und in den Halachot der Aussätze bewandert ist. Ein solcher könnte eventuell auch heute einen Zora’at offiziell feststellen oder für rein erklären[7].


  1. Midrasch Tanchuma Mezora 4
  2. Gemäss Ramban Wajikra 13,47 und Rambam Hilchot Tum’at Zora’at 16,10. Siehe ferner Alschich haKadosch Anfang P. Tasria 13,2
  3. Awot 5,7
  4. Siehe Wajikra 14,34 und Mischna Nega’im 12,4
  5. Rambam Hilchot Tum‘at Zora’at 11,6 und Sefer haChinuch Ende 169. Dies wird jedoch von der Psikta Sutrata P. Schmot, Rawija“h Ende 840 und Schu“t haGeonim (Scha‘are Teschuwa 176), Radwa“s Hilchot Terumot 7,9 bestritten. Siehe ferner Tiferet Jisrael zu Mischnajot in seiner Einleitung zur Maßechet Nega’im §39.
  6. Torat Kohanim Parschat Mezora
  7. Sefer haChinuch ibid. und Minchat Chinuch §15. S.a. Schu“t Sche’ilat Jawe“z Bd1/138.

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